Sechstes Blättlein

[381] Auch hier sind drei Blättchen geschickt in eines zusammenzuziehen, da sie in gewisser Art den Schluß der Abenteuer bilden, die sich mit dem Baron Theodor von S. und der schönen Griechin begaben. Auf dem ersten stehen wiederum Worte, die von dem Kanzleiassistenten Schnüspelpold an den Baron gerichtet sind. Nämlich:


»Hochgeborner Herr Baron!

Endlich, den dunklen Mächten Dank, kann ich Sie gänzlich aus Ihrer Trostlosigkeit reißen und Ihnen zum voraus das Gelingen eines Zaubers verkünden, der Ihr Glück befestigt und das meinige. Schon habe ich es gesagt, die Sterne sind Ihnen günstig; was andern zum höchsten Nachteil gereichen würde, bringt Sie ans Ziel. Gerade der tolle Auftritt vor Simsons Gartenhause, von dem ich Zeuge war, Zeuge sein mußte, hat alle Schlingen zerrissen, in die Sie der arglistige Alte verstricken wollte. Dazu kommt aber, daß Sie in den letzten vierzehn Tagen meine Vorschriften strenge befolgt haben, gar nicht ausgegangen und noch viel weniger nach Mecklenburg gereiset sind. Zwar mag ersteres daher rühren, daß nach dem letzten Auftritt Sie überall, wo Sie sich blicken ließen, ein wenig gefoppt und ausgelacht werden, letzteres aber, weil Sie noch Wechsel erwarten; doch das gilt gleichviel. – In der künftigen Äquinoktialnacht, das heißt in der Nacht von heute zu morgen, wird der Zauber vollendet, der die Fürstin auf ewig an Sie fesselt, so daß sie nimmer von Ihnen lassen kann. Auf den Schlag zwölf Uhr finden Sie sich in griechischer Kleidung ein im Tiergarten, bei der Statue des Apollo, und es wird ein Bund gefeiert werden, den in wenigen Tagen darauf die festlichen Gebräuche der griechischen Kirche heiligen sollen. – Es ist nötig, daß Sie sich bei der Zeremonie im Tiergarten ganz leidend verhalten und bloß meinen Winken[382] folgen. Also diese Nacht Punkt zwölf Uhr in griechischer Kleidung sehe ich Sie wieder. Mit der vorzüglichsten etc.


(Astariot zur Bestellung gegeben.)«


Das zweite Blatt ist von einer sehr feinen, doch leserlichen Hand geschrieben, die sonst in allen Blättern nicht vorkommt, und enthält folgende zusammenhängende Erzählung:

»Auf derselben Bank im Tiergarten, unfern der Statue des Apollo, wo er die verhängnisvolle Brieftasche gefunden, saß der Baron Theodor von S., in einen Mantel gehüllt, den griechischen Turban auf dem Kopfe. Von der Stadt her tönten die Glocken herüber. Die Mitternachtsstunde schlug. Ein rauher Herbstwind strich durch Baum und Gebüsch, die Nachtvögel schwangen sich kreischend durch die sausenden Lüfte, immer schwärzer wurde die Finsternis, und wenn die Mondessichel auf Augenblicke die Wolken durchschnitt und ihre Strahlen hinabwarf in den Wald, da war es, als hüpften in den Gängen seltsame Spukgestalten auf und ab und trieben ihr unheimlich Wesen mit tollem Spiel und flüsterndem Geistergespräch. Den Baron wandelte in der tiefen Einsamkeit der Nacht ein Grauen an. ›So beginnt‹, sprach er, ›das Fest der Liebe, das dir versprochen? – O all ihr Mächte des Himmels, hätte ich nur meine Jagdflasche mit Jamaikarum gefüllt und, dem griechischen Kostüm unbeschadet, um meinen Hals gehängt, wie ein freiwilliger Jäger, ich nähme einen Schluck und –‹ Da zogen plötzlich unsichtbare Hände dem Baron den Mantel von den Schultern herab. Entsetzt sprang er auf und wollte fliehen, doch ein herrlicher melodischer Laut ging durch den Wald, ein fernes Echo antwortete, der Nachtwind säuselte milder, siegend brach der Mond durch die Wolken, und in seinem Schimmer gewahrte der Baron eine hohe, herrliche, in Schleier gehüllte Gestalt. ›Teodoros‹, hauchte sie leise, indem sie den Schleier zurückschlug. O Entzücken[383] des Himmels! Der Baron erkannte die Fürstin in der reichsten griechischen Tracht, ein funkelndes Diadem in dem schwarzen aufgenestelten Haar. ›Teodoros‹, sprach die Fürstin mit dem Ton der innigsten Liebe, ›Teodoros, mein Teodoros, ja, ich habe dich gefunden – ich bin dein – empfange diesen Ring –‹ In dem Augenblick war es, als halle ein Donnerschlag durch den Wald, und eine hohe majestätische Frau mit ernstem gebietendem Antlitz stand plötzlich zwischen dem Baron und der Fürstin. ›Aponomeria‹, schrie die Fürstin auf, wie in dem Schreck des freudigsten Erwachens aus finstrem Traum, und warf sich an die Brust der Alten, die mit furchtbarem Blick den Baron durchbohrte. Den einen Arm um die Fürstin geschlungen, den andern hoch in die Lüfte emporgestreckt, sprach die Alte nun mit feierlichem das Innerste durchdringenden Ton: ›Vernichtet ist der höllische Zauber des schwarzen Dämons – er liegt in schmachvollen Banden, du bist frei, hohe Fürstin – o du mein süßes Himmelskind! – Schau' auf, schaue deinen Teodoros!‹ – Ein blendender Glanz ging auf, in ihm stand eine hohe Heldengestalt auf mutigem Streitroß, in den Händen ein flatterndes Panier, auf dessen einer Seite ein rotes mit Strahlen umgebenes Kreuz, auf der andern ein aus der Asche steigender Phönix abgebildet! – –«


Die Erzählung bricht hier ab, ohne etwas Weiteres von dem Baron Theodor von S. und dem Kanzleiassistenten Schnüspelpold zu erwähnen. Auf dem dritten und letzten Blättchen stehen nur wenige Worte von der Hand der Fürstin.

»O all ihr Heiligen, all ihr ewigen Mächte des Himmels! an den Rand des Abgrunds hatte mich der boshafte Magus verlockt, schwindelnd wollte ich hinabstürzen, da brach der Zauber durch dich, o Aponomeria, meine zweite Mutter! – Ha! ich bin frei – frei! zerrissen sind alle Bande! – Er ist mein Sklave, den ich zertreten[384] könnte, empfänd' ich nicht Mitleid mit seinem Elend! – Großmütig will ich ihm sein magisches Spielzeug lassen. – Teodoros, ich habe dich geschaut in dem Spiegel, aus dem mir die herrlichste Zukunft entgegenstrahlte! – Ja! ich, ich winde die Palmen und Lorbeern, die deine Krone schmücken sollen! – O! halt' dich, mein Herz! – springe nicht vor namenlosem Entzücken, du starke Brust! – Nein! – gern will ich harren in diesen Mauern, bis der Augenblick gekommen, bis Teodoros mir ruft! – Aponomeria ist ja bei mir und der Magus bezwungen! –«

Dicht an den Rand dieses Blättleins hat Schnüspelpold geschrieben:

»Ich ergebe mich in mein Schicksal, das durch die Huld der Fürstin noch leidiglich genug ist. Hat sie mir doch meinen Haarzopf gelassen und manches andere hübsche Spielzeug dazu. Gott weiß aber, wie es mir künftig in Griechenland ergehen wird. – Ich büße die Schuld meiner Torheit, denn unerachtet aller meiner kabbalistischen Wissenschaft sah ich doch nicht ein, daß ein phantastischer Elegant zum Höheren ebensowenig zu brauchen ist als ein Korkstöpsel, und daß der Teraphim des Propheten Sifur ein viel gescheiteres Männlein war als der Herr Baron Theodor von S., und also auch viel eher als dieser der Fürstin für ihren geliebten Teodoros Capitanaki gelten konnte.«


Es können noch einige Notizen des Barons Achatius von F. folgen.


»Die Geschichte hat großes Aufsehen in B. gemacht. – Ganz durchnäßt, von Kälte erstarrt, kam gleich nach Mitternacht Dein Neffe zu Kempfers – Du weißt, daß so ein Lustort im Tiergarten benannt wird – in seltsamer türkischer oder, wie man meinen will, neugriechischer Tracht, und bat, daß man ihm Tee mit Rum oder Punsch bereiten möge, wenn er nicht sterben solle. Das geschah. Bald aber fing er an, verwirrte Reden zu führen,[385] so daß Kempfer den Baron, den er zum Glück kannte, da er oftmals draußen gegessen, für heftig erkrankt halten mußte und ihn zu Wagen nach der Stadt in seine Wohnung schaffen ließ. Die ganze Stadt glaubt, er sei wahnsinnig geworden, und will schon in manchem Streich, den er vorher auslaufen lassen, die Spur dieses Wahnsinns finden. Nach der Versicherung der Ärzte leidet er aber bloß an einem sehr heftigen Fieber. Freilich sind seine Phantasien von der wunderlichsten Art. Er spricht von kabbalistischen Kanzleiassistenten, die ihn verhext haben, von griechischen Prinzessinnen, magischen Brieftaschen, sibyllischen Papageien durcheinander. Vorzüglich kommt er aber nicht von der Idee ab, daß er mit einer Enzuse vermählt gewesen und ihr untreu geworden, weshalb sie ihm nun aus Rache das Blut aussauge, so daß ihn nichts retten könne und er bald sterben müsse.«


