Sechste Szene


[438] Katharina. Alexis. Zuletzt: Mons de la Croix.


ALEXIS.

O ew'ger Himmel! Diese? Was will diese?

KATHARINA.

Den Frieden stiften im entzweiten Haus.

Alexis, sammle dich! Ich fühle wohl,

Daß mein Erscheinen dich befremden muß.

Ich hatte keine andre Stunde, wollte

Nichts vorbereitet Künstliches. Ich brauchte

Auf diesem Wege nicht ein seltsam Tun

Zu scheun. Stiefmutter bin ich dir. Doch glaube,

Auch solche können's redlich meinen. Prinz,

Den Weg der Rettung Euch zu zeigen, komm' ich.

ALEXIS in der heftigsten Bewegung.[438]

Du? Mir? Den Weg der Rettung! Wo ist Sie?

Wenn diese sie beträfe ... Schmerz und Jammer!

Essig die Säfte meines Leibes ... Oh! –

Das Herz lag aufgebrochen wie 'ne Lilie!

O meine armen Blätter! – Gift'ger Wurm!

Wie dürft' er's wagen, solcher Pracht zu nahn? ...

KATHARINA.

Du bist von Sinnen! Höre zu, hör' mich.

Verloren bist du, wie dein wilder Stolz

Sich auch verteidigt wähnt. Gerichtet wirst du,

Sie treiben's durch, der Zar kann's nicht verhindern.

Sein Sinn ist dir geneigt, das sag' ich dir,

Ein einzig Mittel gibt's, das bring' ich dir,

In innerster Bewegung fand ich's aus.

Du folgst mir auf der Stelle. Noch ist wach

Dein Herr und Vater. Ich vertret' es. Komm.

Du stürzest reuig auf dein Knie vor ihm,

Du badest seine Hand mit Kindeszähren,

Du sagst aufricht'ge Sohnesworte ihm,

Du lobst ihm fromm-empfundenen Gehorsam,

Du gibst dein Los in seine Gnade hin,

Du tust das alles gleich unweigerlich ...


Sie will ihn bei der Hand ergreifen.


ALEXIS zieht die Hand zurück.

Nur Fürst und Fürstin gehen Hand in Hand! –

Du bist die Gleisnerin, die mich belügt,

Du baust die Falle, die zu gröblich ist,

Du hast verloren List und Müh' und Fleiß,

Ich glaub' dir nicht!

KATHARINA.

Du bist im Haupte krank,

Und drum vergeb' ich's. Bei dem Kreuz. Ich sprach

Von Herzen. Folg mir.[439]

ALEXIS.

Auch zudringlich? Doch

Das ist ja deinesgleichen stets. Nun denn,

Bist wahrhaft du, will ich kein Heuchler sein.

Zu andrer Stunde sagt' ich's gerne dir

In feinrer Art. Doch heute bin ich nicht

Gefaßt auf Wendungen. Und also mein' ich's:

Im Schlechten gehe vorwärts, das vermagst du;

Zwing dich zum Guten nicht! Der Weg dahin

Ist allzu steil für sündenschlaffe Füße.

Was mich betrifft, so wisse: Morgen abend

Geht losgesprochen aus der Sohn des Herrn,

Ein greulich Schreckbild dir, Euch allen. Sterblich

Ist Peter, doch das Volk lebt ewig! Mir

Gehört's, und fühlen hab' ich mich gelernt

Als Feldherrn; an des Heeres Spitze aber

Ergibt sich nur der Feigling, der ich war.

Räum' meiner Mutter schnöd' erbuhlten Platz,

Sei, was du warst! Stell dich im Linnenkleid

Auf Vaters Hufe, dann will ich beim Gutsherrn

Ausmachen, daß er dir die Büß' erläßt

Für die versäumten Fronden. Kümmre dich

Nicht um das Los des Zarewitsch von Rußland!


Er tritt zur Seite.


MONS tritt ein mit gezognem Degen.

Sieh beben mich vor Zorn, geschmähte Fürstin!

Gebiete mir, so wühlt mein Degen rächend

In dieses Frevlers Brust!

KATHARINA.

Du schweigst von ihm,

Sonst bann' ich dich auf ew'ge Zeit! Ich bin

Geheilt, bin Katharin' Alexiewna!

Verbrechen sind an mir zu üben: Niemand

Kann mich beleidigen.[440]

MONS.

Laß mich ihn töten!

KATHARINA.

Sein Haupt ist eines andern Eigentum.

Wer wollt' in fremdes Amt sich drängen? –

Gehn wir!


Sie geht. Mons folgt.


ALEXIS ihnen nachsehend.

Mein Vater ist ein armer, armer Mann!

Doch sie? Wo war sie? Ist sie? – Weg Gedanken,

Die mich entmannen! – Tag brich an, und leuchte

Dem Braven und dem Schelm ins Angesicht!


Er wirft sich auf sein Lager.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 438-441.
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