7.

[204] An der Tafel saß Fernando,

Zu Burgos im Königspalast,

Als Ximene tief in Trauer

Und in Tränen vor ihm kniete.


Mit bescheidener Gebärde

Sprach sie jammernd diese Worte:

»König, eine arme Waise

Komm ich, suchend Euren Schutz.


Eben starb auch meine Mutter

Gramvoll, die mir unsres Hauses

Schmähung nachließ; denn der Mörder

Unsres Hauses lebet noch.


Täglich darf er sich mir zeigen,

Der großsinnig-stolze Lainez,

Reitet täglich mir vor Augen,

Seinen Falken auf der Hand,


Der mir meine Tauben würget,

Alt und jung. Schau her, o König,

Sieh das Blut auf meiner Schürze,

Meiner jüngsten Taube Blut![204]


Oft hab ichs ihm untersaget;

Und was gab er mir für Antwort?

Lies, o König! Diese Zeilen

Sandt er heute mir zum Hohn«:


»An Doña Ximena.


Du klagest, einzige, verehrte, schöne

Ximene,

Daß täglich Dir mein Falk die Tauben

Komme zu rauben.

Sein Herr begleitet ihn –

Oh, dürft er kühn

Die einmal sehn, der auf so harte Art

Vom Schicksal und vom Falk er angemeldet ward!«


Als der König dies gelesen,

Stand er auf von seiner Tafel,

Schrieb sofort an Don Diego;

Heimlich sandt er ihm den Brief.


Wissen will den vollen Inhalt

Don Rodrigo. »Nein, bei Gott nicht

Und bei seiner heilgen Mutter«,

Sprach er, »laß ich Euch, o Vater,

Euch allein nach Hofe ziehn!«

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 204-205.
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Der Cid
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Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)