Gott

[104] Wie nenn' ich Dich, Du Unnennbarer? Du,

Der Wesen Quell und Ende Seiner selbst,

Ein ewiger, endloser Quell, Begriff

Von Allem, was da lebt, genießt und ist,

Anfang und Ende jeder Creatur,[104]

Ein ewig Sein, hoch über allem Sein,

Ein rastlos Weben der tiefsten Ruh,

Gedankenquell, aus dem, was Bild und Form,

Vorstellung, Wunsch und Streben ist, entsprang

Und stets entspringet und nach Ihm verlangt,

Nie Ihn erreichend, nie Ihn fassend. Du,

Zusammenklang der Sphären, Du, ihr Anklang

Und Ausklang, Kraft der Kräfte, tiefstes Sein

Jedweden Seins; der ist und war und sein wird.


Wie fass' ich Dich, den keine Räume fassen,

Du nirgend und doch über-überall

Und allenthalben ganz, in jeder Kraft

Der volle Gott, wie ihn das Pünktchen Raum

Zu fassen nur vermag! Vor aller Zeit

Und in und außer aller Zeit bist Du!

Denn das, was Welt und Zeit und Ordnung heißt,

Ist nur ein Schattezug, ein Bild von Dir,

Für unsern Geist, nicht für den Ewigen.

Sein ewig Wort gebar und trägt sich selbst,

Entwickelt Alles, stets vollendet, stärkt

Und hebet Alles ohne Seiner Kraft

Veränderung. Der Wesen Abgrund, Fülle

Des Daseins: kurz, Er ist's, Er ist es gar.


Versenke Dich in Ihm, Gedanke! steig

Hin in den Abgrund aller Seligkeit

Und Macht und Liebe! Du, der auch von Ihm

Bist ein lebend'ger Schatte, bist von Ihm

Ein Abstrahl, ewig wie das ew'ge Licht.

Geneuß Dich ganz in Ihm, auf Ihm, dem Baum

Des Lebens, ein lebend'ger Zweig, im Meer

Der Allvollkommenheit ein Tropfe Du,

Ein Mitklang in der Wesen Harmonie.


Was ist's? was reichet an dies göttliche

Gefühl in mir der Ewigkeit, durch Gott!

Kein Engel, keine Macht der Schöpfung, nicht

Zufall noch Schicksal, weder Gegenwart

Noch Zukunft scheidet mich von Ihm, von Ihm!

Könnt' Er sich selbst zerstören? kann ein Glied

Des ew'gen Seins, der ew'gen Liebe sich

In Nichts verkehren? Tauch herab, Geschöpf,[105]

Tauch tausendmal herab ins dunkle Reich

Des Unsichtbaren; vor Ihm ist es Tag.

Er selbst durchstrahlet es; Er hebet Dich,

Er hebet Sich in Dir, dem Sinkenden,

In Reichen ew'ger Ordnung neu empor.


O Wandelgang der Schöpfung! Labyrinth,

Das, dunkel uns, sich ganz von Lichte webt

Und, nur zu- göttlich hell, uns dunkel wird.

So scheint, was sich am Schnellesten bewegt,

Für uns zu ruhn; so schweiget unserm Ohr

Der lautste Sternenklang; was sich gebiert

Und rastlos fort gebiert, das schlummert uns;

Und aller Wesen Abgrund wird uns Nichts.


Verborgner Gott, Du mir so fern und nah,

Andringend mir, in meinem Innersten

Durchfassend mich, und will Dich die Vernunft,

Die Mücke, fassen, o, so findet sie

In Dir ihr Flammengrab. Die Eule sinnt,

Was Sonn' ist, zu ergründen, und ist blind.

Je ferner von mir ich Dich suche, je

Zerstückter ich Dich sehn und fassen will,

Je mehr ist, was ich spreche, Lästerung.


Im Sein nur wohnest Du, und überall

Ein unzertheilter Geist, ein göttlicher,

Umfassender Gedank', ein Gottesherz,

In dem wir schlummerten und schlummern, das

Uns neu gebiert und immer fort gebiert,

Uns läutert und uns immer höher treibt

Und mehr mich kennet, tausendfach mich mehr

Erfaßt und liebet als mein eigen Herz.


So schlage fröhlich denn, mein Herz! Du schlägst

Im Quell der Lieb', und dieser schlägt in Dir;

Auf, athme frei, mein Geist! Du athmest nicht

Im Erdendunst, Du athmest Aether: Gott!

Und schiffe froh, mein Schiff des Lebens! Sturm

Und Welle mag Dir nichts; Dein Hafen ist,

Dein Anker, selbst Dein Schiffbruch ist in Gott.


Mein Herz eröffnet sich, es schließt sich auf,

Es wallt in mir, die Quelle meiner Ruh.[106]

Mein Vater und mein Gott, durch den ich bin,

Was ich nur bin und lebe; Du, der mich

Durchdachte, da ich noch nicht war, der mich

Durchfühlt', als er versagt' und gab,

Der in der Wesen Chor mich stellte, mich,

Den leisen Ton, zum großen, großen All,

Die Harmonie auf Seiner Harfe; Du

Mein Vater, mein Erforscher, tiefster Freund,

Der, eh ich rufe, hört, der meiner Noth

Abhilft, eh ich sie seh', und edel schweigt;

O Schutzgott meiner Tage, der Du mir

So oft im Durst Labsal, der Du mir Quell

Wie Echo in der Wüste warst; ein Freund,

Der einsam mich erquickte, dessen Spur

Ich vor und bei mir sah, und hörte stets

In Wohl und Weh, in Freud' und Traurigkeit

Den Zuspruch Seines Herzens an mein Herz.

O Freund, wenn ich an Dir verzweifelte,

Wenn ich Dich leugnete, so leugne mich!


Wolan, mein Herz! – Auch in der Fehler, in

Der Missethat Vergeltung fandest Du

Niemals den neidischen, rachgierigen,

Du fandest stets den linden, milden Gott,

Der sanft verzeihend straft, nur Ahndung winkt

Und tödtend schafft und hart verbindend heilt,

Der Flecken abwäscht mit der Liebe Hand,

Und wenn er Dir den Fehl nur hat gezeigt,

Ihn Andern decket zu. Auf! faß ein Herz,

Mein Herz, und siehe scharf den Spiegel an,

Der, was nicht Bild des Ew'gen ist, Dir zeigt,

Der, was Dich brennen wird, Dir nie verhehlt!

Erfaß den Guten, der in Dir die Kraft

Zu wachsen, der Dir Läutrungsfeuer ist,

Dich auszubrennen, Dir zu leuchten, Licht,

Dich zu erquicken, Trost, zu hoffen, Muth

Und Deinem Herzen wachsend süße Ruh.

Eins ist der Ewige! im Einen wohnt

Wahrheit und Leben, Göttlichkeit und Ruh.

Getheilt ist unvollkommen; Er ist's ganz.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 104-107.
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