Vorrede zur zweiten Ausgabe

[9] Schon vor mehreren Jahren hätte diese Ausgabe erscheinen können, mit der ich aber aus verschiednen Ursachen säumte.

Seit 1787 nämlich (in welchem Jahr diese Gespräche gedruckt waren) hatte sich im philosophischen Horizont Deutschlands Manches geändert. Der Name Spinoza, den man vorher gewöhnlich mit Schauder und Abscheu nannte, war seitdem bei Einigen so hoch gestiegen, daß sie ihn nicht anders als zur Verunglimpfung Leibnizes und anderer trefflicher Geister zu nennen wußten. Ja, man hatte sein System so gemißbraucht, daß, vergessend alle Schranken menschlicher Erkenntniß, die er so richtig anerkannte, man den Kegel auf den Kopf stellte und aus einem eingebildeten engen Ich das gesammte Weltall seinem ganzen Inhalt nach auszuspinnen sich erkühnte. Diesen objectlosen Traum nannte man den transcendentalen Spinozismus und höhnte den alten Spinoza, daß er so weit nicht gelangt war. Andererseits fuhr man fort, zu behaupten: »Spinoza habe Gott zertheilt, ihm das Denken geraubt; sein Gott sei nur ein Collectivname«. Und fuhr dennoch fort, auch zu behaupten: »unter diesem Collectivnamen liege bei Spinoza Alles in Ketten blinder Nothwendigkeit gefangen. Spino za's Gott sei ein despotischer, wilder Polyphem, dem er das Auge geraubt«. In so anmaßend absprechenden Zeiten durften anspruchlose Gespräche über Spinoza's System keinen erfreulichen Anblick des offnen Sonnenlichts erwarten.

Da indessen ihr Zweck nicht gewesen war, Spinoza's System in jedem gebrauchten Ausdruck zu retten oder es gar zu apotheosiren, wohl aber, es verständlich zu machen und durch Weghebung[9] einiger Wortwände zu zeigen, wohin Spinoza wollte, so durfte und darf ich dieser, einem achtungswürdigen Denker erwiesenen Pflicht der Menschheit mich nicht schämen. Archytas' Schatte bei Horaz schien mir zuzurufen:


» – – Schiffer, versäume Du nicht, dem unbegrabnen

Haupt und meinen Gebeinen ein Wenig

Fliegenden Staubes zu schenken. –

Eilest Du gleich, Du darfst nicht lange verweilen; ein' Handvoll

Erde dreimal auf mich! dann segle weiter!«


Warum sollte ich ihm diese Liebe nicht erzeigen? Jahrhunderte hindurch ist das Reich der Wahrheit ein zusammenhangendes, ungetheiltes Reich; wer Mißverständnisse voriger Zeiten hebt oder mindert, läutert damit den Verstand zukünftiger Zeiten.

In einer andern Sprache und Denkart, war Spinoza gewissermaßen ein Fremdling des Idioms, in welchem er schrieb; fordern es also nicht Vernunft und Billigkeit, daß man seinem Ausdrucks zurechthelfe, nicht aber zuerst an den Steinen kaue, d.i. sich ausschließend an die härtesten Worte halte? Einen Schriftsteller aus sich selbst zu erklären, ist die honestas jedem honesto schuldig.

Ueberhaupt gehört zu Beurtheilung und Erfassung eines Systems, in welchem auf Freiheit und Freude des Gemüths, auf wahrhafte Erkenntniß und thätige Seligkeit Alles ankommt, ein vorurtheilsfreier, liberaler Sinn; denn wie erzwänge sich wahres Erkenntniß, froher Sinn, thätige Liebe? »Seligkeit«, sagt Spinoza, »ist nicht Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst. Nicht weil wir die Leidenschaften bezwingen, sind wir selig; sondern weil wir es sind, bezwingen wir jene.« Ein Gleiches ist's auch mit dem Erkennen der Wahrheit. Weil wir sie erkennen, bezwingen wir Vorurtheile; dagegen in ihr dem Uebelwissenden ein ehern Joch dünkt, wird dem wahrhaften Erkennenden das thätige, das königliche, Gesetz der Freiheit. »In ihm leben, weben und sind wir,« sagt der Apostel; »wir sind seines Geschlechts,« hatte ein Dichter vor ihm gesagt, den der Apostel mit Beifall anführt. Mit derselben Freiheit, mit der Paulus Worte eines Dichters, die der Inbegriff dieses Systems sind, anführt, durfte ich dies System erläutern.[10]

Den Platz der versprochenen Adrastea möge vor der Hand Shaftesbury's Naturhymnus ersetzen. Eine weitere Ausbildung durfte ich ihm nicht geben, als die ihm in den beliebten Gesprächen der Moralists der Zusammenhang erlaubte. Was der lyrischen Vollkommenheit abgeht, erstatte der Inhalt.


Nicht Vollkommenes nur, nicht Wahres, Schönes und Gutes:

Wahrheit und Güt' ist er und die Vollkommenheit selbst.

Feinde schafft sie zu Freunden, zum Lichte schafft sie das Dunkel,

Wen Gott liebet, der liebt, selig von Allem geliebt.


Vorrede zur ersten Ausgabe

Zehn oder zwölf Jahre sind's, seit ich eine kleine Schrift mit mir umhertrug, die den Namen: Spinoza, Shaftesbury, Leibniz führen sollte. Sie war fertig in meinen Gedanken, und ich ging mehrmals an die Ausführung derselben; allemal aber ward ich unterbrochen und mußte ihr eine andre Stunde wünschen.

Neue Zeitumstände führten mich unvermerkt zu folgenden Gesprächen. Man würde ihren Zweck sehr verkennen, wenn man sie blos für eine Ehrenrettung des Spinoza hielte; bei Verständigen hat Spinoza diese Ehrenrettung nicht nöthig, und er sollte, meinem Zweck gemäß, jetzt blos die Handhabe eines Opfergefäßes werden, aus welchem ich einige Tropfen dem Altar meiner Jugend darbringen wollte. Warum ich von Spinoza ausging, lag theils in der Reihe meiner Gedanken, theils in Veranlassungen, die meine Zeit mir darbot.

Niemand indeß nehme meine Schrift so auf, als ob ich irgend einer gangbaren Philosophie vor- oder zwischentreten, sie verdrängen, Parteien herausfordern oder zwischen Partein ein unberufener Schiedsrichter werden wollte. Es sind Gespräche einiger Personen, die ihre Meinungen mit eben dem Recht äußern, mit welchem jeder Andre seine Lehrsätze darstellt. Gespräche sind keine[11] Entscheidungen, noch minder wollen sie Zank erregen; denn über Gott werde ich nie streiten.

Sehnlicher wünschte ich, daß, was hier im Gespräch blos angedeutet werden konnte, eine unserer Philosophie angemessenere Form erlebte. Nur einen ruhigen, heitern Sommer wünschte ich mir für meine Adrastea oder von den Gesetzen der Natur, sofern sie auf Weisheit, Macht und Güte als auf einer innern Nothwendigkeit ruhen. Da ich aber bestimmt bin, in meinem Leben selbst der Nothwendigkeit, nicht der Willkür zu folgen, so wird die ewige Wahrheit, wenn ihr mein Werk angenehm ist, mir auch Muße dazu verleihen. Zufrieden wäre ich, wenn diese kleine Vorarbeit einige unbefangene Liebhaber der Philosophie erfreute, Kennern gefiele und hie und da einem Irrenden den Weg zeigte.

Weimar, den 23. April 1787.

Herder.[12]

Quelle:
Herders Werke. Berlin [o.J.], S. 9-13.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon