Parthenope

[91] Ein Seegemälde bei Neapel.


Ermüdet von des Tages schwerem Brande,

Setzt' ich danieder mich ans kühle Meer;

Die Wellen wallten liebend hin zum Strande

Des holden Ufers, das mich rings umher

Umfing mit seinem zaubrischen Gewande,

Mit seiner gaukelnden Sylphiden Heer;

Der Liebe luft'ger Schleier, rings umflogen

Von Zephyretten, spielte mit den Wogen.


Und über mir, hoch über mir in Lüften

Des blauen Aethers säuselte der Baum,

Der, reingeläutert von der Erde Düften,

Ein himmlisches Gewächs, den runden Saum

Umschreibet mit der Sonne goldnen Schriften

Und giebt dem Fluge der Begeistrung Raum;

Die schlanke, schöne Königin der Bäume,

Die Pinje, rauschte mich in goldne Träume.


Ich hört', und aus des Meeres leisen Wogen

Erhob sich einer Stimme Silberton:

»Vernimm mich! Nie hat Dich Dein Herz betrogen;

Du liebtest Wahrheit und verdienst zum Lohn,

Daß Dir die Hülle werd' emporgezogen,

Die alle Wesen bis zum lichten Thron

Der schaffenden Natur in Schatten hüllet.

Vernimm mich, und Dein Herz wird Dir gestillet!«
[91]

Ich sah, und aus des Meeres zarten Wellen

Hob eine Nymphe göttlich sich empor.

Ihr Antlitz schien die Dämmrung aufzuhellen

Bis an der Sonne goldnes Abendthor;

Die Wogen küßten sie mit sanftem Schwellen,

Um ihren Busen wallt' ein reger Flor.

Sie sang; ein Saitenspiel von zarten Saiten

War schüchtern, ihre Stimme zu begleiten.


Sie sang: »Was rings Dir Deine Blicke zeigen,

Was alldurchwallend die Natur bewegt,

Was droben dort in jenem heil'gen Schweigen

Des Aethers, drunten sich im Staube regt

Und in der Welle spielt und in den Zweigen

Der Fichte rauscht und Dir im Herzen schlägt

Und Dir im Auge, jetzt von Thränen trübe,

Jetzt freudetrunken, himmlisch glänzt, ist – Liebe.


Nur Liebe war die Schöpferin der Wesen

Und ward der Liebgebornen Lehrerin;

Willst Du den Sinn des großen Buches lesen,

Das vor Dir liegt: sie ist die Seele drin.

Und will Dein Geist und soll Dein Herz genesen,

So folge treu der hohen Führerin!

Wer außer ihr, der Mutter alles Lebens,

Natur und Wahrheit suchet, sucht vergebens.


Sie ist Natur; sie bildete Gestalten,

Naht und verknüpfet und beseligt sie;

Sie läßt den Keim zur Blume sich entfalten,

Daß in der schönen Blume Liebe blüh'.

Die zarten Bande, die das Weltall halten,

De ewig-junge rege Sympathie,

Die Himmelsgluth, in der die Wesen brennen,

Wie willst Du anders sie als Liebe nennen?


Schau, wie die Welle, nahend Dir, am Rande

Des Ufers spielet und es leise grüßt;

Sie gleitet weg von dem geliebten Strande,

Zerfließend, wie ein süßer Wunsch zerfließt,

Und kehrt zurück zu dem geliebten Lande,

Wie wiederkehrend sich das Herz ergießt:

So drängen sich mit immer neuem Schwellen

In aller Schöpfung Meer der Liebe Wellen.
[92]

Schau, wie umher der ganze Himmel trunken

Sich spiegelt in des Meeres Angesicht!

In Amphitritens heil'gen Schooß gesunken,

Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht!

Und droben glühen schon der Liebe Funken,

Die Sterne. Sieh, auch Luna säumet nicht;

Sie schleicht heran mit zarten Silberfüßen,

Um ihren Liebling, ihren Freund zu grüßen.


Dort steht sie, sieht bescheiden sich im Spiegel

Der Wellen an und weilt und schämet sich

Und blickt hinan zu jenem Schlummerhügel:

›Endymion, ich lieb', ich liebe Dich!‹

Und drückt auf ihn der Sehnsucht zartes Siegel:

›Endymion, auch Du, Du liebest mich!‹«

So sang Parthenope; mit süßen Schmerzen

Fuhr ihrer Stimme Pfeil zu meinem Herzen.


Ich sah, ich sah bei ihren Freudenmahlen

Die Götter und der Freuden Ueberfluß;

Da labet Zeus sich in den süßen Strahlen

Des schönen Jünglings mit dem ew'gen Kuß;

Sein Auge küßt, es küßt zu tausend Malen

Und blickt in alle Himmel Wohlgenuß,

Läßt Göttlichkeit in jede Ader fließen

Und reine Liebe sich durchs Weltall gießen.


»Ach!« sprach ich, »und die Menschheit, in der Kette

Der Erdewesen sie der erste Ring,

O daß sie noch das Kleinod Unschuld hätte,

Das ihr die Mutter an den Busen hing,

Als liebend mit den Göttern um die Wette

Ihr erster Mutterkuß sie froh umfing!

›Geh,‹ sprach sie, ›zartes Kind! Im Erdgetümmel

Wird Lieb' und Unschuld Dir allein zum Himmel.


Versäume nie, zu stolz für diese Freuden,

Die Lieb' und Unschuld auf beblümter Flur;

Verschmähe nie Dein Glück und suche Leiden

Der Unvernunft auf falscher Weisheit Spur!‹[93]

Ach, aber ach, getrennt von diesen Beiden,

Von Lieb' und Unschuld, Wahrheit und Natur,

Wie taumelt jetzt der Mensch und sucht dem Herzen

Ein süßes Gift, für Liebe – Gram und Schmerzen!«


So seufzte ich. Die Königin der Wogen

Erhob noch einmal ihren Silberton:

»Vernimm Dein Herz! Nie hat es Dich betrogen;

Du liebest Unschuld, und sie wird Dein Lohn.

Was unter diesem goldnen Himmelsbogen

Von meinem Meere bis zu Jovis Thron

Erklingt, das klinget Dir im Herzen wieder,

In Deinem Herzen.« Und sie schlüpfte nieder.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 91-94.
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