»– Laß, mein Freund, nur alle Besorgnisse fahren, Dein Neffe ist in der vollsten Besserung. Immer mehr verlieren sich die schwarzen Gedanken, und er nimmt schon an allem Anteil, was das Leben Schönes und Herrliches für ihn hat. So freute er sich gestern ganz erstaunlich über die Form eines neumodischen Huts, den der Graf von E. trug, welcher ihn gestern besuchte, so daß er im Bette selbst den Hut aufsetzte und sich den Spiegel bringen ließ. – Er ißt auch schon Hammelkoteletts und macht Verse. – Spätestens in vier Wochen bringe ich Dir Deinen Neffen nach Mecklenburg, in Berlin darf er nicht bleiben, denn, wie gesagt, seine Geschichten haben zu großes Aufsehn gemacht, und er würde, sowie er sich nur zeigte, aufs neue das Gespräch des Tages werden etc.«


»Also nach zweijähriger Abwesenheit ist Dein Neffe glücklich zurückgekehrt? – Ob er wohl wirklich in Griechenland gewesen ist! – Ich glaube es nicht, denn daß er so geheimnisvoll tut mit seiner Reise, daß er bei jeder[386] Gelegenheit sagt: ›Ja, wenn man nicht in Morea – in Zypern u.s.w. war‹ – das ist mir gerade ein Beweis dagegen! – Leid tut es mir, daß Dein Neffe, war er wirklich in Griechenland, nicht Antizyra besucht hat und ebenso ein närrischer Phantast geblieben ist, als er es sonst war – Apropos! – Ich schicke Dir den Berliner Taschenkalender von 1821, in welchem unter dem Titel: ›Die Irrungen, Fragment aus dem Leben eines Fantasten‹, ein Teil der Abenteuer Deines Neffen abgedruckt steht. Das Gedruckte macht auf Theodor einen erstaunlichen Eindruck, vielleicht erschaut er seine kuriöse Gestalt im Spiegel und schämt und bessert sich. – Gut wär's, wenn auch die neuen Abenteuer bis zum Zeitpunkt, als er Berlin verließ, abgedruckt werden könnten etc.«


Nachtrag

Es wird dem geneigten Leser nicht unangenehm sein, nachträglich zu erfahren, daß der Bote, den Hff. mit dem Billett an den Herrn Kanzleiassistenten Schnüspelpold geschickt hatte, dieses Billett uneröffnet zurückbrachte und berichtete, daß nach der Aussage des Hauswirts dort der bezeichnete Mann nicht wohne und auch niemals gewohnt habe. Gewiß ist es also, daß die Fürstin ihrem Magus die Aushändigung des Vermächtnisses an Hff. aufgetragen hatte, daß er die ihm auferlegte Pflicht erfüllen mußte, und daß er, von seiner Arglist und Tücke nicht ablassend, erst einen sehr groben Brief schrieb und dann den guten Hff. durch ein abscheuliches Gaukelspiel auf schnöde Weise mystifizierte.

Daß jener Zeitpunkt, den die Vision im Tiergarten der Fürstin andeutete, gekommen, daß wirklich die Fahne mit dem roten Kreuz und dem Phönix flattert, und daß die Fürstin in Gefolge dessen zurückgekehrt ist in ihr Vaterland, das alles ergibt sich aus den an Hff. gerichteten Versen. Besagte Verse sind dem Hff. deshalb besonders[387] ein liebes und wertes Andenken von einer unvergleichlichen Person, weil er darin, mittelst allerlei poetischer Redensarten, als ein Magus behandelt wird, und noch dazu als ein guter, welcher mit schnöden Teufelskünsten nichts zu tun haben mag. Solches ist ihm noch gar nicht geschehen.

– Wunderbar endlich mag es auch sein, daß das, was im vorigen Jahr (1820) aus der Luft gegriffene leere Fabel schien, Andeutung ins Blaue hinein, in diesem Jahr (1821) in den Ereignissen des Tages eine Basis gefunden.

Wer weiß, welch ein Teodoros in diesem Augenblick die Kreuz- und Phönixfahne schwingt.

Sehr schade ist es, daß in den Fragmenten durchaus nirgends der Name der jungen griechischen Fürstin vorkommt, deshalb hat ihn auch Hff. niemals erfahren, und bloß dadurch ist er abgehalten worden, sich im Fremdenbureau nach der vornehmen griechischen Dame zu erkundigen, die zu Ende Mai Berlin verlassen.

So viel ist gewiß, daß die Dame nicht die Madame Bublina sein kann, die Napoli di Romania belagert hat, denn die Braut des Fürsten Teodoros ist von Vaterlandsliebe entbrannt, aber keine Heroine, wie es sich aus ihren Versen hinlänglich ergibt.

Sollte jemand von den geneigten Lesern Näheres von der unbekannten Fürstin und dem wunderlichen Kanzleiassistenten Schnüspelpold erfahren, so bittet Hff. demütiglich, es ihm durch die Güte Einer Hochlöblichen Kalenderdeputation freundlichst mitteilen zu wollen.

Geschrieben im Junius 1821.[388]

Quelle:
E.T.A. Hoffmann: Poetische Werke in sechs Bänden, Band 6, Berlin 1963, S. 381-389.
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