Der zweyte Auftritt.

[33] Wilhelmina. Herr Orbil.


WILHELMINA. Herr Vater!

ORBIL hönisch. Jungfer Tochter!

WILHELMINA. Es hat eben geschlagen –[33]

ORBIL aufgebracht. Sie fängt an meine Uhr zu reformiren – Sind das die Früchte meiner ordentlichen und beschwerlichen Erziehung? – Rede – Es hat eben geschlagen –

WILHELNIINA. Wie ich sage –

ORBIL aufgebracht. Was?

WILHELMINA. In dem ich herging –

ORBIL. Was?

WILHELMINA. Schlug ein Viertel.

ORBIL. Ich erhole mich! – Aber du bist ja um 11 bestellt –

WILHELMINA. Minuten auf 12 – ich versichere Sie –

ORBIL. Und ich versichere Sie, daß ich daran zweifle.

WILHELMINA. Wenn es auf den Gehorsam Ihrer Tochter ankommt: so sollen Sie nie zu zweifeln Ursache haben.

ORBIL vor sich. Sollte auch der Magister vor ihr bestellt seyn? Zu ihr. Laß sehen! – Er zieht eine Schreibtafel heraus und liest pedantisch. 6. 7. 8. 9. 10. 11. – Vor sich. Sie hat recht, der Magister ist ausgeblieben – – Zu ihr. Du hast recht, meine Tochter – mein Gedächtniß! mein Gedächtniß! Es hätte mich um ein guter Freund besuchen sollen, mit dem ich eine Sache von Wichtigkeit in deiner Gegenwart abzuthun habe – Er muß krank geworden seyn – an Ordnung kann es ihm nicht fehlen – – Hör meine Tochter![34]

WILHELMINA. Was befehlen Sie, Herr Vater?

ORBIL. Ich will dich verheirathen.

WILHELMINA. Mich?

ORBIL. Dich, mein Kind! und der gute Freund, den ich bestellet hatte – – Vor sich. Ich will sie ausholen! Zu ihr. du kennst doch den Herrn Valer?

WILHELMINA vor sich. Ob ich Valeren kenne? Zu ihm. Ja! Herr Vater.

ORBIL. Er ist reich, wie man sagt.

WILHELMINA. Ja, Herr Vater.

ORBIL. Und von guter Familie.

WILHELMINA. Ja, Herr Vater.

ORBIL. Und galant.

WILHELMINA. Ja, Herr Vater.

ORBIL. Und verliebt in meine Tochter, wie es mir vorkommt.

WILHELMINA. Ja, Herr Vater.

ORBIL. Und meine Tochter würde ihn, weil sie doch ohne Widerrede lieben soll, ohne Zweifel allen Mannspersonen vorziehen?

WILHELMINA nach einer kleinen Pause. Ja, Herr Vater.[35]

ORBIL. Und ihn heirathen?

WILHELMINA. Ja, Herr Vater.

ORBIL. Nein, Jungfer Tochter.

WILHELMINA vor sich. Ich bin verrathen.

ORBIL. Herr Valer kann wohl ein Liebhaber vor Sie seyn, allein er ist darum kein Schwiegersohn für mich. Die Unordnung selbst – Er steht auf, wenn es ihm einfällt – um 7, um 8, um 9. – und denn hat er nicht wie andre ehrliche Leute seine Thee- und Kaffeetage – Nein! er weiß kaum eine halbe Stunde vorher, ob er Thee oder Kaffee nehmen wird. Des Mittags richtet er sich nach seinem Hunger! Er geht um 12, um 1, um 2 Uhr zu Tische, und speiset nicht, was sich an jedem Tage nach unseren Landesverfassungen und wohl hergebrachten Gebräuchen geziemet, sondern was ihm sein Speisewirth giebt. Ich glaube, daß mancher Sonntag vorbeigeht, ohne daß er braunen Kohl ißt. Ja es ist eine Frage, ob er weiß, daß Mittwoch und Freitag im ganzen Königreiche Fischtage sind – und so wie er wacht: so schläft er auch. Heute des Abends um 10 beim Lombertisch und morgen um diese Zeit im Bette.

WILHELMINA. Herr Vater –

ORBIL. Nein, Nein! Herr Valer, Sie gehören an den Hof, wo man den Tag zur Nacht, und die Nacht zum Tage macht: und nicht in das Haus eines ordentlichen Mannes. Du weist meine Art zu leben, Wilhelmina! Ich stehe auf; nicht, weil ich ausgeschlafen habe, sondern weil es 6 ist. Ich gehe zu Tische, nicht, weil mich hungert, nein, sondern weil es 12 schlägt. Ich lege mich nieder, nicht, weil ich[36] schläfrig bin, sondern weil es 10 ist. Ich weiß, was ich, geliebts Gott! übers Jahr, diesen Mittag essen werde, und was ich vorm Jahr um eben diese Zeit gegessen habe; allein weist du wohl, daß ich bei alle dem gewiße Anfälle von der Koliqve habe, die mir eben nicht viel gutes prophezeyen. Sage – rede – wie will ein Mensch, wie Valer, bey so vieler Unregelmäßigkeit einen gesunden Leib behalten? Und wie kannst du dir von ihm gesunde Kinder versprechen?

WILHELMINA. Aber davon –

ORBIL. Ja was noch mehr ist, so weiß ich gar nicht, wie er seinem Amt vorsteht. Für einen Menschen, der in Eid und Pflicht genommen ist, ist er mir viel zu wenig beschäftiget. Er hält mich auf, so oft er herkommt Allein es ist kein Wunder! Ich frage ihm neulich, was seine Uhr ist? und seine Uhr – ist zu Hause! – Und warum zu Hause, Herr Valer? – Sie steht! –

WILHELMINA. Es kann seyn, daß Herr Valer –

ORBIL. Und sage selbst, ist es nicht eine wunderbahre Art, wie er seine Liebe zu dir gegen mich äußert Er kommt, rühmt meine Tochter und seufzt! Ich frage ihn, ob er schon in seinem Leben geliebt hätte? Er seufzt – und das thut er, so oft von der Liebe oder von Wilhelminen die Rede ist. Ich habe doch auch in meinem Leben geheirathet; allein so einen einfältigen Antrag habe ich deinem seligen Großvater nicht gethan. – A propos! fieng ich an, Sie haben eine schöne Tochter! Darauf setzte ich mich nieder, sah nach meiner Uhr, und sagte: Es ist spät! Wollen Sie mir Ihre Tochter zum ehelichen Gemahl geben? Das nenne ich doch noch ehrlich und ordentlich zu Werke schreiten.[37]

WILHELMINA. Erlauben Sie –

ORBIL. Kurz und gut mein Kind! Herr Valer ist ein unordentlicher Mensch. Du hast gehört, wie viel Mühe ich mir gegeben habe seinen Carackter auszufragen – – Wilhelmina Orbil soll seine Frau nicht werden, und um sie vor seinen romanhaften Aufwartungen in Sicherheit zu sezzen, so soll sie je eher je lieber die Frau eines andern werden.

WILHELMINA. Ach! Herr Vater!

ORBIL. Sie soll! sage ich – Er sieht nach der Uhr und sagt erschrocken. Es ist halb! Die Fortsezzung folgt künftig. Du weißt, daß ich heute außer Hause speise – daß du nur nicht länger als die gewöhnliche Zeit am Tisch bleibest, und das Benedicite und Gratias fein laut und deutlich hersagest. Ich habe es von einem sehr geschickten Arzte gehöret, daß die Ordnung beim lieben Essen nöthiger als die Verdauung selber sei, wenn es uns gehörig anschlagen soll – Wie ich sage, Wilhelmine, laut und deutlich! – Ihr jungen Leute seht den Nutzen nicht ein, den die güldenen Lehren eurer Eltern mit sich führen, aber ihr erfahrt es endlich mit eurem Schaden – und denn ist es gemeiniglich zu spät – Ja was ich noch sagen wolte, Käse und Butter muß nicht von der Tafel bleiben, wie es wohl leider! zu einer Zeit in meiner Abwesenheit geschehen ist. Es ist alles der Zeit und der Ordnung wegen, und überdas so ist so was gut den Magen zuzuschließen, ich halte es dahero durchaus für keine Mahlzeit, die nicht mit einer Suppe angefangen und mit Käse und Butter geendiget wird. – Vor sich, indem er Hut und Stock nimmt und sich allenfalls das Kleid abbürstet. Der Himmel weiß, wie ungern ich heute ausgehe – ich bin nirgends lieber als zu Hause – und das könnten meine guten Freunde wohl aus der Bedingung schließen, unter der ich jederzeit ihr Gast bin. Den Abend vorher[38] schicke ich meinen Küchen- und Kellerzettel hin, wo ich morgen speisen soll, und esse und trinke nie etwas anders, als was ich zu Hause würde gegessen und getrunken haben. – Was kann man machen – Es sind Bluts- und Gemüthsfreunde – Zu ihr. Gott befohlen bis aufs Wiedersehen meine Tochter! – Das Benedicite und das Gratias, Käse und Butter – du nimmst alles auf dein christliches Gewissen. Um 2 Uhr erwarte ich dich hier. Hörst du Wilhelmine, um Uhr Nachmittage des jetzt laufenden Tages.


Quelle:
Gottlieb Theodor von Hippel: Der Mann nach der Uhr. Halle a.d.S. 1928, S. 33-39.
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