52.

[302] »Da die Königin des Himmels,

Die gebenedeite Jungfrau,

Uns Valencia zu erobern

Hülfreich beigestanden hat,

Pedro, so geht zu den Mauren,

Schafft den Leidenden Erquickung

Und dem Totenheer ein Grab!


Sagt den Überwundnen allen,

Männern und den Weibern saget,

Daß die Stolzesten im Kriege,

Wir die Sanftesten im Frieden,

Menschlich und großmütig sein.


Regt sie an, zu mir zu kommen,

Daß ich selbst mit ihnen spreche,

Und für ihre Schätz und Weiber

Bleibe keinem eine Furcht!

Denn mir fehlen für die Schätze

Kasten, und für ihre Weiber

Fehlt ein Frauenharem mir.[302]

Eine nur ist meine Gattin,

Eine, meine echte Frau.


Alvar Fañez! Auf, zu meiner

Armen, leidenden Ximene!

Führt sie her und meine Kinder,

Nehmt auch etwas Gold mit Euch,

Daß sie sich das Nötge kaufen

Und anständig hier erscheinen,

Diese schöne Stadt zu sehen

Und Rodrigo, ihren Freund!


Ferner dreißig Mark an Golde

Nimm mit dir, dem heilgen Pedro

Lege sie auf den Altar!

Auch zweitausend Silberstücke

Stelle den ehrhaften Juden

Israel und Benjamin

Bittend zu, mir zu verzeihen

Mein allereinzge Lüge,

Die ich lebenslang beging!


Die verpfändeten zwei Kasten,

Die verschlossen sie annahmen,

Glaubten sie voll guten Goldes,

Und sie waren voller Sand.

Dennoch war es keine Täuschung:

Denn mein Wort war in den Kasten,

Und mein Wort ist gutes Gold.


Antolinez, Ihr begleitet

Alvar Fañez. Seine Zunge

Ist ein wenig träg, und Eure,

Sie gefällt im Sprechen sich.

Auf! Erzählet der Ximene

Unsre Abenteuer alle![303]

Helft ihr denn auch im Gesange;

Denn sie liebt in frohen Stunden

Die Gitarr und den Gesang.


An den Hof des Königs ziehet

Dann auch beide miteinander!

Überreicht ihm die Geschenke,

Mit der ehrerbietgen Bitte,

Daß er Gattin mir und Kinder

Gnädig lasse mit euch ziehn.


Was in deiner Kriegersprache

Du zu sagen hast, vergiß nicht,

Alvar Fañez, auch kein Wort!

Wohl, daß einem Held am Hofe,

In der Schule seines Lehrherrn,

Du dabei zu lachen gibst;

Andre werden meine Plane

So wie deine Worte meistern

Und bespötteln. Mach es also,

Daß dem Neide nichts auch bleibe

Als das Gift in seiner Brust!


Zieht dann, meine Freunde, ziehet!

Wenn hieher zurück ihr kehret,

Findet ihr mich Überwinder

Andrer Mauren, meiner Feinde,

Oder – findet mich nicht mehr.«

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 302-304.
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