Zwölftes Kapitel

[350] Auszug aus Ägypten – der Glanz des Reisens – die Unbekannte – Baireuth – Taufhandlung im Sturm – Natalie und Eremitage – das wichtigste Gespräch in diesem Werk – der Abend der Freundschaft


Als Firmian in der Osterwoche einmal von einer halbstündigen Lustreise voll Gewaltmärsche heimkam, fragte Lenette: warum er nicht eher gekommen – der Briefträger wäre mit einem breiten Buche dagewesen; aber er hätte gesagt, der Mann müsse selber den Empfang des Päckels einschreiben. – In einem kleinen Haushalten gehöret so etwas unter die großen Weltbegebenheiten und Hauptrevolutionen in der Geschichte. Die Minuten des Wartens lagen nun als Ziehgläser und Zugpflaster auf der Seele. Endlich machte der gelbe Postbote dem bittersüßen Hanfklopfen aller Schlagadern ein Ende. Firmian bescheinigte den Empfang von 50 Tlr., während Lenette die Frage an den Boten tat: wer es schicke, und aus welcher Stadt. Der Brief fing so an:


»Mein Siebenkäs! Deine Abendblätter und Teufels-Papiere habe richtig erhalten. Das übrige mündlich!


Nachschrift:


Höre indes! Wenn Du Dir aus dem Walzer meines Lebens und aus meiner Lust und aus meinen Sorgen und Absichten nur das geringste machst – wenn es Dir nicht im höchsten Grade gleichgültig ist, daß ich Dich mit Stations- und Diätengeldern bis nach Baireuth frankiere, eines Planes wegen, dessen Spinnrocken die Spinnmaschinen der Zukunft entweder zu Fall– und Galgenstricken meines Lebens oder zu Treppenstricken und Ankerseilen desselben verspinnen müssen – wenn für Dich solche und noch wichtigere Dinge noch einen Reiz besitzen, Firmian: so zieh um des Himmels willen Stiefel an und komm!« –


*


»Bei deiner hl. Freundschaft!« sagte Siebenkäs, »ich ziehe ein Paar an, und sollte schon in Schwaben der Blitz des Schlagflusses[350] aus dem blauen Himmel herabschlagen und mich unter einem Amarellenbaum voll Blüten treffen. Mich hält nichts mehr.« –

Er hielt Wort: denn in sechs Tagen darauf sehen wir ihn nachts um 11 Uhr reisefertig – mit frischer Wäsche am Leibe und in den Taschen – mit einem Hutüberzug auf dem Kopfe, der sich heimlich wieder mit einem alten feinen Hute geladen und gesättigt in neuesten Stiefeln (das vorsündflutige Paar lag, von seinem Posten unterdessen abgelöset, in Garnison) – mit einer vom Pelzstiefel entlehnten Turmuhr in der Tasche – frischgewaschen, rasiert und aufgekämmt – neben seiner Frau und seinem Freunde stehen, die beide heute mit froher, höflicher Aufmerksamkeit niemand anschauen als den Reisefertigen; aber sich nicht. Er nimmt noch in der Nacht von beiden Wachenden Abschied, weil er nur im großen Sorgenstuhl übernachten und, wenn Lenette schnarcht, um 3 Uhr sich hinausmachen will. Dem Schulrat übertrug er das Witwenkassenamt bei der hinterlassenen Strohwitwe und das Theaterdirektorat oder doch die Gastrollen in seinem kleinen Coventgarden voll Gays Bettleropern, wovon ich das Theaterjournal hier für die halbe Erde schreibe. »Lenette«, sagt' er, »wenn du einen Rat brauchst, so wende dich an den Hrn. Rat; er tut mir die Gefälligkeit und kommt öfters.« Der Pelzstiefel gab die heiligsten Versicherungen, er komme täglich. Lenette half nicht, wie sonst, den Pelzstiefel die Treppe hinab begleiten: sondern blieb oben; zog die Hand aus der genährten Geldtasche, deren ausgehungerte Magenwände sich bisher gerieben hatten, und schnappte sie ab. Es ist nicht wichtig genug, wenn ichs anführe, daß Siebenkäs sie bat, das Licht ihn ausschneuzen zu lassen und sich nur niederzulegen, und daß er der reizenden Gestalt mit jener verdoppelten Liebe, womit die Menschen verreisen und ankommen, den langen Abschiedkuß und das gerührte Lebewohl und die gute Nacht beinahe unter der Edentüre der Träume gab.

Die Abdankung des Nachtwächters trieb ihn endlich aus dem Schlafsessel in den gestirnten, wehenden Morgen hinaus. Er schlich aber vorher noch einmal in die Kammer an das heißträumende Rosenmädchen, drückte ein Fenster zu, dessen kalte[351] Zugluft heimlich ihr wehrloses Herz anfiel, und hielt seine nahen Lippen vom weckenden Kusse ab und sah sie bloß so gut an, als es das Sternenlicht und das blasse Morgenrot erlaubten, bis er das zu dunkel werdende Auge beim Gedanken wegwandte: ich sehe sie vielleicht zum letztenmal.

Bei dem Durchgange durch die Stube sah ihn ordentlich ihr Flachsrocken mit seinen breiten farbigen Papierbändern, womit sie ihn aus Mangel an Seidenband zierlich umwickelt hatte, und ihr stilles Spinnrad an, das sie gewöhnlich in dunkler Morgen- und Abendzeit, wo nicht gut zu nähen war, zu treten gepflegt und als er sich vorstellte, wie sie während seiner Abwesenheit ganz einsam das Rädchen und die Flöckchen so eifrig handhaben werde: so riefen alle Wünsche in ihm: es gehe der Armen doch gut, und immer, wenn ich sie auch wieder sehe.

