39. Die beiden feindlichen Könige.

[212] Es waren einmal zwei Könige, die waren einander spinnefeind. Der eine davon war aber der ärgste Zauberer auf der ganzen Welt, und da er seinem Nachbar nicht mit Gewalt zusetzen konnte, weil sein Land viel kleiner war, als das Reich des andern, so versuchte er es mit List. Als sein Nachbar einst, wie er zu thun pflegte, allein auf die Jagd geritten war, befiel ihn ein heftiger Durst; aber so sehr er auch ausschaute, es war nirgends ein Quell oder ein Bächlein zu erblicken. Er war schier verschmachtet; da kam ein Mann auf ihn zu, mit langen Wasserstiefeln angethan, mit einem Spaten in der Hand und einer Leiter auf dem Buckel. »Heda, guter Freund, wo kommst du her, und was willst du mit Wasserstiefeln im heissen Sommer?« fragte er. »Ich bin ein Brunnenmacher,« antwortete der Mann, »und habe soeben einen Brunnen gegraben, hier ganz in der Nähe.« – »Ach, führ mich dahin!« rief der König erfreut; und der Mann ging mit ihm ein paar Schritt durch die Bäume, und richtig, da war ein tiefer, tiefer Brunnen, in den führte eine Strickleiter hinab, denn die Eimer waren noch nicht angebracht. Und damit die Sonne das Wasser nicht erhitze und die Blätter von den Bäumen nicht hinein fielen und das Wasser verunreinigten, so war ein Kasten mit einer Klappe darüber gebaut. Der König öffnete eilig die Klappe und stieg hinab, schöpfte mit der hohlen Hand und trank gierig von dem kalten, klaren Wasser. Als er satt getrunken hatte und wieder hinauf wollte, war aber die Klappe zugeschlossen, und er war gefangen in dem tiefen Brunnen. »Mach auf,« rief er zornig, »ich bin der König des Landes!« – »Und ich bin dein Nachbar!« rief der Brunnenmacher lachend;[212] »Darauf habe ich schon lange gewartet, dass ich dich finge; und jetzt, da ich dich habe, werde ich dich nicht so leichten Kaufes von dannen lassen.« Als der König merkte, dass er in seines Todfeindes Hände geraten sei, legte er sich auf das Bitten und versprach ihm so viel Gold und Silber, als vier Pferde von dannen ziehen könnten. »Geld habe ich selbst genug;« erwiderte der Zauberer! »Aber deine Frau ist guter Hoffnung. Wenn sie dir nun einen Sohn gebärt und du mir versprichst, das Kind zu mir zu schicken, sobald es vierzehn Jahre alt geworden ist, so will ich dir das Leben schenken.« – »Das kann ich nicht,« antwortete der König. »Dann bleibst du hier sitzen und magst in dem Brunnen verhungern um eines ungeborenen Kindes willen,« entgegnete der Zauberer. Dachte der König bei sich: »Besser, der Vater bleibt leben, als der Sohn, und wer weiss, ob's ein Junge ist, den deine Frau, die Königin, dir schenken wird;« und sprach darum laut: »Gut, es soll so sein, wie du gesagt hast!« Da liess ihn der Zauberer aus dem Brunnen heraus, und nachdem ihm der König die Sache schriftlich gegeben hatte, kehrte ein jeder in seine Stadt zurück.

Es dauerte auch gar nicht lange, so kam die Königin nieder und genas eines schönen Knäbleins, das wurde in der Taufe Prinz Ludwig genannt. Alle Leute freuten sich, dass das Land einen Erben bekommen hatte, nur der alte König war traurig und still, obgleich es sein einziger Sohn war und das Kind von Tag zu Tag schöner und klüger wurde. Als der junge Prinz nun sein vierzehntes Lebensjahr vollendet hatte, nahm ihn sein Vater besonders und sprach zu ihm: »Mein Sohn, ich habe dich vor deiner Geburt an meinen Nachbar, den bösen Zauberer, verkauft; hätte ich es nicht gethan, so wäre ich eines elenden Todes gestorben. Nun mach dich auf und geh hin zu meinem Todfeind, wie ich ihm versprochen habe.« Antwortete Prinz Ludwig mit trauriger Stimme: »Die Suppe, welche der Vater eingebrockt hat, muss der Sohn ausessen!« sagte dem König und seiner Mutter Lebewohl und wanderte der Hauptstadt des bösen Zauberers zu.

