47.

[291] Kön'ge wollen ihre Diener

Nur an ihrem Platze sehen;

Den Erhabneren darüber.

Drücken sie, wie Buhlerinnen

Den verächtlich-stolz behandeln,

Der sich, ihnen zu gefallen,

Nicht verächtlich machen ließ,

Oder wie die großen Götter,[291]

Deren hoher Zorn im Donner

Nur das Binsenrohr verschont.


Als des Cids ruhmreichen Abzug

Don Alfonsos Ohr vernahm,

Sprach, in Mitte seines Hofes,

Sprach er also: »Weggewandt

Hat sich heut von unsern Fahnen

Wohl der tapferste der Ritter,

Der je maurisch Blut vergoß!


Schien zuweilen seine Freiheit

Schrankenlos und nah der Kühnheit,

Ihm vielleicht war diese Freiheit

Zu erlauben, seiner Treue,

Seiner alten Liebe wegen,

Die für unser Haus er trug.


Jetzo geht er, und auf lange –

Ein einfacher Mann; und tausend,

Tausend Herzen gehn mit ihm.

Ein einfacher Mann; verliert er

Mit dem Hofe, wo er nichts war,

Etwas? Einzig schon sein Name

Macht ihm einen andern Hof,

Wo er alles ist. Vom Schlosse,

Wenn ein hoher Stein sich losreißt,

Folgen bald ihm andre nach.


Könige sind nie in Ruhe.

Dieser will und der den Degen;

Und an alles soll der König

Denken, prüfen, widerstehn –

Sagt ich dem gesamten Hofe,

Daß der Cid mir für euch alle

Gilt, nähm ich euch das Vergnügen[292]

Seines Falles, und ihr nähmet

Meine Red als Vorwurf auf

Oder sprächet: das sind Launen,

Launen sinds der Könige.


Summa: Cid, der erste Krieger,

Edel, auf der Ehre Gipfel,

Treu, verständig, mannhaft, klug –

Ohne Beugung vor dem Herren,

Was kann er vom Herrn erwarten?

Also bleib es, wie es ist!

Damit auch die fremden Völker,

– Hört es alle, die umherstehn! –

Damit auch die fremden Völker

Sagen, daß König Alfonsos

Ahndung keiner seiner Diener,

Selbst der Cid auch nicht, entging.«

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 291-293.
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Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
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