[60] Andreas Hofer tritt auf.
VIZEKÖNIG.
Bist du der Sandwirt Hofer von Passeier?
HOFER.
Der bin ich, mein hochgnäd'ger Prinz.
VIZEKÖNIG.
Kommst du
Mit bünd'ger Vollmacht von den Insurgenten?
Zwar, Vollmacht deutet auf erlaubte Dinge,
Das Wort paßt also nicht. Indessen gibt
Die Armut unsrer Sprache mir kein andres.
Kommst du in Vollmacht von den Insurgenten?
HOFER.
Die Landsverteid'ger haben mir vertraut.
Daß ich an ihrer Statt vor dir erscheine.
VIZEKÖNIG. Dein Kreditiv –
HOFER.
Ich habe kein's. Die Eile,
Der Drang der Zeitumstände ließen uns
Die Schrift vergessen. Auch wird meistens alles
Bei uns von Mund zu Munde abgehandelt.
Indessen kam ein guter Herr und Freund
Mit mir, der Priester Donay. Dieser kann
Bekräft'gen, daß das Volk, was ich vor dir
Geredet, auch genehm'gen werde. Willst
Du, daß ich diesen Priester rufe?
VIZEKÖNIG.
Nein,
Bleib' nur, ich nehm' dich an.
Nach einer Pause.
Daß ich so ganz
Vergesse, wie ich eigentlich mit euch
Verfahren dürfte, sollte – freien Zutritt
Und meines Anblicks Gnade dir gewähre,
Hat seinen Grund in angestammter Güte,
Bedauernder Erwägung eures Kurzsinns,
Der schrecklich auf euch selbst die Folgen warf.[60]
Erkennst du die Herablassung wohl an?
Ich hoffe, dankbar wirst du sie erkennen.
HOFER.
Gedenke ich daran, welch strenges Recht
An denen ihr euch nahmet, die wohl sonst
Sich unterwanden, euch zu widerstreben.
Verwundr' ich über deine Großmut mich.
VIZEKÖNIG.
Was also bringst du mir von deinem Volk?
Fügt es sich guter Ordnung? Will's den Frieden
Genießen, den der Erdkreis hat?
HOFER. So sagt man.
VIZEKÖNIG.
Wie? Sagt man? Sagt man? Nun! Du glaubst denn doch
Wohl dem, was alle Welt dir schon gesagt.
HOFER. Dein Offizier, o Herr, hat mir's gesagt.
VIZEKÖNIG. Es steht ja in der Zeitung schon.
HOFER. Die Zeitung!
VIZEKÖNIG nach einem Papier greifend.
Ich will des Kaisers Brief dir –
HOFER.
Deines Kaisers?
Dein Kaiser ist mein Feind, ich glaub' ihm nicht.
Der Vizekönig wendet sich unwillig.
Vergib mir meine Kühnheit, lieber Herr!
Der arme Hofer kann einmal nicht anders,
Und da du Gnade üben willst, so übe
Die Gnade jetzt, mich huldreich anzuhören.
Wir Leute von Tirol sind, oder waren
Ein fröhlich Völklein, aber einen Zug
Den wollen unsre Nachbarn just nicht loben;
Sie nennen uns mißtrauisch. Ob wir's sind,
Kann ich nicht sagen. Wenn wir's sind, so haben
Wir ein'gen Grund dazu, denn Vorsicht lehrt
Uns jeder Schritt von unsern Kindesbeinen.
Auf schmalen Pfaden wandern wir, da reißt
Sich haarbreit neben uns ein Abgrund auf.
Es hängt der Fels, die Klippe über uns:[61]
Geschwind vorbei, eh' sich die Quadern lösen!
Heut sehen wir ein Bächlein, morgen ist
Vom kurzen Regenguß das Tal beströmt,
Die Nebel und die Wolken spiegeln uns
Die Ebne oder eine Brücke vor;
Vertrauen wir dem Dunst, so stürzen wir
Zerschmettert in das Bodenlose. Nächtlich
Bricht Bär und Wolf in unsre Hürden, Tags
Raubt uns der Aar die Frucht der Mutter. Sieh
O Herr! so sind wir immerdar im Kampf,
Und müssen auf der Hut sein! Der Tiroler
Glaubt nur, was er mit Händen fassen kann.
VIZEKÖNIG.
Nun denn, du wunderlicher Mann, wie soll ich
Den Frieden dir in deine Hände geben?
HOFER.
Ich bin nicht aufgestanden freventlich,
Nicht wie ein Ritter aus dem Stegereif!
Vielmehr, ich hab' höchste Mahnung und
Des Kaisers Willensmeinung abgewartet,
Und eher nicht den Stutz zur Hand genommen.
Ich kann wahrhaftig meine Zweifel, ob
Ich ihn ablegen solle, kann sie nicht
Aus meiner Seele in die Lüfte schütten,
Eh' ich nicht Kaisers Hand und Siegel, nicht
Den Friedensbrief von meinem Kaiser sehe.
VIZEKÖNIG.
Ich muß dir zu vernehmen geben, Hofer!
Auf diesen Einwand war ich nicht gefaßt,
Und wenn du ihn nicht läßt, so scheint mir gänzlich
Der Unterredung Grund und Zweck zu mangeln.
HOFER.
Das mein' ich auch. Drum staunt' ich, als du mich
Nach Villach in dein Lager herbeschiedest.
VIZEKÖNIG beiseite.
Welche Hinterhältigkeit! Was säumt der Graf?
HOFER.
O zürne nicht, erlauchter Prinz und höre
Mich gütig aus. Du kannst es ja nicht ahnen,
Wie oft uns arme Bauern das Gerücht[62]
In diesem Sommer trog; an dessen Tücke
Reicht doch der Wolken Bosheit nicht, und schneller
Drehn Worte in ihr Gegenteil sich um,
Als um die Rose wechselnd läuft der Wind.
Bald hieß es: Stillstand sei, bald wieder: nein,
'S ward eine Schlacht geliefert. Bald: der Feind
Steht rechts vom Land, bald: links ward er gesehn.
Jetzt war's gewiß: die Truppen werden bleiben;
Im nächsten Augenblick: das Heer zieht ab!
Wer kann uns schelten, wenn wir mehr als Worte
Zu der Bestät'gung unsres Unglücks fordern.
VIZEKÖNIG.
So! Aber hör doch! Ich soll dir doch glauben,
Daß du aus Abordnung des Volkes kommst.
Ich glaube dir, ich zweifle nicht, ich denke
Nicht, daß ihr Zeit gewinnen wollt, und während
Ich mit dir rede, neue Listen spinnt.
Du sagst's, der Bauersmann, ich glaub's, der Fürst.
Dir aber, Bauer! gilt das Ehrenwort
Des Fürsten und des Ritters nicht für voll.
Hofer schweigt verlegen.
Ich dächt', es wär' wohl wichtig. – Schäm' dich, Hofer.
HOFER nach einer Pause.
Mein Herr, ich will versuchen, dir zu glauben.
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