Dichtermut

[67] [Zweite Fassung]


Sind denn dir nicht verwandt alle Lebendigen,

Nährt die Parze denn nicht selber im Dienste dich?

Drum, so wandle nur wehrlos

Fort durchs Leben, und fürchte nichts!


Was geschiehet, es sei alles gesegnet dir,

Sei zur Freude gewandt! oder was könnte denn

Dich beleidigen, Herz! was

Da begegnen, wohin du sollst?


Denn, seitdem der Gesang sterblichen Lippen sich

Friedenatmend entwand, frommend in Leid und Glück

Unsre Weise der Menschen

Herz erfreute, so waren auch


Wir, die Sänger des Volks, gerne bei Lebenden,

Wo sich vieles gesellt, freudig und jedem hold,

Jedem offen; so ist ja

Unser Ahne, der Sonnengott,


Der den fröhlichen Tag Armen und Reichen gönnt,

Der in flüchtiger Zeit uns, die Vergänglichen,

Aufgerichtet an goldnen

Gängelbanden, wie Kinder, hält.
[68]

Ihn erwartet, auch ihn nimmt, wo die Stunde kömmt,

Seine purpurne Flut; sieh! und das edle Licht

Gehet, kundig des Wandels,

Gleichgesinnet hinab den Pfad.


So vergehe denn auch, wenn es die Zeit einst ist

Und dem Geiste sein Recht nirgend gebricht, so sterb

Einst im Ernste des Lebens

Unsre Freude, doch schönen Tod!

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 67-69.
Lizenz:
Kategorien: