68.

[331] Ausgeatmet hat der gute

Cid, der von Bivar sich nannte.

Zu vollbringen seinen Willen

Ist Gil Diaz jetzt bedacht.


Balsamieret wird sein Leichnam.

Frisch und schön, als ob er lebte,

Sitzt er da mit hellen Augen,

Mit ehrwürdig-weißem Bart;

Eine Tafel stützt die Schultern,

Eine Tafel Kinn und Arme,

Unbewegt auf seinem Stuhle

Sitzt er da, der edle Greis.


Als zwölf Tage nun vergangen,

Schalleten die Kriegsdrommeten,

Weckten auf den Maurenkönig,

Der Valencia hart umschloß.


Mitternacht wars, und man setzte

Auf sein gutes Pferd Babieca

Grad und fest den toten Herrn;

Schwarz und weiße Niederkleider,

Ähnlich dem gewohnten Harnisch,

Den Cid an den Beinen trug;

Durchgenäht mit goldnen Kreuzen

War die Kleidung; ihm am Halse,

Eingefaßt mit der Devise,

Wellenförmig hing sein Schild.

Von gemaltem Pergamente

Stand ein Helm ihm auf dem Haupte;

Ganz in Eisen eingekleidet

Schien er da auf seinem Roß,

In der Rechte die Tizona.
[331]

Neben ihm zu einer Seite

Ging Jeronimo, der Bischof,

An der andern ging Gil Diaz;

Beide führten den Babieca,

Der sich seines Herrn erfreute,

Der noch einmal auf ihm saß.


Sacht geöffnet ward die Pforte,

Die hin gen Kastilien führet,

Trabetor wird sie genannt.

Durch sie zog Pedro Bermudez

Mit erhobner Fahne Cids,

Neben ihm vierhundert Ritter

Zur Bedeckung ihr voran.

Jetzt nun folgete Cids Leiche,

Hundert Ritter um sie her;

Hinter ihr Doña Ximena,

Wohlbegleitet von sechshundert

Edlen Männern, ihrem Schutz.


Schweigend ging der Zug und langsam,

Leis, als wären es kaum zwanzig;

Aus Valencia waren alle

Längst schon, als der Tag anbrach.


Alvar Fañez war der erste;

Wütig stürzt er auf die Mauren,

Die Bukar hieher gelagert;

Ungeheuer war die Zahl.


Traf zuerst auf eine schwarze

Mohrin, die aus türkschem Bogen

Giftge Pfeile tödlich schoß,

Also meisterhaft, daß man sie

Einen Stern des Himmels nannte;

Sie und ihre Schwestern alle,[332]

Hundert schwarze Weiber,

streckte Alvar Fañez in den Staub.


Dies gesehn, erschraken alle

Sechsunddreißig Mohrenkönge;

Furchterblasset stand Bukar.

Wohl sechshunderttausend Ritter

Dünkt ihnen das Heer der Christen,

Alle weiß und hell wie Schnee.

Und der Schrecklichste vor allen,

Reitend vor auf weißem Rosse,

Größer als die andern alle,

In der Hand eine weiße Fahne,

Auf der Brust ein farbicht Kreuz,

Sein Schwert glänzete wie Feuer,

Als er anlangt bei den Mauren,

Breitet ringsum er den Tod.

Alle fliehen nach den Schiffen,

Viele stürzen sich ins Meer;

Wohl zehntausend waren ihrer,

Die die Schiffe nicht erreichten,

Die des Meeres Flut verschlang.

Von den Mohrenköngen blieben

Zwanzig; nur Bukar entrann.


Also siegt' auch nach dem Tode,

Weil San Jago ihm voranging,

Cid; gewonnen ward an Beute

Großer Reichtum, alle Zelte

Voll von Golde, voll von Silber;

Auch der Ärmste wurde reich.


Sodann setzten nach, dem Willen

Cids die freundlichen Begleiter

Nach San Pedro de Cardeña

Ruhig ihre Reise fort.[333]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 331-334.
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