67.

[329] Fahnen, gute alte Fahnen,

Die den Cid so oft begleitet

In und siegreich aus der Schlacht,

Rauschet ihr nicht in den Lüften?

Traurig, daß euch Stimm und Sprache,

Daß euch eine Träne fehlt;

Denn es brechen seine Blicke,

Er sieht euch zum letztenmal.


Lebet wohl, ihr schönen Berge,

Teruel und Albarazin,

Ewge Zeugen seines Ruhmes,

Seines Glückes, seines Muts;

Lebet wohl, ihr schönen Höhen,

Und du, Aussicht auf das Meer hin!

Ach, der Tod, er raubt uns alles,

Wie ein Habicht raubt er uns!

Seht, es brechen seine Augen,

Er blickt hin zum letztenmal.


Was hat er gesagt, der gute

Cid? Er liegt auf seinem Lager.

Wo ist seine Eisenstimme?

Kaum noch kann man ihn verstehen,

Daß er seinen Freund Babieca,

Ihn noch einmal sehen will.
[329]

Babieca kommt, der treue

Mitgefährt des wackern Helden

In so mancher, mancher Schlacht.

Als er die ihm wohlbekannten

Guten alten Fahnen siehet,

Die sonst in den Lüften wehten,

Hingebeugt aufs Sterbelager,

Unter ihnen seinen Freund,


Fühlt er seinen Lauf des Ruhmes

Auch geendet, steht mit großen

Augen stumm da wie ein Lamm;

Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen,

Er auch nichts zu seinem Herrn.

Traurig sieht ihn an Babieca,

Cid ihn an zum letztenmal.


Gerne hätt sich Alvar Fañez

Mit dem Tode jetzt geschlagen;

Ohne Sprache sitzt Ximene;

Cid, er drückt ihr noch die Hand.


Und nun rauschen die Paniere

Stärker; durch das offne Fenster

Weht ein Wind her von den Höhen –

Plötzlich schweigen Wind und Fahnen

Edel; denn der Cid entschläft.


Auf, nun auf! Drommeten,

Trommeln, Pfeifen, Klarinetten tönet,

Übertönet Klag und Seufzen!

Denn der Cid befahl es da.

Ihr geleitet auf die Seele

Eines Helden, der entschlief.[330]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 329-331.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
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