59.

[316] Angstgeschrei und Weh und Seufzen,

Ächzen wie der Sterbenden

Drang hinauf von den Verlaßnen,

Auf gen Himmel und erreichte

Bald Ordoños horchend Ohr.


Den Verlassenen zu Hülfe

Eilt' er tiefer in die Wüste,

Und als er die Edlen sah,

Wütend rauft er sich die Haare,

Wütend flucht er den Verrätern –

Feig entflohen waren sie.
[316]

Decket dann mit seinen Kleidern

Die Verlassenen, Halbtoten,

Löset ihre harten Bande,

Eilt, Erquickungen zu suchen,

Rettung, Obdach, Sicherheit.

Bald auch fand er einen Landmann,

Treu dem Cid und ganz ergeben;

In des Hütte trugen beide

Schweigend die Verlassenen,

Wo des Landmanns Weib und Töchter

Freundlich ihrer sich annahmen

Und sie treu verpflegeten.


Don Ordoño sprach: »Señoras ,

Unter dieser guten Leute

Sichern Obhut weilet hier!

Ich geh jetzt mit einer Nachricht

Ach, wo werd ich Worte finden,

Sie dem Vater, sie der Mutter

Zu verkündigen? Dem Cid!«


Wo die Taten Rache fodern,

Schweigen Worte. Cid erwidert

Nichts und schlug sich an die Brust:

»Wohl hast du mir das gesaget,

Gutes Herz! Doch so abscheulich,

Schändlich, häßlich, niederträchtig,

Nicht der Teufel handelt so.«


Aber welche Tränenquellen

Werden jetzt der Mutter Augen!

Standhaft tröstet sie der Cid,

Sendet Boten ab zum König,

Schnelle Boten, um Erlaubnis,

Kommen selbst vor ihn zu dürfen,

Gen Toledo, wo er war.[317]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 316-318.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)