II. Proben von der Gründlichkeit

Ob das kritische Urtheil des Hrn. Klotz in alle dem Vielfachen, worüber er urtheilt, überall gleich gründlich, und unpartheiisch sey? – gründlich und unpartheiisch zugleich? – – Ich glaube, der Leser wird die Wahl haben – –

Act. litter. Vol. I. Pars. I. Die einzige Recension dieses Stücks, die Geschmack betrift, wäre die1 über Hrn. Harles Vitas Philologorum, nostra ætate clarissimorum: wie aber hat Hr. Klotz diese Lebensbeschreibungen mit so vielem Lobe, ohne die geringste Erörterung ihres historischen Baues, oder wie man jetzt spricht, ihrer historischen Kunst, als einen zweiten Nepos in die Welt senden können?

Ich nehme z.E. das Richtmaaß, nach welchem die Bibliothek,2 die unter des nämlichen Hrn. Klotz Aufsicht geschrieben wird, die Nicolaische Biographie Abbts beurtheilt: und halte es an die Biographie, die Harles von3 (nun wer kann sich mit allem kalten Blute denn rechtlicher und billiger unter den Philologis nostra ætate clarissimis erwarten?) von Hrn. Klotz liefert:


Christianus Adolphus Klotzius


Philosophiæ et L.L.A.A. Magister, Professor Philosophiae in ..... Ordinarius Rev. Capitul. Wurc. Capitul. Extraord. Poet. Cæs. Laur. Acad. Cæs. Scient. Roboret. Soc. Altdorf. Teuton. Acad. Elect. Mogunt. Scientiar. Vtil. Soc. Litterariæ Zittaviens. et Latinæ Jenensis Collega.


Si – würde ich hinzusetzen, wenn ich den feinen Spaß wiederholen müßte, den Hr. Klotz den Titeln seines lieben Burmanns zwischen schiebt –


Si ante lucem ire occipias ab huius primo nomine,

Concubium sit noctis, priusquam ad postremum perveneris –
[441]

Doch zur Sache!

Zuerst nimmt sich Hr. Harles den neuen und seltnen Griff, das Bildniß seines Freundes ganz aus – seinen Poetischen Jugendübungen zu entwerfen. Aus Gedichten? aus Jugendübungen? aus Nachahmungen eines fremden Originals einen biographischen Charakter entwerfen? – Freilich selten! unerhört! denn mit eben dem Rechte, da Hr. Klotz jetzt aus seinen Gedichten der Länge nach, ein Stoiker, ein Weiser, ein Held, ein Patriot, ein Verächter des Lebens u.s.w. wird: mit eben dem Rechte würde ich ja einen Gleim, Wieland, und Leßing aus ihren Gedichten zu ganz etwas anders machen; und wollten das die Herren Klotz und Harles verantworten? Ja aus Hrn. Klotzens Gedichten selbst, wenn aus ihnen sein persönlicher Charakter gebildet werden sollte, was würde Hr. Kl. nicht alles seyn? Schon vor mir hats Abbt4 bemerkt, daß sich derselbe in allen Gedichten durchweg nicht einmal so treu bleibe, als sich jeder Dichter, dem einmal angenommenen Charakter gemäß treu bleiben sollte, und also? Wer auf der einen Seite den Amor und die Venus singt, und den Mond ansieht, – der stürzt auf der folgenden Seite in den Feind – und auf der dritten hat er wider die friedlichste, und ruhigste Denkart, die je der bequeme, Kriegscheueste Wollüstling haben kann – läßt sich daraus nicht recht tapfer charakterisiren:


Humana fortis subiiciam mihi

Magnoque spernam pectore! etc.


Und läßt sich für einen solchen Charakter nicht nachher in der Recension der Biograph aufs wärmste umarmen: In summa voluptate, quam ex amore erga me Tuo, mi Harlesi, percipio, doleo etc. Da ist ja wohl eine Liebe der andern werth.

Hr. Harles erzählt von seinem Helden, daß er an Genie und Gelehrsamkeit wenige seines gleichen habe, daß er im Griechisch und Latein den meisten überlegen, daß er ehrgeizig und jachzornig sey, daß er Geld und Titel verachte, selten traurig, unbeständig in[442] Anschlägen und Meinungen, nicht lange fortarbeiten könne, mehr seinem Kopfe, als seinem Fleiße, schuldig sey, sich allein höre, andre gern verspotte; gern etwas von der Malerei, auch gerne Deutsche Bücher lese u.s.w. (warum nicht gar, daß er auch Deutsch könne?) das alles Hr. Harles; Hr. Klotz hätte uns sagen sollen, ob das sein Bild sey?

Nun gehen die Lebensumstände an, wie in den Personalien eines Verstorbnen: den Hrn. Hofmeister, der jetzt Prediger seyn soll, unvergessen. Unvergessen, daß der Hr. Geh. Rath als Gymnasiast auch öfters in den Vorstädten von Görlitz gepredigt: unvergessen, daß er auch habe Herrnhuter werden wollen: unvergessen, daß er auch so gar einigemal in seiner Vaterstadt gepredigt: – – Und ach! warum denn vergessen, wie sehr sich darüber vielleicht die lieben Seinigen erfreuet! wie herzlich sie geweint! wie herzlich sie sich erbaut! u.s.w.

