Der vergnügte Weg des Himmels und der Welt

[75] Die Welt.


Der Weg zum Himmel hat viel Dornen unter sich.

Drum ist mein breiter Weg viel lieblicher zu wandern.


Himmel.


Die Lüste sind dein Dorn; auch diese stechen dich/

Wenn du sie hast vergnügt. Ein Dorn folgt auf den andern.

Dein Weg ist allzeit schwer:


Welt.


Ist denn der deine leicht/

Worauf man arm und schlecht/ und den Beraubten gleicht/

Bey denen nichts von Lust/ von Anmuth/ Pracht und Schätzen?

Denn haben sie es gleich/ darf sie es nicht ergetzen.


Himmel.


Der sich der Last beraubt/ die auf der Reise drückt/

Und letzt das Leben nimmt/ ist klug und auch beglückt.

Mein Wanders-Mann ist arm/ an deinen Seltenheiten/

Reich/ weil er nichts bedarf von solchen Eitelkeiten.

Vergnügt bey jedem Gut/ so weit es tugendhafft.

Dem ist kein Gut nicht gut/ dem es den Todt verschafft.

Doch ist auf deiner Bahn wohl eine rechte Lust?


[75] Welt.


Ja freylich/ und bey dir ist nichts davon bewust.


Himmel.


Wenn du dich nun ergetzt/ was sagen die Gedancken?

Mischt unterweilen sich kein heimlichs qvälen ein?


Welt.


Manchmahl/ durch neue Lust muß es vertrieben seyn.


Himmel.


Komt es nicht wiederum? und macht es keine Pein/

Scheint manchmahl nicht in dir sich was mit dir zu zancken/

Das deinen Wandel strafft/ das viel Verdruß gebührt/

Das Angst zu nennen ist?


Welt.


Ich muß zum öftern streiten.

Was ist in mir/ das mich zum Richter-Stuhle führt/

Diß strafft mich/ und versaltzt die meisten Lustbarkeiten.


Himmel.


Verliehrt es sich denn nicht?


Welt.


Offt denck ich nicht daran/

Bin in mich selbst verliebt/ mein Schatz muß mich beseelen.

Doch plötzlich kommt ein Fall/ der mich erschrecken kan.


Himmel.


Und was entsteht dadurch?


Welt.


Ein Aufruhr/ und ein Qvälen

In meinem innersten. Denn hab ich keine Ruh.

Bald thu ich diß und das; nichts geht vernünfftig zu.

Mein Hertz ist als ein Meer/ das seinen Grund beweget.

Biß nach und nach der Sturm durch neue Lust sich leget.


[76] Himmel.


Denn bleibest du befreyt?


Welt.


Biß daß es wieder kehrt:

Es wechselt stets mit mir.


Himmel.


Erbärmliches Vergnügen!


Welt.


Was rühmest du dich doch? nichts wird von dir gehört/

Als sterben vor der Zeit/ und alle Lust besiegen.


Himmel.


Mein Weg scheint anfangs schwer: ich leugne dieses nicht:

Doch wer die Lüste dämpft/ wer die Begierden bricht/

Mit Gott und seinem Glück zufrieden lebt auf Erden/

Dem muß sein Hertz vergnügt zu allen Stunden werden.

Er stirbet diesem ab/ was ihn allzeit betrübt.

Hingegen lebt er Gott/ der ihn unendlich liebt.

In dieser Liebe herrscht die allergröste Wonne.

Es scheint auf meinen Weg die helle Gnaden Sonne.

Kein Leiden wird gehört; der Schmertz muß Zucker seyn.

Bey meinen Wanders-Mann spricht lauter Seegen ein.

Geruhig und vergnügt ist seine beste Weise.

Ihn frißt kein Sorgen-Brodt/ und keine Wollust-Speise

Bringt ihn zu früh ins Grab. Sein Creutz ist solcher Art/

Daß er dem Höchsten danckt/ und nie die Freude spart.


Welt.


Wie läst sich keine Qvaal auf deinen Wegen finden?


Himmel.


Wovon der Deine voll/ die muß bey mir verschwinden.

Es legt die dumme Welt nur diesem Wahne bey:

Daß voller Lustbarkeit der Weg zur Höllen sey.

Die Wege dieser Welt sind reich von Dornen-Hecken/

Da auf des Himmels-Bahn nur Freuden Rosen stecken.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 75-77.
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