Dieser Gedanke des letzten Mals wurde draußen noch lebhafter durch den kleinen Schwindel, den die Wallungen und der Abbruch des Schlummers ihm in den physischen Kopf setzten; und durch das wehmütige Zurückblicken auf sein weichendes Haus, auf die verdunkelte Stadt und auf die Verwandlung des Vorgrunds in einen Hintergrund und auf das Entfliehen der Spaziergänge und aller Höhen, auf denen er oft sein erstarrtes, in den vorigen Winter eingefrornes Herz warm getragen hatte. Hinter ihm fiel das Blatt, worauf er sich als Blattwickler und Minierraupe herumgekäuet hatte, als Blätterskelett herab.

Aber die erste fremde Erde, die er noch mit keinen Stationen seines Leidens bezeichnet hatte, sog schon, wie Schlangenstein, aus seinem Herzen einige scharfe Gifttropfen des Grams.

Nun schoß die Sonnenflamme immer näher herauf an die entzündeten Morgenwolken – endlich gingen am Himmel und in den Bächen und in den Teichen und in den blühenden Taukelchen hundert Sonnen miteinander auf, und über die Erde schwammen tausend Farben, und aus dem Himmel brach ein einziges lichtes Weiß.

Das Schicksal pflückte aus Firmians Seele, wie Gärtner im Frühling aus Blumen, die meisten alten, gelben, welken Blättchen aus. – Durch das Gehen nahm das Schwindeln mehr ab als zu.[352] In der Seele stieg eine überirdische Sonne mit der zweiten am Himmel. In jedem Tal, in jedem Wäldchen, auf jeder Höhe warf er einige pressende Ringe von der engen Puppe des winterlichen Lebens und Kummers ab und faltete die nassen Ober- und Unterflügel auf und ließ sich von den Mailüften mit vier ausgedehnten Schwingen in den Himmel unter tiefere Tagschmetterlinge und über höhere Blumen wehen.

Aber wie kräftig fing das bewegte Leben an, in ihm zu gären und zu brausen, da er aus der Diamantgrube eines Tales voll Schatten und Tropfen herausstieg, einige Stufen unter dem Himmeltore des Frühlings. – Wie aus dem Meere, und noch naß, hatte ein allmächtiges Erdbeben eine unübersehliche, neugeschaffne, in Blüte stehende Ebene mit jungen Trieben und Kräften heraufgedrängt – das Feuer der Erde loderte unter den Wurzeln des weiten hangenden Gartens, und das Feuer des Himmels flammte herab und brannte den Gipfeln und Blumen die Farben ein – zwischen den Porzellantürmen weißer Berge standen die gefärbten blühenden Höhen als Throngerüste der Fruchtgöttinnen – über das weite Lustlager zogen sich Blütenkelche und schwüle Tropfen als bevölkerte Zelte hinauf und hinab, der Boden war mit wimmelnden Bruttafeln von Gräsern und kleinen Herzen belegt, und ein Herz ums andere riß sich geflügelt oder mit Floßfedern oder mit Fühlfäden aus den heißen Brutzellen der Natur empor und sumste und sog und schnalzte und sang, und für jeden Honigrüssel war schon lange der Freudenkelch aufgetan. – Nur das Schoßkind der unendlichen Mutter, der Mensch, stand allein mit hellen frohen Augen auf dem Marktplatz der lebendigen Sonnenstadt voll Glanz und Lärm und schauete trunken rund herum in alle unzählige Gassen. – Aber seine ewige Mutter ruhte verhüllt in der Unermeßlichkeit, und nur an der Wärme, die an sein Herz ging, fühlte er, daß er an ihrem liege....

Firmian ruhte in einer Bauerhütte von diesem zweistündigen Rausch des Herzens aus. Der brausende Geist dieses Freudenkelchs stieg einem Kranken wie ihm leichter in das Herz, wie andern Kranken in den Kopf.

Als er wieder ins Freie trat, lösete sich der Glanz in Helle auf,[353] die Begeisterung in Heiterkeit. Jeder rote hängende Maikäfer und jedes rote Kirchendach und jeder schillernde Strom, der Funken und Sterne sprühte, warf fröhliche Lichter und hohe Farben in seine Seele. Wenn er in den laut atmenden und schnaubenden Waldungen das Schreien der Köhler und das Widerhallen der Peitschen und das Krachen fallender Bäume vernahm – wenn er dann hinaustrat und die weißen Schlösser anschauete und die weißen Straßen, die wie Sternbilder und Milchstraßen den tiefen Grund aus Grün durchschnitten, und die glänzenden Wolkenflocken im tiefen Blau – und wenn die Funkenblitze bald von Bäumen tropften, bald aus Bächen stäubten, bald über ferne Sägen glitten; – so konnte ja wohl kein dunstiger Winkel seiner Seele, keine umstellte Ecke mehr ohne Sonnenschein und Frühling bleiben, das nur im feuchten Schatten wachsende Moos der nagenden zehrenden Sorge fiel im Freien von seinen Brot- und Freiheitbäumen ab, und seine Seele mußte ja in die tausend um ihn fliegenden und sumsenden Singstimmen einfallen und mitsingen: das Leben ist schön, und die Jugend ist noch schöner, und der Frühling ist am allerschönsten.