Als er ein paar Tage gegangen war, kam er in einen grossen Wald. Darin begegnete ihm ein alter Mann, der sprach zu ihm: »Guten Tag, Prinz Ludwig, wo willst du hin?« – »Zu meines Vaters Todfeind, dem ich vor meiner Geburt verkauft bin,« antwortete Prinz Ludwig. »Nun, dann werde ich dir einen Rat geben:« sagte der alte Mann, »Wenn du den Wald hinter dir hast, wirst du an eine acht Meilen lange, schnurgerade Strasse kommen, die an beiden Seiten mit Pappelbäumen besetzt ist und gerade auf das Schloss des Zauberers zu führt. Wenn dir dein Leben lieb ist, so nimm alles auf, was, während du auf der Strasse gehst, von den Bäumen herabfällt, und gieb es nicht eher zurück, bis es dich um Gottes Wunden bittet: Prinz Ludwig, gieb mir meine Hände!«

Prinz Ludwig bedankte sich für den guten Rat und ging weiter; und es dauerte auch gar nicht lange, so nahm der Wald ein Ende, und die acht Meilen lange, schnurgerade Strasse mit den Pappelbäumen[213] zu beiden Seiten lag vor ihm. Er schritt rüstig vor sich hin und mochte schon eine gute Meile zurückgelegt haben, da brach der Wind einen trockenen Ast ab, der fiel ihm dicht vor die Füsse. Da erinnerte er sich der Worte des alten Mannes und nahm ihn mit sich. Nicht lange darnach fiel ein zweiter Ast herab und endlich auch noch ein dritter, so dass Prinz Ludwig zu thun hatte, dass er sie fortschaffte. Mit einem Male rief eine Stimme von den Bäumen herab: »Prinz Ludwig, gieb mir meine Hände!« Er aber that, als hörte er nichts, und eilte weiter. »Prinz Ludwig,« erscholl es da dringlicher, »gieb mir meine Hände!« Und als er auch jetzt noch nicht hören wollte, rief es zum dritten Male: »Prinz Ludwig, um der Wunden Gottes willen bitte ich dich, gieb mir meine Hände, ich will dir auch aus siebenerlei Not helfen!« Darauf hatte er nur gewartet, er liess die trockenen Äste fallen und machte, dass er zu dem Schlosse kam.

Dicht davor war eine grosse Brücke, die führte über einen tiefen und breiten Strom. Als Prinz Ludwig das Wasser sah, wurde ihm das Herz schwer, und er dachte bei sich: »Was thust du, und was hast du vor! Läufst du nicht bei deines Vaters Feind dem sicheren Tode entgegen? Das Beste ist, du springst in den Strom und machst deinem Leben ein Ende!« Und damit stieg er auf das Geländer und sprang in das Wasser. Unten fingen ihn aber zwei Arme auf und zogen ihn ans Land, und als er es recht besah, war es eine Jungfrau, die ihm das Leben gerettet hatte. »Bist du von Sinnen!« sprach sie zu ihm; »Hast du denn nicht gehört, dass ich dich aus siebenerlei Not retten würde, wenn du mir meine Hände wieder gäbest?« Fragte Prinz Ludwig: »Wer bist du denn?« Antwortete die Jungfrau: »Ich bin des Königs Tochter. Mein Vater will dich töten; aber folge mir nur, so wird er dir nichts anhaben können.« Da fasste Prinz Ludwig neuen Mut und ging mit der Prinzessin auf das Schloss. Vor dem Garten trennten sie sich aber, dass der König ihn nicht mit seiner Tochter beisammen sähe und argwöhnisch würde. Die Prinzessin lief den Fusssteig und Prinz Ludwig den Hauptweg, und sie war schon lange da, als er vor den König geführt wurde. »Es ist gut, dass du hier bist,« sagte der Zauberer, »ich habe schon auf dich gewartet. Für heute hast du Ruhe; aber morgen bekommst du ein Pferd zu reiten, und wenn du das nicht bändigen kannst, so ist dein Leben Gras; machst du aber deine Sache gut, so bekommst du meine Tochter zur Frau. Jetzt geh und leg dich nieder, du bist müde und wirst der Ruhe bedürfen.« Darauf kam ein Diener und führte ihn in der Prinzessin Schlafkammer, wo ihm, als einem Königssohne, das Lager aufgeschlagen war. Da sagten sie einander gute Nacht und schliefen ein.

Früh Morgens, ehe die Sonne aufging, stand die Prinzessin auf, that ihre Kleider an und setzte sich an den Tisch vor ein grosses Buch. Darin las sie, und kaum hatte sie das erste Wort gelesen, so trat eine Gestalt in die Stube; sie las weiter und weiter, und je mehr sie las, um so mehr Gestalten kamen herein, bis die Stube halb voll war. Prinz Ludwig that, als wenn er schliefe; aber der kalte Angstschweiss[214] trat ihm auf die Stirne, als er das mit ansah. Nachdem es der Prinzessin schien, als seien genug Gestalten gekommen, drehte sie sich um und befahl den einen, sie sollten das Pferd halten, und den andern, sie sollten dem Prinzen hinauf helfen. Darauf las sie die Worte in dem Buche wieder zurück, und als sie das letzte Wort gelesen hatte, war auch der letzte Geist verschwunden. Dann ging sie hin und rief: »Prinz Ludwig, du Langschläfer, steh auf! Heute wird dir mein Vater einen Braunen zu reiten geben; gieb acht, dass er dich nicht abwirft, und reite mit ihm vor die Stadt auf den Sandberg. Dort gieb ihm die Sporen und gebrauche die Peitsche und reit ihn nicht eher nach Hause zurück, als bis aus dem Braunen ein Schimmel geworden ist. Thust du es nicht, so geht es dir schlecht.« Prinz Ludwig versprach der Prinzessin, alles zu thun, wie sie ihm gesagt hatte, kleidete sich an und ging auf den Schlosshof.

Dort stand der König mit seinem ganzen Hofstaat; und als Prinz Ludwig gekommen war, befahl er dem Stallmeister, das Pferd vorzuführen. Alsbald leiteten zwei Knechte einen mageren, hochbeinigen Gaul herein, der aussah, wie ein altes Bauernpferd. »Der Braune wird so schlimm nicht sein,« dachte Prinz Ludwig und ergriff den Zaum. Kaum hatte er aber die Leine in der Hand, so warf das Tier den Kopf in die Höhe und schlug mit den Vorderfüssen wild aus und wollte durchaus nicht leiden, dass Prinz Ludwig seinen Rücken bestieg. Jedoch die Geister hielten fest, wie die Königstochter ihnen befohlen hatte, dass der Prinz sich heraufschwingen konnte; dann liessen sie los, und wie ein Pfeil schoss der Braune über den Schlosshof und das Feuer strahlte hinter ihm drein. Er wäre gerne immer gradaus gelaufen, aber Prinz Ludwig warf ihn herum und lenkte ihn vor die Stadt auf den Sandberg. Dort ging es immer bergauf, bergab, dass der Sand nur so krieselte, bis das Pferd nicht mehr laufen mochte. Da erinnerte sich Prinz Ludwig an die Worte der Prinzessin und stach dem Ross die Sporen in die Seiten und setzte ihm mit der Peitsche zu, dass es von neuem zu laufen begann, und er ruhte nicht eher, als bis es von unten bis oben mit Schaum bedeckt war und aussah, als wäre es ein Schimmel. Da hielt er sich aber auch nicht länger auf dem Sandberge auf und machte, dass er auf das Schloss zurückkam. Dort nahm ihm der Stallmeister den Braunen wieder ab, der König aber lobte ihn und sprach: »Du bist ein guter Reiter. Hältst du dich morgen auch so wacker, so wird's dir nicht fehlen, und du wirst mein Schwiegersohn werden.« Darauf bekam Prinz Ludwig zu essen und zu trinken; und nachdem er satt geworden war, führten ihn die Diener wieder in der Prinzessin Schlafkammer, dass er dort ausruhte in dem warmen Bettchen bis auf den morgenden Tag.

