[217] Rodrigo
In der stillen Mitternacht,
Wo nur Schmerz und Liebe wacht,
Nah ich mich hier,
Weinende Ximene,
– Trockne deine Träne!
Zu dir.
Ximene
In der dunkeln Mitternacht,
Wo mein tiefster Schmerz erwacht,
Wer nahet mir?
Rodrigo
Vielleicht belauscht uns hier
Ein uns feindselig Ohr;
Eröffne mir –
Ximene
Dem Ungenannten,
Dem Unbekannten
Eröffnet sich zu Mitternacht
Kein Tor.
Enthülle dich!
Wer bist du? Sprich!
Rodrigo
Verwaisete Ximene,
Du kennest mich.
[217]
Ximene
Rodrigo, ja, ich kenne dich,
Du Stifter meiner Tränen,
Der meinem Stamm sein edles Haupt,
Der meinen Vater mir geraubt
Rodrigo
Die Ehre tats, nicht ich. Die Liebe wills versöhnen.
Ximene
Entferne dich! Unheilbar ist mein Schmerz.
Rodrigo
So schenk, o schenke mir dein Herz!
Ich will es heilen.
Ximene
Wie? Zwischen dir und meinem Vater, ihm,
Mein Herz zu teilen? –
Rodrigo
Unendlich ist der Liebe Macht.
Ximene
Rodrigo, gute Nacht.
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