Vierter Band.

(1843 bis 1847).

[327] Zu Neujahr wurde ich eingeladen vom Grafen Eduard Reichenbach nach seinem Gute Waltdorf im Neißer Kreise. Die Einladung war mir sehr willkommen: ich durfte hoffen fern dem Herde der vielen Unannehmlichkeiten einige ruhige und heitere Tage zu verleben. Waltdorf war eine Freistätte für alle Gleichgesinnten, Wirth und Wirthin boten Alles auf, jedem Gaste den stillen ländlichen Aufenthalt lieb und werth zu machen. Die Vormittagsstunden pflegte ich für mich zu sein, ich las, dichtete, schrieb Briefe oder spazierte. Die Nachmittage und Abende waren wir immer beisammen. Wir sprachen über die Zeitereignisse und Tagesfragen. Die Unterhaltung war meist sehr lebhaft, jeder sprach sich frei aus, und es fehlte dann oft nicht an entgegengesetzten Meinungen und Ansichten.

Reichenbach war eine stattliche Gestalt, damals im kräftigsten Mannesalter (geb. 22. November 1812), mit treuherzigem, vertrauengewinnendem Blick, äußerlich meist ruhig und ernst, aber innerlich voll warmer Liebe, die zur Leidenschaft werden konnte, für Alles was er wollte zur Erstrebung einer besseren Gestaltung des Vaterlandes. Rücksichtslos und ohne Furcht sprach er jedem gegenüber seine Meinung aus, und seine Gesinnung bewährte er durch die That. Wir kannten uns schon einige Zeit und wurden nun durch den jetzigen längeren Verkehr inniger mit einander befreundet. Die vierzehen Tage, die ich in Waltdorf verweilte, vergingen mir sehr rasch. Ruhiger und heiterer, als ich gekommen, kehrte ich heim. Den 14. Januar war ich wieder in Breslau.[327]

Meine Ankunft wurde schnell bekannt. Schon am Nachmittag brachte mir der Pedell meinen Gehalt für die Monate Januar, Februar, März und zugleich eine Vorladung in das Senatszimmer. Was meine Freunde fürchteten, meine Feinde wünschten und ich längst vorhergesehen hatte, erfolgte. Im Beisein des Curators der Universität las mir der Universitäts-Richter Behrends den Beschluß des Staatsministeriums vor, wonach ich ohne Pension meiner Professur entsetzt war. Der Beschluß war vom 4. December 1842, die königliche Bestätigung vom 20. December. Ich unterzeichnete das Protocoll, erbat mir Abschrift, die mir aber verweigert wurde, und empfahl mich. Ich faßte sofort den Beschluß, Breslau baldigst zu verlassen. Schon die nächsten Tage ordnete ich meine Bibliothek und verzeichnete was ich behalten und was ich versteigern lassen wollte.

Am 19. Januar stand das Urtel über meine Absetzung vollständig gedruckt in der Breslauer Zeitung. Weil ich darin eine Verschärfung der ›gegen mich ausgesprochenen Strafe sah, welche kein Gesetz und keine allerhöchste Ordre anordnet‹, und zugleich wissen wollte, ob der Abdruck ein amtlicher wäre, so verklagte ich die Breslauer Zeitung, wurde aber vom Ober-Landes-Gerichte mit meiner Klage abgewiesen, weil die Breslauer Zeitung von einer Behörde zur Mittheilung ›autorisiert‹ worden sei. Es wurde also nur bestätigt, was mir bereits auf meine Aufrage der Herr GR. Heinke am 19. Januar erklärte, daß der Inhalt jenes Zeitungsartikels ›allerdings ganz mit dem Ihnen publicierten Beschluß des kön. Staats-Ministerii übereinstimmt.


[Der Inhalt dieser Veröffentlichung der Breslauer Zeitung, welchen Hoffmann hier wörtlich mittheilt, ist im wesentlichen folgender: Die förmliche Disciplinaruntersuchung, welche der Cultusminister gegen Hqffmann einleitete, führte zu dem Beschluß, daß er aus seinem Amte als ordentlicher Professor an der Universität Breslau ohne Pension zu entlassen sei. Dieser Beschluß wurde dem Staatsrath zur weiteren Berathung vorgelegt. Da dieser sich für incompetent erklärte, ging die Sache an das Ministerium zurück, welches in obigem Sinne entschied und seinen Beschluß dem Könige zur Bestätigung vorlegte, die auch erfolgte. Das Ministerium begründete[328] seinen Beschluß mit Folgendem: ›Der Inhalt dieser Gedichte hat als ein durchaus verwerflicher erkannt werden müssen. Es werden in diesen Gedichten die öffentlichen und socialen Zustände in Deutschland, und respective in Preußen, vielfach mit bitterem Spotte angegriffen, verhöhnt und verächtlich gemacht; es werden Gesinnungen und Ansichten ausgedrückt, die bei den Lesern der Lieder, besonders von jugendlichem Alter, Mißvergnügen über die bestehende Ordnung der Dinge, Verachtung und Haß gegen Landesherrn und Obrigkeit hervorzurufen, und einen Geist zu erwecken geeignet sind, der zunächst für die Jugend, aber auch im Allgemeinen nur verderblich wirken kann.‹ Dieses allgemeine Urtheil über den zweiten Theil der ›Unpolitischen Lieder‹ wird dann durch Anführung und Besprechung einer Anzahl einzelner Lieder begründet; besonders wird noch auf solche Lieder hingewiesen, die sich unzweideutig auf preußische Verhältnisse beziehen und die den Adel-, Beamten- und Militärstand angreifen, sowie lächerlich und verächtlich zu machen suchen. Durch derartige Lieder, heißt es weiter, ›hat H. seine Pflichten als öffentlicher Lehrer gröblich verletzt und seine Unfähigkeit zur Verwaltung des ihm anvertrauten Lehramtes dargelegt ... Von den Folgen seiner Handlung kann ihn weder der Einwand, daß die poetischen Ergüsse nicht seine, sondern vielmehr die Zeitansichten der Gegenwart darstellten, und mit seinem Berufe als Professor nichts gemein hätten, noch die Angabe, daß die unpolitischen Lieder mit Genehmigung der Hamburger Censur erschienen seien, befreien.‹ u.s.w.]


Ich war nicht weiter überrascht: schon am 21. November vorigen Jahres hatte ich vorhergesehen was kommen würde, und mir ein ›Trostlied eines abgesetzten Professors‹1 gedichtet.

19. Januar überreichte mir ein Student eine meine Thätigkeit und mein Wolleu sehr warm anerkennende Adresse, von beinahe 50 seiner Commilitonen unterzeichnet, darunter evangelische und katholische Theologen. Über diese Kundgebung war ich sehr überrascht. Es konnte kein Geheimniß sein, daß ich mich über das Breslauer academische Leben und Treiben nie sonderlich günstig ausgesprochen hatte.[329]


Die Universität verhielt sich sonst ruhig. Die Herren Collegen gaben durch Schweigen ihre Theilnahme zu erkennen. Nur ein Privatdocent wagte sich schriftlich gegen mich auszusprechen: Dr. Freytag. Er war verhindert selbst zu kommen, weil ihn eben damals seine Vorlesungen zu sehr in Anspruch nahmen. Er las auf der Börse vor einem sogenannten gebildeten Publicum über neuere Litteratur. Als ich an die Reihe kam, wollte er sich keine polizeiliche Unannehmlichkeiten zuziehen und fragte vorher den Polizeipräsidenten Heinke, ob er denn auch wol über die U.L. reden dürfe? ›O ja, meinte der Herr Präsident, wenn Sie sie weiter nicht loben wollen!‹ – Freytag schrieb mir: ›...Gott tröste Sie und Ihre Kraft. Sie haben Ihrer Gesinnung Ihr äußeres Sein geopfert, Sie werden darin am Ende, wenn die ersten heftigen Eindrücke der Kränkung und des Unmuthes vorüber sind, einen Trost finden. Freilich würde der schneller und vollständiger sich einfinden, wenn Sie kein Dichter wären, denn die weiche, nervöse und reizbare Empfänglichkeit für Eindrücke, welche Ihnen eigen ist, so wenig das die Welt glauben mag, wird Ihnen fürchte ich den Kampf erschweren. Doch Muth und Fassung, mein guter, lieber Freund. Wenn Ihnen die herzlichste Theilnahme eines Mannes, der Ihnen bei allem Entgegengesetzten in seiner Natur warm und herzlich ergeben ist, auch nur auf einen Augenblick tröstend ist, werde ich glücklich sein.‹

In den ersten Tagen des Februars hatte ich meine Bibliothek geordnet und verzeichnet und ließ sie zu meinem Freunde Milde hinüber schaffen, der mir dafür ein Zimmer in einem seiner Nebengebäude eingeräumt hatte. Von meinem Hausrath behielt ich nur wenig, das meiste verschenkte ich. Das Verzeichniß der zu verkaufenden Bücher war gedruckt. Der Titel lautete: ›970 Bücher aus der Bibliothek des Professors Dr. Hoffmann von Fallersleben sollen am 22. Mai 1843 zu Breslau öffentlich versteigert werden‹, wurde aber von der Censur beanstandet; der ›Professor‹ war darin gestrichen. Ich eilte sofort zum Polizeipräsidenten Heinke und setzte ihm aus einander, daß ich den Professor nicht allein dem Könige verdankte, sondern auch den zweimaligen Habilitationsleistungen etc. Der Herr Censor, der als Curator der Universität die academischen Einrichtungen nachgerade etwas kennen gelernt hatte, ertheilte dem ›Professor‹ das Imprimatur.[330]

Um diese Zeit erhielt ich verschiedene Beweise der Theilnahme. So schickten mir zwanzig meiner Verehrer aus Stuttgart funfzig Flaschen edelen Schwabenweins mit einem herzlichen anerkennenden Schreiben.2 Philipp Nathusius richtete an mich zwei Gedichte und lud mich ein, ihn den Sommer wieder zu besuchen.

Die letzten Tage meines Breslauer Aufenthalts verwendete ich zu Abschiedsbesuchen. Den 25. Februar Abends 7 Uhr begleiteten mich einige Freunde zur Post. Am andern Morgen stand in den Zeitungen:


Feinden und Freunden ein herzliches Lebewohl.


Breslau, den 25. Febr. 1843.


Hoffmann von Fallersleben.


So endete mein zwanzigjähriges Breslauer Leben.


Nachdem ich einige Tage bei meinen Freunden in Görlitz verweilt hatte, traf ich den 28. Februar in Dresden ein.

In der winterlichen Zeit war an Spazierengehen im Freien nicht zu denken und so mußte ich mich denn beschränken auf den geselligen Verkehr mit Gelehrten, Dichtern, Künstlern und Männern gleicher Gesinnung und gleichen Strebens in politischer Beziehung. Einige kannte ich bereits von früher her, andere lernte ich jetzt erst kennen. Wir trafen uns an verschiedenen Orten und ich verlebte manche angenehme Stunde mit ihnen: Echtermeyer, Ruge, Mosen, E. von Brunnow u.A.

Ich eilte nun nach Leipzig. Hauptzweck meiner Reise war, mir einen Verleger zu verschaffen für eine Sammlung meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung. Es waren 50 Stück, ein Drittel davon war erst im December v.J. in Breslau, meist zu schönen Volksweisen, gedichtet. Ernst Richter hatte dazu eine einfache, wohlgefällige Begleitung gesetzt. Das kleine Werk hatte mir große Freude gemacht, und so hoffte ich denn, daß es auch Anderen Freude bereiten würde. Es war Georg Wigand (Firma: Mayer und Wigand) als Verleger mir empfohlen. Schon den ersten Nachmittag nach meiner Ankunft (4. März) besuchte ich ihn, ich überreichte mein Manuscript und theilte ihm meine Ansichten und Wünsche mit. Er zeigte sich sehr bereit, wollte sich erst eine Probe setzen lassen, dann seine Berechnungen[331] machen und mir seine Bedingungen sagen. Nach einigen Tagen legte er mir den Vertrag vor, ich unterzeichnete ihn für mich und Richter, und unser Geschäft war gemacht. Nach einigen Wochen erschien meine Sammlung unter dem Titel: ›Funfzig Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und bekannten Weisen mit Clavierbegleitung von Ernst Richter.‹ (Lpz. 1843. Mayer und Wigand) hübsch gedruckt in gr. Querquart, zu dem billigen Preise von 15 Sgr.

Ich hatte noch eine kleine Arbeit mit nach Leipzig gebracht, die ich auch gedruckt zu sehen wünschte. Ich hatte in der letzten Zeit zu Breslau aus dem dortigen Adreßbuche ein Breslauer Namenbüchlein angefertigt. Obschon das nur zunächst ein Scherz für mich war und auch für Andere sein sollte, so hatte doch dieser Scherz seine wissenschaftliche Seite, um derentwillen ich später noch drei ähnliche Namenbüchlein herausgab. Engelmann war sofort bereit, diese Kleinigkeit zu verlegen. Ich besorgte die Correctur und noch während meiner Anwesenheit waren die beiden Bogen gedruckt: ›Breslauer Namenbüchlein, d.i. Einwohner-Namen der Haupt- und Residenz-Stadt BRESLAU, nach Stand und Würden, und sonstigen Eigenschaften geordnet. Für Liebhaber der deutschen Sprache von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Lpz. W. Engelmann. 1843. 16.)

So hatte ich denn meine litterarischen Zwecke erreicht und konnte über meine Zeit frei und nach Belieben verfügen. Ich kam viel zusammen mit Litteraten, Publicisten, Gelehrten und Buchhändlern, und das war, wenn auch nicht immer angenehm, doch immer interessant. Das Leipziger Litteratenthum stand damals in hoher Blüte, es suchte sich durch den Litteratenverein zu einer geschlossenen Körperschaft zu gestalten und so den Buchhändlern, dem Staate und dem Publicum gegenüber seine Interessen geltend zu machen. Es beherrschte einen großen Theil der Unterhaltungslitteratur durch Redaction von Zeitschriften, durch eigene Erzeugnisse und kritische Besprechungen. Mir ergab sich häufig Gelegenheit, den einen und den andern zu sehen und zu sprechen: Laube, Diezmaun, Herm. Marggraff, von Corvin u.A. Auch die Publicistik hatte in Leipzig damals manchen Vertreter. Ich verkehrte viel mit Robert Blum, seinem Schwager Günther und Dr. Julius. Mit der eigentlichen gelehrten Welt kam[332] ich wenig in Berührung. Moriz Haupt sah ich nur Einmal, Buddeus und Wachsmuth lernte ich bei Laube kennen, Wuttke hin gegen bewies mir auch jetzt wieder seiner treue Anhänglichkeit. Sehr lehrreich für mich war auch diesmal wieder der Verkehr mit den Buchhändlern, namentlich Wilhelm Engelmann: ich bekam in das Wesen des Buchhandels eine bessere Einsicht und lernte die Unternehmungen der Verleger und die Ansprüche der Schriftsteller besser zu würdigen.

Kurz vor meiner Abreise brachte mir Günther (Herausgeber der Sächsischen Vaterlandsblätter) die frohe Botschaft: ›Die Gütersloher haben Ihnen auf 5 Jahre, jedes Jahr 80 Rb. gesichert.‹

16.–22. März in Berlin. Den ersten Abend war ich bei Jacob Grimm. In traulichen Gesprächen vergingen nur zu rasch die wenigen Stunden. Später lud er mich schriftlich zum Mittagsessen ein. Wir waren sehr vergnügt. Ich gab mehrere lustige Geschichten und einige Kinderlieder zum Besten. Jacob mißbilligte sehr Maßmann's Ausfall gegen mich in seinem schlechten Eraclius. Zwei Abende war ich bei Wallmüller mit einigen Studenten und den sogenannten Freien: Bruno und Edgar Bauer, Arthur Müller, Köppen, Ludwig Buhl u.a. Es ging wüst und roh her, mir ward angst und bange, als ich sehen und hören mußte, wie hier die Freiheit in Scene gesetzt wurde.

Den 22. März reiste ich ab. Ich blieb nun zwei Tage bei Philipp Nathusius und fuhr dann nach Fallersleben. Ich kam mit der Hoffnung, einige Zeit bei und mit den Meinigen ungestört zu verweilen. Es schien sich auch Alles nach Wunsch zu gestalten. Ich beschäftigte mich viel im Garten, spielte mit den Kindern, spazierte im Freien, las Zeitungen, arbeitete und dichtete. Zu meinem Geburtstage begrüßten mich die Kinder mit Glückwünschen und Blumen kränzen. Ich war einige Tage recht unwohl gewesen, jetzt wieder recht munter. Den Abend vorher erzählte mir mein Vetter Jacob Behne, es sei ihn mitgetheilt worden, daß ich beobachtet würde, und er meinte, ich möchte doch vorsichtig sein. Den 5. April hatte der Drost ein Schreiben von Lüneburg bekommen, hohe Landdrostei wundere sich, daß meine Ankunft noch nicht angezeigt sei. Den 8. April erhielt ich vom Drosten eine Vorladung. Er empfing mich sehr freundlich, zeigte mir aber an, daß mir auf Befehl des Königs vom 12. December 1842 der Aufenthalt in den hannoverschen Landen[333] verboten sei, wenn ich nicht ein Domicil nachweisen könne. ›Und das können Sie ja‹ – fügte er hinzu. ›Ich werde der Landdrostei schreiben, daß Sie hier noch Antheil am Hause Ihrer Frau Schwester hätten.‹

Erst nach anderthalb Stunden kam ich nach Haus. Man hatte meiner in großer Angst geharrt. Die Kinder kamen mir weinend entgegen. Ich beruhigte sie, obschon ich selbst unruhig war, denn ich war fest überzeugt, daß ich am längsten hier gewesen. Ich ging auf mein Zimmer und dichtete.3

Wenige Tage nachher veranlaßte ich meinen Schwager, sich wegen meiner Angelegenheit beim Drosten zu erkundigen. Letzterer rieth mir abzureisen, Domicilrechte könnte ich nicht beanspruchen, es gehe Alles vom Könige selbst aus.

Am 12. April des Nachmittags traf der Lieutenant der Landdragoner ein. Die Sache war mir sehr verdächtig, obschon er erklärt hatte, er sei nicht um meinetwillen gekommen. In der Dämmerung schleichen die Landdragoner ums Haus herum und spät Abend bewachen sie es aus der Nachbarschaft. Da scheint es mir denn doch gerathen abzureisen. Ich bitte meinen Vetter, auf der Ziegelei einen Wagen für mich bereit zu halten, ich würde mich baldigst einfinden. Um kein Aufsehen zu erregen, gehe ich mit meinem Schwager in den Kuhstall, wir erweitern eine Oeffnung in der Wand und kriechen durch. Aus des Nachbars Garten dringen wir weiter durch Hecken und Stackete, und endlich sind wir im Freien. Der Mond scheint hell auf den frisch gefallenen Schnee, ringsum Todtenstille, während eben noch im Hause meine Nichten, um die Landdragoner zu täuschen, die lustigsten Stücke gespielt und gesungen hatten. Der Wagen wartet schon, ich steige ein und in einer Viertelstunde bin ich jenseit der hannoverschen Gränze und um 3 Uhr Morgens zu Braunschweig im deutschen Hause. Während ich noch im Bette lag, ließ der Herr Drost anfragen, ob er mich besuchen könne. Er wohnte mit mir in demselben Gasthofe. Ich war sehr überrascht, erfuhr aber bald aus seinem Munde den Anlaß zu seiner Reise. Um einem unangenehmen Auftrage sich zu entziehen, hatte[334] er sich entfernt, es war nämlich gestern der strenge Befehl gekommen, wenn ich ausginge, sollte mich stets ein Landdragoner begleiten.

Diese Geschichte bildet den Anfang einer Reihe von Verfolgungen und Belästigungen, denen ich bis zum Jahre 1861, also fast zwanzig Jahre in meinem Geburtslande Hannover ausgesetzt war.

13.–18. April in Braunschweig. In angenehmem Verkehre mit Verwandten, Freunden und Bekannten verging mir die Zeit sehr rasch. Bei einem Ausfluge nach Wolfenbüttel lieh ich mir von der dortigen Bibliothek das Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544.

21. April–24. Mai in Althaldensleben. Ein schöner Frühling, ich war wohl und heiter und befand mich unter lieben Menschen, die mit einem edelen Sinne für Kunst und Wissenschaft innige Theilnahme für den Gast verbanden, der ihnen interessant und angenehm war. Die Morgenstunden war ich immer allein, ich arbeitete oder spazierte im Freien. Philipp sah ich nicht eher als beim Mittagsessen. Gegen Abend pflegten wir mit einander zu spazieren und später nach Tische waren wir immer beisammen. Wir unterhielten uns über ältere und neuere deutsche Litteratur, Zeitgeschichte, namhafte Persönlichkeiten, wir musicierten, sangen Volkslieder oder lasen uns etwas vor. Eines Abends theilte er Bürger's Briefe mit an Philippine Engelhardt, geb. Gatterer, seine Großmutter. Eines anderen Abends las ich ein Stück aus meinem Leben: ›Mein Antheil an der Politik.‹ Maria, Philipps Gattin, trug ihre Compositionen vor, auch wol deutsche Volkslieder, in die wir dann gewöhnlich einstimmten. Wir sprachen auch über allerlei litterarische Arbeiten, mit denen wir uns eben beschäftigten.

So freundlich ich hier in dem genußreichen Althaldensleben aufgenommen, so konnte mir doch das Wanderleben nicht mehr genügen, ich sehnte mich nach einem bleibenden selbständigen Aufenthalte an einem Orte, der mir neben anregendem Verkehr und Hülfsmitteln die gehörige Ruhe zum Arbeiten gewährte und zugleich Gelegenheit böte etwas zu verdienen. Ich hatte lange hin und her gewählt und mit Freunden und Bekannten viel darüber gesprochen. Endlich wählte ich Dresden und schickte mich an, dort vorläufig mich niederzulassen. Den 25. Mai, am Himmelfahrtstage, reiste ich ab mit meinem ganzen Gepäck, es bestand aus zwei Kisten mit Büchern, einem Koffer und einer Reisetasche.[335]

26.–30. Mai in Leipzig. Den ersten Abend besprach ich mich mit meinen Freunden über die neue Ausgabe meiner Gedichte. Sie riethen mir mit Weidmanns in Unterhandlung zu treten. 28. Mai. Julius Fröbel besucht mich und erzählt von seinem Aufenthalt in Berlin. Alexander von Humboldt hatte sich geäußert, wenn er nicht eben damals in Paris gewesen, so hätte das mit mir nicht vorkommen können, leider sei meine Angelegenheit in die Hände des Ministers Eichhorn gerathen etc. – 29. Mai. Vormittags bei Weidmanns. Sie sind geneigt, die neue Ausgabe meiner Gedichte zu übernehmen. Hirzel überreicht mir einen vorläufigen Vertrag. Ich bin damit einverstanden, und obschon er mich bittet, mich lieber noch zu besinnen, so gehe ich doch darauf ein und unterzeichne.

30. Mai–4. August in Dresden. Stadt und Gegend recht schön. Ich glaubte, alles Übrige würde damit übereinstimmen. Leider überzeugte ich mich bald, daß das nicht der Fall war. Ich war mit sehr bescheidenen Ansprüchen gekommen, aber auch diese wurden wenig oder gar nicht erfüllt. Von dem Augenblicke an, als ich mich für einheimisch betrachtete und Anderen dafür galt, trat das ganze Dresdener Leben in seiner wahren Gestalt mir entgegen: Männer ohne männliche Gesinnung, jedermann höflich und gefällig, wenn es nichts kostet, kleinlich und knickerig im Handel und Wandel, viel Lakaienthum und Philisterei, wenig geistiges Leben, gar keine Gastfreundschaft. Die ganze Bevölkerung schien mir zufrieden mit dem was sie war und was sie hatte; Gewohnheit hielt den Einzelnen ab, etwas anderes, besseres sein zu wollen, so wie die Angst ihn abhielt von jedem Weiterstreben in geselliger und materieller Beziehung. Obschon Jahr aus Jahr ein viele hundert fremde Familien in Dresden leben, viele tausend Fremde jährlich Dresden besuchen, der echte Dresdener bleibt davon unberührt. Nachdem ich verschiedene vergebliche Versuche gemacht hatte, mit den eigentlichen Dresdenern näher bekannt zu werden, wendete ich mich nun lediglich an die Fremden, und nur so gelang es mir, den bald langweiligen Aufenthalt etwas kurzweilig zu machen.

Ich hatte eine freundliche stille Wohnung bezogen an der Bürgerwiese. Die Morgenstunden blieb ich fast regelmäßig zu Hause und arbeitete. Schon in den ersten Tagen vollendete ich ein Heft Lieder: ›Fliegende Blätter.‹ Es erschien schon Mitte Junis unter dem von[336] Fröbel gewählten Titel: ›Deutsche Gassenlieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Zürich und Winterthur. Verlag des literarischen Comptoirs. 1843. kl. 8° 26 Lieder.)4

Darauf vollendete ich die neue Ausgabe meiner Gedichte, es war die dritte, für die vielen weggelassenen der früheren Ausgaben kamen viel mehr neue hinzu. Sie erschien bereits in den ersten Tagen des Augusts: ›Gedichte von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Weidmann'sche Buchhandlung. 1843. 8°. 576 SS.).

Im Juli sendete ich au Haupt zu seiner Zeitschrift für Deutsches Alterthum eine Sammlung althochdeutscher Glossen aus Admont, St. Paul etc.5

Schon Anfang Julis faßte ich den Entschluß, die deutschen Gesellschaftslieder schon jetzt herauszugeben. Dies lange mit Liebe gehegte und gepflegte Werk konnte, da es bereits zu 200 Liedern gediehen war, füglich zum Abschluß gelangen. Gegen Ende Julis schrieb ich die Vorrede und am 5. August war das Manuscript druckfertig. Es war Ludwig Uhland gewidmet und erschien noch im Laufe dieses Jahres: ›Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen Quellen gesammelt von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1844. gr. 12°. XVIII. 306 SS.).

Meine tägliche Morgenbeschäftigung wurde nur selten unterbrochen. Im Laufe des Junis besuchten mich Uhland, Walesrode, Aderholz, Graf E. Reichenbach, Philipp und Heinrich Nathusius; im Juli Eduard und Albert Kießling und Dr. E. Sommer. Mit den meisten pflegte ich dann den Tag über beisammen zu sein. Es war für mich eine oft willkommene Unterbrechung meiner Studien, ich hörte, wie's meinen alten Freunden und Bekannten ging, wir verplauderten angenehm die Zeit im Freien auf weiteren Ausflügen oder auf der Brühlschen Terrasse. Sehr angenehm war mir die Bekanntschaft mit Walesrode. Wir begegneten uns nachher noch öfter auf unseren Wanderungen.

Die Nachmittage und Abende widmete ich meist dem Verkehre mit Fremden, die sich in Dresden niedergelassen hatten. Der bedeutendste unter ihnen war Ruge.[337]


Da ihm damals seine litterarisch-publicistische Thätigkeit in Deutschland unmöglich gemacht worden war, gab er vorläufig sein Wirken in Deutschland auf, aber nicht für Deutschland und hoffte in Frankreich seine Thätigkeit ungehindert und erfolgreicher fortsetzen zu können. Mir that es weh, daß eine so tüchtige geistige Kraft dem Vaterlande verloren gehen sollte, denn ich betrachtete jeden, der das Ausland mit dem Vaterlande vertauschte, für einen diesem und uns Verlorenen. Ich sagte ihm oft: ›Lieber Ruge, bleib hier! Du bist zu deutsch, Du kannst nur in Deutschland recht leben und wirken. Ich bin fest überzeugt, nach Jahr und Tag kehrst Du zurück.‹ Ruge war zu sehr eingenommen für die communistischen und socialistischen Ideen, die ihren Heerd in Frankreich hatten, er erwartete von ihnen eine neue Weltordnung, Heil und Segen für die ganze Menschheit.

Ruge war immer sehr liebenswürdig und theilnehmend wie auch seine Frau, ich war oft und gern da. Als ich mich mit dem schlechten Essen in den Gasthöfen lange genug gequält hatte und ihm meine Noth klagte, da bat er mich, jeden Mittag bei ihm zu speisen. So waren wir denn die letzten acht Tage vor seiner Abreise meist immer beisammen. An Stoff zur Unterhaltung fehlte es uns nie. Ich wurde immer angenehm angeregt und ich dichtete gern, und weil ihn jedes neue Lied wie ich wußte erfreute, so war er der erste dem ich es vorlas oder vorsang. Die meisten der nachher unter dem Titel ›Salonlieder‹ erschienenen Lieder sind damals entstanden. – Den 19. Juli nahmen wir Abschied. Um 1 Uhr reiste er ab nach Paris.

Mosen wohnte den Sommer über in Strehlen. Wenn ich ihn besuchte, so war das für mich zugleich ein hübscher Spaziergang, ich ging immer durch den großen Garten. Mosen damals in der Fülle jugendlicher Kraft, gesund und heiter, frisch an Leib, Geist und Gemüth erschien mir neben seiner lieben Gattin wie ein recht glücklicher Dichter. Ich verlebte bei ihm einige frohe Tage, so den 8. Juli, seinen Geburtstag.6

Die letzten Tage in Dresden war ich recht leidend und mitunter sehr verstimmt. Ich hoffte, wenn ich nur erst wieder unterweges wäre, so würde sich Alles zum Guten wenden, und so trat ich denn am 4. August meine Reise an. Ich blieb einige Tage in Leipzig,[338] leider aber wurde mein Zustand nicht sonderlich besser. Trotzdem entschloß ich mich den 8. zur Weiterreise nach dem Rhein.

Einige Tage in Frankfurt. Den Abend vor meiner Abreise, 14. August, hatte mich der Buchhändler Suchsland zum Abendessen eingeladen. Er wohnte am Main neben der Bibliothek. Aus seinen Fenstern eine herrliche Aussicht auf den Fluß und Sachsenhaufen. Es war große Gesellschaft. Noch ehe wir uns zu Tische setzen, kommt eine Gondel mit bunten Laternen den Main herauf und legt uns gegenüber mitten im Flusse vor Anker. Die Sänger singen: ›Deutsche Worte hör' ich wieder‹ und bringen darauf mir ein Hoch aus. Unten am Strande viele Menschen. Bei Tische geht es recht munter zu. Nachdem ein Herr Dr. Müller mir einige freundliche Worte gewidmet, werde ich dringend gebeten, einige Lieder zu singen. Ich singe: ›Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald‹ und das Hohelied vom Censor.7

Obschon diese Ehrenbezeigung keine öffentliche war, so wurde sie doch als solche besprochen, und eine Zeitung machte den gehässigen Zusatz: ›Man sieht ihn rüstig und munter an der Wirthstafel seine eigenen Lieder vorsingen.‹

15. August in Coblenz. Der Zweck meiner Reise hieher war eine Freundin8 nach langen Jahren wiederzusehen und ihr meinen Dank abzustatten für die innige Theilnahme, welche sie von neuem mir bewiesen hatte. Um 4 Uhr Nachmittags ging ich zur Laubbach hinaus. Nach 25 Jahren sahen wir uns wieder und erfreuten uns der alten lieben Erinnerungen.

Nachdem ich den ganzen folgenden Morgen im Riesen von meinem Zimmer aus mir den Rhein und das Getümmel am Strande angesehen und vergebens zwei Freunde erwartet habe, gehe ich zu Karl Bädeker. Da erfahre ich denn: ›Er ist mit dem Dichter Freiligrath spazieren gegangen.‹ – Nach einiger Zeit kommt Bädeker, sichtlich verlegen: ›Willst Du Freiligrath kennen lernen?‹ – ›Warum nicht? Bring ihn nur!‹ – Bädeker kehrt nochmals um und sagt zutraulich: ›Du, sei gut!‹ – Ich muß laut auflachen. Freiligrath kommt, wir[339] begrüßen uns und unterhalten uns ganz nett. Unterdessen ist es Mittagszeit. Wie Bädeker sieht, daß wir beide ganz harmlos mit einander verkehren, so ladet er uns zu Mittag ein.