»Sein Hochzeitstag war der vierzehnte Junius. Wobei er das insonderheit wunderbar fand (mirabile illud sibi videri, aliquoties dixit) daß ihm eine Braut eben des Namens, als sein Freund, der berühmte Saxe, führet, bescheret gewesen, ob diese gleich mit jenem in keiner Verwandschaft stünde.« Spotten möchte ich nicht gern, und insonderheit nicht über eine Freude der heiligen Ehe. Allein das Bewunderungswürdige darinn, daß ein Professor Saxe in Utrecht lebt, und daß Hr. Klotz eine Jungfer Sachsen in Göttingen heirathet, dies Wunderbare sei nun ein oft wiederholtes Wortspiel, (aliquoties dictum) oder ein galantes Kompliment in der Brautkammer, oder ein artiger Einfall im Hochzeitsschreiben an Hrn. Prof. Saxe in Utrecht, oder endlich eine tiefe Betrachtung über die wunderbaren Führungen Gottes mit seinen Kindern – in keinem Betrachte scheint es mir des Herrn, der den Einfall hatte, und des Herrn, der den Einfall, als einen Brocken von Hochzeitreden, aufschrieb, würdig.

Und so gehts in ein Chronologisches Bücherverzeichniß mit beigesetzten Zeitungsurtheilen gestempelt: bis der Biograph auf die Burmannische Streitigkeit kommt, wo er so sehr die Würde seines[443] Autors und die Unpartheilichkeit eines Biographen vergißt, daß die richterische Nachwelt vielleicht kurzweg sagen wird: Pastillos Rusillus olet, Gargonius hircum! – –

So viel Lob Hr. Harles über seinen Fleiß in Sammlung der Materialien verdienen mag: so bleibt er in allen seinen Lebensläufen einem Tone von Gemeinheiten und bald gesagt, Nichtswürdigkeiten, treu: er vergißt das Eigne seiner Philologischen Person, und das Erlesene ihrer Verdienste, was allein auf die Nachwelt komme: er vergräbt sie unter triviale Umstände, Disputationstitel und Zeitungsgebühre, daß er endlich jenes Klotzischen Lobes wohl werth war: bene, bene respondere etc.

Act. litt. Vol. I. Pars II. »Rückersfelder über den Charakter der Oden Pindars.«5 Den gemeinen Begriff haben wir gesehen,6 den sich der Recensent von den Digressionen in Pindars Oden macht, und hier die gemeinen Beweise. Aber, wie billig und Klotzisch ist: zuerst Beispiele von andern Zeugen. Ich wollte, daß Hr. Kl. niemals Bücher anführte, als die eigentlich an den Ort gehören, eigentlich beweisen, und die er, wenn ich hinzusetzen darf, selbst gelesen. Der Franz Blondel, den er anführt,7 beschäftigt sich ja in seiner Parallele zwischen Pindar und Horaz mehr mit der elenden Analogie von den Lebensumständen beider Dichter, als mit ihren Gedichten: mehr damit, daß sie beide honnetes-gens und es fehlet nicht viel auch galant-hommes gewesen, als welchen Charakter sie als Dichter besessen – in diesem überhaupt verdient er kaum angezogen zu werden. La-Motten kennet man schon als Richter Griechischer Oden so wenig als den Abt Massieu und andre, die der Verfasser noch überdem hätte anführen können. Weil aber Hr. Klotz einmal diese Schriftsteller unter seinen locus communis: Lyrische Poesie, Ode, angeschrieben: so schreibt er sie auch mehrmals unter seinen Text, selbst wo sie so wenig Entscheidung geben können, als Er selbst Beispiele der Ausschweifungen[444] im Pindar: wer hoffet wohl ein eheres, als die vierte Pythische Ode, und doch auch sie, die so manchem zum Aergernisse dient, ist als National- Local- und Individualstück auf den Arcesilaus aus Cyrene betrachtet, nicht blos zu retten, sondern in der That zu loben. Wenn man einmal den Unpindarischen Begriff verbannet, der Pythische Dichter habe solch ein Lobgedicht auf eine Person, blos wegen dieses Sieges und weiter nichts, machen wollen, wie heut zu Tage Todten- und Hochzeitgedichte verfertiget werden: wenn man sich in die Griechischen Zeiten zurücksetzt, da der Sieger eine öffentliche Person Griechenlands, und der Sänger ein Sänger fürs Vaterland, und ein Lehrer der Könige war: so tritt auch die gegenwärtige Ode mit allen ihren sogenannten Ausschweifungen in herrliches Licht. Ein Pythischer Sieg wars: ein Delphischer Gesang sollt' es werden, und was also angemeßner, als die Stimme: aus Delphis, o Arcesilaus, haben deine Vorfahren, und dein Anherr Battus Cyrene empfangen: Der Pythische Apollo hat es euch gegeben. Der ganze erste Theil der Ode in aller Feier des Göttlichen, des weissagenden Ursprungs ist prächtig, hat Personalinteresse: denn Arcesilaus, der aus seinen Königreiche vertrieben gewesen, tritt eben damit in den Glanz seines rechtmäßigen Ursprungs: hat Familieninteresse, denn wie viel galt bei den Griechen das Ansehen großer Väter! und wie viel mußte bei einem herabgekommenen, abgetheilten Battiaden, der Ruhm seines Urvaters, des Göttlichen Battus, gelten! – ist Ort- und Zeitmäßig: Denn der Pythische Apollinarische Gesang, wovon konnte er würdiger, als von solchen Wohlthaten des Apollo, reden? Mit Pracht also schließt Pindar diesen Theil der Ode, und stellt seinen Arcesilaus als einen vom Apollo ernannten und zum zweitenmal jetzt bestätigten König von Cyrene im Schmuck des Pythischen Sieges dar. Und nur Hr. Kl. etwa kann, wie wenn Pindar über ein Schulthema gearbeitet hätte, sagen: Pythicum IV. maxima historiarum varietate distinctum. Nam dum parat se ad laudes Arcesilai cantandas, quomodo, qui e maioribus illius, Battus in Cyrenaicam venerit, enarrat: Medeæ vaticinio copiose commemorato. Quibus[445] dictis ad Arcesilaum [quidem] redit, sed etc. Nur Er: denn hat Pindar nicht schon längst einen Unterschied gemacht zwischen dem Gros seiner Ausleger, (το παν ερμηνεων) und zwischen denen, die sich um das Innere seiner Gesänge bemühen – –

Pindar bekommt Lust, die Geschichte der Argonauten, und des güldnen Vliesses einzuweben. Man sollte diese Episode nicht als ein Beispiel seiner ge wöhnlichen Ausschweifungen nehmen: denn er selbst kündigt sie als Episode, als etwas ausserordentliches an. Wer weiß nun die Zeitursachen, die Pindarn damals vorlagen, einmal die ganze Geschichte ausführlich zu erzählen? So viel ich aus diesen und andern Stellen Pindars vermuthe, lag bei vielen folgende Ursache vor. Pindar lebte in einem Zeitalter, da die Traditionen der Heroischen Mythologie, auf welchen meistens der heruntergeerbte Vorzug im Ursprunge der Städte, der Geschlechter, der Königreiche, die er sang, beruhete, schon halb in das Licht historischer Urkunden treten sollten: und da ihn also die Muse zum National- und Patronymischen Sänger Griechischer Geschlechter und Personen sandte, so hatte er auch das Geschäfte, den Rest solcher Heroischen Urkunden zu retten, und mit der Weisheit zu erklären, die sein Zeitalter foderte, und deren er sich in so vielen Gesängen rühmt. Wenn mir die Muse Pindars die Muße geben wird, über den Charakter dieses Thebaners, des edeln Freundes meiner Jugend, mich ausführlich zu erklären: so werde ich bei den Mythologischen Expositionen desselben diese Poetische Weisheit, die ein aufbrechender Rosenkeim zur künftigen historischen Wahrheit war, entwickeln, um auch in ihr Pindarn, als den Sänger seiner Zeit, ohne tolle Ausschweifungen zu zeigen. Hier stehe so viel: daß die Geschichte der Argonauten der Situation gegenwärtiger Ode nicht so fremde ist, als Hr. Kl. meinet.

Von den Argonauten stammte das Geschlecht des Arcesilaus ab: und nach Griechischer Denkart, auf welche Ahnen läßt sich herrlicher kommen, als auf die Argonauten? Die Einnahme, das Anrecht der Battiaden auf Cyrene war aus dem Schooß der Argonautischen Geschichte hergenommen: sie war ein Zweig mitten aus[446] der Verwicklung dieser Abentheurer hinausgerissen – wo ist er in seiner Generation besser zu erkennen, als wenn er wieder mitten in die Verwicklung zurück gepflanzt, lebendig da steht. Die Vorfälle so wohl des Zweiges, der Theräer, als des Stammes, der Argonauten und Jasons insonderheit, rührten vom Pythischen Apollo her: wo schallten sie würdiger, als am Feste seines Tempels? Die Episode wird ja auch nicht anders, als Pythisch, als Apollinarisch, eingelenkt, und erzählt: und endlich, der ganze Zweck, die verflochtne Veranlassung der Ode in diesem Zustande von Cyrene und Arcesilaus macht alles nothwendig. Arcesilaus war seines Ungehorsames wegen gegen die Einrichtungen des Orakels, vertrieben gewesen: er fragte den Apollo, und der gab ihm, dem achten Battiaden, nur einen sehr eingeschränkten Trost, aber dabei desto schärfere Anmahnungen. Arcesilaus nach seiner Wiedererstattung blieb ihnen nicht treu: das Vaterland und alle Unordnungen seiner Regierung klagten: wer war der Erfüllung des drohenden Orakels, seinem Verderben, und dem Untergange seines Stammes näher, als der dem Apollo ungehorsame, unweise Arcesilaus? Hier ward der Pythonische Sänger ein Lehrer des Königes im Namen seines Gottes: er legt seinen ganzen Gesang schon von ferne auf diese erhabne Pflicht an: er predigt ihm die Wohlthaten, die Apollo um seine Väter, und die Lehnsherrschaft, die er über Cyrene habe: hiezu und zu nichts weiter läßt er die Stimme der alten Weissagung, und die Geschichte der Argonauten und Battiaden reden: hiezu lenkt er bei dem Vorbilde der Weisheit des Oedipus zurück, und gibt dem Könige im erhabensten Tone die besten Weisheitslehren zur Gelindigkeit und Weisheit, sein Volk zu regieren. Hiezu nimmt er zuletzt für den unschuldig vertriebenen, klugen, aufrichtigen, vom Vaterlande bedaureten Demophilus das Wort, und kommt, da er für diesen im Namen so vieler spricht, dem Herzen des Königs am nächsten. – – Ein weiser Gesang! nichts ist in ihm unnütz: nichts da, um vierzige von Strophen auszufüllen: nichts da, um doch bei einem so unfruchtbaren Thema etwas zu sagen: nichts da, um Pindarisch zu rasen – nein! ein[447] so Individueller, Griechischer und Cyrenaischer Gesang, so ganz für Arcesilaus gesungen, so weise darauf angelegt, was ihm gesagt werden sollte: so Pythisch, so Pindarisch – daß ich zum Kontrast nichts als die Klotzischen Worte8 zuschreiben darf: Quid est longe a re proposita digredi, aut omittere potius cam, si hoc non est? Wie, wenn Pindar auflebte, wie würde er sich freuen, einen solchen geheimen Ausleger des Innersten seiner Gesänge zu haben?

Ich habe das ειδος Pindars gerettet, das Hr. Kl. als das Verzweifeltste hinzugeben scheint, und mag die Vorwürfe nach andern Oden nicht verfolgen: ein Mann, der Pindar so von der Oberfläche kennet, wie wollte der einen Rückersfelder verbessern? Wie konnte er sagen: ita, credimus, complures nobiscum existimaturos esse.

Vol. I. P. III. Schilderungen berühmter Gegenden des Alterthums vom Hrn. v. Breitenbauch.9 Nun ja! vom Hrn. v. Breitenbauch, und so gleich sind die Ehrennamen erklärt, die dieser – dieser vir generosus, qui nuper pastoralia carmina edidit, in quibus illam naturae iucunditatem, illam simplicitatem morum, illud amabile vivendi genus feliciter expressit, dieser vir elegantissimi ingenii, qui eleganter & venuste ... etiam in hoc libro regionum amoenitatem depinxit, historiam rerum docte exponit etc. ja, der im ganzen Werke sich so gezeigt hat, daß wir eine neue Uebersetzung des Horaz, die er Deutschland versprochen, nicht blos sehnlich erwarten, sondern auch beinahe mit Ungeduld fodern können. Zwar werden manche von diesen Lobsprüchen, als einer Sprache des Publikum nicht wissen, da die an sich mittelmäßigen und oft schlechten Gedichte des Verf. nie einen Dichter der ersten Größe zu errathen gegeben. Noch wenigern wird je das sehnliche Verlangen, die fodernde Ungeduld angekommen seyn, an einem jungen Schriftsteller, der noch nicht korrekt schreibt, und immer zwischen Prose und Poesie schwankt, einen Deutschen Horaz zu erwarten. Gnug aber! Hr. Klotz sagts,[448] und wer die Erklärung wünscht, sehe die süße Zuschrift der Homerischen Briefe.

Johann Winkelmanns Geschichte der Kunst:10 ohne Anmerkungen und eigne Gedanken in Klotzisches Latein hingegossen und ausgespület – seliger Winkelmann! wo schwebt dein Geist über diesen Wassern der Sündfluth?

Act. litt. Vol. I. P. IV. Lowth de sacra poesi Hebraeorum:11 ohne alles Critische Urtheil, mit dem so lange abgelebten Spotte über eine gewisse Gattung von Theologen begleitet, die Herrn Klotz wenigstens nicht gränzen – –

Briefe zur Bildung des Geschmacks an einen jungen Herrn.12 Es ist ein Vergnügen, wie hier der Gott Stupor die gemeinsten Sachen in diesen an sich nützlichen, oft aber so seichten und unvollkommenen Briefen anstaunet, übersetzt, abschreibt, und ohne allen Beitrag zur Vervollkommenheit anpreiset. Bei so gemeinnützigen Handbüchern eben sollte sich ja die Einsicht und der Fleiß des Critikus zuerst zeigen – –

Act. litt. Vol. II. P. I. Hausens Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts.13 Quae a viris doctis dudum desiderata fuit, copiosa, accurata, immo vera rerum hoc seculo gestarum expositio: eam nunc primus adgressus est Cl. Hausensius, vir magni ingenii, plurimae industriae, praeclarae doctrinae, quodque in primis historicum decet, ab omni adulatione abhorrens, & veritatis studiosus. – – In ipso opere scribendo deseruit morem plurimorum historicorum, res minutas & exiguae utilitatis negotia anxia cura enarrantium. – – Totus fuit in eo, ut quae ad rem publicam accuratius cognoscendam, ad arcanas singulorum eventuum caussas intelligendas, eorumque inopinatos saepe effectus perspiciendos, ad artes, quibus res a legatis tractatae fuerint, aperiendas, ad singularum gentium commoda demonstranda facerent, non accurata solum narratione exponeret, verum etiam observationibus e civili prudentia, ipsaque rerum, quae tum erat, conditione[449] collectis illustraret. Res vero in bello gestas paucis attigit, caque ex iis attulit, quae pragmaticae historiae studiosi nosse interest. Quae quidem omnia non e turbidis rivulis sed e limpidis fontibus hausit – – »O alle, die die Staaten von Europa tief und genau einsehen, die geheimsten Ursachen jedes einzelnen Vorfalls ausforschen, und ihre oft unvermutheten Wirkungen sich erklären wollen – alle, die die verborgensten Kunstgriffe der Gesandten bei ihren Staatsgeschäften aufgedeckt, das Interesse aller Völker deutlich erklärt, das alles in der genausten Erzählung vorgetragen, mit tiefen Bemerkungen der Staatsklugheit begleitet, aus den Kriegsläuften das Pragmatische herausgelesen« – – die alles dies sehen und lernen wollen, ladet Hr. Klotz ein zu seinem Freunde, dem Hrn. Magister Hausen. – Was alle gelehrte Männer bisher gewünscht, was die Mascovs, und Bünaus, und Struve und Kölers und Häberline und Pütters nicht haben leisten können: sehet! das hat endlich erfüllet Cl. Hausensius, vir magni ingenii, plurimae industriae, praeclarae doctrinae, etc. etc. Wunder unsrer Tage, Hausens Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts!

Vol. II. P. II. Défense du paganisme par l'Empereur Julien.14 Da diese Schrift des Marq. d'Argens wenigstens das Verdienst hat, genauere Erörterungen über Julians Charakter und Zeitpunkt veranlaßt zu haben, unter welchen die Gedanken eines Meiers, Crichtons, Abbts und andrer, jede in ihrer Art schätzbar sind: so wird man begierig seyn, auch die Zeichnung Klotzens von Julian zu sehen: hier ist die Rarität: Iulianum existimo virum fuisse elegantissimi magnique ingenii (etwas davon hat Klopstock im nordischen Aufseher15 gezeigt, und wo wird nicht ein Klotz und ein Klopstock einerlei sehen?) magnique animi, nec militaris solum rei, sed artium quoque liberalium (wenn diese vielleicht die Redekunst eines schwatzenden Sophisten heißen kann) insigni scientia ornatissimum: eundem liberalem, castum,[450] sobrium, frugalem, benignum et prudentem censeo. Patres quos appellant ecclesiasticos, non nego, mihi, si paucos exceperim, non ea laude integritatis, pietatis et eruditionis dignos videri, qua a quibusdam celebrati sunt. In aliis multum stuporis, parum ingenii: in aliis partium studium: in aliis arrogantem, superbum et atrocem animum invenio. De Iuliani denique opinionibus mitius censendum esse censeo, quam vulgo fit, (und warum denn? wichtige Ursache!) aut non considerata ingenii humani imbecillitate, aut non satis illorum temporum ratione cognita – wer hat nun wohl, der in den Zeiten Julians, und in den neuern Zeugnissen von ihm geforschet hat, je etwas seichters von ihm und den Kirchenvätern überhaupt, und dem ganzen Zeitraume desselben gelesen, als was hier Hr. Klotz dafür hält, daß man's dafür halten solle?

Vol. II. P. III. Lexicon Graecum: collegit et digessit Damm.16 Gleich bei dem ersten Vorwurfe fuhr ich zurück: pro nostra aequitate illud nobis ab Auctore dari volumus, ut profiteatur nobiscum, non ad universam Graecam linguam hoc Lexicon spectare – – wie? Und hat es darauf absehen wollen? und hat nicht der mühsame und gelehrte Sammler es ausdrücklich zur Basis einer Concordanz und Erläuterung über Homer und Pindar dargeboten? und muß nicht eben das jedem Liebhaber Griechenlands, der aus der Sprache den Geist der Griechen studirt, schätzbar seyn, in diesem Werke der Cyklopen die Blüthe der Poetischen Sprache Griechenlands zu finden, unvermischt mit der spätern Prose: in ihm die Mythologie der schönsten Dichterzeiten Griechenlands zu finden, unvermischt mit der spätern Philosophie und Sophistik über die Götterlehre: in ihm die Keime der Griechischen Dichterweisheit zu finden, unvermischt mit der spätern Politischen Denkart und Sittlichkeit: in ihm also das Gebiet einer Griechischen Zeit zu übersehen, die man durchgehends zu vermischen gewohnt ist, und aus der sich alles Spätere erzeuget hat? – Und ist für einen Mann,[451] der dies nicht weiß, der dies nicht einmal vom Titelblatte herab lesen mag, ist für solchen das Lexicon zu beurtheilen? – –

Ueber jede Sache in der Welt läßt sich spotten, und ein Mann, wie Damm, trägt seine Fehler am wenigsten unter dem Mantel: allein die nutzbaren Früchte eines so langen Fleißes, des Fleißes eines halben Menschenalters beinahe, einiger Fehler wegen, die jeder ... findet, verspotten zu sehen, verdient Mitleiden der Menschheit, und ich wenigstens lege dem Verf. hiemit für seine zwar nicht Klotzianisch süße, aber gründliche Uebersetzungen, für seine in Allegorien zwar gekünstelte, aber so reiche Götterlehre, als ich keine andre im Kleinen kenne: und denn für sein zwar oft gekünsteltes, aber sehr nutzbares Wörterbuch, meine weiße Scherbe unbekannt hin – –

Orphei opera: recensuit Gesnerus.17 Mit einem kalten matten Lobe geht das vortrefliche und auf manchen Seiten so unerkannte Werk vorüber.

Poétique Francoise par M. Marmontel.18 Nicht auszustehen, mit welchem Jubeltone die Deutschen noch immer Französische Werke aufnehmen, die, so Gott will! schön, aber von Herzen mittelmäßig sind. Da in Frankreich jetzt selten Hauptwerke des Menschlichen Geistes, und Geburten, die Jahrhunderte leben werden, erscheinen: so handeln die Franzosen Landesmännisch, auch mittelmäßige Werke mit Entzücken aufzunehmen, und mit ihrem gewohnten Tone: nichts geht darüber! zu verkündigen. Aber daß wir Deutsche ihnen so gleich nachruffen, übersetzen, citiren, posaunen: das ist wider alle Gesetze der Nation. – – Hr. Klotz hat für gut gefunden, Marmontels Poetik in einem langen Auszuge, ohne weitere Critische Verpflegung in sein liebes Latein auszugießen, und ein paar Notchen mit unter zu mischen, die den Zeh veststellen, da der Körper wankt.

Act. litter. Vol. II. P. II. Winkelmanns Versuch einer Allegorie.19 Das Ganze im Werthe dieses Buchs und das[452] Wesentliche in den Fehlern desselben bleibt verkannt und unberührt. Einige einzelne Vorstellungen, wo man Winkelmann durch ein Münzchen, durch eine Scherbe etwas anhaben kann: im übrigen auf den lieben Du-Bos gewiesen; der es ja nie zum Zwecke gehabt, den Begriff der Allegorie überhaupt zu erschöpfen; sondern nur den Künstlergebrauch derselben einigermaassen zu sichern.

Lettres de Mentor à un jeune Seigneur.20 Auch hier werden Dinge angestaunet, von denen ein Deutscher Mentor zu seinem Züglinge sagen würde: wir gehn vorüber! So z.E. einige bekannte Gedanken von der Biographie, die er aus Liebe, so gar durch ein Märchen beweiset – durch ein Märchen aus Voltaires Geschichte Karls des Zwölften. Dieser vortrefliche Biograph, dessen Dichterischer Kopf gewiß vollzufüllen weiß, was die Geschichte selbst leer lässet, erzählt uns von Karl dem Schweden so manches schöne Fabelchen und Märchen (Ein kritisches Journal,21 das viel Verdienste um Deutschland hat, hat einige offenbar uns als Märchen gezeigt) und Hr. Klotz zieht daraus sehr bündige Schlüsse.

Geschichte des Menschlichen Ge schlechts. Neue Geschichte von Hausen: Kein Werk der neuern Litteratur ist, ehe es erschien, mehr ausposaunet worden; und kein Werk hat, da es erschien, mehr die Hoffnungen des Publikum vereitelt, als dies. Daß Klotz zum Ersten das Seine redlich beigetragen, ist auch gegenwärtige Recension Zeuge. Zuerst richtet sie, wie billig, die Weltgeschichte der Engländer und alle Deutsche Geschichte, die wir haben, Hahn, Bünau, Barre, Mascov, und alle die neuern Compendien, »die sich des Vortrages bedienen, der die Deutschen Akademien, und die Regensburgischen Reichsvorträge kleiden soll, Bücher, die selten ihre Verfasser überleben, und nicht für die Nachwelt, sondern für einen Knabenunterricht, und für düstre Schulörter geschrieben sind«, alle diese, und wem hat er sie hiemit nicht kennbar gemacht? richtet er jede mit einem Streiche hin, damit auf dem Gerippe aller das Haupt Hausens prange.[453]

Hernach ein Lob, das erst mit Hrn. Klotz, nachher mit Hrn. Hausens Worten gesagt, über zwei völlige Seiten, aus so vollem Munde strömet, daß eine Periode, mit Lobeserhebungen verschnürt, sich über eine Seite hinstrecket. Ohne Zweifel wird es der Nachwelt eine vergnügte Stunde geben, den Panegyrischen Ton des Recensenten, und das Werk des Verf. das ja so eigentlich für die Nachwelt geschrieben seyn soll, zu sammen zu halten. O wehe denn! wehe den viris Cl. die sich wechselsweise loben!

Noch aber hat der Censor über alles vorige so manches Bewundernswürdige ausgezeichnet: Daß Proben über Proben Beweise seyn sollen, von der tiefen Kunst des Verf. die Fürsten zu charakterisiren, und von der Denkart desselben, sein Werk durch eigne Bemerkungen Pragmatisch zu machen: wohlan also an die Ausruffungen!

»Wem wird das Bild Karls des Großen nicht gefallen?22 In ihm findet unser berühmter Schriftsteller alles, was einen grossen Mann machet, u.s.w.« Wem es nicht gefallen könnte? Mir nicht; und wem, der einen schönen Charakter kennet, könnte es gefallen? Statt so viel von historischer Kunst zu sprechen, sollte sich der V. vorher Eins erbitten, historisches Temperament: die gleichmäßige Denkart, was er sieht, gerad an zu sehen, und was er spricht, ganz zu sprechen; noch hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen recht schön gesagten, und beinahe Rednerischen Charakter von Karl dem Großen lesen will: so lese ich ihn, gegen den der Hausensche nichts ist, in unserm deutschen Bossuet: in diesem Classischen Werke – vielleicht das Einzige, womit unser Cramer vor der Nachwelt erscheinen wird – –

Das war das Gefallende: aber was ist das Schöngesagte bei einem Charakter der Geschichte? Nichts! Leget mir der Geschichtschreiber nicht erst die Data der Geschichte ausführlich, richtig, ordentlich vor, daß ich nachher selbst mit ihm den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener längst abgekommenen Sokratischen[454] Manier, nur meine Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakterisirt, sondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten den Charakter selbst finden lehret – thut er dies nicht: so ist der Geschichtschreiber ein Romanenschreiber. Und das ist Hausen bei seinen gepriesenen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten, wo sich Denkart äussert, sind bei ihm wenig oder nichts – mit einmal strömt Seiten herab ein Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine Figur, zu der das Vorstehende auch nicht einmal Fußgestelle seyn kann – ist das Geschichte? Roman, Dichtung mag es seyn: aber in der Geschichte will ich nichts glauben, was ich nicht sehe: Thaten hören, ehe ich das Bild erkenne: Gesichtszüge sehen, ehe ich Personen charakterisire: das will ich. Was drüber ist, ist vom Uebel.

Hr. Hausen ist von diesem, so wie von andern Sachen, ein williger Nachahmer der Franzosen: aber wie jämmerlich geräth doch meistens die Creatur, wenn der Deutsche den Franzosen nachahmt? Dieser malet uns seine ganze Geschichte wenigstens so, daß nachher nichts mehr und nichts weniger, als sein Charakter, herauskommt: er stellet alles so hin, daß seine endliche Reflexion eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geschichte so gegangen wäre, auch wir freilich nichts mehr und wenigers folgern würden, als was er folgert. Wir lesen also einen sinnreichen Roman, den wir mit seinen Porträten und Charakteren so lange für Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern Geschichte kommen. Nun aber der trockne Deutsche? er ziehet ein verstümmeltes Skelet von Geschichte aus einer, und ein Fratzenbild von Charakter aus einer andern Quelle heraus: stellt sie neben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet und – – siehe da! ist Hr. Hausen. Ingenia principum exploravit, moresque descripsit, atque cum hinc caussas elicuit eorum quæ ab iis acta sunt, tum, quam principum mores vim ad civium vitam fingendam formandamque habuerint, docuit: non solum docto lectori, sed cuicunque civi, qui maiorum vitia cognoscere, eorumque exemplis sapere cupiat, prodesse studuit: porro summum veritatis studium ubique ostendit, liberrime vitia principum enarravit & – – – etc. Vortrefliche Charaktere![455] eingeklebte, überkleckte Bilderchen, die – aus seiner Geschichte nicht folgen –

Und oft der Wahrheit selbst im Wege; oft sind sie nur eben so, wie sie sich die Stunde Hr. Hausen dachte. Ob das Karl der große sei, was er malet? so wenig, als was er uns an Luthern vorzuzeichnen beliebt. Wie? Karl, ganz ohne Fehler, ausgenommen etwas viel Liebe? Und was hat denn in ihm den Eroberungsgeist angefacht? was ihn von den Pyrenäen bis zur Nordsee, und von der Nordsee nach Pannonien, und von Pannonien nach Rom getrieben? was die Blutströme der Sachsen vergossen, und Völker zu Sklaven gemacht, denen die Freiheit Alles war? Und was hat durch ihn das Longobardische Reich verheeret? Und was ihn zu einem Vater des Pabsts gemacht? Und was zu dem, der um die Kaiserin Irene warb? Und was zu einem Liebhaber der Künste und Wissenschaften? Und was zu dem Menschenfeinde, der seine Hände mit Blut der Deutschen färbte? – Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wohllust läßt sich wahrhaftig weder die gute noch böse Seite Karls erklären, und es ist Partheilichkeit, vor dieser ganz die Augen verschließen zu wollen. Mönche und Capitularen und Kanzler und Schwiegersöhne haben Karls Leben geschrieben: im Mönchsgeist, im Geiste des Pabstthums und der Lateinischen Verdienste – wo ist ein wahrer Deutscher, der ihn sichte?

Und was Hr. Hausen dem an sich großen Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich so unähnlichen Ludwig: eins trist also so wenig als das Andre. Ludwig der Fromme war eine der gewöhnlichen Produktionen seines Jahrhunderts, nicht besser und nicht schlechter, als ein mittelmäßiger gutherziger Mann der Zeit seyn konnte. Gelehrt, fromm, gutherzig, auf seine Art Philosophisch, das ohngefähr, was Jakob der erste, nach dem Geiste seiner Zeit und seines Landes, und manche ..... unter uns. Schon sein Vater nahm ihn zum Mitregenten an: unter ihm wurden glückliche Kriege geführt: alles ging gut bis auf die Theilung seiner Länder. Diese aber, lag die allein in seiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfränkischen lange gebräuchlichen Herkommen? Und die übeln[456] Folgen daher allein in seiner Schwachheit oder auch in dem Charakter seiner Söhne? Und das Glück dieser übeln Folgen allein in seiner Schwachheit, oder auch in dem Zustande der Kirche, an dem sowohl sein Vater, als Er, Schuld war, an dem Geiste seines Jahrhunderts, den auch Karl nicht ändern konnte, an einer Verwicklung von Zufällen, die nur der kennet, der die Zeit Ludwigs studiret. Ludwig wurde ein Opfer dieser Zeit: daß wir ihm aber neunhundert Jahr nachher Staatsfehler nachrechnen, die uns nur der Erfolg von Jahrhunderten gezeigt hat, ist freilich eine gute Sache, nur ists die Sache des Geschichtschreibers?

