Der Tag

Palmyras Tempelstaub bläst auf der Wind,

Der durch die Hallen säuselt in der Zeit

Des leeren Mittags, wo die Sonne weit

Im Blauen rast. Der goldene Atem spinnt,


Der goldene Staub des Mittags sich wie Rauch

Im Glanz der Wüste, wie ein seidenes Zelt

Der ungeheuren Fläche. Dach der Welt.

Wie ferne Flöten tönt des Zephirs Hauch,


Und leise singt der Sand. Doch unverweilt

Jagt hoch das Licht. Damaskus' Rosenduft

Schlägt auf wie eine Woge in die Luft,

Wie eine Flamme, die den Äther teilt.


Der weißen Stiere roter Blutsaft schäumt

Auf Tempelhöfen, wo das Volk im Kranz

Des Blutes Regen fühlt, und seinen Glanz,

Der mit Rubinen ihre Togen säumt.


Ein Tänzer tanzt im blauen Mittagsrot

Auf weißer Platte, der vom Strahle trank. –

Das Licht entflieht. Der Libanon versank,

Der Zedern Haus, das sich dem Gotte bot.


Und westwärts eilt der Tag. Mit tiefem Gold

Ist weit des Westens Wölbung angefüllt:

Des Gottes Rundschild, der die Schultern hüllt

Des Flüchtigen. Sein blauer Helmbusch rollt
[147]

Darob im Sturme weit am Horizont,

Am Meer, und seiner Inseln Perlenseil.

Er eilt dahin, wo schon der Ida steil

Mit Eichen tost und dröhnt der Hellespont.


Das Stromland fort, dem grünen Abend zu.

Wie der Drommete Ton erschallt sein Gang

An Ossas Echo. Troas Schilf entlang,

In rote Wälder tritt sein Purpurschuh,


In Sammetwiesen weich. Dem Feuer nach,

Das einst gen Argos flog, tritt machtvoll er

Auf Chalkis hin. Darunter rauscht das Meer

Hervor aus grüner Grotten Steingemach.


Sein Arm, den er auf Meer und Lande streckt,

Ragt dunkel auf wie eine Feuersbrunst.

Sein Atem füllt das Meer mit schwarzem Dunst,

Des weißes Maul die roten Sohlen leckt.


Auf Marathon schleppt seines Mantels Saum,

Ein violetter Streif, wo schon das Horn

Der Muschel stimmt am Strand der Toten vorn

Der Sturmgott laut aus weißer Brandung Schaum.


Des Rohres rote Fahnen rührt der Wind

Von seines Fußes Fittich um am Strand

Der fernen Elis, da der Nacht Trabant,

Schildknappe Mond, den dunklen Pfad beginnt.
[148]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 138-139,147-149.
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