Rückkehr zur Natur

[296] Als hätt' uns lang ein Zwist geschieden,

Der nun geschlichtet wunderbar,

So trat ich ein in deinen Frieden

Und ward im Tiefsten still und klar.

Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,

In Frühlingswonnen stand die Flur,

Da warf ich wieder mich in Tränen

An deine Mutterbrust, Natur.


Ich kannte dich, und doch im stillen

Trotzt' ich der Liebe, die mich zwang,

Die um den spröden Eigenwillen

So zarte Fesseln freundlich schlang.

Am Geiste sucht' ich mein Genügen,

Und zahme Schwäche schien mir's nur,

Mich unter deine Zucht zu fügen

Und still zu wandeln deine Spur.


Du schwiegst, und fort und fort in Treuen

Geselltest du dich nah zu mir,

Den nicht'gen Unmut zu zerstreuen,

Und riefst so sanft: Ich bin bei dir!

Du sahst mich an aus Himmelsreine,

Aus Wald und Blumen mütterlich –

Umsonst! Nicht war ich mehr der Deine,

Und so verscherzt' ich dich und mich.


Empfinden sollt' ich's. Wie die Schwüle

Des engen Tagwerks mich umfing,

Wie mir im hastigen Gewühle

Der gleiche Mut verloren ging –[296]

Der Leib verfiel dem langen Kranken,

Die Seele zittert' in der Pein,

Da zogen sehnliche Gedanken

An deine Heilkraft in mich ein.


Und nun! – O, magst du schon dem Knaben

Die noch verhüllte Seele weihn,

Den Mann aus hundert Quellen laben,

Dem Greisen eine Freistatt sein:

Nur wer genest, fühlt ganz tief innen

Die Fülle deiner Liebeskraft,

Und rein und reizbar noch an Sinnen,

Umfängt er dich mit Leidenschaft.


So nimm mich wieder, hehres Leben,

In deinem Schoße birg den Sohn!

Du lächelst mir, du hast vergeben

Und segnest den Verirrten schon.

Du übertönst mit Vogelstimmen

Die Beichte, die dein Ohr vernahm,

Und in des Morgens Glühn und Glimmen

Begräbst du dieses Rot der Scham.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 296-297.
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