Windsbraut

[153] Wie bin ich nun in kühler Nacht

Im Wald herumgestrichen!

Die Bäume noch von Regen schwer

Die wogten tropfend hin und her;

Hätt' nicht mein Herz gebrannt so sehr,

Nach Haus wär' ich gewichen.


Die lohe Glut kein Regen mag,

Kein Tau zu kühlen taugen.

Der rote Blitz entflammt sie nicht,

Der jäh die schwarzen Eichen bricht;

Das tat der Liebsten Angesicht

Mit den zwei lichten Augen.


Es geht ein Wehen durch den Wald,

Die Windsbraut hör' ich singen.

Sie singt von einem Buhlen gut,

Und bis sie dem in Armen ruht,

Muß sie noch weit in bangem Mut

Sich durch die Lande schwingen.


Der Sang der klingt so schauerlich,

Der klingt so wild, so trübe.

Das heiße Sehnen ist erwacht;

Nun, Schatz, zu tausend gute Nacht!

Es kommt der Tag, eh du's gedacht,

Der eint getreue Liebe.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 153-154.
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