Der vorige Winter lag hinter ihm wie der düstere zugefrorne Südpol, und der Reichsmarktflecken lag unter ihm wie ein dumpfiges tiefes Schulkarzer mit triefendem Gemäuer. Bloß über seine Stube kreuzten heitere breite Sonnenstreife; und noch dazu dachte er sich seine Lenette darin als Alleinherrscherin, die heute kochen, waschen und reden durfte, was sie wollte, und die überdies den ganzen Tag den Kopf (und die Hände) davon voll hatte, was abends Liebes komme. Er gönnt' ihr heute in ihrer engen Eierschale, Schwefelhütte und Kartause recht von Herzen den herumfließenden Glanz, den in ihr Petrus-Gefängnis der eintretende Engel mitbrachte, der Pelzstiefel. »Ach, in Gottes Namen«, dacht' er, »soll sie so freudig sein wie ich, und noch mehr, wenns möglich ist.«

Je mehre Dörfer vor ihm mit ihren wandernden Theatertruppen vorüberliefen: desto theatralischer kam ihm das Leben vor112 – seine Bürden wurden Gastrollen und aristotelische Knoten[354] – seine Kleider Opernkleider – seine neuen Stiefeln Kothurne – sein Geldbeutel eine Theaterkasse – und eine der schönsten Erkennungen auf dem Theater bereitete sich ihm an dem Busen seines Lieblinges zu...

Nachmittags um 3 1/2 Uhr wurde auf einmal in einem noch schwäbischen Dorfe, nach dessen Namen er nicht gefragt, in seiner Seele alles zu Wasser, zu Tränen, so daß er sich selber über die Erweichung verwunderte. Die Nachbarschaft um ihn ließ eher das Widerspiel vermuten: er stand an einem alten, ein wenig gesenkten Maienbaum mit dürrem Gipfel – die Bauerweiber begossen die im Sonnenlicht glänzende Leinwand auf dem Gemeindeanger – und warfen den gelbwollichten Gänsen die zerhackten Eier und Nesseln als Futter vor – Hecken wurden von einem adeligen Gärtner beschoren, und die Schafe, die es schon waren, wurden vom Schweizerhorn des Hirten um den Maienbaum versammelt. – Alles war so jugendlich, so hold, so italienisch – der schöne Mai hatte alles halb oder ganz entkleidet, die Schafe, die Gänse, die Weiber, den Hornisten, den Heckenscherer und seine Hecken...

Warum wurd' er in einer so lachenden Umgebung zu weich? Im Grunde weniger darum, weil er heute den ganzen Tag zu froh gewesen war, als hauptsächlich, weil der Schaf-Fagottist durch seine Komödienpfeife seine Truppe unter den Maienbaum rief. Firmian hatte in seiner Kindheit hundertmal den Schafstall seines Vaters dem blasenden Prager und Schäfer unter den Hirtenstab getrieben – und dieser Alpen-Kuhreigen weckte auf einmal seine rosenrote Kindheit, und sie richtete sich aus ihrem Morgentau und aus ihrer Laube von Blütenknospen und eingeschlafnen Blumen auf und trat himmlisch vor ihn und lächelte ihn unschuldig und mit ihren tausend Hoffnungen an und sagte: »Schau mich an, wie schön ich bin – wir haben zusammen gespielt – ich habe dir sonst viel geschenkt, große Reiche und Wiesen und Gold und ein schönes, langes Paradies hinter dem Berg – aber du hast ja gar nichts mehr! Und bist noch dazu so bleich! Spiele wieder mit mir!« – O wem unter uns wird nicht die Kindheit tausendmal durch Musik geweckt, und sie redet ihn an und[355] fragt ihn: »Sind die Rosenknospen, die ich dir gab, denn noch nicht aufgebrochen?« O wohl sind sie's, aber weiße Rosen waren's.

Seine Freudenblumen schloß der Abend mit ihren Blättern über ihren Honiggefäßen zu, und auf sein Herz fiel der Abendtau der Wehmut kälter und größer, je länger er ging. Gerade vor Sonnenuntergang kam er vor ein Dorf – leider ists mir aus dem Gedächtnis wie ausgestrichen, obs Honhart oder Honstein oder Jaxheim war: so viel darf ich für gewiß ausgeben, daß es eines von dreien war, weil es neben dem Fluß Jaxt und an der Ellwangschen Grenze im Ansbachschen lag. Sein Nachtquartier rauchte vor ihm im Tal. Er legte sich, eh' ers bezog, auf einem Hügel unter einen Baum, dessen Blätter und Zweige ein Chorpult singender Wesen waren. Nicht weit von ihm glänzte in der Abendsonne das Rauschgold eines zitternden Wassers, und über ihm flatterte das vergoldete Laubwerk um die weißen Blüten, wie Gräser um Blumen. Der Kuckuck, der sein eigner Resonanzboden und sein eignes vielfaches Echo ist, redete ihn aus finstern Gipfeln mit einer trüben Klagstimme an – die Sonne floß dahin über den Glanz des Tages warfen die Schatten dichtere Trauerflöre – unser Freund war ganz allein – und er fragte sich: »Was wird jetzt meine Lenette tun, und an wen wird sie denken, und wer wird bei ihr sein?« – Und hier durchstieß der Gedanke: »aber ich habe keine Geliebte an meiner Hand!« mit einer Eishand sein Herz. Und als er sich die schöne, zarte weibliche Seele recht klar gemalet hatte, die er oft gerufen, aber nie gesehen, der er gern so viel, nicht bloß sein Herz, nicht bloß sein Leben, sondern alle seine Wünsche, alle seine Launen hingeopfert hätte: so ging er freilich den Hügel mit schwimmenden Augen, die er vergeblich trocknete, hinunter; aber wenigstens jede gute weibliche Seele, die mich liest und die vergeblich oder verarmend geliebt, wird ihm seine heißen Tropfen vergeben, weil sie selber erfahren, wie der innre Mensch gleichsam durch eine vom giftigen Samielwinde durchzogne Wüste reiset, in welcher entseelte, vom Winde getroffne Gestalten liegen, deren Arme sich abreißen von der eingeäscherten Brust, wenn der Lebendige sie ergreift und anziehen[356] will an seine warme. Aber ihr, in deren Händen so manche erkalteten durch Wankelmut oder durch Todesfrost, ihr dürft doch nicht so klagen wie der Einsame, der nie etwas verloren, weil er nie etwas gewonnen, und der nach einer ewigen Liebe schmachtet, von der ihm nicht einmal eine zeitliche ein Trugbild jemals zum Troste zugesandt.

Firmian brachte eine stille, weiche, sich träumend-heilende Seele in sein Nachtlager und auf sein Bette mit. Wenn er darin den Blick aufschlug aus dem Schlummer, schimmerten die Sternbilder, die sein Fenster ausschnitt, freundlich in seine frohen hellen Augen und warfen ihm die astrologische Weissagung eines heitern Tages herab.

Er flatterte mit der ersten Lerche und mit ebensoviel Trillern und Kräften aus der Furche seines Bettes auf. Er konnte diesen Tag, wo die Ermüdung seinen Phantasien die Paradiesvogel-Schwingen berupfte, nicht ganz aus dem Ansbachischen gelangen.

Den Tag darauf erreichte er das Bambergische (denn Nürnberg und dessen pays coutumiers und pays du droit écrit ließ er rechts liegen). Sein Weg lief von einem Paradies durch das andere – Die Ebene schien aus musivisch aneinander gerückten Gärten zu bestehen – Die Berge schienen sich gleichsam tiefer auf die Erde niederzulegen, damit der Mensch leichter ihre Rücken und Höcker besteige – Die Laubholz-Waldungen waren wie Kränze bei einem Jubelfest der Natur umhergeworfen, und die einsinkende Sonne glimmte oft hinter der durchbrochnen Arbeit eines Laubgeländers auf einem verlängerten Hügel wie ein Purpurapfel in einer durchbrochnen Fruchtschale. – In der einen Vertiefung wünschte man den Mittagschlaf zu genießen, in einer andern das Frühstück, an jenem Bache den Mond, wenn er im Zenith stand, hinter diesen Bäumen ihn, wenn er erst aufging, unten an jener Anhöhe vor Streitberg die Sonne, wenn sie in ein grünes Gitterbette von Bäumen steigt.

Da er den Tag darauf schon mittags nach Streitberg kam, wo man alle jene genannte Dinge auf einmal erleben wollte: so hätt' er recht gut – er mußte denn kein so flinker Fußgänger sein als sein Lebenbeschreiber – noch gegen Abend die Baireuther[357] Turmknöpfe das Rot der Abend-Aurora auflegen sehn können; aber er wollte nicht, er sagte zu sich: »Ich wäre dumm, wenn ich so hundmüde und ausgetrocknet die erste Stunde der schönsten Wiedererkennung anfinge und so mich und ihn (Leibgebern) um allen Schlaf und am Ende um das halbe Vergnügen (denn wie viel könnten wir heute noch reden?) brächte. Nein, lieber morgen früh um 6 Uhr, damit wir doch einen ganzen langen Tag zu unserem Tausendjährigen Reiche vor uns haben.«

Er übernachtete daher in Fantaisie, einem artistischen Lust- und Rosen- und Blütental, eine halbe Meile von Baireuth. Es wird mir schwer, das papierne Modell, das ich von diesem Seifersdorfer Miniatur-Tal hier aufzustellen vermöchte, so lange zurückzutun, bis ich einen geräumigern Platz vorfinde; aber es muß sein, und bekomm' ich keinen, so steht mir allemal noch hinten vor dem Buchbinderblatte dazu ein breiter offen.

Firmian ging neben Fledermäusen und Maikäfern – dem Vortrab und den Vorposten eines blauen Tages – und hinter den Baireuthern, die ihren Sonntag und ihre Himmelfahrt beschlossen – es war der 7te Mai – und zwar so spät, daß das erste Mondviertel recht deutlich alle Blüten und Zweige auf der grünen Grundierung silhouettieren konnte, – – also so spät ging er noch auf eine Anhöhe, von der er auf das von der Brautnacht des Frühlings sanft überdeckte und mit Lunens Funken gestickte Baireuth, in welchem der geliebte Bruder seines Ichs verweilte und an ihn dachte, tränen- und freudentrunkne Blicke werfen konnte..... Ich kann in seinem Namen es mit »Wahrlich« beteuern, daß er beinahe mir nachgeschlagen wäre: ich hätte nämlich mit einem solchen warmquellenden Herzen, in einer solchen von Gold und Silber und Azur zugleich geschmückten Nacht vor allen Dingen einen Sprung getan in den Gasthof zur Sonne, an meines unvergeßlichen Freundes Leibgebers Herz.... Aber er kehrte wieder in das duftende Kapua zurück und begegnete noch dazu – so kurz vor dem Abendessen und Abendgebet und ganz nahe an einem gut ausgetrockneten, von einer versteinerten Götterwelt bewohnten Wasserbecken oder Streckteich – nichts Geringerem als einem hübschen Abenteuer. Ich bericht' es.[358]