Wir sind sehr heiter. Ich erzähle viele Schnurren so daß wir gar nicht aus dem Lachen herauskommen. Nach Tische frage ich Freiligrath, ob er mich etwas begleiten wolle, ich müßte noch auf die Laubbach gehen. Er ist bereit. Als wir auf dem Wege sind, meine ich, wir könnten ja erst noch eine Tasse Kaffee trinken. Wir gehen in ein Kaffeehaus und sitzen ganz allein. Wir kommen nun auf die Tagesereignisse zu sprechen. Ich mache keinen Hehl daraus, daß es allgemein sehr übel aufgenommen sei, daß Freiligrath gerade zur Zeit, als Herwegh ausgewiesen worden, ein Gedicht gegen ihn veröffentlicht habe, allerdings ein zufälliges Zusammentreffen. Freiligrath spricht sich nun über seine Gesinnung aus, theilt mir einige seiner neuesten Gedichte mit und bemerkt, daß eins die Censur nicht passiert habe. Nun, fügt er hinzu, ich würde bald von seiner politischen Gesinnung eine bessere Meinung gewinnen. Er ist zutraulich geworden und so glaube ich denn, es auch sein zu können und lese ihm mein Lied vom Schweigethaler9 vor. Wir scheiden in der Hoffnung, uns den Abend wiederzusehen, Bädeker hatte uns nämlich zu einem ländlichen Familienfeste eingeladen.

Ich setze nun meine Wanderung nach der Laubbach fort und kehre erst nach Sonnenuntergang zurück.

Bädeker hat uns vergebens in seinem Hause erwartet. Einer seiner jungen Leute ist beauftragt uns nach einem Garten auf dem linken Moselufer hinzubringen. Ich gehe beim Riesen vor und hole Freiligrath ab. Wir befinden uns in einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft von lauter Bädekerschen Verwandten. Nachdem wir alle uns wechselseitig vorgestellt sind, nehmen wir Platz an einer langen Tafel. Es geht mir gar zu still her und da mir das unerträglich wird, so suche ich etwas Leben hinein zu bringen: ich erzähle einige lustige Geschichten und Witze, stimme ein Lied an und bringe einige Gesundheiten aus. Nach einiger Zeit ist mein Zweck erreicht, die Stimmung ist eine belebte, heitere geworden. Um sie noch zu steigern, gerathe ich ins Politische. Freiligrath sitzt neben mir und ich singe das Lied vom Schweigethaler.[340]

Bädeker nimmt es sehr übel, Freiligrath nicht. Auf dem Heimwege macht mir jener bittere Vorwürfe. ›Aber, lieber Bädeker, Du weißt ja nicht, daß Feiligrath das Lied ja schon kannte, ich habe es ihm am Nachmittage schon vorgelesen.‹ – Bädeker will sich nicht beruhigen. Als wir aber vor seinem Hause Abschied nehmen und seine beiden alten Oheime mir danken für den frohen Abend, den ich ihnen bereitet hätte – da wende ich mich an Bädeker: ›Hast Du's gehört? Nun gieb Dich zufrieden und leb wohl!‹

Ich war mit Freiligrath in der Nähe des Riesen angelangt. Da meinte ich, es wäre hübsch, wenn wir noch so etwas Kühlendes genössen. Freiligrath verstand darunter Champagner. Im Mai des künftigen Jahres richtete Freiligrath ein Gedicht an mich, er beginnt mit jener Nacht im Riesen:


An Hoffmann von Fallersleben.10

Jetzo, wo die Nachtigall

Schlägt mit mächt'gen Schlägen;

Wo der Rhein mit vollerm Schall

Braus't auf seinen Wegen;

Wo die Dämpfer wieder ziehn;

Wo die grünen Reben,

Wo die Blumen wieder blühn: –

– Jetzt auf einmal eben


Denk' ich wieder, wie im Traum,

Jener Nacht im Riesen,

Wo wir den Champagnerschaum

Von den Gläsern bliesen;

Wo wir leerten Glas auf Glas,

Bis ich Alles wußte,

Bis ich Deinen ganzen Haß

Schweigend ehren mußte.


Den andern Morgen wollten wir zusammen reisen. Ich wachte spät auf und erfuhr, daß sich Freiligrath bereits fort begeben hatte.[341]

Ich fuhr bald darauf mit dem nächsten Dampfschiffe nach St. Goar. Ich kehrte in die Lilie ein und besuchte Freiligrath, der daneben wohnte. Frau F. schien etwas verlegen. Als ich nach einigen Stunden wiederkehrte, war sie ganz freundlich und gesprächig. Geibel, den ich auch traf, blieb lange sehr ernst und zurückhaltend. Freiligrath schlug einen Spaziergang nach Oberwesel vor, Geibel betheiligte sich. Das Wetter war schön und die Abendkühle am Rhein erquickend.

In Oberwesel aßen wir zu Nacht, tranken einen guten Wein und waren recht heiter. Ich sang viel, erzählte viele lustige Geschichten und suchte Alles zu vermeiden was unangenehm hätte berühren können. Als ich anstimmte: ›Deutschland, Deutschland über Alles!‹ sagte Geibel: ›Auf diesem Gebiete sind wir Eins!‹ – Um Mitternacht gingen wir heim, heiter und friedlich wie der schöne Sternenhimmel, über dem Lurleifelsen ging der Mond auf.

18. August. Mit dem Dampfschiffe nach Mannheim. Langweilige Fahrt, erst nach 10 Uhr Abends im Pfälzer Hof.

19. August. Es war meine Absicht, die Acteustücke über meine Absetzung drucken zu lassen. Ich besuchte deshalb zuerst F. Bassermann und Mathy, die im März eine Buchhandlung gegründet hatten. Ich überreichte ihnen das Manuscript und sie waren bereit es drucken zu lassen, es wurde sofort zur Censur geschickt, den andern Tag erfolgte das Imprimatur und noch während ich in Mannheim war, erschien die kleine Schrift: ›Zehn Actenstücke über die Amtsentsetzung des Professors Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mannheim. Verlag von F. Bassermann. 1843. 8° 30 SS.)

Da das badische 25jährige Verfassungsjubiläum11 bevorstand, blieb ich die Festtage über in Mannheim.

22. August. Um 10 Uhr Festzug durch die Hauptstraßen nach dem Marktplatze unter Kanonendonner und Glockengeläute. Von den Fenstern der Ressource sehe ich mir Alles an. Dann großes Festmal. Es werden mehrere Reden gehalten, aber erst durch die von Soiron's und Weller's wurde ›die Tafelrunde in die begeistertste Stimmung versetzt, welche bis zum Schlusse keinen Augenblick mehr unterbrochen wurde.‹ Der Berichterstatter der Abendzeitung fährt dann fort: ›Die mächtigsten Eindrücke ließ aber gewiß unser Gast Hoffmann von[342] Fallersleben zurück! Nachdem das Lied, das er in unsern Mauern zur Feier des hohen Festtages gedichtet hatte, gesungen, und seine Gesundheit stürmisch ausgebracht war, dankte er der Versammlung dadurch, daß er ihr mehrere seiner Gedichte vortrug. Zuerst sprach er das »Lied eines abgesetzten Professors«12 und das »freie Wort«,13 dann sang er in seiner höchst eigenthümlichen Weise mit einem Humore, unter dem der tiefste Schmerz verborgen liegt, das Lied: »Alles mit hoher obrigkeitlicher Erlaubniß.«14 Das war mehr als bloßer Beifallssturm, der da losbrach, das war die mächtige Stimme des Geistes der Freiheit, die der herrliche Mann aus jeder Brust gelockt, es war der mächtige Echoruf seiner eigenen begeisterten Worte und prophetischen Ergüsse, es war der Triumph, den die Wahrheit, den die Ueberzeugung über die Lüge und Halbheit der Gegenwart feierte!‹

Das muß demjenigen sehr übertrieben klingen, der die Stimmung in jenen Tagen, namentlich in Baden, nicht miterlebt hat. Es war nichts Beabsichtigtes, Besprochenes, oder gar Befohlenes, es war die freie Äußerung freier Männer. Jeder wollte die Hand mir reichen, jeder mit mir anstoßen. Die Art und Weise mich zu ehren war mitunter sehr eigenthümlich. So reicht mir ein Metzgermeister ein volles Glas, ich trinke es aus, er steckt es ein um es als Andenken aufzubewahren. Ein anderer Bürger trinkt mir zu, ich thue aus demselben Glase Bescheid; da nimmt er das Glas und – zerschlägt es: ›Aus dem Glase, woraus wir getrunken, soll kein / anderer mehr trinken!‹

Ich war nun noch vierzehn Tage in Mannheim. Ich verkehrte viel mit den badischen Abgeordneten und ihren Freunden: von Itzstein, Hecker, von Soiron, Bassermann, Mathy, Walesrode u.A.

Am 25. August brachten mir die Studenten in Heidelberg, wohin ich einen Ausflug gemacht hatte, ein Fackelständchen. Der Stadtdirector hatte es verboten, der Prorector erlaubt. Die fremden Musicanten wurden den anderen Tag ausgewiesen und die Fackelträger, lauter Stiefelputzer, vor die Polizei geladen. Die beiden[343] Hauptverbindungen der Studenten hatten sich vereinigt, jede sendete ihren Sprecher, mich zu begrüßen. Letztere waren mit mir den folgenden Tag zum Mittagsessen bei Itzstein eingeladen.

5. September reiste ich ins Oberland, um das Wiesenthal und seine Mundart näher kennen zu lernen. Ich ging über Straßburg nach Basel und so nach Lörrach.

Dort machte ich die Bekanntschaft des Rechtsanwalts Euler. Ich sprach von dem Hauptzwecke meiner Reise und bat ihn, mir zur Ausführung behülflich zu sein. Er war sehr bereitwillig, und damit wir recht ungestört das Allemannische treiben könnten, lud er mich ein, bei ihm zu wohnen. Das war mir sehr willkommen. Euler kannte genau die Mundart seiner Heimat und hatte darin auch gedichtet. Die genaue Durchsicht meiner Lieder, welche wir sofort begannen, war bald vollendet, so wie auch ein Nachtrag ›Grammatisches‹. Schon am 16. September schrieb ich meine Vorrede.

Euler war ein lieber gemüthlicher Mensch. Er widmete mir seine ganze Zeit, und damit mir die Erinnerung an seine Heimat eine nachhaltig angenehme werden möchte, so führte er mich in die Umgegend, auf die Berge und in die Örter, welche schöne Aussichten gewährten. Eines Abends war ich mit ihm auf dem Röttler Schlosse. Die Aussicht prachtvoll: in der Ferne die Gletscher im rosigen Scheine der Abendsonne, das erste Alpenglühen, welches ich sah. Die anderen Abende waren wir in Tüllingen, Weil, Stetten. Durch ihn lernte ich auch den Kirchenrath Hitzig kennen, einen liebenswürdigen alten Herrn, der mir viel von Hebel zu erzählen wußte, mit dem er sehr befreundet gewesen war.

Zum Abschiede gab mir Euler einige Zeilen, er hatte mit mir die feste Hoffnung auf eine bessere Zukunft und schloß sein Gedicht:


Der HofMa fehlt, doch d'Hoffnig nit,

Dass uf der dütschen Erde

So mengs was no im arge lit

Nootno cha besser werde.


Drum sagi: HofMa hoff, es cha

Nit allewil so blibe;

Es seig Di Trost, Du guete Ma,

Di Werk wird Früchte tribe.[344]


Den 18. September begleitete er mich nach Efringen. Dort nahmen wir Abschied auf baldiges Wiedersehen, aber wir sahen uns nie wieder: er starb einige Jahre nachher, der alte Hitzig erst 31. August 1849.

19.–30. September wieder in Mannheim. Ich wohnte bei Hecker und verkehrte nur mit seinen Freunden. Walesrode, mit dem ich in Heidelberg und Rastatt zusammen getroffen, war auch wieder einige Tage bei uns.

Die neue Ausgabe meiner allemannischen Lieder war fast vollendet, bis zum 6. Bogen hatte ich die Correctur selbst besorgt. Sie erschien bald darauf: ›Allemannische Lieder von Hoffmann von Fallersleben. Nebst Worterklärung und einer allemannischen Grammatik.‹ (Fünfte, im Wiesenthale verbesserte und vermehrte Ausgabe. Mannheim. I Verlag von Friedrich Bassermann. 1843. 8°. 127 SS.)

1. October verließ ich Mannheim. 4. October in Düsseldorf. Ich traf den Geh. Reg.-Rath von Sybel, der sofort einige Gesinnungsgenossen von meiner Ankunft benachrichtigte. Abends war ich mit ihnen im Domhardt'schen Gasthofe zusammen. Nach und nach kamen immer mehr Theilnehmer. Auch die Liedertafel betheiligte sich an dem unversehens entstandenen Feste und trug mehrere Lieder vor. Es wechselten nun Reden, Trinksprüche und Lieder mit einander, und dann und wann gaben draußen die Trompeter der Ulanen ein Stück zum Besten – Alles mir zu Ehren. Daß auch ich mich betheiligte, erfahre ich aus einem Zeitungsberichte von damals, worin es am Schlusse heißt: ›H.v.F. trug eine Menge seiner neuesten Lieder vor. Sein lebendiger, recitierender Gesang und der Witz fanden, wie überall, die unverkennbarste Anerkennung; die Begeisterung war ohne Gränzen, bis in späte Nacht war man in lauter Freudigkeit zusammen. Wir können offenbar stolz auf den Empfang sein, den der Dichter bei uns fand; er ehrt den Gast nicht minder als den stets sich freier entwickelnden Geist unserer Stadt.‹

Bis gegen Mitte Octobers verweilte ich an der Ruhr und verlebte angenehme Tage in der Familie einer Jugendfreundin.15

Ich wandte mich nun wieder dem Rheine zu. Am Geburtstage des Königs, 15. October, traf ich in Düsseldorf ein. Zu meinem Leidwesen höre ich von polizeilichen Nachforschungen über die Theilnehmer[345] an dem neulichen Domhardt'schen Abend, die Namen wären nach Berlin geschickt und eine Untersuchung würde nicht ausbleiben, (was sich leider nachher bestätigte!).

17.–20. October in Köln. Als ich eines Abends mit Freunden zusammensitze, flüstert mir der Oberkellner zu, eben sei ein Polizeibeamter angekommen, um mich zu beobachten. Ich setze mich ihm gegenüber und die übrigen Herren, denen ich diese Neuigkeit mitgetheilt, nehmen neben mir Platz. Die polizeiliche Theilnahme wirkt sehr belebend auf unsere Stimmung, ich erzähle so viele Schnurren, daß sich der Polizist selbst nicht des Lachens erwehren kann. Den andern Tag fuhr ich mit dem alten Dresel, der mir schon früher seine Ankunft angezeigt hatte, den Rhein hinauf.

21. October–10. November in Geisenheim.

Wenn man in den Ort hineinkommt von Rüdesheim her, so sieht man bald zwei große Häuser, im französischen Stille des vorigen Jahrhunderts gebaut. Sie liegen links an der Straße, haben eine Aussicht auf den Rhein und waren ursprünglich Ein Gebäude. In dem rechten Flügel wohnte die Familie Dresel. Der Alte hatte darin mit seinem Schwager Lade eine Weinhandlung gegründet und viele Jahre gemeinschaftlich betrieben, später dies Verhältniß gelöst und sich mit seinem Sohne Karl verbunden, nachdem dieser sich mit der Tochter eines Grafschaftsbesitzers verheirathet. Das Geschäft in dieser neuen Gestalt stand wie das alte in hohem Ansehen und schien in erfreulicher Entwicklung zu gedeihen. Beide Familien zählten mit zu den ersten des Rheingaues, zeichneten sich vor allen aus durch Bildung, Freisinn und Gastfreundschaft, und standen durch Freundschaft und Verwandtschaft mit vielen Familien anderer Gegenden in Beziehung.

Der alte Dresel hatte etwas Biederes, Einnehmendes in seinen Wesen. Obschon er von geringem Herkommen war und gern davon erzählte, so war er doch allmählich bequem, genußsüchtig und aristokratisch geworden, obschon er liberale Ansichten auf religiösem und politischem Gebiete aussprach und zu vertheidigen wußte. Der Liberalismus jener Tage gehörte mit zum guten Tone, er vermittelte zugleich angenehme Bekanntschaften und konnte die Geschäftsverbindungen vortheilhaft erweitern. Dresel sah sich gern betrachtet und geehrt als den freisinnigsten Rheingauer, den Repräsentanten eines bedeutenden[346] Geschäfts und einer angesehenen Familie. Wir verkehrten oft und viel miteinander, ich verdanke ihm manche Gefälligkeit und manche angenehme Stunde.

Karl Dresel, lebendig und jugendlich frisch, angenehm in Gesellschaft von Bekannten und Fremden, gemüthlich mit den Seinigen und unter Freunden, dem Gast ein immer freundlicher Wirth. Er arbeitete unablässig an seiner Fortbildung, hatte sich eine hübsche Bibliothek gesammelt, las viel und suchte sein Interesse an Kunst und Wissenschaft auch noch zu beleben durch eifriges Sammeln von Autographa und durch den Verkehr mit Künstlern und Gelehrten, der ihm eine angenehme Erholung und fast zum Bedürfnisse geworden war. Von edeler Gesinnung beseelt suchte er das Gute mit Rath und That zu fördern, war beglückt durch das Glück Anderer, besonders der Seinigen und seiner Freunde und freute sich über jeden Beweis von Theilnahme, von welcher Seite er ihm auch kam. Er war ein vortrefflicher Mensch und hatte eigentlich nur Einen Fehler, nämlich den, daß er ein Geschäftsmann war und sein mußte, daß er den Streit der Pflicht mit seinen Neigungen nie zu seinem und seiner Familie Besten zu schlichten wußte.

Von Karls sechs Brüdern waren damals drei zu Hause, Julius und Hermann mit im Geschäfte, Gustav wartete auf eine ihm zusagende Stellung. Er war vor einiger Zeit aus America zurückgekehrt und wußte so lebendig von seinen Fahrten, besonders in Texas zu erzählen, daß ich allezeit sein dankbarer Zuhörer war.

Ich hatte nicht die Absicht, sehr lange in Geisenheim zu bleiben, aber die freundlichen Zureden meiner neuen Freunde und jeder neue sonnige Herbsttag in dem lieblichen Rheingau verzögerten meine Abreise. An Unterhaltung fehlte es mir nicht. Wenn nicht bei uns Gesellschaft war, so suchten wir sie uns auswärts zu verschaffen. Wir machten Ausflüge nach Wiesbaden, Johannisberg, Aßmannshausen und dem Rheinstein, besuchten August Reuter in Rüdesheim, fuhren zu Itzstein in Hallgarten und zum Professor Hofmann in Winkel.

Es war am 5. November als wir dem letzteren, meinem Namensvetter einen Besuch abstatteten. Karl Dresel hatte mich schon gehörig vorbereitet und so war mir denn dieser damals merkwürdigste Mann des Rheingaus nicht ganz fremd. Er empfing uns recht freundlich. Ich war erstaunt, in diesem 90jährigen Greise so viel Jugendfrische[347] zu finden. Eine immer noch kräftige Gestalt, voll Leben in Sprache, Geberden und Bewegung der Glieder. Er hörte schwer, wir mußten laut sprechen, er sprach auch laut, und wenn er seiner Rede einen besonderen Nachdruck geben wolle, so faßte er mich beim Arm und drückte mich oder zupfte mich am Kleide. Er erzählte uns viel aus seinem Leben und immer mit großer Lebendigkeit, wir hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

Karl Milde hatte mich zu sich nach Breslau eingeladen, ich wollte bald kommen. Ich reiste nun über Mainz, Frankfurt, Schulpforta, Leipzig, Dresden zunächst nach Eichberg im schlesischen Gebirge. An jedem Ort hielt ich mich ein oder zwei Tage auf, um mich auszuruhen und auch alte Freunde und Bekannte zu besuchen. Von Dresden aus sendete ich die Salonlieder an Fröbel in Zürich.

26. November traf ich in Breslau ein. Obschon ich Tag und Stunde vorher gemeldet hatte, wann ich ankommen würde, so war doch niemand auf dem Bahnhofe mich zu empfangen. Erst spät Abends trat ich in Mitde's Haus ein, ohne mein Gepäck, es war im Wagen liegen geblieben, ich erhielt es erst den andern Tag. Ich war sehr verstimmt und ahndete nichts Gutes für meinen neuen Aufenthalt, vergaß aber bei der freundlichen Aufnahme bald das Unangenehme meines Einzugs. Den nächsten Tag richtete ich mich häuslich ein. Ich wohnte in meinem alten Zimmer unter meinen Büchern.

Ich besuchte nun nach und nach meine alten Freunde und Bekannten. Ich bemerkte bald, daß die meisten, wenn auch nicht eben verlegen, doch sehr befangen waren. Eine äußere unabhängige Stellung macht deshalb noch nicht unabhängig und frei im geselligen Verkehre: die meisten nahmen Rücksicht auf befreundete hochgestellte Beamte oder geld- und einflußreiche Leute anderer Gesinnung. Man mied mich eben nicht, aber man suchte mich auch nicht. Niemand machte mir einen Gegenbesuch. Die wenigen Beweise freundlicher Theilnahme, die mir hie und da noch wurden, hoben um so greller das hervor was mich schmerzlich berühren mußte. Auffallend, daß gerade die sogenannten aristokratischen Kreise, in denen ich früher mich auch zuweilen blicken ließ, es jetzt gerade nicht an Aufmerksamkeit für mich fehlen ließen.[348]

Ich zog mich nun ganz auf mein Zimmer und meine Studien zurück, mied alle öffentlichen Gesellschaften und kam nur dann und wann Abends bei Philippi mit Resch zusammen. Ich war recht fleißig. In den ersten Tagen des Decembers vollendete ich den 7. Theil der Horae belgicae, ferner besorgte ich eine saubere Abschrift von Wernher von Elmendorf für Haupt's Zeitschrift.16

Der gute Erfolg meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung erregte den Wunsch in mir, eine neue Sammlung zu veranstalten. Ich ging zu Ernst Richter und besprach mit ihm mein Vorhaben. Er ging gern darauf ein, meinte jedoch, um dieser Sammlung einen eigenthümlichen und größeren Werth zu verleihen, wäre es gut, wenn wir uns von den ausgezeichnetsten Componisten der Gegenwart Beiträge dazu erbäten. Ich verkehrte nun viel mit Richter, der freilich durch amtliche und sonstige Arbeiten damals sehr in Anspruch genommen war. Ich versah ihn wieder mit Volksweisen aller Völker und ließ mir dann diejenigen, welche er für unsern Zweck geeignet fand, mehrmals vorspielen, bis ich sie fast auswendig wußte. Wenn ich dann nach Haus kam, so fand sich immer Zeit und Lust einen Text dazu zu dichten. Ich war sehr glücklich, ich lebte wieder ganz in der Kinderwelt und dichtete aus ihr für sie mit wahrer Herzenslust. Ich wiederholte meine Besuche öfter und brachte immer ansprechende Melodien heim, die ich denn bald mit neuen Texten versah. Kurz vor Weihnachten – und das war meine beste Christbescherung – waren 50 Kinderlieder fertig und es bedurfte nur noch der Harmonisierung der bereits vorhandenen Volksweisen und der Composition einiger für unsere besten Meister zurückgelegten Texte.

Im Milde'schen Hause war ich betrachtet wie ein alter Hausgenosse, der frei über seine Zeit verfügen konnte, und das war mir sehr lieb. Die Abende war ich fast nie zu Hause und manchen Mittag anderswo zu Tische. Zwischen mir und Milde war eine Kühle des Gefühls eingetreten, die sich keiner zugestehen, deren sich aber wol jeder bewußt sein mochte. Mir schien es, als ob meine Hausgenossenschaft auf Milde's Verkehr mit vornehmen und hochgestellten Leuten störend wirkte und seine Neigungen, die er nie gern beschränkt sah, aus Freundschaft jetzt mitunter beschränken mußte.[349]


Das Weihnachtsfest war herangekommen. Ich bescherte Manchem etwas, und auch mir wurde beschert. Ich freute mich der Freude der Kinder, war aber nicht so froh wie einst an derselben Stelle in derselben Familie. Den andern Tag war großes Mittagsessen. Ich war ungewöhnlich stille. Bald nach Tische entfernte ich mich für den übrigen Theil des Tages. Es war mir wohler mit Resch allein zu sein bei Philippi.

Einige Tage nachher war es mir, als müßte ich die Luft verändern. Ich entschließe mich rasch zu einem Ausfluge nach Waltdorf. Mein Weg führte mich zunächst nach Neiße. Dort traf ich den Grafen Reichenbach und fuhr mit ihm und Rudolf Gottschall nach Waltdorf. Wir waren in bester Stimmung und feierten den Sylvester-Abend im traulichen Familienkreise. Am Neujahrsmorgen schrieb ich an Milde. Ich meldete ihm meinen Entschluß, Breslau zu verlassen und dankte ihm für alles Liebe und Gute, das mir durch ihn und seine Familie zu Theil geworden.

Am Mittag traf Rector Kabierske von Neiße ein. Er wollte mir die Volksweisen aufzeichnen zu den Liedern, welche mir die junge Frau Gräfin gesammelt hatte. Am Nachmittag kamen die Mädel des Dorfes und sangen. Dem musikverständigen Schulmanne gewährte es selbst viele Freude, meinen Wunsch zu erfüllen: er zeichnete eine Anzahl schöner und seltener Weisen auf und ergänzte somit meine bisherige Sammlung. Zehn Texte theilte ich später mit im Deutschen Museum von Prutz (1852. II. S. 161–171), die ich dann mit der damaligen Einleitung und einigen Zusätzen nebst 17 anderen Volksliedern in meinen ›Findlingen‹ 1. Bd. (1860) S. 91–120 wieder abdrucken ließ.

Den Tag über pflegte ich für mich allein zu sein und zu arbeiten. Die Abende waren der gemeinschaftlichen Unterhaltung gewidmet Gottschall war auf einige Tage zurückgekehrt nach Breslau und kam dann den 7. wieder; auch Resch fand sich denselben Tag noch ein, wir holten ihn von Mockwitz ab. Gottschall las uns an zwei Abenden sein fünfactiges Schauspiel ›Robespierre‹. Es machte einen guten Eindruck und gab Anlaß zu allerlei ästhetischen und politischen Erörterungen. Gottschall, damals sehr begeistert für Alles was sich als Streben nach Freiheit und Glück in der Geschichte und dem heutigen Leben der Völker offenbart, war über sein Lebensziel noch[350] nicht im Klaren. Ich sprach deshalb ihm meine Wünsche für seine Zukunft aus, unter anderm den Wunsch: lieber erst viel studieren als viel edieren. Unterdessen traf ein Brief von Milde ein, der schon am 3. Januar, also unmittelbar nach Empfang meines Briefes geschrieben war. Milde sprach sich recht schulmeisterlich und so unwürdig und lieblos über mein früheres, jetziges und künftiges Leben und Treiben aus, daß ich nicht die Stimme eines Freundes, sondern eines wildfremden Menschen zu hören glaubte, die mir nur unverständlich und gleichgültig sein mußte und blieb. Ich gab den Brief Reichenbach; er las und war empört, er wollte, daß ich sofort meine Bücher zu ihm nach Waltdorf kommen ließe. ›Nein! erwiederte ich, ich will keinen solchen Schritt thun, und wenn ich noch berechtigter dazu wäre – ich werde schweigen. Ich bin der Familie diese Rücksicht schuldig. Wozu etwas thun was meinen Feinden nur willkommen wäre? Es wird sich Alles schon entwickeln.‹

Merkwürdig, mit Milde's Brief empfing ich zu gleich einen Brief von Rudolf Müller, der mich abermals dringend zu sich nach Holdorf einlud.

Den 15. Januar Abends traf ich wieder in Breslau ein. Milden gegenüber that ich als ob ich gar keinen Brief von ihm erhalten hätte. Wer solche Vorwürfe, wie er mir machte, einem Freunde machen kann, hat längst aufgehört ein Freund zu sein und verdient nicht, daß man sich gegen ihn zu rechtfertigen sucht. Ein Brief hatte uns geschieden und kein Gespräch und nichts konnte uns wieder vereinen. Ich blieb wieder einige Tage in Breslau und war mit den Vorbereitungen zu meiner Abreise beschäftigt. Den 20. Januar besuchte ich Dr. Wuttkein Brieg und verweilte einige Tage in seiner Familie. Für meine Gesellschaftslieder erhielt ich einige Ausbeute. Durch die Güte des Professors Matthisson konnte ich die Gymnasialbibliothek benutzen, ich fand für meinen Zweck 67 alte Liederbücher.

Am 6. Februar reiste ich von Breslau ab und war dann in Eichberg am Bober bei Eduard Kießling bis zum 20. Februar. Ich fuhr auf der Eisenbahn bis Freiburg und dann mit dem Postschlitten über den Schmiedeberger Berg. Herrliche Winterlandschaft, Bäume und Sträuche dick bereift, so daß man überall menschliche und Thiergestalten[351] zu sehen glaubt, eine ergötzliche Unterhaltung. In Schmiedeberg wartete schon Eduard mit dem Schlitten auf mich, wir fuhren bald ab, die Bahn war schön und zeitig erreichten wir Eichberg.

Ich verlebte stille frohe Tage. Der Verkehr mit Eduard und Albert Kießling war ein sehr angenehmer und belebender, Albert hatte die juristische Laufbahn aufgegeben und lebte seiner Kränklichkeit wegen hier auf dem Lande bei seinem Bruder. Er war ein denkender Kopf und hatte viel gelernt. Ich suchte ihn zu schriftstellerischer Thätigkeit zu ermuntern, und bemerkte auch zu meiner Freude, daß er Neigung zeigte, seiner Gedanken, Meinungen und Ansichten über die mancherlei Zeitfragen aufzuzeichnen und von Zeit zu Zeit zu veröffentlichen. Ich glaubte, daß das für ihn gar keine anstrengende Beschäftigung sein könnte, da er ja oft Stunden lang, selbst wenn wir schon im Bette lagen, sich mit mir unterhielt. Während ich ihn zu etwas Zeitgemäßem ermunterte, dachte ich an etwas Ähnliches, an ein ›Freiheitsbüchlein‹, worin die freisinnigen Aussprüche deutscher Schriftsteller zusammengestellt werden sollten.

Von hier aus schrieb ich eines Tages an Resch. Ich war sehr wehmüthig gestimmt, es war mir, als ob ich nach den letzten traurigen Begegnissen in Breslau wol schwerlich wieder dorthin kommen, also weder ihn noch die treu gebliebenen Freunde wiedersehen würde.


Eichberg am Bober 19. Febr. 44.


Lieber Resch!


Wohnung, Essen und Trinken ist viel, sehr viel, ja für die meisten Menschen Alles, aber für mich nur sehr wenig. Der Freund hat etwas Edleres, Besseres dem Freunde zu geben, seine Liebe. Alle Gaben der Welt können diese nicht ersetzen. Nur über den Mangel dieser Liebe kann ich klagen, aber ich sollte es eigentlich nicht, denn ich wußte, daß ein Verhältniß, das meiner Seits über 20 Jahre lang die innigste Theilnahme und Anhänglichkeit bewahrte und bewies, anderer Seits längst zu einer bloßen Ruine geworden, dran nichts Lebendiges mehr war als etwas Immergrün der Erinnerung. Ja, ich wußte es, ich hätte den ersten Eingebungen meines Herzens folgen und ganz für mich leben sollen. Ich that es nicht und habe nun reichlich dafür gebüßt. Ist es nicht bejammernswerth, daß mich der bloße Gedanke: ›nicht mehr in Breslau zu sein‹, trösten und erquicken[352] konnte! Ist es nicht schrecklich, daß ich heute vor Freude aufjauchzen kann, wenn ich ausrufe: ›ich bin nicht mehr in Breslau!‹ Jean Paul hat von dem Immergrün unserer Gefühle geschrieben; ich weiß vom Verschießen menschlicher Gefühle zu schreiben. Was einst für mich grünte, ist jetzt verschossen, bleich und aschgrau geworden. Es ist als ob ich Alles, was ein Menschenleben Süßes und Bitteres, Böses und Gutes hat, selbst durchleben soll. Gut, ich werde es, und es wird mir auch hinfort der Muth nicht fehlen, den Kampf mit dem Widerwärtigen siegreich durchzukämpfen. Und gehen die Freunde meiner Jugend mir alle verloren, der Freunde des Vaterlandes und der Freiheit werden immer mehr, und sie sind meine Freunde. Sie werden mich vertheidigen und schützen, wenn es etwas der Art bedarf, und mit mir lachen über den kläglichen Vorwurf, daß ich nur aus Eitelkeit und um der Genußsucht willen mein Amt aufs Spiel setzte. Leb wohl!


Den 21. Februar nahm ich Abschied. Spät Abends 23. Februar traf ich in Berlin ein. Was ich nun über meinen dortigen Aufenthalt erzähle, gründet sich auf mein Tagebuch, meine Erinnerung und die mündlichen Mittheilungen Anderer.

24. Februar. Den ganzen Morgen Schneegestöber. Ich gehe erst um 12 Uhr aus. Ich höre, daß heute Wilhelm Grimms Geburtstag ist, und die Studenten ihm und seinem Bruder einen Fackelzug bringen wollen. Ich entschließe mich daher, nicht jetzt zu ihnen hinauszugehen, sondern erst den Abend. Um 8 hinaus in den Thiergarten zu den Grimm's. Ich werde sehr herzlich von der Familie empfangen. Bald kommt der Fackelzug. Gendarmen und Polizisten voran. Die Studenten stellen sich im Halbkreise auf. Nach einer kurzen Anrede folgt ein Lebehoch den Brüdern Grimm. Wilhelm steht mit seiner Gesellschaft auf dem Balcon und hält eine Dankrede. Nebenan in Jacob's Zimmer, das nicht erleuchtet ist, siehe ich am offenen Fenster. Um die Rede zu hören, neige ich mich etwas zum Fenster hinaus. Da nun mein Gesicht vom Fackelscheine beleuchtet ist, mag man mich erkannt haben. So wie die Rede zu Ende ist, ruft eine Stimme: ›Hoffmann von Fallersleben hoch!‹ und die ganze Menge stimmt laut jubelnd ein. Ich bin ganz bestürzt und noch mehr sind es die[353] anwesenden Gelehrten. Niemand spricht ein Wort, nur Jacob sagt: ›Es ist hübsch, daß man auch Sie noch hat leben lassen.‹ Ich weiß nicht, was ich machen soll, und möchte doch auch nicht unartig erscheinen. Wilhelm Grimm ist hinunter gegangen; als er wieder herauf kommt, gehe ich in den Haufen der Studenten, reiche einigen die Hand und danke ihnen. Ihrer zwanzig kommen dann zu uns, trinken ein Glas Punsch und singen mehrere meiner Lieder. Nachdem ich mich zu morgen Mittag bei Frau Grimm zu Tische eingeladen habe, nehme ich Abschied und gehe mit den Studenten heim. 25. Februar. Um Mittag zu den Grimm's. Als wir eben über den Verkauf meiner Bibliothek sprechen, tritt Lachmann ein, damals Rector magnificus. Er ist überrascht mich dort zu finden und geht erst mit Wilhelm, dann mit Jacob ins Nebenzimmer. Ich ahnde nicht, daß es den gestrigen Abend betrifft. Wir setzen uns zu Tische; Bettina, die etwas später kommt, nimmt ebenfalls Platz. Obschon sie und ich allerlei Scherze zum Besten geben, so entwickelt sich doch keine rechte Heiterkeit, man scheint verstimmt zu sein. Bald nach Tische brechen wir auf. Ich begleite Frau Bettina bis an ihre Wohnung unter den Linden. Wir sprechen unterwegs noch viel über den gestrigen Abend. ›Ja, sagt sie, das Hoch, das Ihnen gebracht wurde, kam den Leuten so recht von Herzen.‹

26. Februar. Frühmorgens meldet mir der Kellner, es sei ein Herr da, der mich durchaus sprechen müsse. Ich will ihn erst nicht annehmen, aber der Kellner wird abermals zu mir hineingeschickt. ›Nun, sage ich ärgerlich, er mag kommen!‹ Er tritt ein: ›Herr Professor, ich bin der Polizeirath Hofrichter, ich muß mich eines unangenehmen Auftrages entledigen: ich muß Ihnen anzeigen, daß Sie auf Befehl der Polizei noch heute Berlin zu verlassen haben.‹ – Ich lade ihn ein, sich zu mir ans Bette zu setzen. Ich bitte ihn, mir die Gründe zu sagen. Er meint, es bedürfe dessen weiter nicht, er habe mir nur den Befehl mitzutheilen. Wir unterhalten uns ganz traulich und ich erfahre denn so die Gründe. Das Lebehoch von Seiten der Studenten und mein ihnen dafür ausgesprochener Dank haben diese Maßregel veranlaßt. ›Wir wissen, bemerkt er, daß die Studenten Ihnen eine besondere Ehre zu erweisen beabsichtigen, und darum muß dem vorgebeugt werden, man will so etwas nicht etc.‹ – Ich frage nun, ob es denn eine bestimmte[354] Ausweisung sei? – ›Nein, es ist bloß eine Maßregel, die unter den jetzigen Umständen den Behörden nothwendig geschienen hat.‹ – Ich meinte, wenn ich nur noch bis morgen Abend hier bleiben könnte – ich sei heute Abend eingeladen; es würde zu sehr auffallen, wenn ich Berlin plötzlich verließe. – ›Nun, erwiedert er, die Nacht können Sie noch hier bleiben, aber mehr kann Ihnen nicht gestattet werden. Ich werde sehen, was der Herr Präsident jedoch meint. Kommen Sie um 12 zu mir.‹

Ich gehe nun zur Bibliothek und bespreche mit Pertz den Verkauf meiner altdeutschen Handschriften und niederländischen Bücher. Ich überreiche ihm mein Verzeichniß mit Preisen. Ich soll die Handschriften einschicken. Dann eile ich zu Hofrichter. Der Mann ist ganz freundlich und theilt mir mit was der Herr Präsident gesagt hat. Ich fahre sofort zum Herrn von Puttkammer. Ich erzähle ihm ganz einfach meinen Antheil an dem Grimm'schen Ständchen. Er bittet mich, ihm diese Erzählung von Dranienburg aus schriftlich mitzutheilen, es sei das sehr gut für meine Zukunft im preußischen Staate. Er erlaubt mir, bis morgen Abend 6 Uhr hier zu bleiben und bittet mich, meine Rückreise nicht über Berlin nehmen zu wollen. ›Die Studenten sind zu aufgeregt. Es ist nothwendig, daß der Zündstoff fern gehalten wird, man muß das Feuer dämpfen und nicht aufschüren.‹ Schließlich erinnert er sich meines Bruders, er habe unter ihm im Finanzministerium gearbeitet und viel von ihm gelernt.

Den Abend wollte ich mit einigen Freunden und Bekannten in einer Weinstube auf der Poststraße zubringen. Als wir eintreten, finden wir die beiden Bauer, Bruno und Edgar, in einem unzurechnungsfähigen Zustande. Bei ihren rohen, gemeinen Äußerungen wird uns so unbehaglich, daß wir bald auswandern. Wir gehen in eine Weinstube unter den Linden, und sind mehrere Stunden fröhlich beisammen.

27. Februar. Bei Dr. Nauwerck sehr ergötzliches Mittagsessen vier Gemaßregelter: Dr. Lorentzen kommt eben aus einem stundenlangen Verhör, Dr. Rutenberg muß um 4 auf die Polizei, Dr. Nauwerck zum Decan und ich zur Post. Um 6 Uhr verlasse ich Berlin. Herr Hofrichter sagt mir noch, als ich eben in den Wagen einsteige, ein herzliches Lebewohl.[355]

27. Februar–10. März in Oranienburg.

Runge war sehr erfreut, und bot Alles auf, mir meinen fast unfreiwilligen Aufenthalt angenehm zu machen. Wir waren täglich in Gesellschaft mit seinen Freunden und Freundinnen. Runge spielte immer den Liebenswürdigen, war stets wohl und munter und von unverwüstlichem Humor.

Dr. Rutenberg besuchte uns auf einige Tage und wußte noch allerlei Neuigkeiten zu erzählen. Die Polizei wäre noch eifrig bemüht, die Anstifter des Hochs auf mich zu ermitteln; auch spräche man davon, daß man entdeckt habe, ich wäre schon heimlich seit 8 Tagen in Berlin gewesen um eine Störung des Grimm'schen Festes einzuleiten, und dergleichen Abgeschmacktheiten mehr. Es war gut, daß ich schon in den ersten Tagen an den Polizei-Präsidenten von Puttkammer einen Brief schrieb, in dem ich eine getreue Darstellung des ganzen Vorfalles gab.

Die Erklärung der Brüder Grimm erfolgte den 6. März in der Allg. preußischen Zeitung. Sie lautet:

›Die auswärtigen Blätter überbieten sich in falschen Nachrichten über den letzten Fackelzug. Sie mögen in ihren Widersprüchen untergehen, nur die baare Unwahrheit muß widerlegt werden und kann vor hundert und hundert Zeugen nicht bestehen, daß Dr. Hoffmann von Fallersleben in den Kreis der Studirenden von Wilhelm Grimm sei hinabgeleitet worden. Erst als dieser seine Rede vollendet hatte, nur von einem Deputirten begleitet, hinuntergegangen und wiedergekehrt, der Gesang aber geschlossen war, erscholl plötzlich und außerhalb des Zuges aus einzelnen Stimmen das alle Anwesende überraschende Lebehoch für Hoffmann. Kein Mensch hat diesen ein Wort reden hören. Er war, ohne daß wir irgend von seiner Ankunft wußten, in die Gesellschaft getreten; es schien in keiner anderen Absicht, als um zu dem ihm bekannten Geburtstag Glück zu wünschen. Unsere Sache ist es nicht, ihn zu meiden, weil er von Anderen gemieden wird. Wir kennen ihn seit 1818 persönlich: das sind lange Jahre her, in welchen er uns willfährig litterarische Dienste leistete und sich immer theilnehmend gegen uns bewies. Sein unverdrossener Fleiß hat dem Betrieb der altdeutschen Litteratur manche Frucht getragen und wesentlichen Vorschub gethan. Das Schicksal, von dem er betroffen worden ist, thut uns leid: diese Empfindung verbindet[356] uns aber nicht, seine Meinungen und Handlungen zu vertreten oder gut zu heißen. Daß er uns diesmal ein ungelegener Gast kam und alle Freude störte, wird er selbst fühlen. Albern aber muß es erscheinen, wenn man jetzt, auf solchen Anlaß hin, in öffentlichen Blättern uns gleichsam unsere politische Gesinnung abfordert, die wir zur rechten Zeit nicht verholen, sondern bewährt haben. Nichts hassen wir bitterer, als sie jeden Augenblick, ohne Noth, zur Schau zu tragen und frevelhaft preiszugeben. Schon längst haben wir sehnlich gewünscht, daß man uns nicht immer in ungemessenen Ausdrücken, die nicht uns, nur unsern Feinden lieb sind, hervorziehe. In dem Qualm des Parteiwesens, von welcher Seite er aufsteigt, können wir nicht athmen. Wollen wir in Ruhe und Frieden arbeiten, so werden wir doch Niemand unbefugt an uns rütteln lassen. Daß eine harmlose, von reiner Gesinnung der Studirenden ausgegangene Ehrenbezeugung muthwillig so verdorben wird, ist nicht blos von uns, sondern von Allen, denen die Fortdauer deutscher Universitäten am Herzen liegt, lebhaft zu beklagen.


Jacob Grimm. Wilhelm Grimm.‹


Ich war sehr überrascht und schmerzlich berührt, daß mir so etwas widerfahren konnte von zwei Männern, die ich so sehr liebte und verehrte, wie ich es bei allen Gelegenheiten mündlich und schriftlich gegen sie und Andere kund gethan hatte. Eben deshalb nahm ich mir vor, nichts in dieser Angelegenheit gegen sie zu veröffentlichen, sondern mich nur gegen meine Freunde und Bekannten auf die einfache mündliche Erzählung alles dessen zu beschränken wodurch diese traurige Erklärung hervorgerufen war, und der Presse meine Vertheidigung zu überlassen. Ich hätte denn auch wirklich nicht nöthig gehabt, mich zu verantworten; die Presse übernahm dies Amt mit einer bis dahin nie vorgekommenen Einstimmigkeit: das berühmte Bruderpaar hatte das Gericht der öffentlichen Meinung hervorgerufen, und – die öffentliche Meinung entschied.17

Die Wirkung der Grimm'fchen Erklärung war in Bezug auf[357] mich keine sonderlich nachtheilige: allerdings nahmen einige Geheime Räthe und Akademiker gegen mich Partei, die bisher gleichgültig zugeschaut hatten, dagegen aber gewann ich auch wieder viele für mich, und es erwuchs auch für mich noch ein materieller Vortheil. Die Beisteuern für mich kamen auf's Neue zur Sprache und wieder in Gang, und das Motto, womit an einem Orte eine Sendung für mich begleitet war: ›Bei uns kein Grimm gegen Hoffmann‹, war auch au anderen Orten maßgebend. Am meisten leid that mir, daß Andere um meinetwillen in Untersuchung und Strafe geriethen. Der Studiosus Albert Tiede, der, wie er selbst erklärte, ›das Hoch lediglich aus eigenem Antriebe ausgebracht‹ hatte, wurde consiliiert, und der Dr. Eduard Meyen18 mußte eine zweimonatliche Gefängnißstrafe absitzen.

Den 10. März des Abends verließ ich Oranienburg und reiste nach Meklenburg. Um 8 Uhr Abends den 12. März traf ich in Schwerin ein. Auf der Hausflur des Postgebäudes war das Reisegepäck ausgelegt. Während ich nach dem meinigen suchte, trat mir ein Mann entgegen, der mich suchte. Es war Rudolf Müller. Hoch erfreut hieß er mich herzlich willkommen, erst heute habe er meinen Brief erhalten, sein Fuhrwerk hätte drei Tage in Güstrow vergeblich auf mich gewartet. Nachts fuhren wir nach Holdorf. Das war die dritte Nacht unterwegs. Um 4 Uhr Morgens kamen wir an.

Wie es einem geht bei Persönlichkeiten, die einem lieb und werth sind, die man aber noch nie gesehen hat, so ging es auch mir in Bezug auf Müller. Ich hatte mir ein ganz anderes Bild von meinem neuen Freunde gemacht, der mir sein Herz und Haus öffnete: ich hielt ihn für einen ältlichen, stillen, bedächtigen und gemüthlichen Herrn. Ich fand einen Mann in der Blüthe des Mannesalters, jugendlich frisch und munter, lebenslustig, kräftig, theilnehmend, empfänglich für alles Gute und Schöne. Als ich ihn näher kennen lernte, freute ich mich seines freundschaftlichen und offenen Wesens. Seine Aufmerksamkeit und gastliche Fürsorge war so groß, daß ich oft verlegen und ängstlich wurde. Er konnte in Gesellschaften sehr liebenswürdig sein; er wußte, wenn er bei guter[358] Laune war, die trockenste Gesellschaft zu beleben und zu erheitern. Er war dann unerschöpflich in Erzählung meklenburgischer Geschichten, Schwänke und Schnurren. Er hatte viel Sinn für Musik und Poesie, und beides kam mir sehr zu statten. Er konnte auf dem Clavier so viel spielen, daß ich durch ihn eine Menge Volksweisen aus meiner Sammlung kennen lernte und dann benutzen konnte. An Politik nahm er großen Antheil, und es gab für uns täglich Gelegenheit zu politisieren, da ja nun auch endlich das patriarchalische Meklenburg in die politische Bewegung mit hineingerathen war. Er hatte zwar nicht Gelegenheit wie andere seine politischen Ansichten auf den Landtagen zu vertreten – er war nur Pächter seines Schwiegervaters –, aber er nahm an allen Bestrebungen der bürgerlichen Ritter lebendigen Antheil.

Die erste Zeit war ich sehr viel durch Besuche und Reisen in Anspruch genommen. Dann später gestaltete sich mein hiesiges Leben ganz nach Wunsch in dem stillen ländlichen Holdorf. Des Morgens stand ich sehr früh auf, und wenn ich gefrühstückt hatte, begab ich mich auf mein Zimmer und arbeitete. Nach Tische pflegte ich einen Spaziergang zu machen, gewöhnlich in das Gehölz. Das Wetter war nicht immer einladend. Bei den scharfen, oft heftigen Nordwestwinden konnte ich mich ohne Nachtheil für meine Gesundheit nicht hinauswagen. Überhaupt fand ich das Klima nicht eben angenehm. Es dauerte lange bis es Frühling wurde. Den 30. April sah ich die erste Kirschblüthe, den 4. Mai die ersten Maikäfer und den 9. Mai hörte ich die erste Nachtigall, doch hatte sich der Storch schon den 4. April eingefunden; ihm zu Ehren dichtete ich mein Storchlied.19

Die Abende wurden im Kreise der Familie verbracht: wir plauderten, musicierten, politisierten. Die Zeitungen und die kleine Hausbibliothek boten uns mancherlei Stoff. Wenn wir in unseren Gesprächen auf Dinge geriethen, die wir gar nicht oder nicht recht wußten, so mußte uns Pierer aus der Noth helfen, sein großes Universallexikon ließ uns selten im Stich.

Unser Gut gränzte an Buchholz, das Gut des Dr. Schnelle. Ich war gleich die ersten Tage dahin eingeladen. Ich wurde sehr herzlich empfangen. Es schmerzte mich nur, daß Müller mich nicht[359] begleiten konnte, er lebte mit Schnelle sehr gespannt, beide hatten seit längerer Zeit schon gar keinen Verkehr mit einander. Meine Bemühungen, das frühere Verhältniß wieder herzustellen, blieben vorläufig erfolglos.

Schnelle stand damals an der Spitze der bürgerlichen Rittergutsbesitzer, deren nächstes Ziel dahin ging, gleiche Rechte mit den adelichen zu erlangen. Daraus entwickelte sich dann später eine Opposition gegen die adelichen Ritter und die Regierung. Schnelle konnte mit Recht diese Stellung einnehmen, niemand war so vertraut mit der meklenburgischen Verfassung und den dortigen Zuständen und den Wünschen und Bedürfnissen des Volks. Dabei war er ganz erfüllt von der Idee des Rechts und durchdrungen von der Nothwendigkeit der Beseitigung aller Hindernisse gegen das Erstreben besserer Zustände, rücksichtslos in seiner Unabhängigkeit, und unabhängig in seinem Wollen und Können, ein fester, ehrenwerther Charakter, ein wahrer Ritter ohne Furcht und Tadel. Durch Alles das und das Wohlwollen, das er jederzeit gegen mich bewies, stand ich ihm sehr nahe, und ich verkehrte viel und gern mit ihm. Dazu kam nun noch, daß seine treffliche, liebenswürdige Frau mich als ein Mitglied der Familie betrachtete und ich in ihrer Gesellschaft und unter den vielen fröhlichen Kindern meine Heimatlosigkeit vergaß und auch fröhlich wurde.

Ich muß nun noch erzählen von den mancherlei Aufmerksamkeiten und Ehren, die mir hie und da im Lande erwiesen wurden. Es erfolgten viele mündliche und schriftliche Einladungen. Mochte auch viel Neugier mit Veranlassung dazu sein, so war doch größer noch die Theilnahme an meinem Leben und Schicksal.

27. März Fahrt nach Wismar. Die Wismarsche Zeitung vom 21. enthielt unter ihren Vermischten Anzeigen folgende:


›Zu Ehren des Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben versammelt sich am Mittwoch den 27. d.M. Mittags 2 Uhr, bei dessen Anwesenheit, eine frohe Gesellschaft in meinem Hause. Mit deren Genehmigung lade ich zur Theilnahme ein, jeden, der sich dazu geneigt und berufen fühlt.

Böckel, Gastgeber zur Stadt Hamburg.‹


Also eine frohe Gesellschaft, und es ist wirklich eine sehr frohe. Nachdem Rector Crain ein Hoch auf den Großherzog ausgebracht[360] hat, folgt eines in Versen auf mich. Ich danke mit: ›Ich bin Professor gewesen –.‹ Es ist von Wirkung, so daß Crain bemerkt, er habe nicht geglaubt, daß das lebendige Wort eine so gewaltige Wirkung machen könne. In allgemeiner Heiterkeit endet spät Abends das Mittagsmal, es bleiben nur noch zurück ganze Batterien leerer Flaschen auf der langen Tafel.

29. März schon wieder eine ›Kunstreise.‹ so nannten wir scherzhaft von jetzt an meine Ausflüge zu denen, die mir eine Ehre erweisen wollten.

2. April in Holdorf Feier meines Geburtstages. Müller's Freunde und Verwandte haben sich eingefunden. An einem Bogen von Wachholder prangt mein Name, davor ein Altar mit einer Flamme und im Transparente: DEM FREIEN MANNE. Die Thür öffnet sich und ein Gesang ertönt: ›Der guten Sache!‹; dann folgt ein Hoch. – Diese einfache, aber herzliche Feier freute mich sehr.

7. April, Ostersonntag, großes Gastmal in Gerdshagen bei Kröpelin, wozu auch Pastor Vortisch von Satow geladen ist. Er hatte schon lange den Wunsch gehegt, mich persönlich kennen zu lernen. Dieser Wunsch geht nun bei einer so feierlichen Gelegenheit in Erfüllung. Der Herr Pastor sitzt bei Tische neben mir und weiß gar nicht in seiner Herzensfreude was er mir alles Liebes und Schönes sagen soll. Er hat die unpolitischen Lieder nicht allein gelesen, sondern auch erläutert, und weiß die meisten auswendig. Nach aufgehobener Tafel kommt er mit seiner Gemalin auf mich zu und überreicht mir freudestrahlend seine goldene Repetieruhr: ›Nehmen Sie das zum Andenken!‹ – ›Lieber Herr Pastor, ein Andenken nehme ich schon an, nur nicht ein so kostbares!‹ – ›Wir bitten inständigst. Es ist kein Gedanke von heute. Wir haben schon lange daran gedacht, meine Frau und ich, Ihnen ein Zeichen unserer Liebe und Verehrung zu geben.‹

19. April Fahrt nach Hohenfelde zu Otto Wien, Schnelle's Freund. Große Gesellschaft: drei Geistliche, darunter Pastor Fuchs, Wien's Verwandter, dann die Nachbaren, Mitglieder der Familie Pogge und Christian Klockman. Ein heiteres Festmal, das mir mehr als Ehre, das mir die Liebe trefflicher Menschen einbrachte und eine freundliche Erinnerung blieb.[361]

20. April mit Otto Wien nach Scharpzow zu Karl Müller, Rudolfs Bruder. Ich lernte ihn jetzt erst näher kennen. Ein offener, biederer Charakter, ein Freund heiteren geselligen Verkehrs, übte er nach edler meklenburger Art die liebenswürdigste Gastfreundschaft. Schon unterwegs hatten wir erfahren, daß Karl Nauwerck zum Besuche dort sei. Wir feierten ein fröhliches Wiedersehen in Kreise gleichgesinnter Männer. Nauwerck hatte seine ›Berliner Blätter‹ mitgebracht, worin er allerlei Zeitfragen behandelt. Er las uns mehreres daraus vor, und vermehrte somit den Stoff zu interessanter Unterhaltung. – Den zweiten Abend fand sich Fritz Reuter ein. Er erzählte uns stundenlang von seinem siebenjährigen Gefängnißleben so lebendig, so humoristisch, daß wir uns gar nicht satt hören konnten. Ich bat ihn mehrmals dringend, Alles aufzuzeichnen und gerade so, wie er es eben erzählt hatte. Ich versprach mir den größten Erfolg davon.

23. April mit Wien zu Herrn Pogge auf Roggow. Große Gesellschaft. Bei Tische bringe ich ein Hoch auf die deutschen Frauen aus, es waren mehrere Frauen und Fräulein zugegen. Es ging sehr heiter zu. Ich sang mehrere meiner neuesten Lieder. Erst Abends spät fuhren wir heim.

Zu diesen mancherlei Beweisen der Theilnahme in Meklenburg kamen während meines dortigen Aufenthalts auch welche von auswärts, so sendete mir die ›Germania‹ in Christiania durch Vermittelung Itzstein's eine mein Streben anerkennende Zuschrift mit einem Wechsel von 204 Mark Banco. An dieser Summe hatten sich nicht allein die Mitglieder des Vereins, meist deutsche Handwerker betheiligt, sondern auch einige in Bergen, Malmö und Lund wohnende deutsche und nichtdeutsche Volksfreunde. In dem Schreiben wird erwähnt, daß meine Lieder in der Ursprache mit großem Beifall gelesen würden und daß der Staatsarchivar Wergeland, der reichbegabteste unter den norwegischen Dichtern einige ins Norwegische übersetzt habe.

In Holdorf hatte ich viele Lieder gedichtet, die ich dann bei verschiedenen Gelegenheiten hie und da sang. Da sie sehr beifällig aufgenommen wurden, so wollte ich sie gerne meinen Freunden und Bekannten als Andenken zurücklassen. Das konnte nur durch den Druck ausgeführt werden. Aber wo drucken lassen? Der größte Theil der Lieder wäre von der Censur gestrichen. Es blieb also nur[362] Ein Weg übrig: sie ohne Censur drucken zu lassen. Ein Freund war bereit, die Sache auszuführen. Eines schönen Maitages, den 24. war mein Manuscript in seinen Händen, und bald darauf erschien ein Heft in 16°, 52 Seiten mit 31 Liedern und den Melodien in Steindruck: ›Maitrank. Neue Lieder von Hoffmann von Fallersleben.‹ (Mit Melodieen. Paris. Verlag von Renardier. 1844.)20 Drucker und Verleger wurden nie, auch mir nicht einmal, bekannt. Es waren übrigens nicht lauter politische, sondern auch Kinderlieder darunter.

Endlich stand meine Abreise fest. Den 18. Juni nach Oranienburg. Einige Tage mit meinen Freunden zusammen. Dr. Rutenberg kam zu mir auf einen Tag von Berlin herüber. Den 23. fuhr ich bis vor's Oranienburger Thor. Ich bestieg dort eine Droschke und kutschierte um Berlin herum. Rutenberg erwartete mich schon. Nauwerck und Sander fanden sich bei uns ein. Letzterer erzählte, Bettina sei um eine Pension für mich beim Könige eingekommen!

25.–28. Juni in Leipzig. In einigen vornehmen Buchhändlerkreisen nimmt man entschieden Partei für die Grimm's. Ich thue nichts dagegen, als daß ich das Thatsächliche vom 24. Februar erzähle. Mit Engelmann abgeschlossen wegen der ›Spenden‹ und Pars VII. der Horae belgicae.

Den Abend vor meiner Abreise brachten mir die Studenten ein Ständchen vor dem Hôtel de Bavière unter großer Betheiligung des Publicums. Es schien dazu keine polizeiliche Erlaubniß gegeben, auch wol keine erbeten zu sein. Als der Gesang gesungen und ein Hoch ausgebracht war und ich gedankt hatte, war Alles wie verflogen. Ein Polizist erschien darauf und fragte den Portier: ›Wer ist denn das, dem sie hier eben ein Ständchen gebracht haben?‹ – und der Portier fand nichts darauf zu erwiedern nöthig als: ›Das ist ein deutscher Mann.‹

Den 30. Juni traf ich Karl Dresel in Frankfurt und fuhr mit ihm nach Geisenheim. Dort ruhte ich mich etwas aus, und besprach mich mit dem alten Dresel über meine Badereise. Den 3. Juli reiste ich nach Mannheim. Ich blieb einige Stunden in Mainz. Bei Victor von Zabern traf ich Freiligrath. Ich war nicht eben angenehm überrascht. Die Rhein- und Mosel-Zeitung hatte auf eine[363] mich sehr beleidigende Weise sich über unser Zusammentreffen in Coblenz ausgesprochen. Da von Freiligrath keine Widerlegung erschien, so nahmen meine Freunde an, daß er diesen Artikel verfaßt habe oder doch zu ihm in Beziehung stehe. Er erklärte mir nun, daß beides nicht der Fall sei, und ich würde mich bald von seiner Gesinnung überzeugen, er lasse jetzt Gedichte drucken, wol 20 Bogen, die solle ich abwarten. Daß ich unter obigen Umständen bis zu diesem Augenblicke mißtrauisch gegen Freiligrath war, ist erklärlich und verzeihlich. Den 3. Mai noch verfaßte ich in Holdorf ein ›Lied eines pensionierten Poeten.‹21

In Mannheim wollte ich mir für das zweite Heft meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung einen Verleger verschaffen. Die Bassermann'sche Buchhandlung, mit der ich schon im Verkehr stand, schien mir die geeignetste dafür zu sein. Als ich die Herren Bassermann und Mathy nicht fand – sie waren beide Abgeordnete –, so fuhr ich mit des letztern Bruder nach Carlsruhe. Hier traf ich mit Bassermann und Mathy zusammen. Nach kurzer Verhandelung war der Vertrag abgeschlossen. Welcker lud mich ein nach Heidelberg in seine neue Wohnung. Um 7 Uhr Abends fuhren wir heim.

5. Juli – 2. August in Soden.

Soden liegt in einer lieblichen Gegend am Fuße des Taunus. Es hat viele Mineralquellen, die zum Baden und Trinken benutzt werden. Ich ließ mich nur auf das Trinken ein und beobachtete pünktlich die üblichen Verhaltungsregeln.

Nach einigen Tagen befand ich mich sehr schlecht und mußte zu einer minder starken Quelle übergehen. Aber auch danach wurde mir nicht besser, und weil ich doch nun einmal eine vierwöchentliche Brunnencur mir vorgenommen hatte, so hielt ich mich nur Curhalber auf wie viele Studenten nur Studierenshalber Universitäten besuchen. Überdem trat in der Mitte des Monats so schlechtes Wetter ein, fortwährend Regen und Kälte, daß schon dadurch alles Brunnentrinken von selbst aufhören mußte. Bei allem Langweiligen, welches am Ende jeder Badeort hat, war es doch für mich hier meist angenehm und mitunter sehr kurzweilig. Einige Männer besuchten[364] ihre Frauen, andere ihre Verwandten und Freunde, noch andere kamen um diesen oder jenen Badegast kennen zu lernen. Und so machte ich denn manche Bekanntschaft.

Gutzkow war zum Besuche seiner Frau herübergekommen. Ich traf ihn auf einem Spaziergange und war eben nicht angenehm überrascht: er hatte für mich etwas Kaltes, Unheimliches in seinem Gesichte. Wir gingen lange neben einander, bis er sich zu einem Gespräche mit mir herabließ. Als einmal die Unterhaltung angebahnt war, da konnte ich es denn doch nicht unterlassen, ihn wegen seiner Schandartikel gegen mich zur Rede zu stellen. ›Sagen Sie, wie kamen Sie eigentlich dazu gegen mich zu schreiben?‹ – Zögernd kam er dann mit der Entschuldigung heraus: ›Campe wünschte es, ich möchte gegen Sie schreiben.‹ – Also darum! jede andere Erklärung wäre mir lieber gewesen als dies Geständniß eigener Erbärmlichkeit. – Nachher saßen wir noch zusammen; Gutzkow war gesprächiger, als er merkte, daß ich nicht wieder aus seine Telegraphendienste für Campe zurückkommen mochte. Seine Frau war zugegen und wie immer so jetzt vor ihrer bevorstehenden Abreise recht freundlich. ›Sie sind so oft in Frankfurt gewesen und uns immer vorbeigegangen, jetzt dürfen wir doch wol hoffen, daß Sie uns besuchen!‹

Mendelssohn war zum Besuche seiner Frau eingetroffen. Ich besuchte ihn und war sehr erfreut: diese seine, vielseitige Bildung, dies milde, liebenswürdige, dies bescheidene Wesen des hochgefeierten Künstlers – eine seltene Erscheinung in der Tonkünstlerwelt! Wir sprachen über Breslau und das dortige Gelehrten- und Künstlertreiben, über deutsche Litteratur, Volkslieder, Choräle u. dgl. Er dankte mir herzlich für die großen Freuden, die ich ihm durch meine Lieder bereitet hätte. Er erzählte, daß ›der Blümlein Tauz‹22 mit englischer Übersetzung in London von ihm herausgegeben sei mit noch 5 anderen Liedern von mir.

Eines Tages spazierten wir gegen Abend die Anhöhe hinauf ›zu den drei Linden.‹ Als mir dort angelangt waren, setzte sich Mendelssohn in eine Vertiefung, holte seine Mappe hervor und zeichnete eine jener zwei Linden, die dritte ist nämlich nicht mehr vorhanden. Unterdessen pflückte ich Blumen und wand ein Sträußchen, das ich auf die Bank legte. Ich ging dann wieder nach Blumen zu einem[365] zweiten Sträußchen. Wie ich damit fertig und mein erstes wiederholen wollte, konnte ich es nicht finden. Ein Frankfurter Madamchen auf der Bank reichte es mir: ›Iß des das Ihnen Ihrige?‹ Mein Sträußchen war zu schön für diese Frankfurter Schönheit, ich nahm es als mein Eigenthum zurück. Es ist meine alte Liebhaberei, Blumensträuße zu winden und besonders ganz kleine. Ich wetteiferte darin mit Frau Mendelssohn, die aber dabei auf eine andere Art verfuhr sowol in der Form der Sträußchen als in der Wahl und Zusammenstellung der Farben.

In der ersten Hälfte Julis war auch Ferdinand Hiller einige Male in Soden. Ich war zweimal sein Tischgast. Hiller war meist ernst und still, mehr mit sich als anderen beschäftigt. Während Mendelssohn ein Centrum war, das seine Strahlen ausströmte, schien mir Hiller eins, das alle in sich auffing; was sich ihm näherte, schien nur um seinetwillen da zu sein. Er kam mir vor wie sein großes Album mit den vielen gefeierten Namen, das er mehr zu seiner, als ihrer Verherrlichung zu zeigen schien.

Freiligrath wohnte mit seiner Frau in Kronthal, einer kleinen stillen Badeanstalt in einem waldigen Thale, die erst vor 10 Jahren ins Leben trat. Wir besuchten uns wechselseitig, doch war ich öfter in Kronthal als er in Soden. Die letzten Tage vor meiner Abreise war unser Verkehr besonders lebhaft. Wir sahen uns täglich. Den 29. Juli las ich ihm die ›Hoffmannschen Tropfen‹ vor, die erst im September gedruckt wurden. Obschon es seinerseits keiner Erklärung mehr bedurfte, daß er ganz zu unserer Partei gehörte, so hielt ich es doch nicht für überflüssig, ihn als einen Gleichgesinnten zu begrüßen, zumal ich voreiliger Weise mein Mißtrauen früher in einem Liede ausgesprochen hatte. Den 2. August kam er mit seiner Frau nach Soden herüber und ich sang ihm zum Abschiede das Lied: ›Willkommen im Freien!‹23

Wir nahmen von einander Abschied ohne die tröstende Hoffnung, uns bald wiederzusehen. Der Druck seiner neuesten Gedichte ward noch in diesem Monate vollendet, aber erst im folgenden (September) dem Buchhandel übergeben. Sie erschienen unter dem Titel: ›Ein Glaubensbekenntniß, Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath. Mainz. Verlag von Victor von Zabern. 1844.‹ (8°. XVI. 324 SS.).[366]


Nach seiner rückhaltlosen Erklärung im Vorworte des ›Glaubensbekenntnisses‹ durfte sich die Presse gar nicht erst den Kopf zerbrechen, warum und wie Freiligrath in den Freisinn hineingerathen war. Das Ereigniß war aber zu bedeutend und mußte besprochen werden, und da dies nur in regierungsfreundlichem Sinne geschehen konnte, so waren die Stimmen natürlich mehr wider ihn als für ihn. Ja, man trauete Freiligrath so wenig Selbstständigkeit zu, daß man ihn als einen zu seiner neuen politischen Richtung von mir Verführten hinstellte, und diese Albernheiten gingen dann später in die Geschichten der neuesten deutschen Litteratur über.

Das Unangenehmste dabei für Freiligrath und mich war unstreitig, daß seine Verwandten und viele seiner Freunde ihn als den Verführten und mich als den Verführer ansahen. In ihrer philisterhaften Lebensanschauung hielten sie es für ein Unglück, daß Freiligrath eine Pension von 300 Rb. aufgab, wodurch er zu nichts verpflichtet gewesen war; so etwas konnte nach ihrer Ansicht nicht aus eigenem Antriebe kommen, das mußte durch fremden Einfluß bewirkt sein. Freiligrath ahndete das, und sendete einem Freunde schon den 18. August von Mainz aus sein ›Glaubensbekenntniß‹ mit einigen Zeilen.24 Es ist mir lieb, daß ich dieselben in der Urschrift besitze – der Mann, an den sie gerichtet sind, hat sie mir verehrt.[367]


Den 3. August verließ ich Soden. Ich folgte einer Einladung Karl Dresels nach Geisenheim. Sehr angenehm lebte ich vier Wochen in dem mir so lieb gewordenen Rheingau. Ich benutzte jede Zeit zum Arbeiten oder Spazierengehen, wenn ich nicht gesellig in Anspruch genommen wurde. Freilich gab es der Zerstreuungen sehr viele: Fremde, Freunde, Verwandte kamen und gingen, hierhin, dorthin ward ein Ausflug unternommen, dieser und jener benachbarte Freund besucht, auch fehlte es nicht an größeren Abend- oder Mittagsessen bei uns oder anderen, bei Itzstein in Hallgarten, Schultz und August Reuter in Rüdesheim. Eines Tages fuhren wir im Omnibus nach Kreuznach und blieben dort zwei Tage. Wir besuchten Abraham Voß. Er zeigte mir das Hainbundsbuch und wünschte, daß ich es herausgeben möchte; auch sah ich viele Briefe berühmter Männer aus dem Nachlasse seines Vaters J.H. Voß.

1. September großes Zweckessen im weißen Roß zu Bingen. Es finden sich ein Rheingauer, Rheinhessen, Rheinbaiern und Rheinpreußen. Ich treffe viele Bekannte: Itzstein, von Soiron, den alten Hofmann von Langenwinkel u.a. Vor mir sitzt der Grafschaftsbesitzer Tenge von Barkhausen, Karl Dresel's Schwiegervater. Mein Itzstein-Lied25 wird vertheilt und mit Begeisterung gesungen. In allgemeiner Heiterkeit endet das Fest, jeder kehrt befriedigt heim.

Dem Grafschaftsbesitzer hatte mein frisches, munteres Wesen gefallen, er glaubte in mir einen angenehmen Begleiter und Gesellschafter zu finden für seine Vergnügungsreise, die er dieser Tage antreten wollte. Selbst wagte er jedoch nicht, mir einen Antrag zu machen; er beauftragte demnach seinen Schwiegersohn, mich zu fragen, ob ich wol geneigt wäre ihn zu begleiten. Karl kam lächelnd an mich heran: ›Du, mein Schwiegervater möchte gern mit Dir eine Reise nach Italien machen.‹ – ›So? fragte ich ganz bedenklich – das ist weit hin, und ich bin auch nicht im Mindesten dazu vorbereitet.‹ – ›O, meinte er, das wird sich schon machen – komm nur, sprich selbst mit ihm!‹ Herr Tenge wiederholte, was Karl mir gesagt hatte. Ich machte allerlei Einwendungen. Ich wußte recht gut, wie mißlich es ist, mit jemandem den man nicht weiter kennt eine so weite Reise zu machen, daß eines reichen Mannes Neigungen und Bedürfnisse von den meinen gar zu verschieden sein könnten,[368] daß vielleicht seine etwaigen Launen mir jeden Genuß verleiden möchten u. dgl. Doch dachte ich dann wieder: du bist ein freier Mann, darfst niemanden um Urlaub bitten, versäumst nichts und lernst mit guter Gelegenheit ein fremdes Land kennen, eine gemeinschaftliche Reise ist immer ein Wagniß, also wag' es nur! Und ich wagte es: ich ging auf das freundliche Anerbieten ein.

Da die Reise in den nächsten Tagen vor sich gehen sollte, so nahm ich den folgenden Tag, den 2. September Abschied von Geisenheim und ging nach Frankfurt. Dort kaufe ich mir einen Reiseanzug und schicke meinen Paß an den österreichischen und den preußischen Gesandten zum Visieren ins Ausland. Der letztere weigert sich, er nimmt Ausland für deutsche Bundesstaaten, ich muß selbst hingehen und erklären, daß ich nicht in das inländische, sondern ausländische Ausland reisen will. Dann nach Wiesbaden. Tenge ist auch noch den nächsten Tag von Familiengeschäften in Anspruch genommen. Als ich am Cursaale allein an einem Tische sitze, setzt sich Herr von Bauer, Tenge's Schwager zu mir. ›Sie wollen also mit Tenge eine Reise machen?‹ – ›Ja wol.‹ – ›Da bedauere ich Sie –‹ – ›Wie so?‹ – ›O das ist ein unruhiger Mensch, Pitschaft der unaufhaltsame! Sie werden es erleben!‹

Am 5. September treten wir die Reise an. Mit Adolf Follen, den ich unterwegs treffe, mache ich einen Abstecher nach Lahr, wo die Bürger mir zu Ehren ein Festessen geben. Dann mit Tenge nach Freiburg.

8. September. Nachdem wir den Freiburger Münster mit seinem stattlichen Thurme, dem reichverzierten Hauptportale und den schönen Glasmalereien bewundert haben, setzen wir unsere Reise im Einspänner fort. Durch's Höllenthal zu Fuß. Großartige Natur, besonders der oft abgebildete Hirschsprung. Im Gasthause zum Rößli speisen wir zu Mittag. Wir kommen am Titisee vorbei, dann durch Lenzkirch und erreichen des Abends Bonndorf.

9. September. Im Einspänner weiter nach Schaffhausen. Um 12 im Hôtel Weber. Prachtvolle Aussicht auf den Rheinfall. Gegen 3 Uhr fahren wir nach Schaffhausen, treffen aber für die Post zu spät ein, sie ist ganz besetzt und wir müssen mit einem Verdeckplatz vorlieb nehmen. Der Sitz bequem und die Aussicht recht frei. Leider kommen uns drei Gewitter entgegen und wir werden sehr naß. Auf der letzten Station hört es auf zu regnen, und da will ein Engländer[369] mit mir den Platz tauschen. Welche Großmuth! Wir freuen uns nun an der herrlichen Aussicht auf die Glarner Alpen, die von der Abendsonne beleuchtet vor uns liegen. Naß, aber mit Humor erreichen wir Zürich.

10. September bis Chur. Während ich die hohen Berge bewundere und mich über das ganze Thal freue, erstaunt und ärgert sich Tenge über die vielen versumpften Wiesen.

11. September. Des Morgens mit der Post weiter an Felsberg vorbei nach Reichenau am Zusammenfluß des Vorder- und Hinterrheins, und dann nach dem Marktflecken Thusis. Wenige Minuten jenseits beginnt die merkwürdige Felsschluchtstraße, die unter dem Namen Via mala weltbekannt ist. Der Weg bietet dann noch viel Sehenswerthes dar bis Splügen, das bereits 4034' ü.d.M. liegt. Wir speisen hier zu Mittag. Zum ersten Male Wein als Gemeingut bei Tische. Die Straße nimmt von hier aus eine immer höhere Steigung und erreicht auf dem Gipfel des Splügenpasses eine Höhe von 6500' ü.d.M. Uns begegnet kein lebendes Wesen, nur einige Postpferde ohne Führer. An der österreichischen Gränze werden wir von den Mauthbeamten untersucht und nach Einsicht unserer Pässe nicht weiter behelligt. Die neue Straße, die erst 1818–23 von der Bündtner und der österreichischen Regierung gebaut wurde, ist wirklich eine Kunststraße, lauter Schlangenwege über einander so wie mehrere überwölbte Gänge, die sogenannten Gallerien. Die Schutzgeländer am Wege sind jedoch nur von Holz, zwei Stangen durch einen Pfahl verbunden, und sehr niedrig. Da kann einem schon angst und bange werden, wenn man daran vorbeitrabt und neben sich in einen Abgrund von oft 2000' hinabsieht. Die Postillone fahren immer im starken Trabe hinab, selbst da wo sie wenden müssen. Die Pferde gehen freilich mit merkwürdiger Sicherheit. – Wir sehen dann noch den herrlichen Wasserfall des Madesimo, der nicht weit von der Straße 700' herabstürzt. Um 9 Uhr Abends treffen wir in Chiavenna ein. Es regnet und nebelt immerfort.

12. September. Mit der Post an den Comer-See. Wir sitzen im Cabriolet und hätten die schönste Aussicht vor uns haben müssen, der Regen aber dauert fort. Stark strömende Bergwasser ergießen sich hie und da über die Straße. Wir fahren am Lago Mezzola vorüber, dann durch zwei Felsengallerien. Hier die ersten echten[370] Italiener, braune Gesichter, barfuß und barbeinig, mit Sandalen, spitzen Hüten, Regenmänteln und Schirmen. Nach unserer Ankunft in Colico eilen wir sofort in vollem Regen auf's Dampfschiff. Wir fahren quer über den See nach Gravedona. Nach Tische klärt sich das Wetter auf und wir machen einen Spaziergang auf eine Anhöhe. Hinter einer Mauer sind mehrere Männer versammelt, die eifrig einem Stegreifdichter zuhören, der mit einem einsaitigen Instrumente seine Verse begleitet. Wir treten unter sie; einer der französisch kann und sich als einen Napoleonischen Krieger in Rußland darstellt, sucht uns auszukundschaften, und als er glaubt, genug über uns erfahren zu haben, theilt er es seinen neugierigen Kameraden mit. Es dauert auch nicht lange und der Improvisatore besingt uns; so viel ich verstehen kann, sagt er: das sind vornehme Signori, die kommen aus dem hohen Norden und wollen unser schönes Italien kennen lernen etc. – Wir steigen höher hinauf und werden durch eine wunderschöne Aussicht belohnt. Um uns Maulbeerbäume, Weinreben, laubenartig gezogen, darunter und daneben Mais, höher hinauf Kastanien. Wir spazieren hinab nach der Seeseite und besehen den Palazzo, den zu Ende des 16. Jahrhunderts ein Cardinal Galli bauen ließ. Armuth und Edelsinn: große Zimmer und nichts Ordentliches darin.

13. September. Wir fahren den See entlang bis Como. Die Ufer der Südseite sind sehr reizend: zwischen den Kastanien, Maulbeer- und Obstbäumen und Weinstöcken überall Villen, hie und da Cypressen, Feigen- und Olivenbäume. Als wir anlanden, eröffnet sich uns ein Bild des echten dolce far niete: eine Gesellschaft junger Männer sitzt, zum Theil das Haupt gestützt, auf der Mauer unbeweglich und blickt in großer Selbstbehaglichkeit in die Welt hinein. Tenge außer sich, daß die Kerle so faul da sitzen, er kann sich nicht genug wundern. ›Nun, sage ich, glauben Sie nicht, daß die Kerle sich noch mehr über Sie wundern würden, wenn sie erführen, daß Sie ein Grafschaftsbesitzer sind, der sich so viele Sorgen macht und sich mitunter so sehr plagt?‹

In Como speisen wir zu Mittag und fahren mit dem Corriere nach Mailand. Wir kommen bald in die lombardische Ebene. An den Straßen junge Maulbeerbäume, rechts und links Mais- und Reisfelder. Es ist einem oft, als ob man durch eine fruchtbare Gegend Norddeutschlands reist. Wir erreichen erst spät Mailand.[371]

14. September. Unser erster Gang in den Dom und auf den Dom. Das Massenartige des gewaltigen Baues von lauter blendend weißem Marmor macht großen Eindruck. Die viele Kunstarbeit aus verschiedenen Jahrhunderten ist bewundernswerth. Der Bau ward 1386 begonnen, im 16. Jahrhundert weiter fortgeführt, ruhte dann lange, bis er endlich unter Napoleon und Franz I. vollendet wurde. Schon nach dieser kurzen Geschichte läßt sich keine Einheit des Stils erwarten, und sie ist denn auch wirklich nicht vorhanden. Überhaupt scheint mir von Anfang an ein Mißverstehen der deutschen Baukunst obzuwalten; später hat man diese noch durch französische Einfügsel verhunzt: die Vorderseite mit ihren neufranzösischen Fenstern und Thüren hat für ein deutsches Auge etwas Störendes, ja Beleidigendes. Von hier zum Arco della Pace. Darauf besehen wir die Gemäldesammlung im Palazzo del Duca Litta und die Kunstausstellung in der Brera. Um 4 Uhr erst zu Hause, von allem Wandeln und Sehen völlig erschöpft.

15. September. Am Morgen zur Polizei. Viel Gedränge. Nach dreimaligem Versuche, unsere Pässe zurückzuerhalten, gehen wir fort. Wir besuchen wieder die Brera, spazieren durch die Stadt und speisen um 3 Uhr zu Mittag.

16. September. Um 1 Uhr mit der Courierpost nach Genua.

17. September. Morgens um 8 Uhr in Genua. Wir spazieren in der Stadt umher. Die Straßen meist eng und dunkel, steil und schmutzig. Im Palazzo d'Andrea Doria schöne Aussicht.

18. September. Wir setzen unsere Spaziergänge fort. Während ich nach Tische in einem Kaffeehause mit Landsleuten ruhig plaudere, findet Tenge nirgend Ruhe; er will einen Berg besteigen, geräth in die Festungswerke, wird von dem Wachtposten zurückgewiesen und tritt schweißtriefend und unbefriedigt den Rückweg an. Unsere Abreise ist beschlossen. Für das Visieren unserer Pässe müssen wir 32 Francs bezahlen. Ich singe: ›Und es lohnt sich ein Deutscher zu sein!‹26

Wir fahren gegen Abend mit dem Lombardo, einem neapolitanischen Dampfschiffe nach Livorno. Genua, das sich am Abhange des Gebirges ausdehnt, gewährt von der Seeseite einen herrlichen Anblick. Wir machen Bekanntschaft mit Anton Fahne und seiner Frau.[372]


Er ist ein Alterthumsforscher und Kunstfreund und Kenner. Sein Reisezweck stimmt zu dem unsrigen: wir finden es bald wechselseitig passend und angenehm, die Reise gemeinschaftlich fortzusetzen. Bei Tenge's Unruhe und Hast, so schnell als möglich Alles zu sehen und so schnell als möglich weiter zu kommen, ist es mir ganz lieb, daß er sich künftig in seiner Selbstherrschaft beschränken wird und die Wünsche Anderer zu den seinigen macht.

19. September. Um 8 Uhr Morgens wohl und munter in Livorno. Wir lassen uns durch den Freihafen fahren, und gehen dann nach Pisa. Wir besuchen den Dom, das Battisterio, Campo santo, einige Kirchen und öffentliche Plätze. Im Battisterio wurden wir auf eine wunderliche Weise erschreckt. Der Custode macht uns eben aufmerksam auf den schönen Wiederhall und begleitet in theatralischer Stellung mit einer zierlichen Handbewegung seine Stimme. Wir blicken nach oben und lauschen. In demselben Augenblicke klappert es sehr stark mit einer Blechbüchse hinter uns. Wir sehen uns um, Tenge schreit: ›Das ist der Teufel!‹ Ein Büßer in schwarzem Gewande mit einer Capuze über dem Kopfe, worin nur zwei Öffnungen für die Augen, bettelt uns an. Schrecken, Staunen und Gelächter bewillkommnen den ungebetenen Gast.

Um 5 Nachmittags auf dem Dampfschiffe Ercolano nach Civita-Vecchia. Das Meer stark bewegt. Beim Nachtessen fehlen schon viele Reisende. Ich gehe zu Bette, kann aber nicht schlafen. Es stürmt gewaltig, besonders als wir zwischen Elba und dem Festlande sind. Das Schiff schwankt sehr, die Kanonen rollen hin und her, die Wellen schlagen oft auf das Verdeck. Es ist Mitternacht. Ich werde seekrank und muß viel leiden. Das dauert bis der Tag anbricht. Tenge ist verschont geblieben.

20. September. Am Morgen in Civita-Vecchia. Als ich ans Land steige, fühle ich erst recht, wie elend ich bin. Nachdem wir die Plackerei mit der Paßpolizei und der Dogana überwunden haben, nehmen wir mit Fahne einen Vetturino bis Rom. Bei Sonnenuntergang erreichen wir die traurige Romagna. In Palo halten wir an und kehren ein. Es ist eine schauderhafte Kneipe. Unter den unheimlichen Gästen wird es uns ganz unheimlich. Nach dem langen Fasten verspüre ich etwas Eßlust. Ich bestelle mir Salat.[373] Der Wirth bringt mir Lattichstengel und begießt sie mit dem Öle der brenneuden Lampe. Da fehlt nicht viel und ich werde wieder seekrank.

21. September. Um 10 Uhr Morgens in Rom. Obschon unsere Koffer plombiert sind, so müssen wir doch noch zur Dogana, damit wir ja nicht auf den Gedanken gerathen, man könnte zum Vergnügen in Italien reisen. Wir besprechen was wir Alles sehen müssen, und wenn uns Zeit und Lust übrig bleibt, sehen wollen. Fahne ist mit mir der Meinung, daß wir nicht sehen wollen um zu sehen, sondern um sehend zu genießen, und uns dieses Genusses noch in der Erinnerung zu erfreuen.

Wir gehen in den Caffe greco. Wir finden dort Andreas Achenbach und spazieren mit ihm. Dann treffe ich Maler Siegert von Breslau und Professor Karl Witte. Jener ist erst aus Sicilien zurückgekehrt und bleibt den Winter hier, dieser geht schon heute nach Deutschland. Witte wie immer der überschwängliche Italiener. Er erzählt, er habe von Capris Myrthen eine Ruthe für seine Kinder gewunden.27

22. September. Wir besuchen die Peterskirche. Ein Colossal- und Prachtbau. Wer an einem Bauwerke großartige Verhältnisse und unermeßliche Räume bewundert, kommt hier aus der Bewunderung gar nicht heraus. Wir gehen auf und ab, ich spüre gar nicht, daß jemand von uns den gewaltigen Eindruck spürt, von welchem unsere Schriftgelehrten so voll sind. Wir setzen zu Wagen unsere Denkmalschau fort: wir besuchen das Colosseum, die Triumphbogen, das Pantheon (Rotunda). Um 5 Uhr zum Quirinal. Die Schweizer in ihrer alten blaurothgelben Landsknechtstracht und mit ihren Hellebarden umstellen den Hof. Eine Procession kommt langsam hereingeschritten und macht in der Mitte Halt. Der Papst erscheint auf dem Balcon, umgeben von einigen Cardinälen, und ertheilt ihr seinen Segen. Einem glücklichen Zufalle verdankten wir dies seltene Ereigniß. Der Hunger treibt uns nun in den Lepre, eine echt römische Osteria, mehr malerisch als reinlich. Man reicht uns den Speisezettel: es ist ein ganzer auf einer Seite bedruckter Foliobogen, und dennoch hatten wir unsere liebe Noth, etwas zu finden das uns schmeckte.[374]


23. September. Am Morgen zur Kirche San Giovanni in Laterano, nach der Inschrift Ecclesia Lateranensis vrbis et orbis caput, die Cathedrale des Papstes. Viel Sehenswerthes, besonders die alten Mosaiken. Daneben Überreste eines Klosterhofs mit einem Bogengange von theils gewundenen, theils schlichten Säulen mit verzierten Knäufen. Die italienischen Alterthumsforscher sprechen von diesem Werke altdeutschen Stils gar nicht, die Deutschen nur beiläufig. Von hier zu den Thermen des Caracalla. Am Nachmittag ins Capitol. Links die antiken Bildwerke und Mosaiken, rechts zwei Säle mit Gemälden. Die italienische Walhalla mit Büsten berühmter Künstler und Gelehrten, meist auf Canova's Kosten.

24. September. Fahne kommt zu uns. Wir entwerfen eine Tagesordnung, die denn auch bald in Vollzug gesetzt wird. Um 10 zum Palazzo Borghese: Gemäldesammlung. Um 12 zum Forum romanum. Wir umgehen und besehen es von allen Seiten. In glühender Hitze besteigen wir dann die Paläste der Kaiser. Gewaltige Trümmer. Oben Weinstöcke und Granaten mit reifen Früchten, Öel- und Feigenbäume. Tenge hat noch gar nicht genug gesehen, er will noch zur Cloaca maxima. Wir haben nicht die mindeste Lust dahin, der Weg ist weit und die Hitze unerträglich, doch müssen wir ihm schon den Gefallen thun, er hat ja noch einen practischen Zweck dabei, er will danach auf seinen Gütern etwas Ähnliches anlegen. Wir bequemen uns also, und nachdem wir die rechte Richtung eingeschlagen, erreichen wir endlich durch Fragen unser Ziel. Und was finden wir? Ein hohes nach der Stadtmauer hin offenes Gewölbe, unten spärliches Wasser und ein Weib, das eben daran mit Waschen beschäftigt ist. Tenge steht sehr überrascht da und muß selbst lachen, als ich ihm zurufe: ›Du hast's erreicht, Ottavio!‹ – Nach Tische zur Villa Borghese: spärliches Grün, dünne Bäume, Akazien, Platanen, Cypressen, umsonst suchen wir Schatten.

25. September. Wir haben uns einen Wagen auf mehrere Tage gemiethet, um uns das Sehen zu erleichtern. Wir fahren zum Vatican. Hoher Genuß in der Gemäldesammlung: wir verweilen am längsten vor Rafael's Werken. Nachher lassen wir uns die Zimmer des Papstes zeigen. Darauf zum Monte testacceo. Oben auf dem Scherbenberge eine weite Aussicht. Nach Tische zu den Bädern des Titus. Durch die alten Fresken ward einst Rafael[375] angeregt, Ähnliches zu malen. Wir halten uns nicht lange auf, die Ausdünstung der Erde ist nach Sonnenuntergang sehr unangenehm.

26. September. Am Morgen wieder zum Vatican: wir widmen einige Stunden der Sammlung der herrlichen Bildwerke. – Um 12 in der Umgegend einige Grabmäler besucht. Nach Tische in der Villa Albani, die mich lebhaft an Winckelmann erinnert. Wir freuen uns der Kunstwerke, aber nicht der Gartenanlagen: die regelmäßig beschnittenen Baumwände haben für mich etwas Unerquickliches; es ist ein Verkennen aller lebendigen Natur, wenn Bäume, Sträuchen und Blumen verwendet werden, um mit den Gebäuden ein architektonisches Ganzes zu bilden. Erklären läßt sich am Ende Alles, aber darum noch nicht rechtfertigen.

27. September. Abermals zum Vatican. Wir besehen die etruskischen Sammlungen. Von da zur vaticanischen Bibliothek. Der Custode zeigt die alten Heidelberger Kataloge. Er thut sehr ängstlich. Ein Bibliotheks-Diener legt uns einige alte Handschriften mit Miniaturen vor. Wir spazieren durch mehrere Säle: alte Fresken, altitalienische Malereien etc. Nach Tische fahren wir auf den Monte ianiculo, dann in die Villa Pamfili: geschmacklose Anlagen.

28. September. Tengen wird es nachgerade langweilig: er will immer sehen, Tag und Nacht sehen, seine Neugier ist unersättlich, bei unseren Wanderungen in der Stadt rennt er in jede Kirche, die sich in der Nähe zeigt. Um ihn zu beschäftigen, ziehen wir den Förster zu Rathe, und wenn uns noch etwas Sehenswerthes begegnet, so empfehlen wir es unserm sehlustigen Freunde, und er eilt von hinnen und sieht es sich an. Ich bleibe den Morgen zu Hause und dichte. Ich bin froh, daß ich den großen Schatz des Gesehenen nicht noch mehr anhäufen und einen Eindruck mit dem anderen beseitigen muß. Erst nach Tische unternehmen wir eine gemeinschaftliche Wanderung.

29. September. Es ist Sonntag. Wir fahren um 8 Uhr nach Albano. Von der alten Via Appia sahen wir neulich ein Stück, wie es erst vor kurzer Zeit zum Vorschein gebracht war, es hatte 15 Fuß unter dem Schutt gelegen. Dieser alte Weg ist sehr schmal gewesen und das Pflaster aus Polygonen zusammengefügt. Die neue Via Appia, auf der wir jetzt fahren, ist breit und schön gepflastert,[376] aber welch ein trauriger Weg! Die Gegend öde, kein Baum, keine Bank, kein Haus am Wege, nur eine einzige erbärmliche Hütte für Fuhrleute und Eselstreiber. Die Felder verwildert, hie und da Wiesen und gepflügtes Land, worauf aber hohes Unkraut, Tenge ärgerlich über die schlechte Landwirthschaft; er meint, ein einziger Morgen könnte bei guter Bearbeitung so viel geben als jetzt zehn. Am Abhange des Gebirges Reben, Ölbäume und Rohr. Albano ein freundliches Städtchen. Um 2 nach Frascati durch die sogenannte Gallerie. Das ist ein vielgerühmter Weg, an dessen beiden Seiten alte Rüstern stehen, die aber eben nicht stattlich aussehn, sie sind oft mit Steinschaften gestützt oder untermauert. Unterwegs ein Wäldchen. Ich bemerke keinen graden Baum, und unter den Weibern, die noch nach Albano ziehen, auch nicht ein einzig hübsches Gesicht. Von Frascati sieht man in eine öde Gegend, durch die wir dann nach Rom zurückkehren.

1. October. Des Morgens um 6 Uhr mit dem Vetturino aus Rom. Selten wol hat jemand in so kurzer Zeit so viel gesehen, wir können in dieser Beziehung sehr zufrieden sein. Wenn ich aber an diese Tage des freilich unruhigen, aber doch großen Genusses zurückdenke, so kann ich eine Stimmung nicht unerwähnt lassen, die ich in Rom nie zu bewältigen vermochte. In einer Stadt immer unter Trümmern alter Herrlichkeit wandeln, bei jedem Genusse, den die Gegenwart beut, sich nie des Gedankens an die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge erwehren können, hat für mich auf die Dauer etwas Drückendes, Peinliches, das bei allen herrlichen Schätzen des Alterthums wol gemildert, aber nie beseitigt wird. Die Gegenwart begnügt sich nicht mit dem was war, ihr Streben und Ringen will etwas schaffen, ihr Gebiet ist die Zukunft, darin ruht ihre Hoffnung, ihr Trost und der Lohn für all ihr Trachten und Dichten.

Um 5 Abends sind wir bereits in Civita Castellana. Erstes gutes italienisches Gasthaus. Die Gegend im Abendrothscheine reizend: so müssen italienische Landschaften gemalt werden.

2. October bis Spoleto. Die Gegend sehr gebirgig, der Weg mitunter beschwerlich. Wir gehen eine weite Strecke durch einen Wald. Es begegnen uns viele Menschen, die uns alle anbetteln. Da ich weit voran gehe, so verweise ich sie an meine Nachfolger, die aber[377] ebenfalls mit einem via, va via, via via die unheimlichen Gäste abspeisen. Da sagt denn einer mit mitleidiger Miene: ›Die armen Signori, sie haben nichts für uns als ein Via.‹

3. October. Um 5 ausgefahren. In Foligno wird angehalten. Wir frühstücken in der Post. Im Speisesaale auf dem Tische vor dem Spiegel steht ein ausgestopfter zweibeiniger Esel.28

Unterwegs herrliche Aussicht nach Assisi. Wir kommen noch so zeitig nach Perugia, daß wir einen Spaziergang machen können. Nachdem wir uns etwas erquickt, gehen wir in die Akademie der schönen Künste: eine sehenswerthe Sammlung etruskischer Alterthümer und altitalienischer Bilder.

Auch unser Wirth hat eine Kunstsammlung oder eigentlich einen Kunsthandel. Wir sehen sie an: lauter zusammengeraffter Kram. Fahne kaust ein etruskisches Rauchgefäß, von dessen Unechtheit er sich erst später überzeugt. Während er mit dem Wirthe handelt, hält dessen Frau das Gefäß in den Händen. Das langweilt Tengen und er schreit ihr zu: ›Alter Drache, setz doch das Ding endlich hin!‹ Sie erwiedert ganz freundlich mit dem Kopfe nickend: ›Si, Signore, si, si!‹ und wir lachen laut auf.

4. October. Um 4 Uhr Morgens nach Arezzo. Der Trasimener See, jetzt Lago di Perugia, in Morgenbeleuchtung, blaugrün, die Anhöhen blau mit rosigem Anfluge. Zu Mittag in Camuscia. Angenehmer Weg, auf den Kornfeldern Ulmen mit Reben. Allmählich hört dann der Weinbau auf.

5. October. Erst um 6 Uhr aufgebrochen. Mittags in Incisa. Weinlese an den Wegen. Wir kaufen Trauben. Abends um 7 in Florenz.

6. October. Der Dom großartig, aber geschmacklos. Im Battisterio besehen wir die berühmten ehernen Thüren und die Fresken. Nach Tische im Garten des Palazzo Pitti, das schönste daran die Aussicht auf Florenz.

7. October. Den Vormittag in den Sammlungen des Palazzo degli uffizi und des Palazzo Pitti.

Den 9. October setzen wir unsere Reise fort mit dem Vetturino über Pisa nach Livorno, von da mit dem Vesuvio nach Genua und[378] dann, 11. October mit dem Corriere nach Mailand. Weil wir alle sehr angegriffen sind, so bleiben wir noch den folgenden Tag.

13. October. Um 4 aufgestanden. Mit der Post nach Sesto Calende. Zwei Carabiniers begleiten uns, als ob wir Staatsgefangene wären. Wenn uns ja Räuber anfallen sollten, so sind gewiß unsere Schutzmänner die ersten, die Reißaus nehmen. – Nachmittags von 1–6 Uhr auf dem Lago maggiore. Wir landen in Magadino und fahren sofort weiter nach Bellinzona.

14. October. Mit einem Vetturino nach Airolo. Von Faido ab wird die Gegend wilder und unfruchtbar, und der Ticino braust in einem sehr engen Felsenbette. Bald sind wir in einer großartigen Alpenwelt. Wir fahren auf der neuen Straße.

Tenge, der schon seit einigen Tagen unwohl war, ist krank – kein Wunder! er reist als Courier und weiß mit seinen Kräften nicht Haus zu halten; ein solches Travellern ist mir noch nie vorgekommen. Sein Schwager von Bauer hat Recht gehabt. Wir sind besorgt um ihn und sehr verstimmt; als wir ihn aber an seinem Bette besuchen und aus seinem Munde hören, daß ihm besser ist, da sind wir wieder vergnügt, wir lassen ihn Camillen trinken und nehmen mit Champagner vorlieb.

15. October. Wir fahren zeitig aus im dichten Nebel, der lange anhält, und kommen um Mittag oben auf dem Gotthard an. Im Hospiz (6750' ü.d.M.) freuen wir uns wieder deutsch zu hören. Das Wetter war etwas besser. Wunderbares Thal der Reuß. Als wir zur Teufelsbrücke kommen, steigen wir aus und gehen hinüber. Es ist mir nicht möglich, an die Brückeneinfassung zu treten, um hinabzuschauen, ich muß hinankriechen, und selbst dann noch wird mir so eigen zu Muthe, als ich den tiefen Abgrund mit der tobenden Reuß vor mir erblicke.

Um 5 sind wir in Flüelen und eine Stunde nachher besteigen wir das Dampfschiff, das uns nach Luzern fährt. Den anderen Tag nehme ich Abschied von meinen Reisegefährten. Tenge und Fahne mit Frau gehen nach Basel, ich nach Zürich.

16. October – 10 November in Zürich.

Ich kehrte wieder in Sonneck bei Adolf Follen ein. Gleich nach meiner Ankunft überraschte er mich mit einer kleinen Liedersammlung, die während meiner Abwesenheit im Literarischen Comptoir[379] erschienen war: ›Hoffmann'sche Tropfen‹ (Zürich und Winterthur. 1844. 16°. 78 SS. mit 35 Liedern).29

Meine eben vollendete italienische Reise gab uns reichen Stoff zur Unterhaltung: ich erzählte meine Erlebnisse und Stimmungen, meine Freude an Allem was Natur und Kunst mir geboten, aber auch meinen Ärger über die überschwänglichen Lobpreisungen unserer Landsleute von Dingen, die weder schön noch merkwürdig, ja oft nicht einmal des Erwähnens werth sind. Bei solchen Gelegenheiten pflegte ich dann eins und das andere meiner italienischen Lieder mitzutheilen. Follen war sehr erfreut darüber und meinte, das gäbe einen hübschen Beitrag zu dem ›Deutschen Taschenbuche‹, das sie herauszugeben beabsichtigten. Da mir nun auch noch von Anderen zugeredet wurde, diese Gedichte zu veröffentlichen, so dichtete ich noch einige dazu. Als nun meine Sammlung sich von 18 auf 40 Gedichte vermehrt hatte, ordnete ich sie und legte sie Fröbel und Follen vor. Wir versahen sie nun mit Überschriften und lachten bei diesem Geschäfte dermaßen, daß einmal Follen von der Anstrengung Seitenstiche bekam. Der Titel Diavolini, den ich vorgeschlagen hatte, fand Beifall. Diavolini, kleine Teufelchen, sind Gewürzplätzchen, womit sich besonders beim Carneval die Masken zu werfen pflegen.30 Nach einigen Tagen waren meine Diavolini gedruckt. Sie erschienen in dem ›Deutschen Taschenbuche‹.31

Die Morgenstunden war ich zu Hause und arbeitete. Nachmittags ging ich mit einigen Bekannten spazieren, am See oder auf den Anhöhen. Das Wetter war mitunter noch sehr angenehm.

Der October war zu Ende gegangen. Da ich nun ernstlich daran dachte, die Schweiz zu verlassen, so wollte ich doch zuvor noch nach Winterthur, um mit dem Literarischen Comptoir abzurechnen. Fröbel hatte mich zu dem Zwecke schon früher eingeladen. Den 30. October fuhr ich hinüber. Es war uns beiden lieb, daß wir zusammen kamen, um das Geschäftliche zwischen uns abzumachen und Manches für die Zukunft zu besprechen. Fröbel gab mir folgende Auskunft:[380]


Im Januar 1844 verließen die Salonlieder die Presse, wurden nur auf Verlangen versandt

3000

Im September desselben Jahres wurde ein neuer Abdruck veranstaltet, ebenfalls nur auf Verlangen

2000

Hievon wurden in Blumenfeld 500 confisciert und am 25. October 645 auf Verlangen an Buchhändler expediert.

Im September 1844 erschienen die Hoffmann'schen Tropfen

3000

Im gleichen Monat wurden neue Ausgaben von den Gassenliedern

10000

und von den Deutschen Liedern veranstaltet

2000.


Die aufgestellte Rechnung vom Februar 1843 bis September 1844 ergab für mich ein Guthaben von 786 fl. 40 Kreuzer. Ich war sehr angenehm überrascht. Leider ist es dabei geblieben, denn ich habe nie einen baaren Kreuzer zu Gesicht bekommen, da die Mittel des Literarischen Comptoirs erschöpft waren. Allerdings hatte ich 320 Exemplare von den Deutschen Liedern, 1050 von den Gassenliedern und 500 von den Salonliedern nach und nach erhalten, die mir als Honorar angerechnet wurden. Da ich dieselben aber für Freunde und Bekannte bestellte und diese von Anderen nicht immer

Geld erhielten, auch mitunter von der Polizei die Exemplare weggenommen wurden, so war der Reinertrag für mich nur ein geringer. Unser Geschäft war bald abgemacht und wir gingen zu angenehmerer. Unterhaltung über. Ich verlebte einige recht frohe Tage in Fröbel's Hause. Den 4. November kehrte ich nach Zürich zurück.

Den 11. November reiste ich über Basel, St. Louis, Mühlhaufen und Straßburg nach Offenburg, wo ich den folgenden Abend um 8 ankam. Dort trafen am 15. Abgeordnete von Lahr ein, die mich dahin abholen wollten. Ehe wir die Wagen bestiegen, sollte mir noch zu Gemüth geführt werden, daß ich mich wieder in Deutschland befände. Der Herr Oberamtmann hatte drei Gendarmen in den Gasthof geschickt, zwei blieben draußen vor der Thür, der eine trat in den Speisesaal um zu untersuchen, ob mein Paß in Ordnung wäre. Der Gendarm überzeugte sich von der Richtigkeit, und wir fuhren mit einem lauten Hurrah zum Hause hinaus. In Lahr werde ich herzlich bewillkommnet. Man erzählt mir, in wie gutem Andenken ich stehe, wie von Jung und Alt meine Lieder gesungen würden etc. Nachdem wir im Rappen eine Zeitlang verweilt, gehen wir in die[381] Sonne zum Abendessen. Große Gesellschaft. Die Kinder begrüßen mich mit dem Gesange meines ›Hohenliedes vom Censor.‹32 Der Bürgermeister Baum bringt ein Hoch auf mich aus. Ich danke mit dem Liede: ›Der Bürgermeister von Seckenheim,‹33 das ich erst gestern Morgen verfaßt habe. Es ist von großer Wirkung, besonders mit dadurch, daß es auf einer Thatsache beruht. Viele kommen zu mir, reichen mir die Hand und erklären, ich sollte Bürger werden, nicht Ehrenbürger, sondern activer; wenn ich des Bürgerrechts bedürftig wäre, so sollte es meinerseits nur ein Wort kosten.

19. November in Mannheim. Eben ist die zweite Sammlung meiner Kinderlieder angekommen: ›Funfzig neue Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und bekannten Weisen mit Clavierbegleitung von Ernst Richter. Mit Beiträgen von Marx, Felix Mendelssohn-Barthold, Otto Nicolai, C.G. Reißiger, Robert Schumann und Louis Spohr.‹ (Mannheim. 1845. Verlag von Friedrich Bassermann).

20. November in Heidelberg. Abendessen im Hôtel de Bavière: Welcker u.a. Ich singe mehrere Lieder. Es geht sehr munter her. Später findet sich noch der ›Liederkranz‹ ein und begrüßt mich. Welcker knüpft an meine Anwesenheit den Vorschlag zur Bildung eines allgemeinen Unterstützungsvereins für Politisch-Verfolgte. Die Mannheimer Abendzeitung berichtete über diesen ›einen Abend, wie wir ich sobald wieder erleben werden‹: ›Man muß Hoffmann seine Gedichte selbst singen hören, man muß selbst den Eindruck beobachten können, den die göttliche Gabe des Sängers, seine Lebendigkeit, sein Vortrag, die Kraft seiner Begeisterung, die Schärfe seines Spottes und Hohnes auf die Zuhörer macht, dies Alles muß man selbst mitgemacht haben, um ein vollständiges Bild von dem Dichter sich entwerfen zu können.‹ Der Artikel enthält trotz der Censurlücke des Lobes noch mehr, unter anderem ›wahrhaftig, ein Lied von Hoffmann wirkt mehr als hundert Zeitungsartikel.‹

Kein Wunder, daß so etwas von Seiten der Regierung nicht unbeachtet blieb. Schon den 26. November erfolgte ein Ministerial-Erlaß, ›wonach dem Professor Hoffmann auf den Grund seiner Reden (?) und Gedichte aufregenden und verdächtigenden Inhalts das Gastrecht[382] im Großherzogthum gekündigt werden soll.‹ Die Ausführung dieses Beschlusses unterblieb natürlich, weil ich damals schon nicht mehr in Baden war.

Von Heidelberg ging ich nach Mannheim und dann mit dem Dampfschiffe nach Geisenheim und blieb dort 22. November bis 6. December.

Ich wohnte wieder bei Karl Dresel. Ich verlebte einige stille Tage, da ich mich wenig an den geselligen Vergnügungen der Familie betheiligte, auch oft sehr unwohl war. Ich saß meist auf meinem Zimmer, schrieb Briefe, las, dichtete und vollendete eine neue Sammlung Lieder, der ich den Titel gab ›Geräuschlose Zündhölzer.‹34 Ich schickte sie an Follen, um sie im Verlage des Literarischen Comptoirs erscheinen zu lassen. Dieses war aber seiner Auflösung nahe, und daher unterblieb die Veröffentlichung.

7. December nach Frankfurt, den Abend bin ich bei Gutzkow. Dann eilte ich nach Leipzig. Mein erster Gang zu Engelmann. Er überreicht mir die erst vor einiger Zeit fertig gewordenen ›Spenden zur deutschen Litteraturgeschichte von Hoffmann von Fallersleben. Erstes Bändchen: Aphorismen und Sprichwörter aus dem 16. und 17. Jahrhundert, meist politischen Inhalts. Zweites Bändchen: Adam Puschmann, Bartholomäus Ringwaldt, Martin Opitz, Benjamin Schmolck, Johann Christian Günther, Daniel Stoppe, Einige Vor-Opitzianer‹. (Leipzig. W. Engelmann. 1844. 8° I. 154 SS. II. 240 SS.).

Im Hôtel de Bavière treffe ich Herrn Moorcommissär Wehner. Er erzählt mir, er habe mit Pertz wegen meiner Bibliothek verhandelt und überreicht einen Brief. Pertz schreibt mir, nachdem er meine Preise ermäßigt hat, ›und halte ich mich daher nicht berechtigt, mehr als 1400 bis 1500 Rb. für das Ganze in Anschlag zu bringen.‹ Das veranlaßt mich nach Berlin zu gehen, das mir freilich von Polizeiwegen verboten ist. Den 20. December kehre ich bei Dr. Rutenberg ein. Es ist 2 Uhr. Wir fahren in die Stadt. Pertz nicht zu Hause. Ich wiederhole um 4 Uhr meinen Besuch und treffe ihn. Er ist sehr freundlich, aber sehr verlegen. Wir gehen aus seinem[383] Zimmer in die Bibliothek und besprechen uns über den Kauf meiner Handschriften. Wir einigen uns über 1600 Rb. Ich eile zu Rutenberg, der in der Nähe auf mich wartet. Ich gehe mit ihm zur Post und fahre bald darauf ab. Um 9 in Oranienburg.

Den folgenden Tag nach Meklenburg. Eine Nacht in Scharpzow. Von da in einer schönen Kutsche mit vier Pferden zum alten Müller in Gerdshagen bei Güstrow, der hier Pächter ist, während er sein Rittergut Holdorf an seinen Neffen und Schwiegersohn Rudolf Müller verpachtet hat. Den Tag vor Weihnachten kommen die Holdorfer. Freudiges Wiedersehen und frohe Feiertage. Den 29. fahren wir nach Holdorf. Den 30. besuche ich die Buchholzer. Am Silvestertage bin ich wieder in Holdorf. Hier begrüßen wir in heiterster Stimmung das Neue Jahr mit meinem Liede:


So singen wir, so trinken wir

Uns froh hinein ins Neue Jahr!35


Daß ich als Preuße sehr leicht in einen Preßprozeß verwickelt und der Majestätsbeleidigung angeklagt und verurtheilt werden könnte – diese Besorgniß quälte mich sehr und trieb mich, Alles aufzubieten, um so bald als möglich mein preußisches Heimats- und Staatsbürgerrecht mit einem andern zu vertauschen. Nach einigen vergeblichen Bemühungen versuchte ich es mit unserm nächsten Städtchen Brüel. Durch Vermittelung unsers freundlichen Nachbars, des Pastors Zarncke in Zahrenstorf verhandelte ich mit dem Bürgermeister Born. Alles ging gut. Als ich aber eine günstige Entscheidung erhalten sollte, erfolgte plötzlich aus Brüel der Bescheid, daß das Bürgerrecht mir nicht ertheilt werden könne. Wir waren sehr überrascht. Am 18. April hatte ich mit Rudolf Müller den Herrn Bürgermeister besucht und ihm meine Eingabe überreicht; er fand Alles in bester Ordnung, lud uns zum Abendessen ein und wir waren sehr vergnügt und kehrten des Erfolgs sicher im herrlichen Mondenschein heim. Herr Born hatte dem Herrn Pastor Zarncke auf dreimalige Anfragen, ob nichts dem Antrage entgegen stehe, erklärt: ›Nein! Unbedenklich!‹ Aber der Herr Bürgermeister war in Schwerin gewesen und hatte von seinem Herrn Schwager, einem Manne der Regierung, die Mahnung erhalten: ›Wenn er einen solchen Menschen zum Brüeler Bürger mache, so würde er sich das Allerhöchste Mißfallen zuziehen.‹[384]


Die Sache machte etwas Aufsehen, aber dabei blieb es. Es hätte übrigens gar nicht so vieler Umstände bedurft, um mich zum Ziele gelangen zu lassen. Ein eigentliches meklenburgisches Staatsbürgerrecht gab es nicht, aber jede Stadt und jedes Domanium oder jeder Ritter hatte das Recht, jemandem das Heimatsrecht zu ertheilen. Nachdem dies meinen Freunden klar geworden, war die Angelegenheit schnell erledigt. Dr. Samuel Schnelle, nahm mich bald darauf als Insassen seines Gutes auf und ertheilte mir als Guts- und Gerichtsherr das Einwohner- und Heimatsrecht in Buchholz. Ich schickte eine durch einen Notar beglaubigte Abschrift an die Regierung in Breslau, dieselbige entließ mich darauf hin aus dem preußischen Unterthanen-Verbande.

Weit und breit war große Freude, daß durch ein so einfaches Mittel den polizeilichen Verfolgungen vorgebeugt war. – Die Nachricht ging in viele deutsche Zeitungen über und wurde als ein erfreuliches Ereigniß begrüßt. Nur einige Standesgenossen des Dr. Schnelle konnten nicht begreifen, wie derselbe dazu gekommen, einen Menschen in sein Gut aufzunehmen, den er doch zu nichts gebrauchen könnte, ja sogar noch unterhalten müßte, wenn er in seinem Nichtsthun alt und hinfällig würde etc. Auf solche Bedenken erwiederte ein Witzkopf: ›Der etc. Hoffmann ist Kuhhirt, hat aber im Sommer einen Stellvertreter.‹ Das mochte Glaßbrenner zu Ohren gekommen sein und er versah es mit einer andern Pointe in seinem Büchlein: ›1845 im Berliner Guckkasten‹:


Guckkästner. Nanu weiter! Rrrrr, ein andres Bild: Hür, meine Herrschaften, präsentiert sich Ihnen der wendische Kuhhirte Hoffmann von Fallersleben, wie er eben uf Doctor Schnelle's Jut bläst, deß es in Meklenburg Morgen wird.

Bücke. Wenn Sie entschuldjen wollen, ich denke – –

Guckkästner. Ja, ich dhu' des, aber überall wird des nich entschuldigt.

Bücke. Ich wollte sagen: ich denke, Hoffmann von Fallersleben is en deutscher Dichter?

Guckkästner. Ja, aber um in Deutschland bleiben zu können, is er Kuhhirte jeworden.

Erster Junge. Na, aber versteht er denn des aber ooch?

[385] Guckkästner. O ja, er hat schon früher des Rindvieh recht jut behandelt. Rrrrr .....


Den Januar und Februar war ich meist immer in Holdorf. Unser stilles ländliches Winterleben blieb sich ziemlich gleich. Es kamen zwar Besuche, aber sie störten mich eben so wenig wie die Besuche, welche ich dann und wann in der Nachbarschaft machte: ich fand immer Zeit und Lust zum Arbeiten und Dichten. Der gute Erfolg meiner beiden Sammlungen Kinderlieder mit Clavierbegleitung ermunterte mich zu einer dritten Sammlung. Schon gegen Ende des Monats waren über 25 Liedertexte gedichtet, meist zu Volksweisen. Es handelte sich nur darum, diese Weisen mit einer entsprechenden Begleitung zu versehen. Da war mir denn der Organist Theodor Friese in Wismar empfohlen, ein tüchtiger Musiker, der sich dieser Arbeit gern unterziehen und Alles zu meiner Zufriedenheit ausführen würde. Ich schickte ihm mehrere Texte und Melodien; bald darauf besuchte er mich. Er spielte uns seine Compositionen meiner Kinderlieder vor, und wir waren über die meisten sehr erfreut. Er spielte uns dann auch die Begleitungen zu einigen Volksweisen mit meinen Texten. Da kam es denn allerdings vor, daß wir Manches anders wünschten. Friese, der gewiß sein Fach gut verstand und auch etwas Tüchtiges leisten konnte, hatte jedoch mit vielen Künstlern den Fehler gemein, daß sie, zu sehr von der Vortrefflichkeit ihrer Leistungen überzeugt, nur schwer auf die Ansichten Anderer eingehen. Ich pflegte in solchen Fällen nicht weiter in ihn zu dringen, dies oder jenes zu ändern, er war empfindlich und wurde bei wiederholtem Bitten nur noch eigensinniger. Viele Lieder legte ich lieber zurück. Dadurch ward nun freilich mein Werk nicht sonderlich gefördert. Wenn wir merkten, daß er verstimmt wurde, so suchten wir ihn bald wieder in gute Laune zu bringen, und da er sehr gutmüthig und gefällig war, so wurde er leicht immer wieder für meinen Zweck gewonnen. Er blieb einige Tage bei uns, und bei allen Neckereien, womit ihn Rudolf zugleich bewirthete, gefiel ihm unser Landleben sehr, es war doch etwas anderes als Orgel spielen und Stunden geben müssen.

Nach Buchholz wanderte ich oft und gern hinüber, zu Wagen, zu Roß, zu Fuß. Es war für mich eine angenehme Zerstreuung und Anregung. Wenn ich mich mit Schnelle über die Tagesbegebenheiten[386] und Zeitfragen genug unterhalten hatte, dann eilte ich zu den Kindern, scherzte, spielte und sang mit ihnen.

Im Februar war ich einige Tage bei Otto Wien in Hohenfelde. Durch die unbeschränkte, bewundernswerthe Gastfreundschaft, die ich überall wohin ich kam kennen lernte, war besonders in hiesiger Gegend der Verkehr sehr erleichtert, Freunde und Nachbaren sahen sich oft, und als bürgerliche Ritter hielten sie zu einander, da sie mit ihren adelichen Standesgenossen keinen Umgang pflegten. Der bedeutendste unter ihnen war Herr Pogge auf Roggow. Wir kannten uns schon vom vorigen Jahre her und so kam ich als alter Bekannter zu ihm und seiner Familie. Ich stand noch in gutem Andenken. Die Kinder hatten fleißig meine Lieder gesungen und Sophie bewahrte noch das Veilchen, das ich ihr im vorigen Jahre geschenkt hatte.

So oft wir beisammen waren, kamen wir bald auf die meklenburgischen Zustände zu sprechen, zumal wenn sich auch die Nachbaren eingefunden hatten. Das geschah denn auch bei unserm ersten Wiedersehen, als Christian Klockmann erschien, diese naturwüchsige, derbe Natur. Bei seinem Mutterwitz und manchen gesunden Ansichten glaubte er den Gegensatz gegen die adelichen Ritter glücklich darstellen zu können. Obschon er manchen guten Witz machte und durch sein meklenburgisches Platt, was er gewöhnlich sprach, seine Unterhaltung anziehend zu machen wußte, so konnte er doch auch mitunter recht platt und gewöhnlich werden. Es war mir unvergeßlich geblieben, wie im vorigen Jahre Klockmann so maßlos auf den Zollverein schimpfte. Das hatte mich nun neulich zu einem Liede36 veranlaßt. Jetzt traf es sich prächtig es zum Besten zu geben. Die ganze Gesellschaft lachte sehr, und ich sang nun gleich hinterdrein ›Old-Mecklenburg for ever!‹37 nach der Melodie ›Vom hoh'n Olymp herab.‹

Beide Lieder fanden so großen Beifall, daß ich nur auf einen passenden Stoff wartete, um meinem Liederpaare noch ein meklenburgisches Lied hinzuzufügen. Der Stoff fand sich. Pogge erzählte[387] mir den Rangstreit der neulichen Wegebesichtigungs-Commission und beschrieb mir die drei dabei betheiligten Personen. Schon den folgenden Tag war mein Lied fertig, und so oft ich es vortrug, war es immer von erheiternder Wirkung.38 Als ich der Frau Wien mein Scherzgedicht vorgelesen hatte, war sie ganz entzückt darüber und bat mich um eine Abschrift. ›Ja, recht gerne, aber – fügte ich scherzhaft hinzu – was ist denn mein Honorar? Wenn ich noch einen neuen Rock bekäme!‹ – Sie ging auf den Handel ein: sie erhielt eine Abschrift und ich einen neuen Rock, für eine Hundegeschichte immer ein anständigeres Honorar als die seidene Weste, welche Klopstock für seinen Messias erhielt.

Unter den Frauen, mit denen ich in Gesellschaft war, nahm am meisten meine Theilnahme in Anspruch Frau Auguste Pogge, die zweite Gattin des Zierstorfer Pogge, dessen Wesen und Wirken noch in dankbarem Andenken fortlebt. Frau Pogge war bei tiefem Gemüthe und hellem Verstande fein gebildet, freisinnig, opferwillig, und von inniger Theilnahme beseelt an dem Entwickelungskampfe des Vaterlandes und den großen Ideen der Zeit. Es schien ihr ein Bedürfniß, sich über religiöse und politische Dinge zu unterhalten und auszusprechen, und ich muß gestehen, daß ich mich jedesmal freute über dies schöne Streben sich und Anderen klar zu werden, und daß jedesmal meine Verehrung für sie zunahm, wie ich es denn auch meinen Freunden nicht verhehlte und ihr selbst auf mancherlei Weise kennen gab. – Als wir am Geburtstagsfeste ihrer Schwägerin uns viel über Religion und Freiheit unterhielten, wurden wir unterbrochen, und sie fragte nur noch: ›Was verstehen Sie denn unter Freiheit?‹ Ich blieb die Antwort nicht schuldig, den anderen Tag überreichte ich ihr das Lied ›Freiheit‹39.

Im März war ich viel unterwegs. Ich sehnte mich nach ruhigen Tagen und ich fand sie in Holdorf, wohin ich am 26. März zurückkehrte. Hatte in der Winterzeit mein Herz am liebsten in der Kinderwelt gelebt und für sie gedichtet, so sollte jetzt mein Geist für die Männerwelt etwas schaffen, das gute Früchte in schlechter Zeit trüge. Ich wollte ein Buch verfassen, das eine Zeugniß-Sammlung[388] aus der Vergangenheit für die Gegenwart enthalten sollte, eine politische Blumenlese: ›Unsere Zeitfragen, besprochen von den deutschen Schriftstellern 1750–1830.‹ Ich hatte bereits damit im vorigen Sommer begonnen.

›Ich will das politische Wissen, was uns heute noth thut, das zeitgemäße, zusammenfassen in einer chronologischen Reihe von Aussprüchen, Ansichten, Meinungen und Ueberzeugungen, Ergebnissen der Erfahrung und des Nachdenkens von Männern in den verschiedenartigsten Verhältnissen seit 1740 bis heute. Ich will den Fortschritt in der Entwickelung des Staatslebens beweisen, ich will den Weg zum Wahren, Guten und Rechten zeigen, und die Gesinnung dafür kräftigen. Das Buch muß wirken. Vetter Michel hat einen gewaltigen Respect vor Autoritäten. Es darf etwas noch so wahr und richtig sein, er betrachtet es mit Schüchternheit, wenn es nicht aus dem Munde eines hochgestellten oder anerkannt gelehrten Mannes kommt; der Respect wächst, wenn der Mann längst todt ist, ihm also kein Ehrgeiz, kein Eigennutz in der heutigen Welt zugeschrieben werden kann.‹40

Aus den Bibliotheken meiner Freunde und durch deren Vermittelung hatte ich reichen Stoff erhalten. Ich arbeitete recht fleißig, ich las und schrieb aus. So gerne ich bei dieser Arbeit weilte und zu ihr immer wieder zurückkehrte, so war doch der Gedanke an die Censur für mich sehr störend, ja niederschlagend. Wie willkürlich sie gegen Alles einschritt, welches ihr irgend staatsgefährlich schien, bewies sie täglich, ja stündlich; selbst die Sprüche der heiligen Schrift waren ihr nicht heilig – es konnte Alles gestrichen werden.

Im Mai besuchte ich die Freunde in Oranienburg, um meine Bücher, die dort eine Herberge gefunden hatten, abzuholen. Nachdem ich meine Bücherkisten gepackt und vernagelt und Alles bereit hatte was ich mitnehmen wollte, reiste ich nach Hohenfelde zurück und verweilte hier nur noch einige Tage.

Den 30. Mai wieder in Holdorf. Den folgenden Tag eilte ich nach Buchholz hinüber. Ich wunderte mich nicht wenig, daß man noch nichts wußte von der Ausweisung Itzstein's und Hecker's aus Berlin, die doch schon am 23. Morgens um 6 Uhr erfolgte. Ich war sehr[389] froh, daß ich meine Reise nicht bis Berlin ausgedehnt hatte, man hätte gewiß einen Zusammenhang aufgefunden. Schon am Abend des 23. erhielt ich Briefe von Nauwerck und Rutenberg, worin sie mir meldeten, Itzstein sei im strengsten Incognito in Berlin, oder komme dorthin. Und denselben Tag hatte der neue Bürgermeister von Oranienburg bei Herrn von Puttkammer angefragt, ob meine Ausweisung aus Berlin noch in Kraft sei.

Kaum war ich wieder in Holdorf, so lockte mich das schöne Sommerwetter abermals hinaus, den 12. Juni trat ich eine Rundreise in Meklenburg an. Ueberall die alten Freunde und Bekannten, die alten Wege und die alten Gegenden. Den 26. wieder in Holdorf.

Um die oft wiederkehrenden rheumatischen Schmerzen zu beseitigen, oder doch wenigstens zu lindern, schien mir ein Seebad am erfolgreichsten zu sein, und so entschloß ich mich endlich dazu, ich wollte es mit Cuxhaven versuchen.

Den 14. Juli reiste ich ab; in Hamburg verweilte ich nur wenige Tage und beschränkte mich in meinem Verkehr meist nur auf Dr. Wille und meinen Vetter Wiede. Der Besitzer des Alster-Pavillons, Herr Dürst, hatte mich gebeten, für ihn ein Gedicht zu verfassen, womit er Zschokke, der hier jetzt anwesend sei und ihm gegenüber wohne, begrüßen könnte. Ich that ihm den Gefallen. Als ich eines Abends vorbeispazierte, prangte über dem Eingange zum Pavillon ein Transparent, farbig und schön erleuchtet mit meinen Versen.41

Den 22. Juli fuhr ich mit dem Dampfschiffe Henriette nach Cuxhaven. Ich benachrichtigte meine Freunde in Otterndorf von meiner Ankunft und ich erhielt sofort Antwort: ›Wir kommen morgen.‹

Dr. Johannes Minckwitz besuchte mich. Ich weiß nicht, wie ich zu der Ehre kam, wahrscheinlich langweilte er sich und suchte Unterhaltung. Er hatte eigentlich nach Helgoland gewollt, der neuliche Sturm hielt ihn hier zurück. Ein eigenes Schicksal, daß ich nun, wieder mit einem zusammenkam, der eine königlich preußische Pension bezieht. Wie ich das erfuhr, bemerkte ich scherzhaft: ›Ich bitte. Sie um Gotteswillen, geben Sie dieselbe nicht auf, sonst heißt es[390] wieder, ich sei Schuld daran.‹ Der Mann macht gar nicht den widerwärtigen Eindruck, den er als Schriftsteller zu machen versteht, denn es giebt wol nicht leicht auf dem ganzen ›illustrierten neuhochdeutschen Parnaß‹ einen Menschen, der so eingebildet, so anmaßend und einseitig ist wie dieser Plat(en)ierte Dr. Johannes Minckwitz.

Aus meinem Baden wollte nicht viel werden; nichts gefiel mir, weder Bad noch Gesellschaft noch Gegend. Bei Tische war mir erst recht unbehaglich, lauter Kinder und alte Weiber, ich sprach kein Wort. Endlich besuchten mich einige Otterndorfer und brachten etwas Leben in mein eintöniges Dasein. Den fünften Tag holte mich Christian Schmoldt zu sich ab. Ich war nun im Lande Hadeln zu Otterndorf-Westerende. Schmoldt mit seinen Freunden war eifrig bemüht für Unterhaltung und Zeitvertreib zu sorgen. Er ließ mir am Strande eine Bretterbude aufrichten, damit ich bequem baden konnte. Ich badete denn auch die ersten Tage, das Wetter aber wurde bald so schlecht, daß ich alles Baden aufgeben mußte.

Den 7. August waren wir mit unseren Freunden auf dem Vogelschießen. Weil wir glaubten, daß wir beobachtet würden, so zogen wir uns in ein kleines Zimmer zurück, und waren unter uns und ganz vergnügt. Als wir auf den Deichen heimfuhren, äußerte ich mich gegen Schmoldt: ›Es freut mich recht, daß ich gar nicht von der Polizei behelligt bin und nun morgen ruhig abreisen kann.‹ Den andern Morgen weckte mich mein Freund und zeigte mir an, ein Gendarm wollte mich sprechen: ›Nun, so mag er kommen!‹ – ›Was wünschen Sie?‹ – ›Ich habe Ihnen im Auftrage der Landdrostei anzuzeigen, daß Sie sofort das Königreich zu verlassen haben.‹ – ›Wer sind Sie denn?‹ – ›Das können Sie an meiner Uniform sehen: ich bin der Landgendarm Debör, und das muß Ihnen genügen.‹ – ›Nun, erwiederte ich, ich werde gleich so frei sein.‹

Große Betrübniß im ganzen Hause, Frau und Kinder weinten, ich aber packte ruhig ein und Schmoldt fuhr mich in seinem hübschen Cabriolet zum Lande hinaus. Hochlöbliche Landesdrostei hätte sich ihre gehässige Maßregel sparen können, wenn sie nur noch einige Stunden gewartet. Herr Schöne hatte mich als Gast des Hamburgischen Quartettvereines zum Itzehoer Sängerfeste eingeladen und ich stand eben im Begriffe dieser Einladung zu folgen. In Cuxhaven wartete ich das Helgolander Dampfschiff ab. Nachdem ich mit meinem Freunde[391] noch gemüthlich gefrühstückt, ihm für seine freundliche Theilnahme innig gedankt und alle herzlich hatte grüßen lassen, nahm mich der Patriot an Bord.

Im Lande Hadeln war man empört über diese landesväterliche Willkür. Schon am 11. August sendeten mir 43 Hadeler, meist Hofbesitzer, eine Adresse und versicherten mich ›der innigsten Theilnahme und der vollkommensten Hochachtung, und daß mein Name stets mit Vertrauen und Stolz unter ihnen genannt werden würde.‹ Auch im übrigen Deutschland machte die Sache großes Aufsehn, ein Aufsehn das zu dem Erfolge, den die Regierung Ernst Augusts zu erzielen gedachte, in gar keinem Verhältnisse stand.

Auf dem Verdecke spaziert ein großer, stattlicher Herr mit einem jugendlichen, heitern Gesichte, umspielt von braunen Locken. Es soll ein Hamburger Kaufmann sein, und das scheint mir gar nicht so, ich merke doch gar nicht so etwas Philisterhaftes an ihm. Sein freundlicher Blick flößt mir Vertrauen ein, ich wage es ihn anzureden. Da erfahre ich denn, daß er zum Hamburger Quartett-Verein gehört und ebenfalls zum Sängerfeste geht. Er heißt Konrad Wolff, stammt aus Crefeld und ist Kaufmann in Hamburg.

›Also zum Sängerfeste? Ei, bemerke ich, das ist ja hübsch, da können wir ja die Reise zusammen machen, wenn es Ihnen recht ist!‹ – Und es ist ihm ganz recht. Wir kehren in Glückstadt ein und nehmen uns Extrapost. Auf einem langen offenen Körwagen gerüttelt und geschüttelt, aber doch fortwährend in angenehmer Unterhaltung, erreichen wir unser Ziel. Wir kehren in die Stadt Hamburg ein.

9. August. Bei anbrechender Dunkelheit wird die Stadt erleuchtet. Um 9 gehen wir in die Festhalle. Viele Kieler Studenten sitzen in ziemlicher Entfernung von uns und commersieren. Als sie von meiner Anwesenheit hören, eilen sie zu mir und begrüßen mich mit einem Hoch. Ich danke ihnen mit einem Liede. Darauf reden Dr. Lorentzen und Advocat A.F. Schröder von Glückstadt. Es wird mir wieder ein Hoch gebracht und Alles drängt sich nach unserm Tische zu. Da sage ich zu meinem Reisegefährten: ›Jetzt wird es mir zu bunt – es ist Zeit – wir wollen gehen.‹ Ein großer Schwarm giebt uns das Geleit zur Stadt Hamburg, bleibt dann draußen im Kreise stehen und bringt mir ein Ständchen.[392]


[An den Festlichkeiten der nächsten beiden Tage betheiligte Hoffmann sich nur so weit, daß er die Festzüge sich ansah und einige Vorträge der Sänger gemeinsam mit Wolff anhörte. Er wurde nicht wieder Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit.]


Ich war nur von Anfang bis zu Ende ein harmloser Zuschauer und Zuhörer gewesen und hatte weder die Gastfreundschaft der Itzehoer in Anspruch genommen noch irgend eine Aufmerksamkeit erwartet. Daß ich den ersten Abend begrüßt wurde, hatte ich weder veranlaßt noch gewünscht. Trotzdem wurde in dem Festberichte des Itzehoer Wochenblatts vom 14. August meiner in einer recht gehässigen Weise gedacht, woraus sich nur der Aerger erklärt, daß etwas wider das polizeilich festgestellte Programm geschehen konnte. Es war vorauszusehen, daß solche Aeußerungen Entgegnungen hervorrufen würden. Das geschah denn auch bald, und das ›königliche privilegierte Itzehoer Wochenblatt‹ wurde von allen Seiten angegriffen wegen seiner Charakterlosigkeit und Erbärmlichkeit, und hatte am Ende, statt mir zu schaden, nur sich geschadet.

Acht vergnügte Tage in Hamburg. Mit Konrad Wolff viel spaziert, Dr. Wienbarg näher kennen gelernt, und das Thaliatheater besucht. Eines Nachmittags sitze ich mit Wolff auf dem Balcon in London Tavern. Wir freuen uns der schönen Aussicht auf den Spiegel der Elbe, die durch hinauf- und hinabsegelnde Schiffe belebt ist. Da hören wir Jubelgeschrei: ein Schiff mit den bunten Flaggen aller seefahrenden Völker wird vom Stapel gelassen und segelt stattlich an uns vorüber. Dann ist es wieder still. Da kommt den Strom herab ein großer Dampfer, die Flagge sieht aus wie eine Trauerflagge, sie ist vom Dampfe so geschwärzt, daß sich kaum eine Farbe erkennen läßt. Auf dem Verdecke sind viele Menschen, sie sitzen ruhig und still – ein Auswandererschiff. Uns kommen die Thränen in die Augen. In wenigen Augenblicken ein solcher Wechsel von Freud' und Leid!

Mein Vetter F. Wiede machte mir den Vorschlag, mit ihm nach Schleswig-Holstein zu reisen. Ich ging darauf ein und lernte so auch diesen deutschen Volksstamm kennen. Die lange Trennung von Deutschland hat den Schleswigern meist nichts von uns als unsere Sprache gelassen. Das Dänenwesen steckt sehr tief in ihnen und tritt überall hervor. In Rendsburg waren wir eines Abends im Rathskeller.[393] In einem kleinen unterirdischen Zimmer sitzen etwa 30 Menschen vor ihrem Glas Grog. Feierliche Stille, die ich nur einmal durch ein Lied zu unterbrechen wage. Selbst als später einige Mitglieder der Liedertafel kommen und singen ›Schleswig-Holstein meerumschlungen‹, fährt man fort ruhig zu sitzen. Diese Kälte, diese stumme Nüchternheit im Weinkeller!

Das politische Bewußtsein scheint darin zu bestehen, daß man eine dreifarbige Flagge flattern läßt, Reden hält und Lieder singt, so lange es nämlich noch polizeilich erlaubt ist. Die Leute, die an der Spitze der Bewegung stehen, kennen sich unter einander nur wenig und wissen auch von uns nur wenig oder gar nichts.

Vierzehn Tage verweilte ich nach meiner Rückkehr noch in Hamburg, das gerade im Herbste am allerschönsten ist. Ich spazierte viel umher, und war mit Freunden und Bekannten oft zusammen. Wolff machte mich mit seinen Verwandten bekannt, Schöne ging mit mir die neue Sammlung meiner Kinderlieder durch, und mit Wienbarg und Wille unterhielt ich mich viel über Schleswig-Holstein. Ich erwartete meinen Freund Resch, der in Helgoland badete, sonst hätte ich meinen Aufenthalt nicht so lange ausgedehnt. Endlich kam Resch. Wir verwendeten noch zwei Tage auf Hamburgs Sehens- und Merkwürdigkeiten. Dann nahm ich ihn mit nach Meklenburg.

Kaum hatten wir das Land betreten, so mußte Resch über die meklenburgische Gastfreundschaft erstaunen. So etwas hatte er noch nie erlebt, wie er denn als Dresdener überhaupt von Gastfreundschaft keine Ahndung hatte. Ueberall wohin wir kamen wurden wir nicht wie Fremde, sondern wie alte liebe Freunde und Bekannte angesehen: in Boitzenburg, Schwerin, Holdorf, Gerdshagen bei Kröpelin, Doberan, Rostock. Hier begleite ich Resch zur Post. Er ist außer sich über diese 14tägige Reise, es ist ihm Alles wie ein Traum, und da er in der Geographie ein Franzose ist, so wird er bald gar nicht mehr wissen, wo er gewesen ist.

Vom 1. October an bleibe ich einige Tage bei Wien in Hohenfelde und mache von hier aus Besuche in Zierstorf, Roggow und Warnkenhagen. Ich will abreisen, Wien aber bittet mich zu bleiben bis Pastor Fuchs kommt. Dieser hat seine Stellung als Pastor von Kölzow aufgegeben und wandert nach Texas aus. Den 9. October spät Abends kommen die Auswanderer an, Fuchs mit seinem Vetter[394] und Franck. Wir unterhalten uns lebhaft über Texas. Fuchs singt mit seiner lieblichen Stimme mehrere meiner Lieder, die alle auf seine Auswanderung Bezug haben. Uns kommen die Thränen in die Augen. Den folgenden Tag unterhalten wir uns fast nur über Auswanderung und Deutschlands Gegenwart und Zukunft. Auch ich in meiner Lage müßte auswandern, aber was ich später einst dichtete:


Ich bleib' in meinem Vaterlande,

Sein Loos soll auch das meine sein,

Sein Leid und seine Schmach und Schande,

So wie sein Ruhm und Glück ist mein.

In meinem Vaterlande will ich bleiben,

Und keine Macht der Welt soll mich vertreiben!42


– dies Gefühl siegte über alle augenblicklichen Verstimmungen und leidenschaftlichen Wünsche. Und doch konnte ich dem Drange nicht widerstehen, Wünsche und Hoffnungen auszusprechen, deren Verwirklichung Anderen eine Rechtfertigung und ein Trost sein konnte. Und so dichtete ich denn meinem lieben Fuchs ein Abschiedslied: ›Der Stern von Texas‹.43

Den 11. begleite ich die Auswanderer nach Güstrow. Wir singen noch Einmal: ›Hin nach Texas!‹ Es ist ein schwerer Abschied. Ich fahre dann betrübt weiter nach meinem vorläufigen Texas, nach Holdorf. Es folgen stille Tage. Ich bin ernst und dabei sehr unruhig. Den Tag, als das Auswandererschiff nach Texas geht, bin ich sehr traurig gestimmt, ich habe viel weinen müssen. Ich ordne den Briefwechsel meines Bruders und fange an, ihn durchzulesen Wie viel Freud' und Leid in Einer Familie!

Die nächste Zeit war ich nun wieder ruhig in Holdorf und wußte mich litterarisch und poetisch zu beschäftigen. Nebenbei gewährte es uns ein besonderes Vergnügen, Zeitungsartikel zu verfassen. Wir brachten allerlei Ereignisse zur Sprache, und damit niemand glauben konnte, Alles käme aus Einer und derselben Quelle, so wurden unsere Berichte bald mit diesem, bald mit jenem beliebigen Orte versehen[395] Alle Welt wunderte sich: ›Nun schreiben sie gar aus Kriewitz, aus Gnoien etc.!‹ Freilich kam uns dabei sehr zu statten, daß wir die persönlichen und örtlichen Verhältnisse oft sehr genau kannten. Die Hamburger Neue Zeitung nahm Alles sehr gern auf und hatte ihren Leserkreis bei uns eben wegen dieser meklenburgischen Berichte sehr erweitert. Einen Artikel nahm aber die Regierung sehr übel, in der Mitte Decembers wurde die Hamburger Neue Zeitung verboten. Nur durch persönliche Verwendung des Redacteurs und Besitzers des Blattes wurde das Verbot aufgehoben, aber uns war nun das vergnügliche Zeitungswerk für immer gelegt.

Die winterliche Stille in Holdorf wirkt beruhigend und ladet auch im neuen Jahre (1846) zum Arbeiten ein, doch bin ich zum Dichten noch gar nicht gesammelt genug und in gehöriger Stimmung. So eben schreibe ich deshalb an Erk, daß ich zur Pestalozzi-Feier in Berlin (P's 100jähriger Geburtstag 12. Januar) kein Lied machen könne, und kaum habe ich es geschrieben, so entsteht auch ein Lied,44 dem es denn wol ergehen wird wie den meisten Gelegenheitsgedichten, die mehr oder weniger Zeit und Mühe kosten: es wird Einmal gesungen und dann vergessen werden.

Das dritte Heft meiner Kinderlieder mit Clavierbegleitung liegt mir sehr am Herzen. Da mir kein tüchtiger Musiker zur Seite steht, so kann ich es immer noch nicht zum Abschlusse bringen. Ich lasse mir viele Singweisen mit der Begleitung immer wieder vorspielen, es entstehen neue Bedenken, und so muß ich denn wol auf eine Vollendung hier vorläufig verzichten. Unterdessen kommt mir wie gerufen ein neues Unternehmen in den Sinn. Es erscheint mir angenehm in der Ausführung und zeitgemäß: ›Deutsches Volksliederbuch‹, etwa 200 Lieder mit eingedruckten Singweisen. Ich bin für diese neue Arbeit so eingenommen, daß ich sie sofort in Angriff nehme.

Es schien mir immer nothwendiger, jetzt meine Bibliothek in der Nähe zu haben. Sie stand in Kisten eingepackt in Birkenwerder, wohin sie mein Freund Hempel zur Aufbewahrung von Oranienburg mitgenommen hatte. Ich entschloß mich daher, dorthin zu reisen und meine Bücher flott zu machen. Sie wurden nach Brüel geschafft. So lieb mir immer meine Bibliothek gewesen war, so fing sie jetzt[396] an mir zur Last zu werden. Ich hatte sie mit großen Kosten von Breslau über Leipzig und Berlin mir nachkommen lassen. Jetzt mußte ich für sie in Brüel ein Zimmer miethen und noch nebenbei 7 Thaler 10 Schillinge Versicherungsgelder bezahlen. Ich ging ernstlich damit um, sie zu verkaufen. Die Handschriften und vielen Bruchstücke machten mir viel Arbeit, aber trotzdem war ich Mitte März mit dem Verzeichnen fertig.

Während dieser nicht eben immer erquicklichen Beschäftigung kam doch zuweilen eine poetische Stimmung, und so entstanden dann mehrere Kinderlieder, auch mein Geleitslied: ›Nun zu guter Letzt‹, welches Mendelssohn45 so schön componiert hat.

Wie ich am 18. April die angekommenen Briefe lese, erschüttert mich tief die Trauerbotschaft: Henriette todt! Ich suche meinen Schmerz zu unterdrücken. Als ich aber allein auf meinem Zimmer bin, da weihe ich dem Andenken der treuen Freundin manche Thräne, bis endlich die stille Mitternacht meine müden Augen schließt.

In Zahrenstorf treffe ich den Stud. Friedrich Zarncke. Später besucht er mich zweimal in Holdorf. Wir sprechen viel über deutsche Philologie und ich wünsche sehr, daß er von meinem Buche gleiches Namens eine neue Ausgabe veranstalten möge, da ich wol schwerlich wieder in eine Lage kommen würde, eine solche Arbeit wieder aufzunehmen. Wie ich sehe, daß er von der Wichtigkeit eines solchen Werkes überzeugt ist und Lust zeigt, sich damit ernstlich zu befassen, so hole ich aus meiner Bibliothek in Brüel die Hinrichsschen Kataloge, meine Hefte über deutsche Philologie und meine Nachträge und eile damit nach Zahrenstof. Nachdem ich ihm nochmals die Sache ans Herz lege, übergebe ich ihm meine ganze dazu gehörige Sammlung. In der frohen Hoffnung auf glücklichen Erfolg nehmen wir Abschied.

6. Mai begleitet mich Rudolf nach Schwerin und ich reise noch die Nacht weiter nach Hamburg. Dr. Wille wie immer der erste der mir begegnet. Mit ihm zur Kunstausstellung in den Arkaden der Börse. Viele Bilder, aber kein einziges, das einen neuen großartigen Gedanken bildlich darstellte. Es ist als ob unsere Künstler[397] an Herz und Geist Bankerott gemacht hätten. Vor den Bildern, deren Verkaufspreis sehr hoch angegeben ist, stehen immer Beschauer und Bewunderer – echt hamburgisch: das Geld bestimmt auch den Kunstwerth. Im Laufe des Tages treffe ich auch den Syndicus Sieveking. Ich erzähle ihm von meiner Bibliothek und bin der Meinung, es wäre doch hübsch, wenn selbige vom Staate Hamburg erworben würde, ich wollte mich mit einer Leibrente begnügen. Da lacht der Hamburger Staatsmann: ›Leibrente! Sie leben ewig!‹

Den folgenden Tag spaziere ich nach Wandsbeck. Es handelt sich um den Druck meiner texanischen Lieder. Ich hatte meinem ausgewanderten Freunde versprochen, ich wollte ihm diese Lieder gedruckt nachsenden, zugleich auch die Melodien dazu, damit er dann beides in der neuen Welt später einmal nachdrucken lassen könnte. Die Lieder waren schon Ende Aprils druckfertig. Ich hatte mich bei meinen wenigen Hilfsmitteln doch so in Texas hineingelebt, daß ich ganz heimisch darin war und dafür und daraus dichten konnte. Noch während meines Hamburger Aufenthalts ist die kleine Sammlung gedruckt, 46 Seiten in 8° mit dem Titel: ›TEXANISCHE LIEDER. Aus mündlicher und schriftlicher Mittheilung deutscher Texaner.‹ (Mit Singweisen. San Felipe de Austin bei Adolf Fuchs & Co.)46 Die Auflage war sehr klein und so ist denn bald das Büchlein eine große Seltenheit geworden, ich besitze selbst nur noch zwei Exemplare.

Mein Volksliederbuch war so weit gediehen, daß ich deshalb mit einem Verleger in Unterhandlung treten konnte. Man hatte mir Herrn C.M. Ed, den Verleger und Drucker der Eisenbahn-Zeitung empfohlen. Er war geneigt den Verlag zu übernehmen. Einige Tage später hatte er jedoch sich anders besonnen, er schickte eine Druckprobe und Berechnung der Druckkosten und meinte, daß, wenn er nur als Drucker ›figuriere‹, dies für mich viel vortheilhafter wäre etc. Kurzum, es war nichts. Das einzige Angenehme dabei, daß ich mit Schloenbach Bergedorf und Schuselka kennen lernte und mit diesem später noch öfter zusammen war.

Am 22. Mai fahre ich, um meine Hadelnschen Freunde zu sehen, nach Cuxhaven und bleibe dort einige Tage.[398]


Ende Mai kehre ich nach Meklenburg zurück. Doch schon am 13. Juni trete ich eine neue Reise an und besuche Philipp Nathusius zu Alt-Haldensleben. Ich fühle mich sofort wieder heimisch, es scheint mir mein jetziger Aufenthalt nur eine unmittelbare Fortsetzung des früheren, im Frühling 1843: dieselbe Häuslichkeit, dieselben Menschen, dieselben Beschäftigungen, Neigungen und Liebhabereien.

Und wenn die ganze Familie, besonders Philipp damals auch schon in politischen und religiösen Dingen eine Schwenkung gemacht haben mochte, so war letztere doch für mich nicht vorhanden, weil ich eben nicht daran glauben konnte und wollte. Als Philipp glaubte, ich wundere mich, daß Geibel nächstens auch hieher kommen würde, und er erklärte: ›Hier ist neutrales Gebiet‹, dachte ich nicht daran, wie ernstlich das gemeint war. Ich sprach mich nach wie vor sehr unbefangen aus über die verschiedenen Zeitfragen und Richtungen und über Schriftstellerei.

Maria hatte mich gleich nach meiner Ankunft mit zwei neuen Compositionen meiner Lieder bewillkommnet. Ich war sehr erfreut darüber, sie ähnelten in Einfachheit und Lieblichkeit unseren schönsten Volksweisen. Ich bat die Componistin dringend, doch so fortzufahren, und damit auch Andere sich daran erfreuen könnten, eine kleine Sammlung drucken zu lassen. Meine Bitte sah ich bald erfüllt. Maria wählte sechs Lieder aus, ließ sie noch von einem benachbarten Musiker durchsehen und übergab mir die Reinschrift.

Da ich noch immer nicht die dritte Sammlung meiner Kinderlieder zum Abschluß gebracht hatte, so war es mir sehr lieb, daß sich Maria dabei noch betheiligen konnte. Sie steuerte vier Compositionen bei47 und vier Begleitungen. Ihre Freude war groß, meine vielleicht noch größer, denn diese Beisteuer entsprach so ganz meinen Wünschen.

Maria hatte ›Bilder aus der Kinderwelt‹ gedichtet. Wir wünschten, daß sie in weiteren Kreisen bekannt würden. Ich besorgte deshalb eine Abschrift für den Druck und erklärte mich bereit, mich nach einem Verleger umzusehen.

Die Morgenstunden und die Nachmittage, wenn ich nicht gesellig in Anspruch genommen wurde, konnte ich ganz ungestört für mich[399] verwenden. Ich war denn auch ziemlich fleißig, ich las und sammelte für meine politische Blumenlese so wie für das Volksliederbuch und machte eine Abschrift meines Bücherverzeichnisses, das ich in der Haenelschen Hofbuchdruckerei in Magdeburg drucken ließ.

Zum Dichten fühlte ich mich selten gestimmt: es entstanden nur drei Kinderlieder. Es war aber auch kein Bedürfniß, es dichtete für mich genug der ganze Park mit seinen mancherlei herrlichen Bäumen und Sträuchen, seinen lieblichen Blumen, Schmetterlingen und Vogelgesang.

Große Freude hatte ich an den herrlichen Blumen, die unter der Pflege des Gärtners Alvensleben eine wahre Zierde des Parks waren. Nicht weit vom Eingange war ein Beet mit Levkojen von solcher Pracht wie ich noch nie gesehen hatte. Der Duft war so lieblich, daß Maria sich des Abends dorthin einen Stuhl bringen ließ und lange dort weilen konnte. Unvergeßlich ist mir auch die prachtvolle duftende Blume des Cactus grandiflorus, der Königin der Nacht, die eigentlich die Sonne der Nacht heißen sollte, denn sie ist wie mit gelben Strahlen umgeben und blüht um Mitternacht auf.

Den 25. Juli verließ ich Althaldensleben und folgte einer Einladung Wilh. Nathusius nach seinem Gute Königsborn. Wilhelm war ein echter Sportsman: der Kreis seiner Liebhabereien und Geschäfte begann mit Hunden und Pferden, dann folgten Viehzucht, Landbau, Garten- und Parkanlagen, und dann erst kamen Politik, Litteratur und Kunst. Seine Frau nahm an allen diesen Dingen Antheil, aber nicht mehr wie eine deutsche Hausfrau, die ihrem Manne diese Aufmerksamkeit schuldig zu sein glaubt. Sie fand mehr Freude an Litteratur und Kunst. Sie hatte ein zartes Gemüth, das von Anderen mehr verkannt als erkannt wurde. Sie erfreute sich eben damals des Besuchs von einer Jugendfreundin und schien dadurch noch ganz besonders heiter angeregt zu sein, obschon sie jetzt mit derselben gewiß nicht immer übereinstimmte, denn Elvira – so hieß die Freundin war sehr freisinnig und hatte mit ihren Brüdern in Königsberg und Magdeburg zu dem Kreise gehört, worin Jacoby geliebt und verehrt wurde. Elvira, sehr hübsch und jugendlich frisch, heiteren Gemüthes und voll lebendiger Theilnahme für die höchsten Angelegenheiten des Lebens, war für mich eine liebliche Erscheinung, ich war sehr bewegt und träumte wieder einmal von schöneren Tagen.[400]

Die Morgenstunden saß ich auf meinem Zimmer und arbeitete. Zunächst beschäftigten mich die Diavolini. Ich las manche italienische Reisebeschreibung. Dann sammelte ich auch für die politische Blumenlese. Mein Katalog war noch immer nicht vollendet. Endlich kam der letzte Viertelbogen zur Correctur, und nach acht Tagen schickte mir Hänel 200 Exemplare. Der Herr Hofbuchdrucker hatte es billig einrichten wollen, mir den Bogen ohne Papier zu 71/2 Rb. berechnet und ich mußte 56 Rb. 26 Rb. zahlen. BIBLIOTHECA HOFFMANNI FALLERSLEBENSIS. LEIPZIG 1846. Im Selbstverlage des Verfassers. (93 SS. mit 1101 Nummern.)

Elvira48 war bereits den 30. Juli abgereist, kam aber den andern Tag von Herrn Crelinger begleitet zurück, jedoch nur auf einige Stunden. Ich entschloß mich sie zu begleiten und blieb zwei Tage als Gast ihres Bruders in Magdeburg. Den folgenden Tag nahm ich mit ihr Theil an einer Wasserfahrt nach dem Herrenkruge in großer Gesellschaft von lauter Lichtfreunden, dabei auch Uhlich, den ich schon früher kennen gelernt hatte. Wir waren ziemlich vergnügt, nur wurden wir sehr geplagt von den unzähligen Schnaken (Gnatten), die uns fortwährend umschwärmten, als ob wir lauter Lichter wären. So nahm ich denn Abschied von Elvira. Ich unterhielt noch eine Zeit lang einen Briefwechsel mit ihr, und als sie endlich kein Brief mehr erreichen konnte, da blieb mir noch ihr Bild und lebte in der frohen Erinnerung fort.

Ich erlebte dann noch ein großes Familienessen in Königsborn. Die letzten Tage war ich krank, und als ich mich kaum wieder erholt hatte, nahm ich Abschied von dem freundlichen gastfreien Königsborn und von aller der lieben Theilnahme, die noch den Scheidenden begleitete: Frau Maria hatte noch heimlich ein halb Dutzend gestrickter Strümpfe zu den meinigen gelegt, eine sehr willkommene Gabe für jeden Wanderer, zumal für einen der keine gewirkten tragen kann.

12.–15. August in Leipzig. Engelmann übernimmt den Verkauf meines Katalogs und den Verlag meiner Kinderlieder.

13. August. Mendelssohn ist krank. Frau M. empfängt mich sehr freundlich. Ich übergebe ihr Marias Lieder für ihren Mann zu gefälliger Durchsicht. Gegen Abend wiederhole ich meinen Besuch.[401]


M. liegt im Bette. – Mit Zarncke zu Capellmeister Lortzing. Auf mein Anliegen, meine Kinderlieder durchzusehen, geht er bereitwillig ein. Morgen soll ich Näheres erfahren.

14. August. Lortzing hat die Durchsicht meiner Lieder vollendet und drei Compositionen umgeschrieben, Nr. 7. 16. 33. Ich bin sehr erfreut über diese große Gefälligkeit und danke ihm herzlich. Da er nächstens als Capellmeister des Theaters an der Wien nach Wien geht, so unterhalten wir uns viel über österreichische Zustände. Mendelssohn treffe ich kurz vor seiner Abreise. Er hat Marias Compositionen durchgesehen und schimpft auf seinen Neuhaldensleber ›Collegen‹, der noch weniger von der Sache verstände als Maria. Seine Aenderungen betreffen nur so zu sagen grammatische Schnitzer. Er freut sich sehr, daß wir uns im Winter auf länger sehen.

15. August. Bussenius nimmt die ›Bilder aus der Kinderwelt‹ von Maria Nathusius in Verlag. – Whistling's Compagnon spielt sich Marias Compositionen durch und bringt sie mir wieder; er meint, es sei zu wenig etc. Dann gehe ich damit zu Hofmeister. Der sieht sie sich an und wickelt sie wieder ein: ›Ein Verleger kann nicht gegen den Strom schwimmen. Gehen Sie zu Breitkopf's! Wenn die hören, daß die Lieder Mendelssohn gefallen haben, nehmen sie sie gleich – die bücken sich tief vor Allem was Mendelssohn ist und heißt, und sind Leute die mit vielem Gelde arbeiten.‹ – Ich gehe nun auch zu Härtel. Sehr freundlich, aber – es ist auch weiter nichts.

17.–21. August in Braunschweig. Den einen Tag mit meinen Verwandten zusammen, darunter auch Ida (meine nachherige Frau), ›die mich noch nie gesehen hat.‹

22. August nach Holzminden. Ich wohne beim Conrector Dauber, einem Göttinger Studienfreunde. Seit 26 Jahren haben wir uns nicht gesehen. Große Freude bei ihm und seinem Schwager Steinacker, der auch noch unser Göttinger Studiengenosse war. Im Fremdenbuche lese ich meinen Namen von meiner Hand mit dem Datum: 22. April 1820.

Spät Abends bringt mir die Liedertafel ein Ständchen. Die Sänger mit farbigen Stocklaternen stellen sich im Halbkreise auf und singen drei meiner Lieder. Nach dem ersten (Deutschland, Deutschland über Alles!) bringt mir Steinacker, der Vorsteher, ein Hoch aus. Ich danke mit den Worten: ›Gott gebe, daß das deutsche Lied bald[402] eine Wahrheit werde und deutsche Gesinnung zur That!‹ – Es waren acht frohe Tage, die ich hier verlebte mit Dauber und Steinacker und ihren Familien und Freunden.

Im September reiste ich durch Westfalen und kam über Wetter nach Hove. In diesem stillen, in Bäumen und Büschen versteckten Landsitze verlebte ich drei Wochen bei meinem Freunde, dem Hauptmann Voerster. Ich fand wonach ich mich lange gesehnt hatte, ein angenehmes, ruhiges Landleben. Ich las und dichtete, beschäftigte mich im Garten, spazierte im Walde, auf den Bergen, im Thale, überall begegneten mir liebe Jugenderinnerungen, ich fühlte mich recht heimisch in dem freundlichen Ruhrthale.

Den 11. October zu Fahne nach Schloß Roland bei Düsseldorf. Ich war ein lange schon erwarteter Gast und wurde sehr herzlich empfangen. Die ländliche Stille, die freundliche Umgebung, die Nähe litterarischer Hülfsmittel, die schöne Gelegenheit zu anregender und belehrender Unterhaltung, die liebreiche Gastfreundschaft – Alles war einladend, dichterisch und wissenschaftlich sich zu beschäftigen. Und das that ich denn auch mit Lust und Liebe. Zunächst nahm ich wieder die Diavolini in Angriff. Ich las vieles über Italien und sammelte mir Belegstellen aus wohlmeinenden Schriftstellern.

Sehr angenehm war mir das mehrmalige Zusammensein mit Karl Lessing. Ich hatte von seiner Leonore an ihn nie mehr aus den Augen verloren und jede seiner neuen Schöpfungen mit Freuden begrüßt, mich innig daran erquickt, und ihn früh schon als Menschen lieb gewonnen und verehrt. Ich besuchte ihn, er war sehr erfreut und gegen seine sonstige Art sehr gesprächig.

Der Verkehr mit den Düsseldorfer Künstlern hatte mich vielfach angeregt. Fahne meinte, sie würden sich gerne betheiligen, wenn ich etwas Größeres ihnen darbieten könnte. Da gerieth ich denn auf einen herrlichen Stoff für dichterische und bildliche Darstellung: das deutsche Volksleben. Zu meinen früheren Liedern, die hieher paßten, wollte ich neue dichten, und wenn ich einige Maler dafür gewonnen hätte, sollte später einmal dies Werk erscheinen unter dem Titel: ›Des deutschen Volkes Freud' und Leid in Liedern und Bildern.‹

Lessing's Berufung nach Frankfurt hatte überall viel Aufsehen gemacht, noch mehr aber seine Ablehnung. Daß Lessing fortan wieder in Düsseldorf blieb, war für seine Freunde und Verehrer und[403] ganz Düsseldorf ein freudiges Ereigniß. Den letzten October sollte deshalb ihm zu Ehren ein großes Festmal gegeben werden. Auch meinerseits wollte ich etwas dafür thun und sendete ein Lessing-Lied49 ein, das freundlich auf- und angenommen, gedruckt, vertheilt und gesungen wurde.

Obschon ich mich ganz ruhig verhalten und der Polizei nicht den mindesten Anlaß gegeben hatte, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken, so sorgte doch der ›Rheinische Beobachter‹ nachträglich dafür, auf mich aufmerksam zu machen. Am 29. October beginnt er seinen Lügenartikel also: ›Hoffmann von Fallersleben weilt fortwährend bei einem in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer, von wo aus er bei den Freunden desselben die Runde macht, und ihm zu Ehren fast täglich Feste statt finden, zu denen aus der Stadt Gesinnungsgenossen geladen werden.‹ Fahne war empört darüber und erließ in der Kölner Zeitung Nr. 311 einen langen Rechenschaftsbericht über mein Thun und Treiben. Seit Jahr und Tag waren viel ärgere Artikel gegen mich losgelassen. Ich fühlte mich nie veranlaßt, dawider aufzutreten. Gegen alle Schmäh- und Schandartikel der armseligen Lohnschreiber, litterarischen Lumpe und Wegelagerer in ihrem sicheren Versteck – niemand wagte es sich je zu nennen! – hatte ich nur den schönen Wahlspruch Georg von Frundsberg's bei der Hand: ›Viel Feind, viel Ehr!‹ Eins nur betrübte mich! Die völlige Verdorbenheit der Tagespresse. Blätter, welche für freisinnig gelten wollten, (z.B. die Trier'sche Zeitung!) und heute meines Lobes und Ruhmes überströmten, schütteten morgen das Füllhorn ihrer Gemeinheiten und Niederträchtigkeiten über mich aus.

Vom 2. November an in Geisenheim. Ich war wieder ein Gast Karl Dresel's und lebte wieder sehr angenehme Tage in geselliger und litterarischer Beziehung und fühlte mich wieder recht heimisch in dem schönen Rheingau.

Gleich nach meiner Ankunft kam die Auswanderung nach Texas zur Sprache. Gustav Dresel hatte die Absicht, im künftigen Frühjahr abermals dahin zu gehen. Er stand in Unterhandlung mit dem fürstlichen ›Verein zum Schutz vaterländischer Auswanderer in Mainz.‹ Es lag diesem daran, bessere Erfolge zu erzielen und Männer zu[404] gewinnen, die dazu beitrügen, das Unternehmen in der Gunst des Volkes zu heben.

Der Verein, der nur aus lauter Fürsten und Grafen bestand, erwarb sich kein Vertrauen im Volke, und die neuesten Nachrichten aus Neubraunfels, der Schöpfung des Vereins, waren gar nicht der Art, das Vertrauen zu heben. Die Ansiedler beklagten sich, daß sie im Lande der Freiheit und Selbstregierung als Unterthanen behandelt würden und daß man die Ansiedelung nicht sich selbst überlassen wollte, sondern sie in ihrer Entwickelung stets bevormunde und dgl.

Um eine günstigere Stimmung für den Verein herbeizuführen, ward die gute Presse in Thätigkeit gesetzt, und sonst noch manches Mittel aufgeboten. Dahin rechne ich denn auch, daß der Verein auch mich zu gewinnen suchte. Schon früher hatte er mir durch Gustav Dresel ein Blockhaus und hinreichendes Land anbieten lassen. Daß ich zur Annahme bereit sein würde, glaubte man vorauszusetzen. Stand doch schon vor Jahr und Tag in der Bremer Zeitung: ›Es rüstet sich wieder eine Anzahl Deutscher, nach Texas auszuwandern. Man will einer dortigen deutschen Niederlassung den Namen Fallersleben geben; der, dem dieser Name gilt, wird bald nachfolgen.‹ Eines Tages wurde mir die vom Vicepräsidenten des Vereins, Grafen von Castell, eigenhändig abgefaßte und unterzeichnete Schenkungsurkunde über 300 Acres vom 6. November 1846 überbracht.

Für die politische Blumenlese war ich fortwährend sehr thätig. Ich fand Stoff genug in Karls Bibliothek und in der öffentlichen zu Wiesbaden. Ich war eben mit Kant fertig geworden und wollte meine Auszüge drucken lassen. Herr Könitzer (Jägersche Buchhandlung) hatte den Verlag übernommen. Nach einiger Zeit gab er mir das Manuscript wieder zurück, der Censor habe das Imprimatur verweigert. Ich wendete mich nun an Leske, die Darmstädter Censur war vernünftiger, das Büchlein erschien: ›Immanuel Kant über die religiösen und politischen Fragen der Gegenwart.‹ (Darmstadt. 1847. 8° 48 SS.) Uebrigens hatte ich meinen Namen weggelassen, sonst würde vielleicht der Darmstädter Censor gerade daran Anstoß genommen und ebenfalls die Druckerlaubniß verweigert haben.

So sehr es für mich ein Bedürfniß war zu arbeiten, so schien mir doch auch eine Nothwendigkeit, dadurch zugleich Geld zu verdienen. Auf große wissenschaftliche Werke konnte ich mich bei meinem Wanderleben[405] nicht einlassen; auch würde der Aufwand von Zeit und Kräften und das Herbeischaffen von Hülfsmitteln in gar keinem Verhältnisse gewesen sein zu dem etwaigen Geldgewinne. Bei Arbeiten von minderem Umfange und zeitgemäßem Inhalte würde mir, sobald sie nur irgend die Politik berührten, Censur und Polizei immer hindernd in den Weg treten. Letzteres würde noch mehr der Fall sein, wenn ich mich nur mit Publicistik befaßte. Da dachte ich nun einen andern zwar mühsamen, aber sicherer zum Ziele führenden Weg einzuschlagen. Ich wollte eine Geschichte der deutschen Litteratur ausarbeiten, die sollte den Sommer 47 vollendet sein. Dann wollte ich in Frankfurt Vorlesungen halten, und im Jahre 1848 in London und Newyork. Zu letzterem Zwecke wollte ich dann noch recht tüchtig englisch lernen. Ich theilte brieflich diesen Plan Freiligrath mit (29. November), und besprach ihn auch mit meinen Freunden, aber – weiter kam ich nicht damit. Es gehörte dazu auch wieder ein ruhiges, sorgenfreies Leben und eben dazu ließen mich ›die großmüthigen Unterstützungen des deutschen Volkes‹, die nur die Kölner Zeitung kannte, nicht gelangen.

Um in meinen Aufenthalt etwas Abwechselung zu bringen, und auch um mich zu entschädigen für die Tage wo ich krank war, unternahm ich einige Ausflüge nach Hallgarten, Bingen, Kreuznach und Wiesbaden. Das Wetter hielt sich lange recht schön. Noch am 11. November fand ich bei Itzstein im Garten blühende Rosen, Nelken, Fuchsien, Reseden und reise Erdbeeren. In dem nahen Rüdesheim war ich natürlich öfter. Das Weihnachtsfest über blieb ich in Geisenheim. Die liebste Christbescherung war für mich einige Tage nach dem Feste die dritte Sammlung meiner Kinderlieder: ›Vierzig Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach Original- und Volksweisen mit Clavierbegleitung. Nebst einem alphabetischen Inhaltsverzeichnisse aller drei Sammlungen.‹ (Leipzig. 1847. Wilhelm Engelmann. Qu. 4°. 47 SS.)

Daß meine Bibliothek zu Kauf stände, war wol in öffentlichen Blättern angezeigt, auch wol näher besprochen worden. Dann war es wieder still: ich bekam keine Anfragen, keine Angebote. Da erfuhr ich denn aus Briefen von Philipp Nathusius, daß sich Frau Bettina von Arnim der Sache annähme.


[Hoffmann hatte als Kaufpreis für seine Bibliothek 2000 Rb. festgesetzt. Damit diese werthvolle Büchersammlung im[406] Preise nicht herabgedrückt würde, faßte Bettina den Plan, ein Buch herauszugeben, von dessen Erlös die Hoffmannsche Bibliothek angekauft werden sollte. Auch wollte sie möglichst ihren Einfluß (wohl durch Humboldt beim König Friedrich Wilhelm IV.) geltend machen, daß dann die Königliche Bibliothek zu Berlin die Hoffmannsche Sammlung übernähme. Durch Ph. Nathusius setzte Bettina sich Ende des Jahres 1846 bezüglich dieses Planes mit Hoffmann in Verbindung, der seine Zustimmung erklärte. Bettina hatte ihr Buch schon vollendet, so daß sie bereit war, es drucken zu lassen.]


Auch im neuen Jahre (1847) war mir der Aufenthalt in Geisenheim ein sehr angenehmer: ich konnte frei über meine Zeit verfügen und hatte Anlaß und Stoff genug, mich geistig zu beschäftigen. Meine heitere Stimmung wurde nur dann getrübt, wenn mich rheumatische Schmerzen zu sehr plagten, so daß ich unfrei wurde, weder arbeiten noch ausgehen konnte. An den üblichen Wintervergnügungen, woran sich die jüngeren Mitglieder der Familie gerne betheiligten, fand ich keine Freude. Obschon ich Ehrenmitglied des Rheingauer Carnevals-Vereins war, so fand ich mich doch nur Einmal dazu in Winkel ein.

Nachdem Gustav Dresel's Verhältniß zum Texasverein geordnet war, stand seine Abreise bevor. Er kam den 21. Februar von Wiesbaden. Wir waren noch einmal im Dreselschen Hause heiter zusammen. Den andern Tag begleiteten wir Gustav auf dem Dampfschiffe bis St. Goar. Der Abschied ward allen schwer, kein Auge blieb trocken. Gustav war mir von Karls Brüdern der liebste. Sein lebendiges, entschlossenes und entschiedenes Wesen, seine unverwüstliche gute Laune, seine redliche Gesinnung erwarben ihm allgemein Achtung und Liebe. Jung an Lebensjahren, aber alt an Erfahrungen ging er mit Vertrauen der Zukunft entgegen, er war ein rechter Hinterwäldler voll Thatkraft und Ausdauer. Zum Abschiede gab ich ihm noch ein Lied mit.50 Ob er die Kunde von des deutschen Volkes Hoffnungen noch vernommen? Er sah seine Heimat nicht wieder: er starb auf dem Wege von Galveston nach Neubraunfels in Morris Farm 14. September 1848.

Schon lange hatte ich meine Abreise beschlossen, aber auf Karls[407] und seiner Frau Elise dringendes Bitten noch aufgeschoben, bis auch Gustav abreisen würde. Ich war sehr gerührt von aller liebevollen Theilnahme und sprach mich in einigen Ghaselen51 aus, die ich in Elises Stammbuch einschrieb.

Am 23. Februar reise ich von Geisenheim ab und bleibe einige Tage in Mannheim im engsten Verkehre mit den badischen Volksfreunden.

2. März. Mit Itzstein nach Heidelberg. Ich lerne Johanna52 kennen.

4. März. Meine ersten Ghaselen an Johanna.

10. März nach Stuttgart. Gustav Schwab, jetzt Ober-Consistorialrath, wohnt unglaublich hoch. Er kennt mich kaum wieder, ist sehr freundlich und kann sich nicht genug wundern über Freiligrath's Ça ira, ›das sind Gedichte, die wird selber ein H.v.F. nicht billigen.‹ – Wolfgang Menzel wundert sich: ›Kerl, Du bist ja noch ganz jung, Du hast ja noch nicht einmal graue Haare!‹ – ›Nun, ich soll auch wol noch den Leuten den Gefallen thun, alt zu werden?‹

12. März in Tübingen. Heiterer Himmel, scharfer Wind, 14° unter 0, ein unglaubliches Wetter kurz vor Frühlingsanfang! Ich besuche den Oberbibliothecar Professor Keller. Er findet den Preis meiner Bibliothek zu hoch. Ich setze ihm aus einander, 2000 Rb. sei nur ein Ausgebot, darüber könne man wol gehen, aber nicht darunter. Ich merke schon an seiner Miene, daß aus unserm Handel nichts wird. Die Thaler fallen ihm zu schwer auf's Herz, wenn es noch Gulden wären!

Sehr erfreulich ist mir die persönliche Bekanntschaft mit F. Silcher. Er war mir immer einer der liebsten Componisten meiner wieder gewesen. Durch seine einfache schöne Melodie zu ›Morgen müssen wir verreisen‹53 ist mein Lied erst recht zum Volksliede geworden. Wir sprechen viel über Volksweisen. Bei einem späteren Besuche frage ich ihn, ob sich Ghaselen wol componieren lassen? Er will's versuchen, und ich besorge ihm die Abschrift einiger meiner Ghaselen.

Noch am Vormittage besuche ich auch Uhland. Wir sprechen von unseren Reisen und seinen Studien. Er hat die deutschen Volkslieder[408] bei Seite gelegt und beschäftigt sich mit Sagenforschungen. Nach Tische besuchen mich Keller und Uhland. Letzterer ist schon vorher einmal dagewesen und hat mir die beiden Bände seiner deutschen Volkslieder gebracht – ein mir sehr liebes willkommenes Geschenk! Er holt mich ab, ich soll bei ihm einen Kalbsbraten verzehren helfen. Ein sehr gemüthliches Abendessen. Uhland sehr heiter und gesprächig wie auch seine Frau. Während wir traulich mit einander plaudern und ich gar nichts ahnde, ertönt Gesang: die Studenten bringen mir ein Ständchen. Uhland führt mich auf den Balcon seines Hauses. Nachdem mir ein Hoch ausgebracht ist, bringe ich als Dank ein Hoch dem ›Vorwärts.‹54 Ich spreche laut und so deutlich, daß jedes Wort verstanden wird, und wenn ich durch Beifallrufen unterbrochen werde, so warte ich, bis Alles wieder ruhig ist. Großer Jubel. Dann singen sie: ›Wenn heut' ein Geist hernieder stiege‹, und bringen dem Dichter des Liedes ein dreimaliges Hoch!

Wir bleiben bis 11 Uhr in heiterster Stimmung beisammen. Uhland erzählt mir noch eine hübsche Geschichte. Handwerksburschen sangen einst: ›Ich hatt' einen Kameraden.‹ Als sie näher kamen, sang der eine, mit Bewegung des Armes nach Uhland hindeutend: ›Als wär's ein Stück von dir!‹

13. März wieder in Stuttgart. Dingelstedt war damals allgemein sehr unbeliebt und den Kreisen, worin ich mich bewegte, sogar verhaßt. Es war wol mehr daran Schuld sein hochfahrendes Wesen als der Glaube, er übe bei Hofe einen den Volksinteressen nachtheiligen Einfluß aus. Auch außerhalb Wirtenberg hatte sich damals die Ansicht über Dingelstedt sehr geändert. Der Verfasser des Artikels Dingelstedt im Meyerschen Conversations-Lexicon (1846) ist ganz voll überschwänglichen Lobes der Gedichte des Nachtwächters, aber wenig erbaut von den späteren Lebensverhältnissen des Dichters und seinen Poesien.

Meine beiden Scherzgedichte über den ›Seligen Kosmopolitischen Nachtwächter,‹ die in jenen Tagen entstanden sind, finden großen Beifall, jeder möchte sie haben, und so entschließe ich mich denn sie drucken zu lassen. Sie sollen im Beobachter erscheinen, die Censur aber streicht von dem einen die drei letzten Strophen. Sie werden[409] also ohne Censur gedruckt und zwar auf schlechtem Papiere und ganz nach der Art der Lieder ›Gedruckt in diesem Jahr.‹55

22. März. Ich nehme Abschied. Mehrere meiner neuen Freunde begleiten mich zum Postwagen. Gerührt von den vielen Beweisen der Theilnahme verlasse ich Stuttgart. Ich übernachte in Heilbronn, und gehe den andern Tag mit dem Dampfschiffe nach Heidelberg. Ich lebte nun bis in die Mitte des Mais meist in Heidelberg als Welcker's Gast. Ich hatte oft Gelegenheit, Johanna zu sehen und zu sprechen, der Frühling im Neckarthale ward für mich ein Liebesfrühling. Eine Anzahl Ghaselen56 entstand in den Tagen kurz nachher als ich Johanna das erste Mal sah. Während ich in Stuttgart war, hatte einer meiner Freunde Gelegenheit, diese Gedichte Johanna zu überreichen. Als ich nach einigen Wochen nach Heidelberg zurückgekehrt war, sendete sie mir ebenfalls einige Ghaselen.

Unser öfteres Zusammensein, ihre innige Theilnahme an meinem Leben, ihre Freude über jedes Lied, jeden Blumenstrauß, jeden Blüthenzweig, über Alles womit ich sie zu erfreuen hoffte, erhöhte meine Liebe zu ihr und stimmte mich heiter und poetisch.

An meinem Geburtstage (2. April) hatte auch Johanna meiner gedacht: sie überreichte mir eine Brieftasche mit meinem Namenszuge, von ihrer Hand gestickt, und einem Gedichte:


Wohl danken möcht' ich ohne Ende

Dir für den duft'gen Minnesang,

Für Deine süße Blumenspende,

Die wie ein Frühling zu mir drang.


Der frische Athem Deiner Lieder

Hat mich gar heimlich angeweht,

Sie klingen tief im Herzen wieder,

Das ja zu lieben auch versteht.[410]


Den Frühling trag' ich längst im Herzen,

Die Liebe läßt ihn nimmer zieh'n;

Sie hält ihn fest in Glück und Schmerzen

Und heißt ihn täglich mir erblüh'n.


Und hat der Lenz nicht aller Orten

Die junge Erde ausgeschmückt?

Ist nicht auch Frühling Dir geworden,

Und hat er Dich nicht auch beglückt?


Ich muß mich Deiner Liebe freuen,

Sie ist so wunderschön und rein!

Dir kann ein Frühling sich erneuen,

Doch – Freunde laß uns immer sein!


Als ich den Schluß las, da kamen mir Uhland's schöne Worte entgegen:


Ja, Schicksal! ich verstehe dich:

Mein Glück ist nicht von dieser Welt,

Es blüht im Traum der Dichtung nur:

Du sendest mir der Schmerzen viel

Und giebst für jedes Leid ein Lied. –


und ich liebte, litt und dichtete.


Welcker wohnte auf einem Landsitze am Ende von Neuenheim, einer ehemaligen Besitzung des Professors Gervinus. Das Haus war nicht sehr groß, aber bequem eingerichtet, ausreichend für eine kleine Familie. Durch seine prachtvolle Aussicht und die freundlichen Gartenanlagen daneben mußte es, obschon es wegen seiner Entfernung von der Stadt für den geselligen Verkehr nicht günstig, doch seinen Bewohnern lieb und werth sein, und seinen Gästen es werden. Ich wohnte im obern Stocke und genoß einer weiten Aussicht: mir gegenüber lag Heidelberg mit seinem Neckar, seinem Schlosse und seinen Bergen. Fast jede Tageszeit bot mir ein neues Bild der schönen Landschaft. Wohlthuend und erheiternd wie die ländliche Stille und die freundliche Umgebung wirkte auf mein Gemüth auch das Familienleben, dem ich nicht wie ein gern gesehener Gast, sondern wie ein alter Freund angehörte.[411]

Welcker machte mich nach und nach mit vielen seiner Freunde und Collegen bekannt. Gelegenheit ergab sich täglich durch die Harmonie, welche wir fleißig besuchten, dann auch die Mittags- und Abendessen, wozu auch ich immer mit eingeladen wurde. Einen sehr angenehmen traulichen Verkehr unterhielt ich mit der Familie des Hofraths Kapp.

Während ich bisher meist heiter gestimmt die Zeit verlebte, berührten mich sehr schmerzlich zwei traurige Ereignisse.

Am 7. April hatte ich einen Ausflug nach Geisenheim gemacht. Als ich dort eintraf, erzählte mir Karl Dresel den Anlaß und die Entwickelung seines kaufmännischen Unglücks. Obschon noch Verhandlungen im Gange waren, so überzeugte ich mich doch bald, daß das Haus Dresel seiner Auflösung entgegen gehen würde. Tief bewegt nahmen wir den andern Tag Abschied von einander, es war zugleich ein Abschied von allen den frohen Tagen, deren wir uns hier erfreuten und sich hier für uns wol nie wieder erneuen würden.

Als ich am 9. April nach Heidelberg zurückkehrte, traf die Nachricht von Steinacker's Tode ein: er war an meinem Geburtstage, den 2. April gestorben. So tief mich die Trauerbotschaft erschütterte, so war doch sofort mein Gedanke, etwas für die Familie zu thun. Steinacker hatte eine Frau und fünf unversorgte Kinder hinterlassen und statt eines Vermögens nur Schulden. Ich besprach mich mit Welcker und ging dann zu Gervinus, um ihn für eine Steinacker-Stiftung zu gewinnen. Darauf begab ich mich in derselben Angelegenheit nach Mannheim und fand von Soiron bereitwillig, einen Aufruf zu erlassen.

Obschon mir Liebe und Frühling jetzt mehr waren als alle Politik, so konnte ich mich doch der letzten nicht fern halten. Der tägliche Verkehr mit Welcker und seinen Freunden gab mir immer Anlaß und Anregung zu politischer Betheiligung, und während Andere durch Gespräche und Reden für Entscheidung irgend einer Tagesfrage im liberalen Sinne zu wirken suchten, mußte ich durch Trinksprüche und Lieder die Stimmung beleben. Dies war namentlich der Fall bei dem großen Welcker'schen Deputierten-Essen am 1. Mai. Nachdem manches Hoch ausgebracht und der Champagner die Heiterkeit erhöht hatte, bat man mich zu singen, und ich sang und hatte ein dankbares Publicum. Itzstein schrieb den andern Tag: ›Wir kamen vergnügt von Heidelberg hier an, was wir Welcker's Einladung und[412] Deinen Liedern verdanken – Aber singen kann sie Niemand wie Du, mit dieser Kraft, mit dieser Mimik und diesem Accent.‹

Schon in den ersten Tagen nach meiner Ankunft in Heidelberg bat mich Welcker, ich möchte doch für das Staatslexikon mein Leben schreiben. So angenehm mir sonst ein solcher Antrag gewesen wäre, so war er es mir im Augenblicke nicht; um etwas mehr als das gewöhnliche Skizzenartige zu liefern, fehlten mir meine Aufzeichnungen und manche Vorarbeiten, die mir nothwendig schienen. Da es sich aber hier hauptsächlich um eine Seite meines Lebens, um die politische handelte, so verstand ich mich endlich dazu und begann meine Arbeit, die trotz allen Unterbrechungen doch schon nach vier Wochen vollendet war. Am 3. Mai überreichte ich sie Welcker'n, der sie dann dem Staatslexikon einverleibte.

Den 5. Mai verließ ich Heidelberg. Welcker's Töchter überreichten mir einen schönen Blumenstrauß. Ich war sehr ernst und schweigsam. In Mannheim empfing mich Itzstein auf dem Bahnhofe und führte mich in sein gastliches Haus. Bei dem schönen Frühlingswetter war ich wenig in Mannheim, ich machte einen Ausflug nach der Hard, dann nach Heidelberg zu Ottilie Welcker's Geburtstag und später nach Schwetzingen.

Den 15. Mai ging ich mit Itzstein auf sein Gut in Hallgarten. Es fanden sich bald noch mehrere Gäste ein. Den ersten Pfingsttag (28. Mai) war gerade der Jahrestag von Itzstein's Ausweisung aus Berlin. Wir feierten diesen für uns doppelt festlichen Tag. Es war wundervolles Wetter. Auf dem Hause flatterte die schwarzrothgoldene Fahne. Als der Maitrank auf die Tafel gesetzt und jedes Glas gefüllt war, brachte ich ein Hoch57 auf Itzstein aus. Alle erhoben sich und stimmten jubelnd ein, und unter dem hellen Klange der Gläser erscholl ein herzliches Hoch dem edlen unermüdlichen Volksvertreter, unserm Vater Itzstein! Unter den Gästen in Hallgarten war auch Frau Directorin Schröder von Mannheim. Sie spielte die Bergzitter und sang dazu und hatte viel zur Erheiterung unserer Gesellschaft beigetragen. Als sie uns plötzlich verlassen wollte, richtete ich eine Ghasele58 an sie.[413]


Obschon ich mich der Gesellschaft nicht entzog, so ergab sich doch oft Gelegenheit allein zu sein. Ich saß dann auf meinem stillen Zimmer und dichtete, oder ich wanderte hinaus in die freie Natur und freute mich des Frühlings und meiner Liebe. Ich war damals einige Tage recht unwohl, trotzdem aber nicht traurig oder gar muthlos. Auch hätte ich es mit Gleichmuth aufgenommen, wenn ich es damals erfahren, was mir das großherzoglich badische Ministerium am 25. Mai zugedacht hatte: ich sollte nämlich aus Mannheim und drei benachbarten Aemtern ausgewiesen werden. Itzstein war zum Abgeordneten Ausschuß in Carlsruhe einberufen und reiste den 29. Mai ab. Den 1. Juni verließ auch ich Hallgarten und war einige Tage in Bieberich. Erfreulich waren mir die mehrmaligen Spaziergänge im Schloßgarten, der sich vor vielen anderen durch die großartige Einfachheit in seinen Anlagen auszeichnet. Selten findet man so riesige Platanen, Tulpen- und Kastanienbäume. Der Rasen war überall schön gehalten und die Teiche waren von allerlei Schwimmvögeln belebt. Sehenswerth waren auch die Gewächshäuser, die unter der Aufsicht und Pflege des tüchtigen Garteninspectors Tellemann sehr emporgekommen.

Den 5. Juni reiste ich über Frankfurt, Fulda, Gotha und Magdeburg nach Althaldensleben. Philipp Nathusius beschäftigte sich wieder viel mit Politik, das Religiöse war bei ihm in den Hintergrund getreten. Das Ergebniß seiner damaligen Arbeit erschien unter dem Titel: ›Statistische Uebersichten über die Verhältnisse und wichtigsten Abstimmungen beider Kurien und über die künftigen ständischen Ausschüsse.‹ (Berlin. Dümmler. 1847.)

Maria gab mir ihren Roman ›die Kunstreiter‹ zum Lesen. Ich war sehr überrascht und sprach ihr meine Freude und Verwunderung aus. Ich las ihr meine Johannalieder vor. Sie war sehr erfreut, daß ich so etwas wieder dichtete. Ich gab ihr zum Componieren Abschrift von acht Liedern. Noch während meiner Anwesenheit hatte sie bereits drei componiert.

Nach fünftägigem Aufenthalt setzte ich meine Reise fort und war am 13. Juni wieder in Holdorf. Nachdem ich mich von einem längeren Unwohlsein erholt hatte, folgte ich einer Einladung des Hamburger Quartett-Vereines zum Sängerfeste nach Lübeck. Es war das schönste und großartigste Fest dieser Art, welches ich je erlebt[414] habe (26.–30. Juni). Dann verweile ich einige Tage in Hamburg in angenehmem Verkehre mit Freunden und Verwandten. Sehr erfreut mich, hier Prutz zu treffen. Er ist Dramaturg am Hamburger Stadttheater und hofft in dieser Stellung viel zu wirken und eine angenehme Zukunft sich zu schaffen.

In Schwerin treffe ich mit Rudolf Müller zusammen. Er will mit seiner Frau eine Vergnügungsreise nach Hamburg machen, woher ich eben komme. Er läßt nicht nach, ich muß mitreisen, und so bin ich denn wieder 7. Juli in Hamburg. Den folgenden Tag fahren wir auf dem Patrioten nach Cuxhaven. Christian Schmoldt, durch den Telegraphen benachrichtigt, holt Müller's ab, ich bleibe zurück. 10. Juli kommen unsere Otterndorfer Freunde herüber. Großes Abendessen. Zuletzt müssen noch die Stadtmusicanten zum Tanz aufspielen. Ich wurde um Mitternacht ins Land Hadeln eingeschmuggelt.

12. Juli. Wir setzen über die Elbe nach Glückstadt, bleiben den Tag in Hamburg und kehren den folgenden nach Holdorf zurück. Zwei musicalische Gäste finden sich ein, erst Hermann Hauer, Organist der St. Jacobi-Kirche in Berlin, dann Ludwig Erk. Es wird vielmusiciert, componiert und gesungen, für mich eine heitere Anregung zum Arbeiten und Dichten. Sehr willkommen ist mir besonders Erk's Besuch. Wir besprechen eine Sammlung Schullieder, hundert nach dem Alter und den Fähigkeiten der Kinder auf drei Hefte vertheilt. Erk ist sehr fleißig, die Melodien sind alle fertig und es bleibt mir nur noch übrig, die Texte hinzuzufügen.

Leider fällt mitten in unsern heitern Verkehr ein sehr trauriges Ereigniß: am 16. Juli starb Frau Elise Schnelle, geb. Stumpe. Ein unersetzlicher Verlust für den braven Dr. Schnelle und seine neun Kinder! Allgemein war die Theilnahme, denn sie war als Gattin, Mutter, Hausfrau und Freundin allgemein geliebt und verehrt; manches Auge hat ihr nachgeweint, manches Herz bewahrt ihr ein liebevolles Andenken. Mein Beileid konnte ich persönlich nicht aussprechen, aus Rücksicht für unser Haus mußte ich mich fern halten, mehrere Kinder lagen dort nämlich an den Masern danieder. Otto Wien, der treue Freund der Schnelle'schen Familie, der mich besuchte,[415] mußte der Ueberbringer meiner innigen Theilnahme sein. Ich widmete der verehrten Todten ein Lied.59

28. Juli – 9. August in Hohenfelde. Ich war in dieser Zeit auch öfter in Zierstorf. Es war wohlthuend für mich, daß ich Gelegenheit fand mich über Vieles, auch über mich auszusprechen. Frau Auguste Pogge nahm innigen Antheil an meinem Schicksal und wünschte gar sehr, daß ich der Welt gegenüber eine unabhängige Stellung einnähme. Der Wunsch war schön, aber die Erfüllung nur möglich durch Beseitigung von Dingen, über die wir keine Macht haben und deren günstigere Gestaltung nur abgewartet werden kann. Viele meiner Freunde machten mir Vorschläge, dies oder jenes zu beginnen, um mir ein selbstständiges sorgloses Leben zu gründen. Sie verkannten völlig meine Eigenthümlichkeit und meinen Freiheitssinn, die Grundbedingungen meines ganzen geistigen und leiblichen Lebens. Hätte ich ihren Rath befolgt, so wäre ich höchstens in einem verlorenen Winkel Deutschlands ein anständiger Philister unter Philistern geworden, ganz nach dem Willen einer hochlöblichen Polizei und wäre mit ihnen selig im Herren entschlafen. Meine Freunde dachten nicht daran, daß das was ihnen als Glück erschien, nie mein Glück sein noch werden konnte. So unangenehm mir oft Unterhaltungen über mein jetziges Wanderleben waren, so konnte es mich doch nur freuen, wenn sie aus so inniger Theilnahme wie hier hervorgingen. Sie endeten denn auch wie hier zu beiderseitiger Ergötzung. Und so mußte denn auch Frau Pogge sich und mir scherzhaft gestehen: ›Ich sehe wol, Sie sind unverbesserlich!‹ – Ich fing nun an fleißig zu arbeiten: nach einigen Tagen hatte ich die Abschrift der 100 Schullieder vollendet.

Die letzte Hälfte Augusts verlebte ich in Holdorf.

Der erste Besuch bei Dr. Schnelle nach dem Tode seiner Frau war für mich ein sehr wehmüthiger. Wenn ich sonst kam, fand ich nur frohe Gesichter, die Kinder sprangen mir jubelnd entgegen. Jetzt Alles still. Vor Weinen konnte ich nicht sprechen, stumm reichte ich Schnelle und seiner Tochter Emilie die Hand und zeigte ihnen, was Itzstein über den Tod der Frau Schnelle geschrieben. Während die Erndte in vollem Gange war und es draußen sehr lebendig herging, beschäftigte ich mich auf meinem stillen Zimmer viel mit dem[416] Ordnen meiner Papiere. Besuch gab es wenig, Studiosus Zarncke kam zweimal zu mir herüber.

Den 28. August ging ich wieder auf Reisen. 1. September in Leipzig. Engelmann übernimmt den Verlag der 100 Schullieder.

2. September. Ruge hatte damals mit Fröbel sich geeinigt und setzte das Züricher ›Literarische Comptoir‹ als ›Verlagsbureau‹ in Leipzig fort. Die Polizei sah es auch so an: sie hatte deshalb drittehalb Stunden im Verlagsbureau nach dem Verlage des literarischen Comptoirs gefahndet, besonders nach meinen Liedern, dann die Maculaturkammer versiegelt und war eben abmarschiert, als ich eintrat.

Um 9 Uhr Abends wird mir gemeldet, daß mir ein Ständchen gebracht werden würde. Ich gehe nach Haus. Auf der Hausflur des Hôtel de Bavière versammeln sich Studenten und Turner. Sie singen drei Lieder, darunter auch ›Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald.‹ Dann wird ein Hoch auf mich ausgebracht. Ich danke mit einem auf ›die Männer des Fortschritts‹60, das dreimal von den Anwesenden wiederholt wird. Darauf begiebt sich der Zug heim unter dem Singen des Liedes:


›Wie könnt' ich dein vergessen,

Ich weiß was du mir bist!‹


3. September. Schon lange hatte ich eine Sammlung einiger meiner Lieder veranstaltet, die ein- oder vierstimmig gesetzt unter dem Titel ›Deutschland‹ erscheinen sollten. Ich gehe damit zu Breitkopf und Härtel. Wir einigen uns, sie übernehmen den Verlag, erhalten mein Manuscript und zahlen mir 50 Thlr. Honorar.

4. September nach Köthen. Ich erfahre, daß der alte Meusebach am 22. August gestorben ist.

7. September in Althaldensleben. Heinrich Nathusius, der jüngste Bruder von Philipp, hatte Hochzeit. Nach derselben folgten für mich einige ruhige Tage. Wilhelm Nathusius hatte mich zu sich auf sein Gut Königsborn eingeladen. Ich lebte auch jetzt wieder ebenso angenehm wie früher. Ich wohnte auf demselben geräumigen Zimmer im oberen Stock mit der freundlichen Aussicht auf den Park. Wenn Wilhelm mit seiner Landwirthschaft und seinen Sportsangelegenheiten sich beschäftigte, so saß ich oben und arbeitete, oder ich ging spazieren.[417]


Da gegen meine immer wiederkehrenden rheumatischen Schmerzen die bisherigen Mittel nicht angeschlagen hatten, so wollte ich es jetzt einmal mit der Traubenkur versuchen, und es war mir sehr lieb, daß ich sie hier beginnen konnte. Die ganze Südseite des Schafstalls war mit Reben bezogen und die frühreifen Trauben waren vollkommen reif und schmeckten sehr lieblich. Ich aß zu verschiedenen Tageszeiten je einen Teller voll, und befand mich sehr wohl dabei.

Abends unterhielten wie uns sehr traulich, und wenn wir aus dem Scherz in den Ernst kamen, so wandte sich unser Gespräch gewöhnlich dem Religiösen zu. So sprach ich mich denn eines Abends über Philipps religiöse Richtung aus und seine Hinneigung zum Pietismus. Wilhelm erklärte das für rein wissenschaftlich.

Schon lange hegte ich die Absicht, wieder einmal mit Frau Bettina zusammen zu kommen. Da mich der Buchhändler Otto Janke, den ich kurz vorher kennen gelernt, nach Potsdam eingeladen hatte, so glaubte ich von dort aus schnell Berlin erreichen und unbemerkt darin einige Stunden weilen zu können, ich durfte bekanntlich seit meiner Ausweisung im Februar 1844 nicht mehr nach Berlin kommen. Am 20. September traf ich in Potsdam ein und wurde von Janke sehr freundlich aufgenommen. Ich mußte noch erst zu Mittag essen, dann spazierten wir nach Sanssouci. Als wir zurückkehrten, besuchte ich Frau von Meusebach.

21. September um 10 nach Berlin. Bettinas Wohnung ist nicht weit vom Bahnhof, noch außerhalb der Ringmauer. Als ich eben zuversichtlich die Treppe hinaufsteige, da bedeutet mich die Haushofmeisterin, die alte Appel, daß ich nicht vorgelassen werden könnte. Ich setze ihr auseinander, daß ich nur gekommen, um Frau von Arnim zu sprechen. Sie geht hinein und fragt an. Sie kommt wieder und giebt mir ungenügenden Bescheid. Ich ärgerlich die Treppe hinunter. Da ruft mich Bettina zurück: ›Nur rasch, rasch! Aber sagen Sie niemandem, daß Sie bei mir waren – gleich kommt mein Advocat.‹ – Sie erzählt mir von ihrem Prozesse mit dem Magistrate, findet einen Zusammenhang zwischen ihrem Buche für mich und diesem Prozesse u.s.w. Da kommt der Advokat. Ich muß eiligst zur Hinterthür hinaus durch die Küche in den Hof hinab zur großen Belustigung der alten Appel. Um 3 soll ich zu Tische kommen. Ich fahre in einer Droschke zu Erk. Es ist 12 Uhr Mittags, er ist[418] noch nicht aus dem Seminar zurück. Ich unterhalte mich mit seiner Frau. Nach einer Weile tritt er ein, freudig überrascht. Ich theile ihm meinen Plan mit, 1000 Volkslieder der Deutschen mit Singstimme und Clavierbegleitung herauszugeben, und lade ihn ein zu gemeinschaftlicher Herausgabe. Er ist gern bereit. Wir besprechen das Unternehmen nach allen Seiten. Ich muß mit ihm zu Mittag essen. Um 3 in einer Droschke zu Bettina. Sie führt mich zu Tische. Lebhafte Unterhaltung. Sie erzählt mir Alles was sich nach der Grimmschen Geschichte für sie begeben hat, von den Ränken gegen sie und mich, von dem kläglichen Benehmen ihrer Freunde etc. Um 5 wollte ich mich empfehlen. Daran sogar gar nicht zu denken. Sie theilt mir die Aushängebogen ihres neuesten Buches mit,61 sie zeigt mir die handschriftliche Fortsetzung dieses Briefwechsels mit Philipp Nathusius, sie spricht von der Vorrede,62 was selbige Alles enthalten soll etc. Dann kommen wir auf meine Bibliothek, auf ihren Prozeß mit den Magistrate, sie liest mir darauf bezügliche Actenstücke vor etc. Endlich besprechen wir, was für Meusebach's Bibliothek zu thun sei, damit selbige zur Ehre und zum Besten des Vaterlandes erhalten und zugleich für die Familie ein dem hohen Werthe entsprechender Preis erzielt werde. Sie liest mir den darauf bezüglichen Brief an den König. Ich soll dazu noch Notizen geben. Wir verabreden eine Zusammenkunft in Potsdam auf morgen 3 Uhr, wir wollen dann nach Baumgartenbrück hinausfahren. Ich nehme Abschied und kehre mit dem 7 Uhrzuge nach Potsdam zurück.

22. September. Frühmorgens zu Karl von Meusebach. Wir frühstücken zusammen und plaudern bis 12 Uhr. Er erzählt von dem Tode seines Vaters und daß die Grimms nicht die mindeste Theilnahme bewiesen hätten. Um 12 gehen wir zu Lehmann und speisen zu Mittag. Karl macht mir manche Mittheilungen aus dem Leben seines Vaters, dessen Äußerungen über mich u. dgl. Ich erkläre wie schon am Morgen abermals, daß ich in Betreff der Bibliothek zu[419] Rath und That bereit sei. Um 2 gehen wir auf den Bahnhof, begegnen Bettina, unterhalten uns mit ihr, und fahren dann zu Frau von Witzleben,63 Karls Schwester. Die arme Frau liegt seit langer Zeit von der Gicht gelähmt danieder – ein erbarmenswerther Anblick! Daß ich sie so wiedersehen mußte! Ich bin furchtbar ergriffen und vermag kaum zu reden. Wehmüthig nehme ich Abschied. – Mit Karl fahre ich dann nach Baumgartenbrück. Als ich die Bibliothek wiedersehe, wird mir eigen zu Muthe: wie manche Erinnerungen für mich hangen an vielen dieser Bücher und ihrem unermüdlichen Sammler! Dem unruhigen Tage folgt ein stiller Abend. Um 9 Uhr treffen wir in Potsdam ein.

Den andern Tag kehrte ich nach Königsborn zurück. Mein erstes Geschäft war ein Bericht über die Meusebach'sche Bibliothek, den ich denn auch sofort an Frau Bettina einsendete. Eines Abends fingen wir an ihr Buch zu lesen: das gab Anlaß und Stoff zu lebhafter Unterhaltung. Ich sprach mich aus über die seltene Ehrlichkeit bei Beurtheilung von litterarischen Werken und Kunstsachen, über Unklarheit in Darstellung unserer Gedanken und Gefühle, über Gefühlsschwelgerei und dergleichen. Es gäbe Bücher, worin hochklingende Sätze vorkämen, die einen neuen großartigen Gedanken zu enthalten schienen, und wenn man die Sache näher untersuchte, so wäre es nur glänzender Unsinn. Da meinte Wilhelm: ›Dergleichen Bücher lese ich in Einem Zuge. Was ich nicht verstehe, kümmert mich nicht. Finde ich dann etwas Schönes, so freut es mich.‹

Maria Nathusius (geb. von Meibom) war ein poetisches Gemüth und pflegte auch wol selbst zu dichten. Sie hatte große Freude an meinen Johannaliedern, ich verehrte ihr einige. Noch mehr erfreute es sie, daß ich für ihre kleine Elsbeth, ein allerliebstes Kind, einige kleine Lieder dichtete und zum Andenken in das Elsbeth-Album einschrieb.64

Das Wetter war mitunter unausstehlich, trotzdem spazierte ich viel umher und ergötzte mich an jedem Blümchen, das es gewagt hatte dem Winter entgegen zu blühen: ich pflückte noch Rosen, Reseda und Heliotrop im Freien und wand täglich ein Sträußchen.[420]


In den letzten Tagen des Septembers reiste ich durch Thüringen über Frankfurt in den Rheingau. Wie ich Itzstein auf seinem Gute nicht traf, ging ich zu ihm nach Mannheim. Den 4. October begrüßte ich ihn, blieb aber vorläufig im Weinberg. Als ich am 7. October in die Stadt zu Itzstein zurückgekehrt war, fand ich ein Schreiben des großherzoglichen Stadtamts vor, wonach mir aufgegeben ward, ›innerhalb 24 Stunden bei Zwangsvermeidung das Großherzogthum Baden zu verlassen.‹ Das Schreiben berief sich auf einen Erlaß des Ministeriums des Innern vom 25. Mai und eine Verfügung der großherzoglichen Kreisregierung (Schaaff!) vom 27. Mai d.J. – Ich berieth mich sofort mit meinen Freunden. Itzstein war sehr betrübt, zumal so etwas unter dem Ministerium Bekk, seines Freundes geschehen konnte. Er war sofort bereit, mich nach Carlsruhe zu begleiten. – Den folgenden Tag fuhren wir hinüber. Unser erster Weg war zu Bekk. Es hieß, Excellenz wäre krank. Itzstein wurde jedoch vorgelassen und kam voll Hoffnung zurück. Er machte dann eine schriftliche Eingabe, worin er als Zweck meines dortigen Aufenthalts die Traubenkur angab. Es erfolgte bald darauf an das Stadtamt ein Bescheid, mit welchem wir Abends spät ganz vergnügt nach Mannheim zurückkehrten. Ich konnte nun vorläufig in Mannheim mit polizeilicher Erlaubniß weilen. Ich machte öfter Besuche in Heidelberg. Johanna zu sehen und zu sprechen war für mich ein Bedürfniß meines Herzens. Obschon längst meine Hoffnung, ihr jemals mehr als ein Freund werden zu können, verschwunden war, so mußte mich doch der Augenblick, als sie mir das Geheimniß ihres Herzens gestand, tief bewegen. Mehrere Tage war ich traurig und voll Unruhe. Erst als ich mein Leid in Liedern ausgesprochen hatte und mit Johanna öfter zusammen gewesen war, wurde ich wieder ruhig und heiter. –

Noch immer dachte ich an eine Traubenkur und ich machte deshalb einen Ausflug in die Rheinpfalz, um zu sehen, an welchem Orte dazu die beste Gelegenheit wäre. Von Neustadt ging ich eines Tages nach Dürkheim. In den ›Vier Jahreszeiten‹ besuchte ich den Professor Sylvester Jordan. Hocherfreut umarmte er mich. Ich traf ihn als er eben aus den Trauben den Saft auspreßte um ihn zu trinken, statt die Beeren zu essen, denn selbst die besten waren ziemlich herbe. Nachdem er diese Traubenkur für den Morgen beendet hatte, blieb ich mit ihm und seinen Freunden zusammen. Da[421] merkte ich recht, wie der einst so kräftige, klare Mann durch die lange Gefangenschaft geistig und leiblich gelitten hatte; es war ein wehmüthiges Gefühl, aus diesen Gesprächen, die wir hören mußten, keinen Jordan wieder zu erkennen. Den andern Tag kehrte ich nach Mannheim zurück.

Dieser Traubenkurversuch hätte mir sehr schlecht bekommen können, ich durfte nur noch ein Stündchen in Dürkheim bleiben. Gleich, nachdem ich das Gasthaus verlassen, war ein Polizist mit einem Gendarmen gekommen und hatten auf mich gefahndet. Der Wirth sollte durchaus wissen, wohin ich mich gewendet hätte; aber wenn er es wirklich gewußt, der brave Mann würde es nicht gesagt haben. Wenn zu der Ausweisung aus Hannover nun auch Baden mit 280, und Baiern mit 1400 ± Meilen gekommen wären, so würden mir 2380 ± Meilen vom deutschen Vaterlande verboten gewesen sein!

Obschon ich in Mannheim mit polizeilicher Erlaubniß weilen durfte, so war mir doch der Aufenthalt jetzt sehr verleidet. Die Hetzereien des Mannheimer Morgenblattes dauerten fort. Itzstein fand sich deshalb veranlaßt, an Bekk zu schreiben, daß dies Schandblatt Lügen über mich verbreite. Das war zu viel Ehre für das Morgenblatt und seine Partei. Itzstein aber wollte, daß seinem Gaste nicht von neuem eine Unbill widerführe. Ueber die Bülletins, welche über mich erschienen, konnte ich nur lachen. So heißt es am 20. October: ›Wir sahen ihn 12 Schoppen Bier im rothen Schaaf genießen und hören heute, daß ihm die Arznei gut bekommen sei. Dies zur Beruhigung aller jener, welche für die Gesundheit des gefeierten deutschen Mannes fürchteten.‹ – Die Leute wußten recht gut, wie selten ich Bier trank, und wenn es ja einmal geschah, wie wenig ich trank.

Den 4. October reiste ich mit Itzstein nach Hallgarten. Ich arbeitete von jetzt an fleißig an seinem Leben, benutzte seine mündlichen und schriftlichen Mittheilungen und was hie und da über ihn gedruckt war. Den 8. November überbrachte ich Meidinger das Manuscript. Es erschien dann in Eduard Duller's Werk: ›Die Männer des Volks dargestellt von Freunden des Volks.‹ (5. Band. 1848. S. 75–184).

Meine Abreise von Hallgarten war beschlossen. Täglich wartete ich auf gutes Wetter, aber jeden Morgen war der Rhein in Nebel[422] gehüllt und es kam kein Dampfschiff. Den 13. November fand sich der alte Dresel mit seinen Söhnen Karl und Julius zu Wagen ein. Sie nahmen mich mit nach Geisenheim und ich war nun dem Rhein näher.

Den folgenden Tag blieb ich dort und den 15. November bestieg ich das Kölner Dampfboot ›Beethoven‹. Wir hatten trotz dem sehr niedrigen Wasserstande eine angenehme und ziemlich schnelle Fahrt. Anderthalb Stunden unterhalb Engers, in der Gegend von Sebastian-Engers, wollte unser Boot einem Segelschiffe ausweichen, stieß auf einen versteckt liegenden Felsen, ›die Bretzel‹, und erhielt einen Leck, das Wasser drang in Masse hinein und der Capitän sah sich genöthigt, sein Fahrzeug auf eine Sandbank auflaufen zu lassen. Bald stand das Wasser 4 Fuß hoch im Schiffsraum. Sämmtliche Passagiere warteten auf dem Verdecke, bis ein Nachen nach und nach uns aufnahm und ans Land setzte. Von Engers aus ging ich mit dem Düsseldorf Boote ›Concordia‹ bis Bonn. Das war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich Schiffbruch litt.

Von Bonn ging ich dann über Köln nach Düsseldorf und so zu Fahne auf seinen Landsitz Schloß Roland. Es war für mich eine angenehme Ueberraschung, daß Fahne sehr fleißig an der Vorrede zu meinen ›Diavolini‹ arbeitete und sie auch noch während meiner Anwesenheit vollendete. Es gab reichlichen Stoff über Kunst und Litteratur uns auszusprechen. Die Aushängebogen der Diavolini waren bereits in Fahne's Händen und nach einigen Wochen erschien das Büchlein mit seiner Vorrede unter dem Titel: ›Diavolini. Von Hoffmann von Fallersleben. Zweite vermehrte Auflage. Cum Notis Variorum in usum Delphini.‹ (Darmstadt. Druck und Verlag von C.W. Leske. 1848. 8°. XXI. 100 SS.).65

Das Buch konnte in keiner ungünstigeren Zeit erscheinen, es konnte nicht einmal vergessen werden, weil es gar nicht bekannt geworden war.

Den 22. November setzte ich meine Reise fort und kehrte auf einige Tage in Königsborn und Althaldensleben vor. Bei Philipp Nathusius konnte es mich nicht überraschen, daß er auf der Bahn des Rückschrittes Fortschritte machen würde; wol aber war es für[423] mich überraschend, daß er so rasche gemacht hatte. Als wir den ersten Abend auf die Schweizer Zerwürfnisse zu sprechen kamen, nahm er die Jesuiten in Schutz. Er las keine Zeitungen und wußte nicht was seit 14 Tagen sich ereignet hatte. Seine politische Weisheit schöpfte er aus dem ›Volksblatt für Stadt und Land.‹

Dann kehrte ich nach Holdorf zurück. Den heiligen Abend vor Weihnachten feierte ich in der Schnelle'schen Familie zu Buchholz. Im großen Saale war die Bescherung, für jedes Kind ein Tischchen, im Hintergrunde ein großer Tannenbaum mit hellglänzenden Lichtern etc. Auch ich war bedacht: ein Verkleideter brachte mir ein großes Packet mit einer schön gestickten Reisetasche. Die jüngeren Kinder waren sehr lustig, die älteren ernst und still: der Schmerz über den Verlust der Mutter mußte bei einem solchen heiteren Kinderfeste erst wieder recht lebendig werden.

Sehr angenehm war mir, daß sich Dr. Zarncke von Berlin aus zum Besuch seiner Eltern eingefunden hatte. Wir sahen uns öfter. Er erzählte mir viel von den Grimm's, Lachmann, Maßmann u.a., von seinen Studien und dergleichen. Da er sich gerne mit Handschriftenkunde befassen möchte und keine Gelegenheit dazu hatte, so erbot ich mich, ihn in dies Studien einzuführen und schenkte ihm meinen ganzen Apparat. Später war er mir behülflich beim Ordnen und Umpacken meiner Bücher. Den ersten Weihnachtstag waren wir sehr vergnügt beisammen in seiner Familie zu Zahrenstorf.

Fußnoten

1 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58.


2 Hoffmann dankte mit einem Liede: Ges. W. Bd. VI. S. 31.


3 ›Und wieder hatt' es mich getrieben‹ – Ges. W. Bd. I. S. 58. 59. – In Musik gesetzt von ›E. H. z. S.‹ (Ernst Herzog zu Sachsen-Coburg.) Lpz. Breitkopf u. Härtel.

H.


4 Ges. W. Bd. IV. S. 285–296.


5 Sie sind gedruckt Bd. 3 (1843) S. 368 ff. 460 ff.


6 Ges. W. Bd. VI. S. 32.


7 Ges. W. Bd. III. S. 234 und Bd. IV. S. 310–313.

G.


8 Henriette von Schwachenberg; siehe Nachträge.

G.


9 Ges. W. Bd. IV. S. 301.


10 Ein Glaubensbekenntniß. Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath, Mainz, Victor von Zabern. 1844. S. 307–314.

H.

Ueber H.v.F. und Freiligrath vgl. Ges. W. Bd. VI. S. 352.

G.


11 Vgl. das Gedicht ›Zu Badens Verfassungsfeier.‹ Ges. W. Bd. IV. S. 309. 310.


12 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.


13 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.


14 Ges. W. Bd. I. S. 57. 58. Bd. IV. S. 252. 253. – Das letztgenannte Lied ist in die Ges. W. nicht aufgenommen. Es steht in den ›Deutschen Gassenliedern‹. S. 16.

G.


15 Henriette von Schwachenberg; siehe Nachträge.

G.


16 4. Bd. S. 284–317.


17 Hoffmann läßt hier eine Anzahl Aeußerungen der Presse aus jenen Tagen (besonders der Kölnischen Zeitung) folgen: fast überall wurde das Verfahren der Gebrüder Grimm gemißbilligt und besonders im Hinblick auf die eigene Vergangenheit beider mit mehr oder weniger scharfen Worten verurteilt.

G.


18 Meyen erzählt die nähere Veranlassung seiner Bestrafung, in der Berliner Reform vom 11. Januar 1862.

H.


19 Ges. W. Bd. II. S. 325.


20 Vgl. Ges. W. Bd. IV. S. 317–331 und S. 366. Anm. 75.

G.


21 Ges. W. Bd. IV. S. 320.

G.


22 ›Maiglockchen läutet in dem Thal‹. – Ges. W. Bd. II, S. 329.

G.


23 Ges. W. Bd. IV. S. 347. 348.

G.


24

Verehrter Herr!

Nehmen Sie gütigst das beikommende Buch als späte, wenn auch hoffentlich nicht zu späte, Antwort auf den freundlichen Brief an, den Sie mit vor zwei Jahren zu schreiben die Gewogenheit hatten. Ich denke, daß er sich seinem ganzen Inhalte nach durch das ›Glaubensbekenntniß‹ erledigt findet, und unterlasse drum alle weiteren Auseinandersetzungen und Commentare. Ich denke, wir verstehen uns!

Eine Bitte hab' ich Ihnen aber noch vorzutragen. Die nämlich, daß Sie sich veranlaßt finden möchten, meiner guten Schwiegermutter einige Worte der Erläuterung und des Trostes zu sagen, wenn sie sich, wie ich vermuthe, über diese meine jüngsten Gedichte mehr oder weniger entsetzen sollte. Suchen Sie ihr die Überzeugung mitzutheilen, daß das Volk mehr zu bedeuten hat, als die Fürsten; daß das ›Glaubensbekenntniß‹ ein aus innerem Drange hervorgegangenes Werk, daß es eine Nothwendigkeit ist, der ich ohne Widerstreben folgen mußte. Ein klares, verständiges Wort eines dritten wird hier mehr und besser wirken, als alle directe schriftliche Auseinandersetzung von meiner eignen Hand. Ich verlasse mich drum vertrauensvoll auf Ihre Güte, und danke Ihnen im Voraus herzlich für Alles!

Mit den freundschaftlichsten Grüßen, auch von meiner Frau,

treu ergeben

F. Freiligrath.

Mainz, 18. August 1844.

H.


25 Ges. W. Bd. VI. S. 33. 34.

G.


26 Refrain des Liedes ›Ja, ihr habt es denn endlich vollendet‹ – Ges. W. Bd. IV. S. 297. 298.

G.


27 Diesem Anlaß entstammt das Gedicht: ›Lorbeern, Myrthen und Oliven‹. – Ges. W. Bd. V. S. 49. 50.

G.


28 Vgl. das Gedicht: Ges. W. Bd. V. S. 57.

G.


29 Vgl. Ges. W. Bd. IV. S. 332–349 und S. 367. Anm. 77.

G.


30 Valentini giebt folgende Erklärung: Spezie di zuccherini, di sapore acutissimo, composti principalmente collo spirito di canella, garofano e simili detti diavolini.

H.


31 Vgl. Ges. W. Bd. V. S. 40–72 und S. 330 ff. Anm. 9.

G.


32 Ges. W. Bd. IV. S. 310–313. Bd. V. S. 21. 22.

G.


33 Ges. W. Bd. IV. S. 310–313. Bd. V. S. 21. 22.

G.


34 Eine Sammlung Gedichte unter diesem Titel ist weder im Druck erschienen, noch handschriftlich im Nachlasse erhalten.

G.


35 Ges. W. Bd. III. S. 88.

G.


36 ›Eine ritterschaftliche Stimme beim Rothspon‹, gedruckt im Meklenburgischen Vollsbuch für 1846. S. 3, – Ges. W. Bd. V. S. 108. 109; doch vgl. ebenda S. 346. Anm. 26.

G.


37 Meklenb. Volksbuch S. 1. – Ges. W. Bd. V. S. 107. 108.

G.


38 Meklenb. Volksbuch S. 172–174 – Ges. W. Bd. V. S. 109–111.

G.


39 Ges. W. Bd. V. S. 111. 112.

G.


40 Aus einem Briefe vom 27. August 1844 an Rudolf Müller.

G.


41 Ges. W. Bd. VI. S. 34. 35.

G.


42 Ges. W. Bd. III. S. 249. 250.

G.


43 Ges. W. Bd. V. S. 3.

G.


44 Ges. W. Bd. VI. S. 35. 36.

G.


45 ›Letztes Lied für Männerchor, componiert Ende des Sommers 1847‹, Op. 76. H. – Ges. W. Bd. III. S. 138. 139.

G.


46 Ges. W. Bd. V. S. 3–19 und S. 327. Anm. 1.

G.


47 ›Vierzig Kinderlieder‹ Nr. 12. 17. 18. und 30.

H.


48 Elvira Detroit; siehe Nachträge.

G.


49 Ges. W. Bd. VI. S. 36. 37.

G.


50 Ges. W. Bd. VI. S. 38. 39.

G.


51 Ges. W. Bd. VI. S. 40–42.

G.


52 Johanna Kapp; siehe Nachträge.

G.


53 Ges. W. Bd. III. S. 104.

G.


54 Ges. W. Bd. VI. S. 42. 43.

G.


55 Ges. W. Bd. V. S. 117–119 und S. 346. Anm. 29. Diese Gedichte sind auch Dingelstedt anonym zugeschickt worden; vgl. Rodenberg: Franz Dingelstedt. Blätter aus seinem Nachlaß. Berlin. 1891. Bd. II. S. 1. 2.

G.


56 Vgl. Johannalieder. Ges. W. Bd. I. S. 323 ff. und S. 403. Anm. 71.

G.


57 Ges. W. Bd. VI. S. 45. 46.

G.


58 Ges. W. Bd. VI. 44. 45.

G.


59 Ges. W. Bd. II. S. 180. 181.

G.


60 Ges. W. Bd. VI. S. 46.

G.


61 Es erschien unter dem Titel:

›Ilius Pamphilius und die Ambrosia. Von Bettina Arnim. 1. 2. Bd. Berlin. 1848. Expedition des v. Arnim'schen Verlags.‹

Es fand nicht den Beifall im Publicum, welchen Bettinas Freunde erwartet hatten. Vgl. Blätter für lit. Unterhaltung 1849. S. 14. 15. und daselbst 1848. S. 1331. den Auszug aus dem Athenaeum.

H.


62 Die Vorrede ist nie gedruckt und auch wol nie geschrieben worden.

H.


63 Arlikona.

G.


64 Ges. W. Bd. II. S. 182–184.

G.


65 Ges. W. Bd. V. S. 40–72 und S. 330–342. Anm. 9.

G.



Quelle:
Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben. Zwei Teile, Teil 2, Berlin 1894.
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