Vor Sonnenaufgang sass die Prinzessin wieder an dem Tisch und las in dem Buche, bis die Stube zu drei Vierteln mit Gestalten gefüllt war. Prinz Ludwig that, als wenn er schliefe, und zwinkerte nur ab und zu ein wenig mit den Augen, hörte aber ganz genau, wie die Prinzessin dieselben Befehle ausgab, wie am Tage zuvor. Darauf las[215] sie die Geister wieder zurück, und als der letzte aus der Stube verschwunden war, rief sie: »Prinz Ludwig, du Langschläfer, steh auf, mein Vater wartet deiner schon auf dem Schlosshofe! Diesmal bekommst du einen Schwarzen zu reiten. Thu mit ihm, wie mit dem Braunen, und kehr nicht eher zurück, als bis aus dem Rappen ein Schimmel geworden ist!« Da machte Prinz Ludwig, dass er aus den Federn kam, und eilte hinaus; und kaum war er draussen, so führte ihm der Stallmeister mit zwei Knechten einen Rappen vor, der hing den Kopf noch weiter herunter, wie gestern der Braune gethan, und sah noch steifer und magerer aus. Als aber Prinz Ludwig mit der Hand den Zügel erfasste, um sich hinauf zu schwingen, da bäumte sich der Rappe hoch auf und wollte ihn nicht aufsitzen lassen. Doch die Geister aus dem grossen Buche thaten ihre Schuldigkeit, und Prinz Ludwig schwang sich auf den Rücken des Rappen, und als er fest sass, liessen sie los, und der Rappe rannte mit seinem Reiter davon, wie der Sturmwind, und die Hufen schlugen die Steine, dass das Feuer strahlte. Draussen auf dem Sandberg wurde er aber allgemach zahmer; endlich mochte er gar nicht mehr weiter. Da wollte aber Prinz Ludwig, dass es schnell ginge, und er stach dem Pferde die Sporen in die Seiten, dass es sich vor Schmerz krümmte, und ritt nicht eher auf das Schloss zurück, als bis der Schwarze so mit Schaum bedeckt war, dass aus dem Rappen ein Schimmel geworden war. Der König schaute schon von dem Fenster nach ihm aus, und als er ihn erblickte, rief er freundlich: »Gut, Prinz Ludwig, du hast deine Sache brav gemacht! Morgen bekommst du noch ein Pferd zu reiten, und wenn du auch das zwingen kannst, so sollst du meine Tochter zur Frau erhalten!«

Den dritten Morgen stand die Prinzessin noch zeitiger auf, als den Tag zuvor, las die ganze Stube voller Gestalten, dass kein Apfel zwischen ihnen zur Erde fallen konnte. Nachdem sie jedem seine Arbeit zugeteilt hatte, las sie die Geister zurück, ging an Prinz Ludwigs Bette und rief: »Steh auf, Prinz Ludwig, du Langschläfer, und gebrauch alle deine Kräfte; denn heute musst du einen Apfelschimmel reiten, der ist schlimmer, wie der Braune und der Rappe zusammen genommen. Auf seinen Rücken werden dir meine Geister helfen, sorge nur, dass du nicht wieder herabfällst. Und wenn du auf dem Sandberge bist, so wird sich das Pferd hinwerfen, du aber bleibe im Sattel, denn sobald du absitzt, bist du des Todes; gebrauche nur Sporen und Peitsche und stich und schlage das Pferd so lange, bis aus dem Apfelschimmel ein Rotfuchs geworden ist. Und nun mach, dass du herunter kommst!« Prinz Ludwig dankte der Prinzessin für den Rat und eilte auf den Schlosshof; diesmal war der König nicht da, aber der Stallmeister führte den Apfelschimmel gerade vor. Der kam ganz steif an und trug den Kopf nach unten, wie ein Schwein. »Das Tier soll schlimm sein!« lachte Prinz Ludwig und ergriff den Zaum; in dem Augenblicke stieg aber auch der Apfelschimmel hoch auf, schlug mit allen Vieren aus und suchte Prinz Ludwig mit den Zähnen zu packen. Aber seine Wut half ihm nichts,[216] die Geister hielten fest und liessen nicht locker, bis Prinz Ludwig im Sattel sass. Da wurde der Apfelschimmel frei und stob hinaus; aber Prinz Ludwig verstand, ein Ross zu lenken, und der Apfelschimmel mochte wollen oder nicht, er musste auf den Sandberg, und dort ging's immer im Kreise herum, dass der trockene Sand nur so krieselte. Endlich konnte er nicht weiter, und als Prinz Ludwig Peitsche und Sporen gebrauchte, warf er sich hin und wälzte sich im Sande und suchte, seines Reiters ledig zu werden. Der aber war flinker, wie der Schimmel, und sass immer oben und stiess ihm in Kopf und Hals, in Rücken und Schenkel, in Bauch und Brust die scharfen Sporen hinein, bis das rote Blut überall in Strömen herabfloss und aus dem Apfelschimmel ein Rotfuchs geworden war. Da sprang auch das Pferd wieder auf und liess sich willig leiten, wohin Prinz Ludwig es lenkte. Der ritt noch einige Male um den Sandberg herum, und dann kehrte er auf den Schlosshof zurück.

Dort nahm ihm der Stallmeister das Pferd ab, der alte König aber war wiederum nirgends zu sehen. Prinz Ludwig ging darum auf das Schloss und liess sich von dem Diener anmelden; erhielt aber zum Bescheid, er möge nach einer Stunde wieder kommen, dem König sei unpässlich zu Mut, und er könne niemand sprechen. Als Prinz Ludwig zur festgesetzten Zeit kam, wurde er wieder auf eine Stunde vertröstet; dann endlich empfing ihn der König. Doch wie sah er aus! Das ganze Gesicht und beide Hände waren mit Pflastern verklebt, und er ächzte und stöhnte, als sei sein letztes Stündlein gekommen. »Prinz Ludwig,« sprach er, »bis jetzt hab ich mich für den grössten Zauberer der Welt gehalten; nun habe ich gesehen, dass du mir über bist. Der Apfelschimmel war ich, und so hast du mich zugerichtet! Kannst du das verantworten?« Und als Prinz Ludwig nicht wusste, was er sagen sollte, fuhr er freundlich fort: »Lass dir das nicht leid sein. Du bist ein braver Reiter, und wenn du so beibleibst, sollst du meine Tochter zur Frau bekommen; zuvor musst du aber bis morgen früh an jeden Pappelbaum der langen Strasse, die zu meinem Schloss führt, ein Bauerchen gehängt haben, und in jedem Bauerchen muss ein Vogel sitzen, und jeder Vogel, der darin sitzt, muss von anderer Gestalt sein und einen anderen Sang singen, als die übrigen alle.«

Als Prinz Ludwig diese Worte gehört hatte, machte er kehrt und lief verzweifelt aus dem Schlosse heraus. »Die Strasse ist acht Meilen lang, das bringst du nimmermehr fertig!« rief er aus; »Besser du stirbst in den Wellen, als von deines Todfeindes Hand!« Sprach's und lief zu der Brücke und sprang von dem Geländer in den Strom hinab. Unten fing ihn wiederum die Prinzessin auf und sagte zu ihm: »Muss ich dir noch zum dritten Male sagen, dass ich dir um Gottes Wunden versprochen habe, dich aus siebenerlei Not zu retten! Nun willst du ins Wasser gehen, nachdem du die schwierigsten Arbeiten verrichtet hast? Um der paar Vögel willen lass dir keine grauen Haare wachsen!« Da fasste Prinz Ludwig neuen Mut und[217] ging mit der Prinzessin auf das Schloss zurück, ass und trank und legte sich nieder. Die Prinzessin aber legte sich nicht schlafen, sondern setzte sich wieder an den Tisch vor das Buch und las die Stube voll Geister; dann schied sie die Gestalten in vier Haufen und hiess die einen Bauerchen arbeiten, die andern mussten sie an die Pappeln heften, die dritten mussten Singvögel greifen und die vierten sie in die Bauerchen setzen. Nachdem alle Arbeiten verteilt waren, las sie die Geister zurück und legte sich auch schlafen.

Am andern Morgen weckte sie Prinz Ludwig und sprach zu ihm: »Steh auf und reite die Strasse herab und sieh, ob alles in Ordnung ist.« Da stand Prinz Ludwig auf, sattelte ein Ross und that, wie ihm die Prinzessin geboten hatte. Das war aber ein Singen und Pfeifen in den Pappelbäumen, dass man sich nichts Schöneres denken kann! An jedem Baum ein Bauer, und in jedem Bauer ein singender Vogel, die ganze acht Meilen lange Strasse durch. Nachdem Prinz Ludwig sich genugsam an dem Gesange ergötzt hatte, ritt er auf das Schloss zurück und meldete dem König, dass er gethan habe, wie ihm befohlen sei. Da sah der König selbst nach, und als er es richtig befand, sprach er: »Prinz Ludwig, du hast deine Sache gut gemacht. So bleib bei, dann wirst du meine Tochter bekommen. Zuvor aber musst du mir statt der hölzernen Brücke eine gläserne über den Strom bauen.« – »Das ist ja nicht möglich!« antwortete Prinz Ludwig. »Ist Morgen die Brücke nicht fertig, so kostet es dich dein Leben!« sagte der König, und damit war Prinz Ludwig entlassen.