An der ausgemauerten Bucht stand nämlich eine ganz schwarz gekleidete, mit einem weißen Flore bezogne weibliche Gestalt, mit einem am Tage verwelkten Blumenstrauß in der Hand, worin ihre Finger blätterten. Sie war von ihm abgekehrt gegen Abend und schien halb die steinerne, ineinander gewickelte Schweizerei und Korallenbank von Wasserpferden, Tritonen u.s.w., halb einen zunächst stehenden, in einem Vexier-Einsturz begriffenen Tempel anzuschauen. Indes er langsam vor ihr vorüberging, sah er von der Seite, daß sie eine Blume nicht sowohl nach als Über ihn warf, gleichsam als sollte dieses Ausrufzeichen einen Zerstreuten aufwecken. Er sah sich leicht um, bloß um zu zeigen, daß er schon wach sei, und ging an die Glaspforte des künstlichbaufälligen Tempels hinan, um sich neben dem Rätsel zu verweilen. Drinnen stand ihm gegenüber ein Pfeilerspiegel, der den ganzen Mittel- und Vorgrund hinter ihm samt der weißen Unbekannten in die grüne Perspektive eines langen Hintergrundes herumdrehte. Firmian ersah im Spiegel, daß sie den ganzen Strauß gegen ihn werfe, und daß sie endlich – als dieser nicht so weit fliegen konnte – die aufgesparte Pomeranze bis beinahe unter seine Füße kegelte. Er wandte sich lächelnd um. Eine sanfte, aber hastige Stimme sagte: »Kennen Sie mich nicht?« Er sagte: »nein!« und eh' er noch langsam dazu gesetzt hatte: »ich bin ein Fremder«, war ihm die unbekannte Oberin näher getreten und hatte ihre Mosis-Flor-Decke schnell vom Gesicht gerückt und in einem höhern Tone gesagt: »Und noch nicht?« – Und ein weiblicher Kopf, der vom Halse des vatikanischen Apollo abgesägt und nur mit acht oder zehn weiblichen Zügen und mit einer schmalern Stirn gemildert war, glänzte vor ihm, wie ein Marmorkopf vor der Lohe einer Fackel. Aber indem er dazu setzte, er sei ein Fremder – und indem die Gestalt ihn näher und unvergittert anblickte – und indem sie das Flor-Fallgatter wieder niederließ (welche Bewegungen insgesamt nicht so viel Zeit wegnahmen als eine einzige des Pendels einer astronomischen Uhr): so kehrte sie sich weg und sagte weniger verlegen als weiblich-entrüstet: »Vergeben Sie!« –

Es hätte wenig gefehlet, so wär' er ihr beinahe mechanisch hinterdrein gezogen; er verzierte jetzt die ganze Fantaisie statt[359] der steinernen Göttinnen mit lauter Gipsabgüssen des entflohenen Kopfes, der bloß drei Pleonasmen im Gesichte hatte: zuviel Wangenrot, zuviel Biegung der Nase und zuviel Augen-Lauffeuer oder Feuerung. Er dachte, ein solcher Kopf könnte sich, wenn er geschmückt wäre, ohne Nachteil neben dem funkelnden einer Fürstenbraut aus einer Hauptloge herauslegen, und er könnte ebensoviel Philosophisches fassen als – rauben.

Ein solches Zauber-Abenteuer nimmt man gern in den Traum hinüber, zumal da es einem gleicht. An Firmians gebogne, zitternde Blumen steckte jetzo der Mai, wie an die andern um ihn, Stäbe und band sie lose an. O wie hell schimmern sogar kleine Freuden auf eine Seele, die auf einem vom Gewölke des Grams verfinsterten Boden steht, wie aus dem leeren Himmel Gestirne vordringen, wenn wir in tiefen Brunnen oder Kellern zu ihnen aufsehen!

Am prächtigen Morgen darauf ging mit der Sonne zugleich die Erde auf. Er hatte mehr seinen ewigen Freund als die gestrige Unbekannte im Kopfe und Herzen – wiewohl er doch vor dem Meere und der Muschel, woraus die gestrige Venus gestiegen war, Wunders halber den Weg vorbei nahm, obgleich ohne Nutzen und watete durch den nassen Glanz und Nebelduft der schimmernden Silbergrube und zerriß die um Blütenzweige gehangenen Perlenschnuren aus Spinnweben, worauf Tau-Samenperlen gezogen waren – und im durchflatterten Gezweige, das die Tastatur einer mit blühendem Bildwerk eingefasseten Harmonika war, streifte er eilig erkaltete Schmetterlinge und Blüten und Tropfen hinweg, um auf den gestrigen Olymp zu kommen. Er bestieg das Freudengerüste – und über Baireuth hing der brennende Theatervorhang aus Nebel – Die Sonne stand als Königin der Bühne auf dem Gebürge und schauete dem Herunterbrennen des bunten Schleiers zu, dessen flatternde, glimmende Zunderflocken die Morgenlüfte über die Blumen und Gärten verwehten und streueten. Endlich glänzte nichts mehr als die Sonne, von nichts als dem Himmel umgeben. Unter diesem Glanze betrat er das Lustlager und die Residenzstadt seines Geliebten, und alle Gebäude kamen ihm wie schimmernde, aus dem Äther gesunkne, festere Luft- und[360] Zauberschlösser vor. Es war sonderbar; aber er konnte sich nicht enthalten, von einigen heraushängenden Fenstervorhängen, mit denen die Straßen-Zugluft tändelte, sich einzubilden, als man sie hineinzog, die Unbekannte tu' es, da doch um diese Zeit weils erst 8 Uhr war – eine Baireutherin so wenig ihren Blumenschlaf beschlossen haben konnte als der rote Hühnerdarm oder der Alpen-Pippau113.

