[55] Villach. Ein Staatszimmer.
Der Vizekönig von Italien. Graf Paraguay.
VIZEKÖNIG.
Warum so bös auf mich, mein finstrer Freund?
PARAGUAY.
Der Sohn des Herrn treibt gnäd'gen Scherz mit mir.
Um auf denselben einzugehen, frag' ich:
Weshalb die Audienz? Warum läßt sich
Ein kaiserlicher Prinz so weit herab,
Verfemte Räuber zum Gespräch zu laden?
Ein gärend Land durch Worte sänft'gen wollen,
Heißt: Öl und Wasser zu verein'gen streben.[55]
Gelingen kann's, o ja! Soll es gelingen,
Bedarf's dazu der Zeit und der Geduld.
Wenn wir Geduld auch hätten, fehlt uns doch
Die Zeit. Der Kaiser will Tirol nunmehr
In kürz'ster Frist bewältigt, die Entwaffnung,
Des Landes Teilung rasch vollzogen wissen.
Weshalb verlassen wir die einfach-strenge,
Die sichere Linie?
VIZEKÖNIG.
Ich lud das Haupt
Des Aufstands zum Gespräch, weil – doch, mein Mentor,
Was nennen Sie die einfach-strenge Linie?
PARAGUAY.
Den Trotz, den Eigensinn, den letzten Aufstand
Der Bauern, und der Führer starre Wut
Ins Aug' gefaßt, daneben wohl erwogen,
Daß nicht ein Titelchen von Recht erübrigt,
Was ihnen zur Entschuld'gung dienen kann.
Schien folgendes mir rätlich: Ganz Tirol
Liegt unter Acht, denn alle sündigten.
Drum hätten wir die Dörfer, die hauptsächlich
Der Rebellion Vorschub getan, verbrennen,
Die Männer draus erschießen lassen soll'n.
VIZEKÖNIG.
Ja, das wär' einfach, streng' und sicher auch,
Denn Grab und Wüste insurgieren nicht.
PARAGUAY.
Auf uns die Rücksicht nehmend, konnten wir
Bedenken tragen, ob es nützlich scheine,
Ein Land zerstören, das uns nähren hilft?
Dem Haufen also durfte man verzeihn,
Die Führer auf den Sandberg nur befördern.
Wir haben eine Liste, die sie nennt.
VIZEKÖNIG.
Sie ist sechs Bogen stark!
PARAGUAY.
Das Äußerste
Ew. Hoheit nachgegeben; Gnade mocht' auch
Die Minderschuld'gen sondern. Nur die Schlimmsten,
Die Unverbesserlichsten: Andre Hofer,[56]
Speckbacher, Haspinger und Eisenstecken,
Thalguter, Fallern, Peter Mayer, Straub.
Teimer und Sieberer, die mußten fallen.
VIZEKÖNIG. Zehn Exekutionen!
PARAGUAY. Ja, nicht mehr.
VIZEKÖNIG.
Sie glauben nicht, wie ich dergleichen hasse!
PARAGUAY.
Notwendigkeit befahl's, so mußt' es sein,
Nicht Mordlust stachelt mich.
VIZEKÖNIG.
Der Graf, mein Vater,
Ging auch einst zum Gerüst. Ich taucht' ein Tuch
Ins Blut, das durch die Bohlen tröpfelte.
Und dieser Anblick kommt mir stets vors Auge,
Wenn mir ein Todes-Urtel wird gebracht,
Ich schaudre dann und meine Feder stockt.
PARAGUAY.
Wär' jener Louis streng gewesen, hätte
Zur rechten Zeit den Henker schalten lassen,
So ging Vicomte Beauharnais späterhin
Nicht zum Gerüst.
VIZEKÖNIG.
Und war der König streng,
Wo wär' mein Fürstentum und Ihre Grafschaft? –
Das ist ein Labyrinth, worin das Denken
Sich rettungslos verliert. Wir haben, was
Wir nimmer hätten, haben möchten, wär'
Die Zeit zurückzuschieben. Nicht ertrüg's
Verwöhnter Sinn, wär's anders, als es ist,
Und doch ruft das Gewissen Tag und Nacht:
O daß es anders wär'! In solchem Streit,
Was rettet uns? Ein holdes Maß im Busen.
Durch Strudel fahren wir, wo des Verstandes
Kompaß den Weg nicht zeigt! Kann unsern Hort,
Den düstern, reichen, schwerunheimlichen,
Zum frommen Eigentume was verwandeln,
So ist es Ehr' und Treue, Mild' und Unschuld.
