53.

[304] Angekommen itzt zu Burgos,

Küssete die Hand dem König

Alvar Fañez von Minaya,

Antolinez neben ihm.

»Untertänige Geschenke[304]

Überbring ich, großer König,

Von dem stolzesten Vasallen,

Den Ihr aus dem Reich gebannt.


Und mich selbst in dieser Sendung

Nicht zu täuschen, so erlaubet,

Daß ich Euch die Worte sage,

Die er zu mir selbst gesagt;

Denn wo Cid nicht ist, bin ich.


Also sprach er: ›Aus Valencia

Send ich, was von dem Vasallen

Seinem Oberherrn gebührt.

Das Andenken an die Härte,

Die Ihr, König, mir erwiesen,

Längst ist es aus meiner Brust.

Vielmehr segn ich alles, alles,

Was daher zu meinem Ruhme

Und für Euer Reich entsprang.

Überreichen wird Euch Fañez

Hundert ritterliche Pferde

Mit den Decken und Geschirr,

Hundert Sklaven, die sie führen,

Und im Kasten dreißig Schlüssel

Von den Städten und den Schlössern,

Die hiemit Euch der Verräter,

Die der Cid Euch übergibt.


Stolz bezahl ich meine Schulden,

König, mit den Gütern reicher

Überwundner Könige.

Einem Armen und Vertriebnen,

Dem Ihr nichts, o König, ließet,

Blieb nichts übrig, als auf Kosten

Andrer Euch befriedigen.
[305]

Alvar Fañez, mein Gesandter,

Ist ein Krieger, der sich selber

Sein Gut zu erwerben weiß;

Er begehret nicht Geschenke,

Nur daß Ihr ihm, König, zusprecht,

Wie es seiner Ehre ziemt.

Was ich nie von Euch erlangte,

Wahrlich, das verdienet Er.


Ehrenworte kosten wenig,

Und sie sind so reich einträglich

Einem guten Könige;

Sie gewinnen ihm die Herzen,

Wenn bei ungerechten Worten

Sich das treuste ihm entzieht.

Daß der Cid Euch treu blieb, König,

Traut, o trauet nicht dem Beispiel!

Viele sind vielleicht an Mute,

Wenige ihm an Großmut gleich.

Edel hielt ers, Euch zu dienen;

Andre könntens edel halten,

Sich zu rächen für die Schmach.

Wer den Dolch Bellido reichte,

Kann ihn dreißig andern reichen,

Wenn er sie dafür bezahlt.

Fing Bellido nicht mit Schmeicheln

Seinen Trug an bei Don Sancho,

Den sein Dolchstich endete?


Wer einmal den Schmeichlern wohltut,

Leget sich die harte Not auf,

Immer ihnen schönzutun.

Schmeichler sind es, die sich rächen;

Aus dem Honig ihrer Lippen

Machet Euch ein Bollwerk, König,

Und Ihr werdet es erfahren,

Wie dies Euch verteidige.[306]


Werdet Ihr vielleicht mir sagen:

Aus dem ungestümen Munde

Cids ergehen nichts als Lehren?

Freilich ging wohl mancher König

Irre durch zu viele Lehren;

Aber der war stets verloren,

Dem kein Rat gefällig war.«


Spottend hob ein Graf die Stimme,

Sprach mit höhnischem Gelächter:

»Klar ists, lieber heut als morgen

Wünscht der Cid sich her nach Burgos,

Um hier fortzupredigen.«


Alvar Fañez stieß im Zorne

Rückwärts sich den Helm, und knirschend

Rief er: »Wer hier wagt zu mucken

Wo der Cid nicht ist, bin ich!«


Alles schwieg; und Antolinez,

Er begann mit süßer Rede;

Seine sanften Worte rührten

So die Seele des Monarchen,

Daß er augenblicks Ximenen

Frei es stellte, zum Gemahle

Hinzuziehn, zum großen Cid.

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 304-307.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
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