|
[279] »Wenn Ihr, um Euch hoch zu heben,
Meines Arms Euch zu bedienen
Wisset, Ritter von Bivar,
So erwartet Ihr vergeblich
Künftighin auf diesem Wege
Euren Gang zum Firmament.
Fürchterlich ist Euer Gradsinn;
Auf den Knien vor mir zu bleiben,
Ziemet Stolzen, wie Ihr seid;
Vor mir Euer Haupt zu blößen,
Dessen Stolz sich gnug entblößte[279]
Samt der hassenswerten Ursach
Eures so gestiegnen Ruhms.
Welches edle Unternehmen
Hielt Euch seit dem letzten
Winter Meinem Hofe so entfernt?
Warum tragt Ihr, da zum Hofmann
Edel Ihr geboren wurdet,
Warum tragt Ihr Bart und Haare
Wie ein Wüsteneremit?
Mir antworten auf die Frage
Werdet Ihr wohl nicht, das weiß
Doch ich weiß auch, Heucheleien
Gibt es von verschiedner Art.
Und ob Ihr mir sagen wolltet,
Daß dem Feldherrn, sich zu putzen,
Weder Zeit noch Lust gebeut,
So geruht, mir auch zu sagen,
Warum Ihr denn meine Plane,
Sie enthüllend, scheitern machtet,
Ihr wißt es, zu Alcala?
Feinde, werdet Ihr mir sagen,
Hab ich; ja, so sagt der Beste
Und wohl auch der Schlechteste.
Feinde, das darf ich Euch sagen,
Feinde habt Ihr allenthalben –
Keinen Freund. Und ohne Freunde
Ist der Redlichste auf Erden
Wohl auch der Unnützeste.
An den Grenzen meines Reiches,
Sagt man, fürchten Euch die Mauren,
Andre lieben Euch, und alle
Ehren Euch als einen Gott.[280]
Wohl, prägt ihnen ferner Achtung
Ein für Euch, auch mir entgegen!
Einer, dessen Freund Ihr nicht seid,
Ali Maimon in Toledo,
Bleibt mein Bundsgenoß und Freund.
Nach dem unglückselgen Tode
Meines Bruders küßten alle
Mir die Hand – Ihr nicht, der Cid.
Ihr dagegen ließet schwören
Und verhöhntet mich, den König,
Mit dem Eidschwur auf die Bibel
Und die Leimrut und das Schloß.
Stolz betruget Ihr Euch damals;
Und um diesen Stolz zu beugen,
Sag ich Euch, was damals viele,
Viele sagten: ›Den Verräter,
Den Bellido, hätte freilich
Cid erfassen, töten können,
Als ein Mann von Ehr auch sollen;
Zeit hatt er genug dazu.
Doch er tat es nicht; denn immer
Tut der Cid nur, was er – will.‹
Keiner, der mir angehörte,
Mann und Weib, es dachte keiner,
Daß an meines Bruders Tode
Teil ich hätte; nur der Cid.
Seinen Tod sandt ihm der Himmel,
Sagten alle, Ungehorsams
Wegen gegen seinen Vater;
Nur der Cid argwohnete.
Dessen dann und anderswegen
Bann ich Euch zum zweitenmale
Fern aus allen meinen Reichen[281]
Und bemächtige mich Eurer
Güter; wem anheim sie fallen,
Dies entscheide mein Gericht.
Auch verbiet ich Euch auf alles,
Was ich Euch gesagt, die Antwort.«
Also sprach, von schlechten Menschen
Angereget, Don Alfonso;
So sprach er zum Ruhm und Spiegel
Aller Tapferkeit, zu Cid.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
|
Buchempfehlung
In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro