[385] Zar Peter. Tolstoi.
PETER.
Du schwiegst.
Hast du mir nichts zu melden?[385]
TOLSTOI.
Nichts, o Herr,
Was neben Gaben, die dir andre brachten,
Sich nennen ließe. Unser eng Geschäft
Fließt, wie der Bach, in unberühmten Ufern,
Derweilen frei're Tätigkeit, gleich Strömen
Dahinrauscht, und den Mann verklärt. Daß wir
In unsren Grenzen bleiben, ist, was man
Von uns verlangt. Man malt nicht ohne Grund
Die Themis blind und sitzend. Ja, sie darf
Die Schönheit dieser Welt nicht sehn. Sie muß
Inmitten der unendlichen Bewegung
Starr auf dem Flecke bleiben.
PETER.
Wie weit seid Ihr?
TOLSTOI.
Auf morgen steht die Sache zur Verhandlung.
PETER.
Es sind doch alle einberufen, die
Ich dir genannt?
TOLSTOI.
Wie du befohlen hast.
Ganz Neu-Rußland wird in dem Hofe sitzen.
PETER.
Auch Ostermann?
TOLSTOI.
Sobald der Graf ans Land
Gestiegen war, empfing er dein Patent.
PETER.
Ich will, daß niemand fehle, dessen Name
Erklang in diesen letzten zwanzig Jahren,
Nicht einmal Menzikof; des Beispiels halber. –
Ist dir verstattet? ...[386]
TOLSTOI.
Es ist nicht geboten,
Daß öffentlich Gericht verheimlicht werde. –
Nach einer Pause.
Der Zarewitsch ist schuldlos.
PETER lebhaft.
Wirklich?
TOLSTOI lauernd.
Ist's. –
Verhör und Zeugen, Gegenzeugen, alles
Beweist, daß die Bojaren ihn zum Werkzeug
Gebrauchen wollten, daß ein hoher Sinn
Die Wahrheit ihn gelehrt, und daß er rein
In jenem Labyrinthe blieb. Er denkt
Von dir verschieden. Dafür fehlt die Strafe.
In unserem Gebiet büßt nur die Tat.
Unschuldig ist der Prinz. Auf deinen Zorn
Wag' ich's, zu wiederholen.
PETER finster.
Wer gibt Euch
Die Leucht' in meine Brust?
TOLSTOI.
Ew. Majestät,
Wir sind in schlimmer Lage. Dein Gericht
Hat nur die Wahl: zu morden, oder aber
Geschehn zu lassen, daß das Vaterland
Mit Blut und Wunden seinen Spruch verklage.
PETER.
Wieso?
TOLSTOI.
Du sprachst von ausgelöschtem Feu'r.[387]
Nein, Ew. Majestät vergeb', die Flamme
Ward erst entzündet in Bojarenblut.
Das Volk, emporgerüttelt, schwärmt für die,
Die's lebend nicht zu schützen wagte. Freunde
Und Vettern, Söhne, Brüder schüren zu.
Um Fetzen schlägt man sich von ihren Kleidern,
Vor ihren Bildern brennen Lichter sie,
Als wären's Heilige gewesen. Wahn
Bestärkt die Bosheit; einen Namen hätt' ich
Zu nennen, der dir bitter-schmerzlich ist.
Der Seher starb, die Seherin erstand.
Sie sprüht aus ihrem Dunkel Weissagungen,
Vernichtungsträume übers Reich. Das Volk
Glaubt, tröstet sich, befestigt sich im Starrsinn.
Zwei Geister gehen um: Der Haß, die Liebe.
Die Liebe ruft mit letzter Kraft: »Alexis!«
Und wen der Haß ruft, brauch' ich nicht zu sagen.
PETER.
Nur weiter.
TOLSTOI.
Selbst der Angeklagte birgt
Uns seinen Ingrimm nicht.
PETER.
Die Folg' aus allem?
TOLSTOI.
Schon trieb man mich, drang in mich, schalt auf mich,
Weil auch in dieser Sach' mit des Gesetzes
Ernstem gemeßnem Gang ich Schritt gehalten;
Bedachtsam war ich, und ich schien verdächtig.
