8. König Ludwig
Deutsch

[325] Das älteste Deutsche Lied. Schilters thesaur. rer. germ.


Einen König weiß ich,

Heisset Herr Ludwig,

Der gern Gott dienet,

Weil ers ihm lohnet.


Kind ward er vaterlos,

Deß ward ihm sehr bos:

Hervor holt' ihn Gott,

Ihn selbst erzog.


Gab ihm tügende

Frone Dienende;

Stuhl hier in Franken:

Brauch er ihn lange!


Den theilt er dann

Mit Karlomann,

Dem Bruder sein,

Ohn allen Wahn.


Das war geendet,

Da wollt Gott prüfen:

Ob er Arbeiten

Auch mochte leiden?


Ließ der Heidenmänner

Ueber sie kommen;

Ließ seine Franken

Den Heiden dienen.
[325]

Die giengen verloren!

Die wurden erkoren!

Der ward verschmähet,

Der ihnen mißlebt.


Wer da ein Dieb was,

Der deß genaß,

Nahm seine Festung,

Seit war er Gutmann81.


Der war ein Lügner,

Der war ein Räuber,

Der ein Verräther:

Und er geberdt sich deß.


König war gerühret,

Das Reich verwirret,

Erzürnt war Christ,

Litt dies Entgeltniß.


Da erbarmt es Gott,

Der wust all die Noth,

Hieß Herr Ludwig

Eilig herbeiziehn.


»Ludwig, König mein,

Hilf meinen Leuten!

Es haben sie Normannen

Harte bezwungen.«


Dann sprach Ludwig:

»Herr! so thu ich.

Tod nicht rette mir es,

Was du gebietest.«
[326]

Da nahm er Gotts Urlaub,

Hob die Kundfahn auf:

Reitet in Franken

Entgegen den Normannen.


Gotte dankend,

Diesem harrend,

Sprach: »O Herr mein,

Lange harren wir dein.«


Sprach dann mit Muthe,

Ludwig der Gute:

»Tröstet euch, Gesellen,

Die mir in Noth stehn.


Her sandte mich Gott!

Thät mir selbst die Gnad,

Ob ihr mir Rath thut,

Daß ich euch führe.


Mich selbst nicht spar' ich,

Bis ich befrei euch:

Nu will ich, daß mir folgen

All Gottes Holden.


Beschert ist uns die Hierfrist,

So lang es will Christ.

Er wartet unser Gebein,

Wacht selbst darein.


Wer nun Gottes Willen

Eilig will erfüllen;

Kommt er gesund aus,

Lohn ich ihm das;

Bleibet er drinne,

Lohn ichs den Seinen.«[327]


Da nahm er Schild und Speer,

Ritt eilig daher,

Wollt wahrlich rächen

Seine Widersacher.


Das war nicht lange,

Fand er die Normannen:

Gottlob! rief er,

Seinen Wunsch sah er.


Der König reitet kühn,

Sang lautes Lied,

Und alle sungen:

Kyrie Eleison.


Sang war gesungen,

Schlacht ward begonnen,

Blut schien in den Wangen,

Spielender Franken.

Da rächt jeder sich.

Keiner wie Ludwig.


Schnell und kühn,

War je sein Sinn.

Jenen durchschlug er,

Diesen durchstach er,


Schenkte zu Handen

Seinen Feinden

Trank bittern Leides,

So wichen sie Leibes.


Gelobt sey Gottes Kraft!

Ludwig ward sieghaft.

Sagt allen Heiligen Dank!

Sein ward der Siegkampf.
[328]

O wie ward Ludwig

König so selig!

Hurtig er war,

Schwer, wie es noth war!

Erhalt ihn, Herr Gott!

Bei seinen Rechten.

81

Edelmann.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 325-329.
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