I. Graf Heinrich an Hermann, den Vater

[630] Hamburg, den 10. April 1795


Hermann, noch klingt und zittert unser Abschied in allen Fibern meiner Seele nach! Als ich die Räder Deines Wagens rollen hörte, barg ich mein feuchtes Antlitz im Tuche, warf mich über den Tisch, und fraß meinen Schmerz hinunter. – Nun bist Du fort, ich suche Dich überall, und umarme nur ein ödes Luftbild. Du fehlst mir überall; »das würde ich ihm sagen, diese Empfindung in seinen Busen ausschütten!« spreche ich hundertmal des Tages vor mich hin, ach, Du weißt es nicht, Du Kalter, welches Gefühl für Dich in diesen Adern siedet! Nur die Freundschaft konnte mein Herz ganz ausfüllen, ich zweifle, ob es die Liebe je wird vermögend sein. Ach, daß Du mir fehlst!

Hamburg und Bremen, und Bremen und Hamburg! wirst Du sagen. Fünfzehn Meilen, ist das eine Entfernung? Wie bald können wir wieder zueinander kommen! Und dennoch, wie fern liegt die Aussicht dazu! Dieses Wiedersehn nach unsern glücklichen akademischen Jahren war das letzte[630] Auflodern der Jugend, Dich werden Deine Verhältnisse, in denen Du schon so ziemlich eingesponnen bist, nach und nach immer mehr wie mit eisernen Zangen fassen, und ich muß ja nun auch wohl zu Hause hocken, wenn ich meinen Vater nicht ganz aufbringen, und ihn dazu treiben will, daß er mich auf den Pflichtteil setzt.

Hier bleibe ich noch ein paar Wochen, um dem Meere nahe zu sein, welches mit wunderbarer Gewalt in mir Windstille und Sturmwogen schafft, und dieses eigensinnige, kranke Herz zum Genusse seiner selbst mächtig aufwühlt. Freilich, unter den Krämern wird mir nicht wohl. Gestern wollte mich einer auf ein Schiff mitnehmen, um mir eine Vorlesung über Befrachtung, Segel- und Steuermannskunde zu halten. Ach«, versetzte ich, »lassen Sie das; mir wäre nötiger zu wissen, wie wir unsern Lebensnachen an Klippen und Untiefen vorbeibringen, welche Winde ihn weiterführen, vor welchen Strömungen wir ihn zu hüten haben!«

Hermann, unser Schwur, unser heiliger Schwur! Daß sich keiner dem andern in der höchsten Not seiner Seele versagen soll, und gälte es das Opfer des eignen Lebens und Glücks. Wir haben es uns gelobt, als wir das Blut unsrer Adern zusammen in die silberne Schale rinnen ließen, und die Flut dann mischten zu dem Weine, den wir genossen, als Kelch eines weltlichen Abendmahls. So schließen die Wilden ihre Todesbrüderschaften, und wir haben's ihnen nachgemacht, und wollen immerhin gar gern außerhalb der sogenannten Kultur mit unsern Gefühlen stehn. Wie dürste ich, meinen Eid durch eine Tat für Dich auszulösen!

Ich habe Klopstock besucht, der sich ganz verjüngte, als ich ihm von unsrer Freundschaft erzählte. So meinte er, habe er nur seinen Schmidt, seinen Ebert, seinen Giseke geliebt, und sei diese Liebe, wie er geglaubt, aus der Welt verschwunden gewesen. Er sprach viel von seiner Jugend, von Halberstadt und Gleim, von Fanny und Meta, und sagte, er könne sich in die jetzige Welt nicht mehr recht finden. Die jungen Meister wähnten, die Kunst treiben zu können, während sie, die Alten, von der Kunst getrieben worden wären. Ich bat um seinen Segen, den er mir auch als Hoherpriester in Thuiskons[631] Heiligtume feierlich-gerührt erteilte. Dieser schönen Stunde Anteil fliege Dir, mein Geliebter, auf den Schwingen Idunens zu! Sei mein, wie ich bin

Dein ewiger H.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 630-632.
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