Aber »nirgends ist ja Hausen nach Hr. Klotz mehr in seinem Felde, als wenn er uns Aberglauben, Dummheit, und Betrug der Pfaffen malet.« Ganz gut, wie ich glaube: nur sollte es nicht so gemein, so schwatzhaft wiederholt, so schielend, und etwas eigenthümlicher der Zeit seyn, die es gilt. Aus seinem Lehrstule mit einem halb Voltairischen, halb noch Protestantischen Auge, nach dem Jahrhundert Ludwigs, der Ottonen, und der Heinriche hinzielen, kann freilich nichts, als solche Charaktere, geben, wie Hr. Hausen zeichnet, und ohne Zweifel ists blos schonende Nachsicht gewesen, daß Häberlin, ein so ganz andrer Mann, der Geschichte und den Charakteren, das ist, den geschwätzigen Wiederholungen seines Vorgängers vor seiner Geschichte noch Platz gegönnet.

Und das ist der Geschichtschreiber, dessen Charaktere, dessen Anmerkungen über Ludwig, die Ottonen, die Heinriche, dessen tiefe Betrachtungen über die Pfaffen, über die Religion, und Reformation eine Erleuchtung unsres Jahrhunderts sind, die Hr. Klotz so getreu übersetzet? Das ist der Geschichtschreiber, der hier schon alle jene fruchtbare Saamenkörner fallen läßt, die nachher zu dem Philosophischhistorischen Roman über die Reformation aufgewachsen: bündige Wahrheiten, die Hr. Klotz zum Possen aller mit Vorurtheil behafteten, zum Voraus als Geheimnisse der Welt vorlatinisirte.[457] Das sind die Männer, die an der Religion arbeiten, »deren völliger Tag sich erst jetzt allmälich nähert.«23

– – Kaum bin ich in der Mitte des dritten Bandes der Actorum, und ach! wer mag den Hercynischen Wald durchgehen? Hrn. Klotzens vollständige Anmerkungen über d'Argens Geschichte des Menschlichen Verstandes, seine vortreflichen Verbesserungen des Leßingischen Laokoons, sein zurücksetzendes Urtheil über Gebauers altes Deutschland, die Zusätze zu Winkelmanns Kunstgeschichte, die süßlächelnde Umarmung an seinen Herelius, über dessen so alte, mittelmäßige und gegen Nürnberg inurbane Satyren – – die niedrigen Verspottungen solcher Schütze, die Pöbelpasquille auf einen Fischer u.a. wo mag ich diesen Morrast durchwaten? und selbst mit diesen noch kein Ende. – – Jeder prüfende Leser wird sich ungemein irren, in den Actis einen Schatz von eigner Critik des Censors, selbstgedachte Anmerkungen, um etwa die Lücken der gerügten Autoren vollzufüllen, und ihre Werke vollkommner zu machen: stille Beleuchtungen der verborgnen Fehler, die eben nicht jedes lesende Auge sehen dörfte und doch sehen muß: eigen ausgedachte Betrachtungen, die da zeigen, daß der Recensent mit dem Autor gedacht, und über ihn weg, ihm vordenken könne: solche Critik, und sie ist die einzig wahre, in den Actis? ich zucke die Schultern. Auszüge, Gemmenregister, am unrechten Orte schreiende Verbesserungen, die jeder sieht und wegwirft, mit unter niedriger Spott – siehe da den Geist der Actorum. Die Lateinische Hülle hat die Deutschen geblendet, und auch die wird unerträglich, wenn wir ein nahrhaftes Buch durch Auszüge in ein Phraseslatein hingeschwemmet sehen, wo nichts minder, als der ursprüngliche Individuelle Charakter von der Denk- und Schreibart des Verfassers, übrig geblieben. Auf Hrn. Klotz Lateinischer Scene lallet Winkelmann so wie Hausen, und Hausen so wie Leßing, und alle wie – – der Lateinische Hr. Klotzius.[458]

Der Verfasser hat überhaupt seine sehr enge Sphäre zu urtheilen, und da er innerhalb dieser nicht bleibt, sondern seinen einseitigen Gesichtspunkt, als Polyhistor, allgemein machen will: wie anders als Fehltritte über Fehltritte, und schaale Urtheile durch einander. Ein Mann, wie Klotz, schreibt von Allem, Gottesgelahrtheit, Rechtsgelahrtheit, Geschichte, Philosophie, Alterthum, geschnittnen Steinen, Münzen, Gedichten, und von allen gleich. Beispiele – wer mag sie geben? wer wird in solchen Büchern des Nachschlagens nicht müde? ich gebe sie also aus dem Gedächtnisse. Triegen wirds mich nicht; denn die Spuren darinn sind zu oft und ärgerlich wiederholet.

1

p. 58.

2

Klotz. Bibl. St. 4. p. 44.

3

p. 64.

4

In den Litt. Br. [13, 66]

5

Klotz. act. p. 117.

6

Zweites Wäldchen p. 239. 40. 41.

7

p. 125.

8

p. 126.

9

p. 245.

10

p. 336.

11

p. 403.

12

p. 436.

13

p. 64.

14

p. 175.

15

Th. I. St. 17.

16

pag. 272.

17

p.288.

18

p.296.

19

p.107.

20

p. 143.

21

Litt. Br. Th. 4. [307–310. Nicolai]

22

pag. 172.

23

Klotz Beitr. Zu Münzen S. 17.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 440-459.
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