Fünfzehntes Kapitel

[69] Die Chaise fuhr vor. »Willst du mit?« fragte der Oheim. Hermann entschuldigte sich mit einem Geschäfte, welches ihn am Orte zurückhalte. »Das ist ein andres«, versetzte jener. »Geschäfte sind immer die Hauptsache. Auf guten Erfolg! Wir sprechen uns ja noch, dann kannst du mir sagen, wann du kommen willst. Ich verlange nach deinem Besuche, ich muß wegen der Gelder, die ich für dich verwalte, mit dir abrechnen, auch habe ich geheime Sachen von deinem seligen Vater an dich abzuliefern, da du nun das Alter erreicht hast, in dem du sie nach seiner Disposition bekommen solltest. Mein Bruder war ein Mystiker; man muß den Toten ihren Willen tun.«

Die Chaise rollte davon. Noch immer wollte die Stunde des Duells nicht schlagen. Das unbeschäftigte Warten auf etwas, was, man mag es nehmen wie man will, doch unangenehm bleibt, bringt eine Pein ganz eigner Art hervor. Die Vergangenheit verschwindet, die Zukunft ist bedeckt, und nur das widrige Gefühl einer faden Gegenwart schneidet sich mit stumpfer Gewalt in die Seele ein.

Diese nagende Empfindung zehrte an Hermanns Gemüt. Obgleich fest entschlossen, Blut und Leben für die Rettung eines unglücklichen Wesens einzusetzen, mußte er sich bekennen, daß der Schmelz von dem Abenteuer abgestreift sei, seitdem er nicht mehr hoffen durfte, den Lohn seiner[69] Anstrengungen in einem gütigen Lächeln der Fürstin sich zu gewinnen. Die Kinder hatten ihren Vater, die Kranke war unter Obhut, er kam sich in allen Beziehungen, die ihn seit gestern umsponnen hatten, so überflüssig vor. Ja, er begann zu zweifeln, daß er irgendwo nötig gewesen sei. Die Gestalt seines umherirrenden Mündels verflüchtigte sich zu einem luftigen Märchenbilde. »Vielleicht«, rief er unmutig aus, »hatte ich hier an nichts, als an meine verlorne Brieftasche zu denken!«

Endlich war die Zeit hingegangen, und Hermann stand am bezeichneten Orte. Ein finstrer Tannenkamp umgab einen geräumigen Platz. Durch die schwarzen Kronen der alten Stämme sah ein bedeckter Himmel, ein grauer, melancholischer Tag. Hermann war früher da, als sein Gegner; er vertraute sich, als dem besten akademischen Fechter seiner Zeit, und war entschlossen, den Feind zu schonen.

Der Johanniter kam in einem kleinen Cabriolet angefahren. Man begrüßte einander. Hermanns Gegner ließ ihn unter den beiden mitgebrachten Degen wählen. Die Sache gewann wegen des Mangels an Sekundanten ein sehr unförmliches Ansehn, und ein gefährliches, da niemand des Arztes gedacht hatte. Man vereinigte sich, daß jeder das Recht haben solle, die Dauer des Ganges zu bestimmen, und daß ein Haltrufen nicht für unehrenvoll gelten dürfe.

Die Streiter warfen die Röcke ab, der Hals wurde von der Binde entfesselt, Hermann legte sich aus, der Johanniter hieb aus. Schon nach den ersten Gängen merkte Hermann, daß er den Gedanken an Schonung aufgeben müsse. Er focht regelrecht auf den Hieb, wie der Universitätsbrauch ist, der Widerpart verfuhr dagegen nach dem komplizierten französischen Systeme von Hieb und Stoß, und machte ihm mit Finten und blitzschnellem Nachschlagen viel zu schaffen. Er hielt sich zwar brav, wie immer, war aber doch zerstreuter als sonst, unruhig von den durchwachten Nächten, und vom Getreibe der vergangnen beiden Tage.

Indessen wäre dieser Handel, wie so mancher, durch die Ermüdung der Kämpfer wohl zum unblutigen Ziele gediehen, wenn nicht Hermann plötzlich während einer Pause in der Ferne[70] zwischen den Bäumen eine Figur sich hätte bewegen sehn, die er für Flämmchen halten mußte. Seine Verwirrung nahm zu, er wollte den Kampf um jeden Preis zu Ende bringen, und suchte durch Heftigkeit den Mangel an Sicherheit zu ersetzen. Er drang gewaltsam vor, gab dabei eine Blöße, diese benutzte der Gegner, rasch einspringend, und die Terz hauend. Der Stahl zischte durch die Luft und fuhr in die rechte Seite.

Die Degen sanken, das Blut tröpfelte aus der aufgeschlitzten Seite, quoll dann immer reichlicher hervor, floß und floß unaufhaltsam. Der Johanniter schlug sich wie ein Rasender vor den Kopf, und verwünschte den Streich, der ihn um seinen Posten bringen könne.

Hermann war erschöpft zu Boden gesunken, und sagte mit matter Stimme: »Beruhigen Sie sich, eilen Sie nach der Stadt, holen Sie einen Arzt, und sagen Sie überall, Sie hätten hier einen Verwundeten liegen sehn. Ich bestätige jedes Ihrer Worte, und will versichern, daß mich ein Räuber angefallen habe.«

Unterdessen war Flämmchen weinend und jammernd herbeigekommen. Sie fuhr mit entsetzlicher Gebärde auf den Johanniter zu. »Du hast ihn erstochen, meinen Gemahl, den Prinzen, er stirbt! Ich werde nie eine Prinzessin werden!« rief sie. »Aber dafür sollst du verdorren! Ich weiß, wo die Hexenmeister wohnen, die einem den Schatten nehmen und das Spiegelbild rauben, und das Galgenmännlein verkaufen.«

»Bist du verrückt!« fuhr sie der Johanniter an. »Komm mit! Welch ein Aufzug!«

»Bleib mir vom Leibe!« rief die junge Furie. »Ich sage sonst, was du begangen hast, und sie sollen dir den Kopf abschlagen.«

Hermann richtete sich halben Leibes empor. »Bringt Sie mein Blut nicht zur Besinnung?« fragte er. »Ich beschwöre Sie, achten Sie die Tugend dieses Mädchens!«

Der Johanniter sah ihn starr an. »Ich alter Tor!« brach er endlich aus, »über meine verdammte Hitze! Sich beleidigt zu halten von einem Menschen, der seine fünf Sinne nicht beisammen hat!« Er warf den Degen weit von sich in das Gebüsch, und jagte mit seinem Wägelchen im Galopp davon.

Flämmchen warf sich zu dem Verwundeten an den Boden, stopfte Moos in die verletzte Seite, rief ihm die süßesten Namen[71] zu, und dazwischen dem Johanniter gräßliche Verwünschungen nach. Hermann hörte und sah nichts mehr. Eine tiefe Ohnmacht hatte ihn überschattet. Sein Gesicht war totenbleich. Das Moos hemmte die Blutung nicht. So lag er unter den düstern Tannen, als ein Opfer seines guten Willens.[72]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 69-73.
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