Erste Szene


[392] Ein Saal Katharinens.

Anna Cramer. Therese Mons de la Croix. Beide mit Stickerei beschäftigt.


THERESE. Wie spät, Anna?

ANNA. Eilf Uhr.

THERESE. Die Zarin schläft lange.[392]

ANNA. Wer den Hahnenschrei im Bett hört, vernimmt die Mettenglocke nicht.

THERESE. Hat sie wieder so lange gewacht?

ANNA. Ich hörte sie leise weinen bis nach Mitternacht. Dann schlummerte ich ein, und erwachte wieder von ihrem Rufen. Sie stöhnte im Schlaf. Die Lampe warf einen schrägen Schein. Ihr Antlitz hatte einen sonderbaren Ausdruck.

THERESE. Die Frau! Sie kann es nicht verwinden, daß der Zar ihr zürnt und sie meidet.

ANNA. Meinst du?

THERESE. Und davon träumte sie.

ANNA. Davon?

THERESE. Wovon sonst?

ANNA. Sie dauerte mich. Ich trat zu ihr, und berührte ihre Hand, sie zu wecken. Sie ergriff die meinige und lispelte: Bist du's? O wenn du mir nur bleibst!

THERESE. Da meinte sie den Zaren.

ANNA. Wirklich?[393]

THERESE. Und glaubte, er habe die Moskauer Geschichte vergessen, und den Vorfall auf dem Schiffe, und kehre versöhnt zu ihr zurück.

ANNA. Bei der Nacht?

THERESE. Nun ja, im Traume. – Wie kannst du so etwas denken? ...

ANNA. Was?

THERESE. Laß mich. Ich muß die Stiche zählen.

ANNA. Therese!

THERESE. Anna?

ANNA. Sieh mich an.

THERESE. Ich kann nicht. Die Rose macht mir zu schaffen.

ANNA. Eine glühende Rose. Ihr Widerschein liegt auf deinen Wangen. Nehmt euch in acht.

THERESE. In acht nehmen? Wer?

ANNA. Du und dein Bruder.

THERESE. Du wirst unerträglich.[394]

ANNA. Wie jede aufrichtige Freundin. Ihr seid Franzosen. Ihr hüpft und hüpft wie die Vögel immer näher der Falle, bis sie über euch zusammenschlägt.

THERESE. Was tun wir denn?

ANNA. Verachte nur meine Warnungen. Das ist kein Boden, auf dem muntre Händel gedeihn. Ich bin ein paar Jahre länger an diesem Hofe als du. In diesen Gemächern ist manch ein Seufzer, manch ein Schrei der Verzweiflung erschollen. Wenn die Tapeten reden könnten! Arme Hamilton!

THERESE springt auf. Leichenseherin! Es ist nicht zum Aushalten. Draußen nichts als Staatsgespräche, oder das Lallen des Rausches, hier hocken wir, wie die Mumien in den Pyramiden. Und wird einmal etwas laut, ist's so ein Eulengesang. Ich wollte, ich wär' wieder in unsrem kleinen Hause, da litten wir knappe Not, aber wir lachten und scherzten.


Sie geht zu Annen und liebkost ihr.


Was soll ich tun, dich zu begütigen? Soll ich schwören, soll ich mich vermessen? Herz! Geliebte! Murrkopf! Bei allen Liedern der Gascogne; wir sind unschuldig, der Bruder und ich!

ANNA. Das glaub' ich gern. Als ob man hier schuldig sein müßte, um unglücklich werden zu können.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 392-395.
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