Lange brauchte er aber nicht traurig zu sein, denn die Prinzessin nahm ihn beiseite und sprach zu ihm: »Iss und trink nur und leg dich schlafen; ich werde schon alles für dich besorgen.« Als Prinz Ludwig im Bette lag und schlief, las sie darauf wieder ihre Geister herbei und befahl ihnen, die gläserne Brücke zu bauen. Und richtig, als Prinz Ludwig am andern Morgen erwachte, stand die Brücke schon fix und fertig da, und er brauchte nur zum König zu gehen und ihm anzuzeigen, dass die Arbeit verrichtet sei. Nachdem der König die Brücke besichtigt hatte, sprach Prinz Ludwig zu ihm: »Ihr vertröstet mich von einem Tag auf den andern und gebt mir etwas Neues zu arbeiten auf; und wenn ich die Arbeit verrichtet habe, so bekomme ich die Prinzessin doch nicht zur Frau, wie Ihr versprochen habt.« – »Lass nur gut sein, Prinz Ludwig,« erwiderte der Zauberer, »nun hast du nur noch eine Arbeit zu thun, und dann soll die Hochzeit sein. Vor dem Thore liegt ein sieben Morgen grosser Acker. Den musst du, bis die Glocke acht schlägt, mit Weizen bestellt, eingeerntet und das Korn zu Brot gebacken haben.« – »Jetzt ist dein Leben Gras,« dachte Prinz Ludwig, »das bringt die Prinzessin nimmer fertig!« dann verliess er das Zimmer und ging zur Königstochter und erzählte ihr, was ihr Vater ihm wieder aufgegeben. Antwortete sie: »Sei ohne Sorgen, Prinz Ludwig! Iss und trink und leg dich schlafen, es soll schon alles ausgeführt werden.« Dann setzte sie sich, als[218] Prinz Ludwig schlief, an den Tisch, las aus dem grossen Buche die Geister herbei und befahl den einen, zu pflügen, den andern, zu eggen, die dritten mussten säen und die vierten die Körner zur Saat bringen, in die Höhe schiessen und reif werden lassen; die fünften hatten zu mähen, die sechsten zu dreschen, die siebenten zu mahlen, und die letzten endlich mussten aus dem Mehl Brote backen. Das thaten die Geister auch, und als Prinz Ludwig am andern Morgen um sieben Uhr herab kam, um zu sehen, wie weit die Arbeit gediehen sei, standen die Brote schon samt und sonders auf dem Schlosshofe, zu einem grossen Haufen gepackt. Vergnügt ergriff er zwei Brote, um sie dem König zu bringen; da folgten alle andern Brote den zweien, die er trug, nach und legten sich von selbst auf den Tisch, der in des Königs Stube stand. »Prinz Ludwig,« sagte der König, »jetzt hast du gethan, was ich von dir verlangt habe, und morgen soll die Hochzeit sein.« Da freute sich Prinz Ludwig, dass nun die Arbeiten ein Ende hätten; die Prinzessin aber nahm ihn beiseite und sprach zu ihm: »Glaub den Worten meines Vaters nicht! Sein Mund redet freundlich, sein Herz aber ist Gift und Galle. Morgen soll nicht dein Hochzeits-, sondern dein Todestag sein. Aber ich habe dir um Gottes Wunden versprochen, dich aus siebenerlei Nöten zu retten, so will ich dich auch aus der letzten, der Todesnot, befreien. Geh heut Nacht nicht schlafen und steh auf und folge mir, wenn ich dich rufe.«

Darauf ging sie in den Stall und befahl ihrem Kutscher, um Mitternacht mit dem Wagen vorzufahren, aber vorher Zeug um die Räder zu winden und den Pferden Filz unter die Hufen zu heften, dass niemand das Wagengerassel und den Hufschlag hören könne. Das that der Kutscher auch; und als die Uhr elf schlug, holte die Prinzessin Prinz Ludwig herbei und stieg mit ihm in den Wagen, und der Kutscher fuhr mit ihnen ganz leise, leise aus dem Schlosse. Als sie draussen waren, trieb er jedoch die Pferde an, dass sie liefen, was sie laufen konnten, und mit Tagesanbruch hatten sie die Grenze, welche die beiden Königreiche von einander schied, erreicht, und der Wagen hielt vor einem Häuschen, durch dessen Mitte die Grenzscheide lief. Dort stiegen sie aus und wollten gerade einander Lebewohl sagen, da kam der alte Zauberer durch die Luft herbei geflogen, ergriff seine Tochter und fuhr mit ihr durch die Decke davon und brachte sie wieder in sein Schloss zurück. Dem Prinzen Ludwig konnte er nichts anhaben; denn der stand in der Hälfte, welche zu seines Vaters Land gehörte, und über die Grenzscheide reichte des Zauberers Macht nicht. Er kehrte darum zu seinem Vater zurück, und es herrschte eitel Freude und Frohlocken im Lande, als der Erbe des Königreiches wieder angelangt war. Nachdem der alte König gestorben war, wurde Prinz Ludwig König an seiner statt, und er lebte vergnügt und fröhlich, und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 212-219.
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