Drum, wenn ich heut' mit gutem Wort versuche,
Was jüngst dem stürm'schen Herzog mißlang, als[57]
Er Frankreichs Blüte gegen Felsen trieb,
Nicht ganz der Gründe bloß ist diese Meinung.
PARAGUAY.
Die ich noch immer nur erraten soll.
Ich spare das Gemüt auf für die Unsern.
VIZEKÖNIG.
Ja, ja, Ihr nennt sie Räuber, Brenner, wälzt
Sie in den tiefsten Kot! Ich unterschreibe
Auch alle diese Dinge. Freund, sie sind
Nicht so gar weit von uns.
PARAGUAY. Prinz, ist es möglich?
VIZEKÖNIG.
Wodurch denn sind wir groß geworden, Graf.
Als daß wir gingen mit dem Sturm des Volkes?
Der wehte uns den lichten Sternen zu,
Und gab uns Kräfte, unsern goldnen Tempel
Inmitten dieser mürben Welt zu baun.
Hier aber tritt uns ja dasselb' entgegen,
Was uns getrieben. Dieses arme Volk,
In seiner Einfalt, unter seinen Pfaffen,
Ist zu derselben Mündigkeit gelangt,
Als wir, wir Glänzenden. Es steht auf sich,
Es will auf sich stehn, will 'nen Willen haben.
PARAGUAY.
Wird so ein Stäubchen unsre Fluten trüben?
Die Wellen roll'n verachtend drüber hin.
VIZEKÖNIG.
Das ist gewiß, wir werden sie besiegen!
Gewisser ist: Hier hebt ein neu Verhängnis
Für dich und mich und all die Unsern an.
Das Herz treibt sie, das Herz weiß, was es will,
Wofür das Herz entbrennt, das führt's hinaus.
Dies kündet eine böse Spaltung, zeigt
Im Vorgesicht der schwangern Zeit Geburten.
Es birst die Welt, und durch den Riß entgegen
Dräun uns die Larven der Vergangenheit. –
Sie sind nachdenklich worden.
PARAGUAY.
Freilich bin ich's.
Es faßt den Fremden eine Todesahnung,
Sieht er des Hauses Kinder zittern.[58]
VIZEKÖNIG.
Zittern? –
An jenem Tag, da mich der Kaiser annahm
Zu seinem Sohn, schwor ich, sein Sohn zu sein,
Als hätt' er mich im Ehebund erzeugt.
Verträgt die neid'sche Erde keine Größe,
Und ist auch seinem Wunderbau bestimmt,
Zu stürzen, gleich den alten; werd ich mich
Verhüll'n und fall'n. Inzwischen aber werd' ich,
Ständ' auch der Feind auf des Montmartres Höhn,
Ans Glück und an die Macht des Kaisers glauben!
Dies war Vertraun, nicht Furcht.
EIN PAGE tritt herein. Der Patriarch!
VIZEKÖNIG. Laß ihn herein, wie sieht er aus?
PAGE.
Man sieht
Von ihm fast nichts, als seinen langen Bart,
Der halb das Antlitz deckt, von da hernieder
Zum Gürtel kräuselnd wallt. Er könnte, glaub' ich,
So wie er ist, sich in Paris auf das
Theater Feydeau stellen, und den Jakob
In »Joseph in Ägypten« spielen.
VIZEKÖNIG.
Geh'
Du kleiner Schwätzer! ruf ihn!
Page ab.
Ich erfahre,
Daß er noch immer zweifelt, seltsamlich
Die Handschrift seines alten Herrn verlangt.
Deshalb ersann ich die unschuld'ge List,
Wobei Sie, Paraguay, mir helfen sollen.
Gehn Sie ins Kabinett und treten Sie
Zur rechten Zeit mit Ihrer Meldung ein,
Die mein Geschäft zum Schluß bringt.
PARAGUAY.
Diese Art
Zu unterhandeln, ist – doch, wie Sie wollen!
Ab durch eine Seitentüre.
VIZEKÖNIG.
Die alten Herrn vom Degen möchten immer
Drein schlagen mit dem Schwerte, fassen nicht,
Daß uns, die wir zu Thronen sind berufen,[59]
Im Mund ein Zauber wohnt, gewaltiger
Als Schwertes Schärfe – Tritte! – Ja, er ist's.
Wie leit' ich's ein? Ja! So – so wird es gehn.
Er setzt sich.
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro