50.

[298] Briefe ließ der König schreiben,

Stolze Briefe an den Cid,

Voll von mancherlei Verleumdung

Seiner Feinde, der Spione.

Was dem Grafen Consuegra

Cid antwortete, vernehmt.


»Edle Männer von Villalon,

Tapfre Ritter von Valduerna,

Guten Leute von Villalva,

Gute Christen von Sansueña,

Böse Spürer des Betragens

Andrer, lest – und leset recht!


Don Rodrigo ist mein Name,

Wohl auch Cid Campeador.

So ergeben meinem König

Als mein Weib Ximene mir,

Leb ich als ein schlichter Kriegsmann,

Der kaum zweimal in der Woche

Ab die Kriegeswaffen legt;

Schlafe nirgends als im Zelte,

Tue keinem Freunde übel,

Stünd es auch in meiner Macht;

Haue nur mit meinem Degen,

Aber nie mit Zung und Feder,[298]

Esse sitzend auf der Erde,

Weil mir eine Tafel fehlt;

Lasse niemand mit mir speisen

Als die Braven und die Guten,

Anzuspornen durch die Sitte

Meiner Freunde Heldenmut.

Unsre Tischgespräche scharren

Nie auf die begrabnen Toten,

Greifen nie dem Urteil Gottes

Über die Lebendgen vor.

Ich, der Cid, ich spreche selten,

Kümmre wenig mich um andre,

Frage nichts, als ob Babieca

Sei gewartet und gezäumt,

Aufzusitzen gleich nach Tafel,

Neu zu eilen ins Gefecht.


Lege nieder mich zum Schlafe,

Nicht zu wachen und zu sinnen,

Wie auf Wegen des Betruges

Ich erschleiche fremdes Gut;

Wach ich auf, so gehts zu Felde,

Hier – ein feindlich Schloß zu nehmen,

Oder – liegen es zu lassen,

Wie das Glück will, wie es fällt.


Bin ich einsam, so gedenk ich

An mein Weib, und das mit Seufzen;

Weinend mußt ich sie verlassen,

Klagend wie die Turteltaube;

Und wohl einsam und wohl traurig

Lebet jetzt sie in der Fremde;

Doch sie lebet glücklich dort.


Übrigens, ihr hohen Herren,

Kann und darf der Cid antworten[299]

Jedem, wer es sei, der frägt;

Er darf seine Seel enthüllen

Ohne Lug und ohne Scham.«

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 298-300.
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Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)

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