17.

[223] Zu dem hochverehrten Sitze

Pedros, den der Bischof Victor

Damals einnahm, trat der Deutschen

Kaiser, Heinrich war sein Name,

Klagend trat er so vor ihn:


»Gegen König Don Fernando

Von Leon und von Kastilien,

Heilger Vater, klag ich hier.

Jede Christenmacht erkennet
[223]

Mich für ihren Herrn und Kaiser;

Er verweigert mir die Ehre,

Er verweigert uns Tribut.


Zwingt ihn dazu, heilger Vater,

Zu Erhaltung wie des Glaubens

So auch unsrer beider Reichs!«


Drohende Befehle sandte

Victor jetzt zu Don Fernando,

Einen Kreuzzug ihm ankündend,

Wenn er nicht dem heilgen Stuhle

Und dem Kaisertum der Deutschen

Ehr und Gaben willigte.


Lange stand Kastiliens König

In Gedanken, wohl erwägend,

Wenn die Sache fürder schritte,

Die Gefahren seines Reichs.

Alle rieten nachzugeben,

Nachzugeben größrer Macht.


Nur der Cid – er war abwesend,

In der ersten Zeit der Liebe

Schlummernd an Ximenens Brust –

Aber als er von der Botschaft

Und von Königs Rat gehöret,

Eilt' er und sprach zu ihm so:


»Ach, zum Unglück Eures Reiches

Wäret Ihr geboren, König,

Wenn, so lang Ihr lebt, ein andrer

Hier geböt in Eurem Reich.


Nimmermehr soll es geschehen,

So lang Ihr lebt und ich lebe![224]

Denn, o König, jede Ehre,

Die Euch Gott gab, zu erhalten,

Ist uns, Euren Dienern, Pflicht.

Wer Euch anders riet, o König,

Riet Euch sonder Überlegung

Und vermindert Euren Ruhm.

Fodert sie heraus, die Droher!

Die Ausfodrung ist des Königs,

Die Ausführung ist des Kriegers.

Fodert sie! Ich nehm es auf.


Denkt, o König, und bedenket,

Wir erwarben Euch Kastilien,

Wir mit Ehre, Gut und Blut;

Eher gäb ich auch mein Leben

Hin, eh diese fremden Wespen

Zehren sollen unsre Beute,

Ernten unsrer Siege Frucht.

Denn, o König, gebt Ihr ihnen

Etwas, oh, so bleibt Euch – nichts.«


Und so führt der unverzagte

Cid zehntausend wackre Männer

Durch die Alpen hin ins Feld.

Ihm entgegen zog Graf Raimond

Von Savoyn mit vielen Rossen;

Doch der Cid, er schlug den Grafen,

Macht' ihn selber zum Gefangnen,

Und nur gegen seiner Tochter

Geiselschaft gab er ihn los.


Auf der Welt das schönste Fräulein,

Ward sie Königes Geliebte,

Und der Sohn, den sie erzeugten,

Ward der Kirche Kardinal.
[225]

Auch der König der Franzosen

Sandt dem Cid ein Heer entgegen,

Das er schnell zerstreuete;

Da er dann mit seinen Tapfern

In Italien also waltet,

Daß in Eile Papst und Kaiser,

Beide des Tributs vergessend,

Botschaft senden zu Fernando,

Nur den Cid hinwegzuziehn.


Und so kehrete der Feldherr

Stolz zurück mit seinen Tapfern.

Seine königliche Rechte

Reicht, ihm dankend Don Fernando.

Oh, wie war der Cid so fröhlich

Über seines Königs Dank!

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 223-226.
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Der Cid
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Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
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