48.

[293] Dasteht nun der Cid gerüstet!

Unwissend, was werden solle,

Schwört der Maure bei Mahoma.

Daß er Cid beleidigt habe,

Reuet jetzt König Alfonso;

Doch der Cid, er steht in Waffen.

Es geht nach Valencia.


Dasteht nun der Cid gerüstet;

Aufgestützt auf seinen Degen,

Spricht zuletzt er mit Ximenen;

Babieca beißt die Zügel,

Heiß-erwartend ihren Reiter,

Und des Cids Paniere rauschen

In der Luft, erwartend ihn.
[293]

»Warum weinet Ihr, Ximene?

Ist so schwach denn unsre Liebe,

Daß sie nicht ertragen könne

Einige Abwesenheit?

Jeder Edle ist dem König

Dienste schuldig; dem gerechten

Leistet man sie pflichtenmäßig,

Undankbaren schenkt man sie.


Mut und Sinn ist Euer Erbteil.

Tochter eines Heldenstammes,

Die Gemahlin eines Kriegers,

Frei von jeder Weibesschwachheit,

So, Ximene, laß ich Euch.


Jeden Augenblick des Tages

Wendet wohl an, nähend, stickend,

Singt am Abend mit den Töchtern,

Und, um Euer Haus zu ordnen,

Wachet mit Auroren auf!


Zu Vergnügungen verlaß ich

Euch die Sorge für die Herden,

Für die Wolle, fürs Gefieder;

Nie, Ximene, nie seid müßig,

Arbeit ist des Blutes Balsam,

Arbeit ist der Tugend Quell.


Eure reiche Kleidung schließet

Ein bis auf mein Wiederkommen!

Nicht, darin mir zu gefallen,

Sondern mir zur Ehre dann.

In Abwesenheit des Mannes

Kleidet einfach sich die Frau.


Junge Mädchen – fern vom Feuer,

Wie den Werg! Doch laßt die Töchter,[294]

Wenn Gefahren Ihr entfernet,

Sie nichts merken von Gefahr!

Lasset sie an Eurer Seite

Schlafen und hinaus ins Grüne

Nie ausgehen ohne Euch!

Töchter ohne ihre Mutter

Sind wie Lämmer ohne Hirt.


Zeigt den Hausgenossen Würde,

Euren Frauen seid gesprächig,

Gegen Fremde seid bescheiden,

Gegen Euch und Eure Kinder

Unnachgebend, streng und fest!

Keiner Freundin, auch der besten,

Zeiget einen meiner Briefe,

Wie ich keinem meiner Freunde

Einen Eurer Briefe zeige!

Denn das Band der Ehgenossen

Ist ein zart-vertraulich Band.


Nie erwirbt man sich Hochachtung,

Wo man alles von sich wissen,

Alles übersehen läßt.

Die geschwätzige Gemahlin

Zieht den Mann in ihr Geschwätz,

Macht dabei sich selbst verächtlich;

Und doch ruhet auf der Achtung

Eines Hauses seine Macht.


Sollt es Euch bisweilen Mühe

Kosten, meiner Briefe Inhalt

Zu verbergen – denn der Freude

Botschaft, sie verbirgt sich schwer –

So entdeckt es, sie zum Schweigen

Zu gewöhnen, Euren Töchtern!

Ihrem Vater zu gefallen,

Schweigen, weiß ich, sie gewiß,
[295]

Nehmet Rat von keinem Manne!

Fragt, was ich Euch raten würde,

Wär ich da, und folgt dem Rat!

Und in schweren Dingen – schreibet!

Nie verläßt Euch meine Feder,

Wie mein Degen und mein Herz.


Zweiundzwanzig Maravedis

Laß ich Euch zur Tagesausgab;

Haltet Euch darnach! Der wahre

Adel steht nicht im Ersparen,

Doch auch im Vergeuden nicht.

Seid Ihr geldbedürftig, lasset

Keinen als nur mich es wissen;

Keinen Eurer Leute setzet

Je zum Pfande; suchet lieber

Geldessummen auf mein Wort!


Auf mein bloßes Wort, Ximene!

Dieses, wie des Himmels Peste,

Weiß man, ist fest und gewiß.

Wie ich mich für andre schlage,

Glaubt, so werden sich auch andre

Froh bemühn für mich und Euch.


Lebet wohl! Und einen Kuß noch!

Einen nur! Ich bringe keinen

Aus den Schlachten dir zurück.

Lebe wohl, meine Ximene! –

Fort! Die Krieger möchten sagen,

Ich sei hier dein Bräutigam.«[296]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 293-297.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)

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