44.

[284] »Undankbar-grausamer König,

Undankbarer Don Alfonso!«

Also rief in ihrem Schlosse,

Rief Ximene zu Bivar;

»Mir gehörts, dich anzuklagen;

Denn allein der Weiber Herzen

Geben der Empfindung Laut.


Unglück, Unglück dir, o König,

Daß du meinen Cid beleidigt –[284]

Zwar mit Worten nur, du durftest

Es nicht anders; mit dem Degen,

Mit ihm redet mein Gemahl,

Müßig wär er in der Scheide

Nicht geblieben, wärst, o König,

Wärest du ein Edelmann.


Du verbannst ihn – welche Einfalt!

Überall in der Verbannung

Schafft sich Cid ein Vaterland.

Lässest beißen ihn vom Neide;

Der zerbeißt an ihm die Zähne,

Mein Cid ist bedeckt mit Stahl.

Lässest ziehn ihn mit dem Degen;

Wohl, du wirst zurück ihn wünschen,

Wünschen in der ersten Schlacht.

Eher schätzet man das Gute

Nicht, als bis man es verlor.


Was denkst du, das ihn gereue?

Reut ihn etwas, oh, so ist es,

Feinde sich gemacht zu haben

Um Freundschaft der Könige;

Ihrer Ohnmacht aufzuhelfen,

Furchtbar sich gemacht zu haben;

Deine Staaten zu vergrößern,

Tat er alles, was er tat.

Ohn ihn wären deine Reiche

Nur Asturiens Felsen noch.


Und wie hat er dir gedienet?

Hätt er es getan wie jene

Hofeskrieger, die dir schmeicheln,

Dich erheben, dich belügen,

Jetzt noch wär er dir gar teuer,

Seine Dienste wohlbelohnt.[285]

Sahst du ihn dagegen aber

Lieber geben als empfangen

Undankbare Fürsten drücket,

Drückt und dränget nichts so schrecklich

Als großmütger Untertanen

Edelmut – auch gegen sie.

Geht dann, gehet, Don Alfonso,

Euer Bann sei denen Srafe,

Die am Hofe, Müßiggänger,

Fürchterlich sind – nicht den Mauren,

Aber manchem edeln Mann,

Dessen Weib sie seitwärts locken,

Locken wie die jungen Hirsche,

Wenn der Mann für Lieb und Ehre

Kämpfet und zu Felde liegt.


Unglück, Unglück dir, o König!

Gunst und Wahrheit waren einmal

Nur beisammen in der Welt.

Du, du gehst umringt von Hunden,

Hunden, die dir heute schmeicheln,

Morgen bei dem ersten Fehltritt

Dich anfallen, dich zerreißen.

So umgeben ist ein König,

Der, von Günstlingen verblendet,

Seiner Seele Blick verlor.«


Also sprach in ihrem Zorne

Cids Gemahlin, nie ablassend

So zu reden, als wenn Tränen

Hemmten ihrer Klage Ton.

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 284-286.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)

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