Jede neue Straße erhitzte sein klopfendes Herz; ein kleiner Irrweg gefiel ihm als Aufschub oder Zuwachs seiner Wonne. Endlich kam er vor den Gasthof zur Sonne, in seine Sonnennähe, an die metallene Sonne, die diesen Irrstern, wie die astronomische, in sich riß. Er fragte unten nach der Zimmer-Nummer des Herrn Leibgebers. »Er logierte hinten hinaus Nr. 8«, sagte man, »aber er ist heute ins Schwäbische verreiset, er müßte denn noch droben sein.« Glücklicherweise kehrte jemand von der Gasse in den Gasthof zurück, der die Sache bejahte und vor dem Advokaten wedelte; Leibgebers Saufinder tats.

Ein Treppensturmlaufen – ein Einbrechen der Jubelpforte ein Fall ans geliebte Herz... alles war eins. – Und nun zogen die öden Minuten des Lebens ungehört und ungesehen vor dem stummen, engen Bunde der zwei Sterblichen vorbei – sie lagen ineinander geklammert auf den Fluten des Lebens, wie zwei gescheiterte Brüder, die in den kalten Wellen umschlingend und umschlungen schwimmen, und die nun nichts mehr halten als das Herz, an dem sie sterben...

Sie hatten sich noch kein Wort gesagt – Firmian, den eine lange trübere Zeit weicher gemacht, weinte unverhohlen auf das wiedergefundne Angesicht – Heinrich verzog seines, wie ein Schmerz – beide hatten reisefertig noch Hüte auf – Leibgeber wußte sich verlegen an nichts zu halten als an die Klingelschnur. Der Kellner lief herzu. »Es ist nichts«, sagt' er, »als daß ich nicht fortgehe.« – »Gott gebe (setzt' er nachher hinzu), Siebenkäs, daß wir uns in ein Gespräch verwickeln! zieh mich in eines, Bruder!«

Er konnt' es recht schicklich bei der pragmatischen Geschichte, Nouvelle du jour – besser de la nuit – kurz bei der Stadt- oder[361] vielmehr Land-Neuigkeit anfangen, die er gestern neben dem Flore der schönen Je ne sais quoi erlebet hatte.

»Ich kenne sie«, versetzte Leibgeber, »wie meinen Puls; erzähl aber lieber jetzo nichts – ich muß sonst so lange stille sitzen und aufpassen. Heb alles auf, bis wir im warmen Schoß Abrahams sitzen, in der Eremitage«; welches nach Fantaisie der zweite Himmel um Baireuth ist, denn Fantaisie ist der erste, und die ganze Gegend der dritte. – Sie hielten nun eine Himmelfahrt durch alle Materien und Gassen, worein sie kamen. »Du sollst mir – (sagte Leibgeber, da Siebenkäs leider eine ebenso unregelmäßige Lüsternheit nach dessen Geheimnis verriet, als ich am Leser bemerken muß) – eher den Kopf wegschlagen, wie von einem Mohnstengel, als daß ich dir schon heute oder morgen oder übermorgen meine Mysterien aus meinem in deinen setzte; nur so viel darf ich dir entdecken, daß deine Auswahl aus des Teufels Papieren (dein Abendblatt enthält schon mehr von Krankheitmaterie) ganz göttlich ist und sehr himmlisch und recht gut und nicht ohne Schönheiten, sondern vielleicht passabel.« Leibgeber deckte ihm nun seine ganze freudige Überraschung auf, daß er, der Advokat, in einem Kleinstädtchen, das nur Krämer- und Juristenseelen samt einiger darangehängter hoher Obrigkeit beleben, sich in seiner Satire zu solcher Kunstfreiheit und Reinheit habe erhöhen können; und in der Tat hab' ich wohl selber, wenn ich die Auswahl aus des Teufels Papieren las, zuweilen gesagt: ich hätte nicht einmal in Hof im Voigtland, wo ich sonst manches scherzend geschrieben, dergleichen machen können.

Leibgeber setzte dem Lorbeerkranze die Krone auf durch die Versicherung, er könne leichter laut und mit beiden Lippen lachen über sämtliche Welt als leise und mit der Feder und nach erprobten Kunstregeln. – Siebenkäs war über das Lob außer sich vor Lust; aber es verdenke die Freude doch niemand dem Advokaten oder irgendeinem andern Schreiber – welcher einsam ohne Lobredner die redlich gewählte Kunstbahn ohne die Stütze der kleinsten Aufmunterung standhaft durchgeschritten –, wenn ihn nun am Ende des Ziels der Geruch einiger Lorbeerblätter aus Freundes Hand gewürzhaft durchdringt und kräftigt und lohnt.[362] Bedarf ja der Berühmte, sogar der Anmaßende der Nachwärmung durch fremde Meinung, wieviel mehr der Bescheidne und der Ungekannte! – Aber glücklicher Firmian! In welcher Ferne, tief in Süd-Süd-West, zogen jetzt die Strichgewitter deiner Tage! Und man konnte, da die Sonne darauf fiel, nichts als einen sanft niedersteigenden Regen daran sehen. –

Er nahm über der Wirtstafel an seinem Leibgeber mit Vergnügen wahr, wie sehr der ewige Tausch mit Menschen und Städten die Zunge löse und den Kopf öffne – wiewohl dann oft statt der Mundsperre die Herzsperre eintritt –: Leibgeber machte sich nichts daraus (welches der eingesperrte Armenadvokat kaum nach einer großen Flasche hätte wagen wollen), vor den größten Regierräten und Kanzleiverwandten, die in der Sonne mit aßen, von seinem Ich zu reden, und zwar ganz spaßhaft. Ich will die Rede, weil sie dem Armenadvokaten auffiel, hereinmauern und auf sie die Überschrift setzen: Tischrede Leibgebers.


Tischrede Leibgebers


»Unter allen Herren Christen und Namen, die hier sitzen und anspießen, wurde wohl keiner mit solcher Mühe dazu gemacht als ich selber. Meine Mutter, aus Gascogne gebürtig, ging nämlich ohne meinen Vater, der in London blieb als Diözesan der deutschen Gemeinde in London, von da aus zu Schiff nach Holland. Inzwischen tobte und insurgierte das deutsche Meer nie so entsetzlich – solang es einen Reichshofrat gibt – als damals, wo es meine Mutter traf, darüber zu fahren. Schütten Sie die Hölle mit ihrem zischenden Schwefelpfuhl, geschmolzenen Kupfer und ihren plätschernden Teufeln in die kalte See und bemerken das Knastern das Brausen – das Aufschlagen der Höllenflammen und der Meeres-Wellen, bis eines von den zwei feindlichen Elementen das andere verschluckt oder niederschlägt: so haben Sie einen schwachen, aber doch unter dem Essen hinreichenden Begriff von dem verdammten Sturm, in dem ich auf die See und zur – Welt kam. Sie können sich vorstellen, wenn der Bauchgürtel – der Dempgürtel – der Nordgürtel des großen Bramsegels[363] (wiewohl es mit den Schoten des Schönfahrsegels noch schlechter stand) – wenn ferner die große Stengestag, der große Laufer, Takel und Mantel – gar nicht zu gedenken der Brassen der Bovenblindenree – wenn solche des Seewesens gewohnte Dinge, sag' ich, halb ums Leben kamen: so wars ein ordentliches Meer-Wunder, wenn ein so zartes Wesen, wie ich damals war, seines darin anzufangen vermochte. Ich hatte damals nicht so viel Fleisch auf dem Leibe als gegenwärtig Fett und mochte in allem vier Nürnberger Pfund mit Ausschlag wiegen, welches jetzo, wenn wir den besten anatomischen Theatern glauben dürfen, das Gewicht meines bloßen Gehirns allein ist. Ich war noch dazu ein blutjunger Anfänger, der noch nichts von der Welt gesehen als diesen teuflischen Sturm – ein Mensch von wenig Jahren nicht sowohl als von gar keinen, wiewohl alle Leute ihr Leben um neun Monate höher bringen, als das Kirchenbuch besagt – weichlich und gegen alle medizinische Regeln gerade in den ersten neun Monaten meines Lebens zu warm und eingewindelt gehalten, anstatt daß man mich auf die kalte Luft in der Welt hätte vorbereiten sollen – so viertelwüchsig, als ein solcher zarter Blütenknopf, und weichflüssig wie die erste Liebe, erregte ich in einem solchen Wetter keine größeren Erwartungen (ich quäkte mit Mühe ein- oder zweimal in den Sturm), als daß ich auslöschen und ausleben würde, noch eh' es sich aushellete. Man wollte mich nicht gern ohne ehrlichen Namen und ohne alles Christentum aus der Welt lassen, aus der man ohnehin noch weniger mitnimmt, als man mitbringt. Nun war nichts schwerer, als zu Gevatter zu – stehen auf einem schwankenden Schiff, das alles umwarf, was nicht angebunden war. Der Schiffprediger lag zum Glück in einer Hangematte und taufte herab. Mein Dot oder Taufpate war der Hochbootsmann, der mich fünf Minuten lang hielt – ihn hielt, weil er nicht allein so fest stehen konnte, daß der Täufer den Kopf des Täuflings mit dem Wasser treffen konnte, wieder der Unterbarbier – der war an einen Büchsenschisser befestigt – dieser an den Schiemann – der an den Profos – und dieser saß auf einem alten Matrosen, der ihn grimmig umschlang.

Inzwischen ging, wie ich nachher vernahm, weder das Schiff[364] noch das Kind unter. Sie sehen aber sämtlich, daß, so sauer es auch irgendeinem Menschen in den Stürmen des Lebens werden mag, ein Christ zu werden und zu bleiben oder sich einen Namen zu erwerben, es sei nun in einem Adreßkalender oder in einer Literaturzeitung oder in einer Heroldkanzlei oder auf einer Schaumünze – es doch keinem (als eben mir) so hart ging, bis er nur die Anfanggründe eines Namens, die Grundierung und binomische Wurzel eines Taufnamens, worauf nachher der andere große Name aufgetragen wurde, und einiges Christentum überkam, soviel ein Konfirmand und Katechumen, der noch saugt und dumm ist, fassen kann. – Es gibt nur eine Sache, die noch schwerer zu machen ist, die der größte Held und Fürst nur einmal in seinem Leben, die aber alle Genies – und selber die drei geistlichen Kurfürsten, der deutsche Kaiser – mit vereinigten Kräften nicht zuwege bringen, und wenn sie jahrelang in der Münzstätte säßen und prägten mit den neuesten Rändel- oder Kräuselwerken.«

Die Wirts-Tafel drang in ihn, das zu nennen, was so schwer zu modellieren wäre. »Ein Kronprinz ists«, versetzte er kalt, »schon apanagierte Prinzen werden einem Regenten nicht leicht zu geben – von einem Kronprinzen aber kann er (er mag es anstellen, wie er will) in seinen besten Jahren nicht mehr liefern (weil ein solcher Seminarist kein Spielwerk, sondern vielmehr das Hauptwerk, die Mühl-, Sprach- und Spielwalze eines ganzen Volkes ist), nicht mehr, sag' ich, als ein einziges Exemplar. Grafen hingegen, meine Herren, Barone, Kammerherren, Regimentstäbe und besonders ganz gemeine Leute und Untertanen, kurz Schorfmoose dieser Art werden von einem Fürsten als eine generatio aequivoca so außerordentlich leicht gezeugt, daß er dergleichen lusus naturae und Vor-Schwärme oder Protoplasmata spielend zu beträchtlichen Quantitäten schon in seiner frühesten Jugend von dem Poussierstuhle springen lässet, indes ers doch in reifern Jahren nicht so weit bringt, daß er einen Thronfolger erbauet. Man hätte nach so vielen Probeschüssen und Waffenübungen aufs Gegenteil geschworen.«

