1.

[208] Der Wintermorgen dämmert spät herauf.

Sein gelber Turban hebt sich auf den Rand

Durch dünne Pappeln, die im schnellen Lauf

Vor seinem Haupte ziehn ein schwarzes Band.


Das Rohr der Seen saust. Der Winde Pfad

Durchwühlt es mit dem ersten Lichte grell.

Der Nordsturm steht im Feld wie ein Soldat

Und wirbelt laut auf seinem Trommelfell.


Ein Knochenarm schwingt eine Glocke laut.

Die Straße kommt der Tod, der Schifferknecht.

Um seine gelben Pferdezähne staut

Des weißen Bartes spärliches Geflecht.


Ein altes totes Weib mit starkem Bauch,

Das einen kleinen Kinderleichnam trägt.

Er zieht die Brust wie einen Gummischlauch,

Die ohne Milch und welk herunterschlägt.


Ein paar Geköpfte, die vom kalten Stein

Im Dunkel er aus ihren Ketten las.

Den Kopf im Arm. Im Eis den Morgenschein,

Das ihren Hals befror mit rotem Glas.
[208]

Durch klaren Morgen und den Wintertag

Mit seiner Bläue, wo wie Rosenduft

Von gelben Rosen, über Feld und Hag

Die Sonne wiegt in träumerischer Luft.


Ein alter Schädel flattert aus der Gruft,

Mit einem feuerroten Haar beschwingt,

Das um sein Kinn, hoch oben in der Luft,

Der Wind zu feuriger Krawatte schlingt.


Die leere Grube lacht aus schwarzem Mund

Sie freundlich an. Die Leichen fallen um

Und stürzen in den aufgerissenen Schlund.

Des Grabes Platte überschließt sie stumm.

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 208-209.
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