Es ist die Eigenheit des Menschen, daß er
Sich leicht für unentbehrlich hält. Sein Unglück
Muß gleich dem Staat ein Mißgeschick bedeuten;
Und um von dem den großen Schlag zu wenden,
Hilft man sich selbst vorerst, gut oder übel.
Anklagen ist des Jaguschinsky Pflicht,[388]
Des Legislators! Nicht die meine. Doch
Nach dem, was ich gehört, aus Winken schloß,
Mein' ich, es gibt ein seltsames Gericht;
Und alles eher, als die Schuld des Prinzen,
Wird morgen uns beschäft'gen.
PETER.
Das sagt Tolstoi?
TOLSTOI.
Ich bin erstorben für den Braus der Welt.
Fiat Justitia et pereat mundus!
Ich werde dies Symbol vertreten. Aber
Mein Amt erheischt, umfassend zu berichten.
Gern wend' ich Schaden ab, vermag ich das;
Ich fürcht' auf jede Weise schlimmen Ausgang.
Denn siegst du nicht, o Herr, in dem Prozeß,
So unterliegst du nicht bloß in den Kosten,
Was weiteren Beweises kaum bedarf.
Und deshalb bitt' ich dich, nimm diesen Handel
Aus meiner Hand zurück. Entscheide du!
Noch ist es Zeit. Zu hoch für Untertanen
Ist Herrschers Streit mit Herrschers Erben.
PETER.
Erben?
TOLSTOI.
Er hehlt es nicht, daß – Eure Majestät
Verzeihe mir das freie Wort – der Zwang
Niemand verbinden könne, daß, gedrungen
Von Eurer Drohung, er verzichtet habe,
Und daß der Anspruch auf die Krone nie
Für den verjähre, der ihn einst besaß.
PETER.
Wie? Spricht er so? Ist dies nicht Todes wert?
Tolstoi Nein, Eure Majestät, es ist 'ne Meinung.[389]
PETER.
Welch' Ihr zu teilen scheint! –
Nach einer Pause.
Im übrigen
Mag ich dir wohl vertraun, sinkt er darum
Bei mir nicht tiefer. Einmal, nur einmal
War er mir ganz zuwider. Wenn du sagst,
Es sei gewesen, als er aufgab, was
Mikaila Romanow vom Volk empfing,
Trafst du vielleicht das Richtige. – Es gibt
Verschiedne Wege, die zur Achtung führen
In meinem Herzen.
TOLSTOI.
Steht's denn zwischen Vater, Sohn,
So löse der Vater diese Frage.
PETER.
Heut
Bist du nicht glücklich, Tolstoi! Im Rat
Findst du ja sonst so ziemlich dich zurecht.
Er wollt's! Ich hab's verstattet, weil dem Arzte
Zu folgen ich entschlossen bin. Der sucht
Für eigne Schäden nicht bei sich die Mittel.
Nein er, der Tausenden geholfen, heischt sie
Von einem zweiten selber sich. Dies ist
Ein Schaden, nächst am Herzen mir; darum
Berief ich Euch zur Heilung. Nun bewährt Euch.
Ihr, Tolstoi, müßt die flücht'gern Geister leiten,
Denn Ihr seid kalt und unerschütterlich.
Denkt hoch von Eurem Amt! Schöpft Ihr das Urteil,
Das ohne Ansehn der Person, nicht achtend
Auf die Gewalt der Majestät, die Luft
Des Volks, von lautrer Überzeugung blinkt,
Dann, Tolstoi, erfochtet Ihr den Sieg,
Nicht kleiner, als die andern, so der Schwede,
Und die Natur uns lassen mußten.[390]
TOLSTOI.
Bin
Ich wahrhaft unbeschränkt?
PETER.
Dein Stab erteile
Die Antwort dir. Du fragst nur, um zu fragen.
Ihr sollt hier handeln, als gelt' es die Sache
Des ärmsten Bürgers. Sterb' er, wenn er muß,
Und sprecht den Prinzen frei, sofern Ihr dürft.
Ihr seid die Herrn und Meister Eures Saals.
Vergeßt, ich will's ausdrücklich, daß ein Zar,
Der Peter heißt, regiere. Denkt Ihr meiner,
So denkt an mich als den, der vom Hochbootsmann
Sich bis zum Admiral emporgedient.
Er geht.
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
|
Buchempfehlung
Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro