Neunzehntes Buch

[392] Kaum ist je eine Namenanspielung von großem Folgen gewesen, als die dem heil. Petrus gemacht ward, daß auf den Felsen seiner Aussage eine unerschütterliche Kirche gebauet und ihm die Schlüssel des Himmelreichs anvertrauet werden sollten. Der Bischof, der, wie man glaubte, auf Petrus' Stuhl nahe seinem Grabe saß, wußte diesen Namen auf sich zu deuten, und als er bei zusammentreffenden Umständen nicht nur das Primat der größesten christlichen Kirche, sondern auch das Recht geistlicher Vorschriften und Befehle, die Macht, Konzilien zu berufen und auf ihnen zu entscheiden, Glaubenslehren festzusetzen und zu umzäunen, unläßliche Sünden zu erlassen, Freiheiten zu erteilen, die sonst niemand erteilen könnte, kurz, die Macht Gottes auf Erden bekam: so stieg er von dieser geistlichen Monarchie gar bald zu ihrer Folge, der weltlich-geistlichen, über. Wie einst den Bischöfen, so entkräftete er jetzt die Gewalt den Oberherren der Länder. Er verlieh eine abendländische Kaiserkrone, deren Erkenntnis er sich selbst entzog. Bannflüche und Interdikte waren in seiner gefürchteten Hand, mit welcher er Reiche aufrichtete und verschenkte, Könige geißelte und lossprach, Ländern den Gottesdienst nahm, Untertanen und Vasallen von ihren Pflichten entband, seiner gesamten Geistlichkeit Weiber und Kinder nahm und überhaupt ein System gründete, das eine Reihe von Jahrhunderten zwar hat erschüttern, aber noch nicht hat vernichten mögen. Eine Erscheinung dieser Art fodert Aufmerksamkeit, und da wohl keinem Regenten der Welt die Emporbringung seiner Macht so schwer geworden ist als dem[392] römischen Bischöfe die seinige, so verdienet sie wenigstens, daß man von ihr, wie von jeder andern Staatsverfassung, ohne Groll und Bitterkeit rede.284

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Obgleich seit Sarpi, Pufendorf, u.a. einzelne Stücke der päpstlichen Geschichte vortrefflich behandelt sind, so dünkt mich, fehle es doch noch an einer durchaus unparteilichen, pragmatischen Geschichte des Papsttums. Der Verfasser der Reformationsgeschichte könnte seinem Werk nach Vollendung desselben hiedurch eine seltene Vollkommenheit geben.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 2, Berlin und Weimar 1965, S. 392-393.
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