1.

[166] Die bleiche Leinwand in den vielen Betten

Verschwimmt in kahler Wand im Krankensaal.

Die Krankheiten alle, dünne Marionetten,

Spazieren in den Gängen. Eine Zahl


Hat jeder Kranke. Und mit weißer Kreide

Sind seine Qualen sauber aufnotiert.

Das Fieber donnert. Ihre Eingeweide

Brennen wie Berge. Und ihr Auge stiert


Zur Decke auf, wo ein paar große Spinnen

Aus ihrem Bauche lange Fäden ziehn.

Sie sitzen auf in ihrem kalten Linnen

Und ihrem Schweiß mit hochgezognen Knien.


Sie beißen auf die Nägel ihrer Hand.

Die Falten ihrer Stirn, die rötlich glüht,

Sind wie ein graugefurchtes Ackerland,

Auf dem des Todes großes Frührot blüht.


Sie strecken ihre weißen Arme vor,

Vor Kälte zitternd und vor Grauen stumm.

Schon wälzt ihr Hirn sich schwarz von Ohr zu Ohr

In ungeheurem Wirbel schnell herum.
[166]

Dann gähnt in ihrem Rücken schwarz ein Spalt,

Und aus der weißgetünchten Mauerwand

Streckt sich ein Arm. Um ihre Kehle ballt

Sich langsam eine harte Knochenhand.

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 166-167.
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