Ende der Tischrede Leibgebers[365] Nachmittags bezogen beide das grünende Lustlager der Eremitage; und die Allee dahin schien ihren frohen Herzen ein durch einen Lustwald gehauener Gang zu sein; auf die Ebene um sie hatte sich der junge Zugvogel, der Frühling, gelagert, und seine abgeladnen Schätze von Blumen lagen über die Wiesen hingeschüttet und schwammen die Bäche hinab, und die Vögel wurden an langen Sonnenstrahlen aufgezogen, und die geflügelte Welt hing taumelnd im ausgegoßnen Wohlgeruch.

Leibgeber nahm sich vor, sein Geheimnis und Herz heute in der Eremitage aufzuschließen – vorher aber einige Flaschen Wein.

Er bat und zwang den Advokaten, vor allen Dingen ihm ein kurzes Zeitungkollegium über seine bisherigen Begebenheiten zu Wasser und zu Lande zu lesen. Firmian tats, aber mit Einsicht: über das Mißjahr seines Magens, über seine teuern Zeiten, über den bildlichen Winter seines Lebens, auf dessen Schnee er wie ein Eisvogel nisten mußte, und über alle die kalte Nordluft, die einen Menschen, wie die Wintersoldaten, zum Eingraben in die Erde treibt, darüber lief er eilends weg. Ich muß es billigen; erstlich weil ein Mann keiner wäre, der über die Wunden der Dürftigkeit einen größern Lärm aufschlüge als ein Mädchen über die des Ohrläppchens, zumal da in beiden Fällen in die Wunden Gehenke für Juwelen kommen; zweitens weil er seinem Freunde keine sympathetische Reue über den Namentausch, diese Quelle aller seiner Hungerquellen, geben wollte. Aber für seinen innigen Freund war schon das entfärbte, welke Angesicht und das zurückgesunkne Auge ein Monatkupfer seines Eismonats und eine Winterlandschaft von der beschneiten Strecke aus seinem Lebenwege.

Aber als er auf die tiefsten verhüllten Seelenwunden kam: konnt' er kaum das in die Augen steigende Blutwasser aufhalten ich meine, als er auf Lenettens Haß und Liebe geriet. Indem er aber von ihrer kleinen gegen ihn, von ihrer großen gegen Stiefeln eine nachsichtige Zeichnung gab: nahm er zum historischen Stücke, das er von ihrer Rechtschaffenheit gegen den Venner und von Rosas Schlechtigkeit überhaupt ausmalte, viel höhere Farben.[366]

»Wenn du fertig bist«, sagte Leibgeber, »so lasse dir sagen, daß die Weiber keine gefallnen Engel sind, sondern fallende. Beim Henker! sie setzen uns bei unserer leidenden Schaf- und Schöpsenschur die Schere mehr in die Haut als in die Wolle. Wenn ich über die Brücke zur Engelsburg in Rom ginge: so würd' ich an die Weiber denken, weil auf ihr zehn Engel, jeder mit einem andern Marter-Werkzeug, der eine mit den Nägeln, der andere mit dem Rohr, der dritte mit dem Würfel, ausgehauen stehn. So hat jede ein anderes Marterinstrument für uns arme Gottes-Lämmer in der Hand. – – Wen glaubst du z.B. wohl, daß das gestrige Palladium, deine Unbekannte, mit dem Ehering wie mit einem Nasenring an den Ehebett-Fuß anschließet? – Ich muß sie dir aber erst schildern: sie ist herrlich – dichterisch – schwärmerisch in Briten und Gelehrte verliebt, folglich auch in mich – lebt daher auch mit einer vornehmen Engländerin, die halb eine Gesellschaftdame der Lady Craven und des Markgrafen ist, draußen in Fantaisie – hat nichts und akzeptiert nichts, ist arm und stolz, leichtsinnig-kühn und tugendhaft – und schreibt sich Natalie Aquiliana.... Weißt du, wen sie ehelicht? Einen so mürben, verloderten Lumpen, einen so matten Geist, dessen Eierschale einige Wochen zu bald zerknickt wurde, und der jetzo mit gelbem Haargefieder auf unsern Fußzehen piepet – ders dem Heliogabal, der täglich einen neuen Ring ansteckte, mit den Eheringen nachtut – den ich mit der Nase über den Nordpol hinausniesen will, und über den Südpol auf eine andere Art, ohne mich umzukehren – und den ich dir am wenigsten zu schildern brauche, da du mir ihn eben selber geschildert hast – und den du auch kennst, wenn ich ihn nenne.... Den Venner Rosa von Meyern heiratet die Holde.«

Firmian fiel nicht aus den Wolken, sondern recht hinein in sie. Kurz die unbekannte Natalie ist die Nichte des Heimlichers, von der Leibgeber schon in einem Briefe des ersten Bändchens einiges geschrieben! »Höre!« fuhr Leibgeber fort, »aber ich will mich zerstücken und zerhacken lassen in kleinere Krumen als Großpolen114, in Abschnitzel, die keinen hebräischen Selblauter bedecken[367] sollen, wenn nun etwas aus der Sache wird; denn ich hintertreibe sie.« –

Da er, wie bekannt, mit dem Mädchen, das an seiner unbefleckten Seele und an seinem kühnen Geisterstand unauflöslich hing, alle Tage sprach: so hatt' er bei ihr nichts nötig als eine Wiederholung und Beteuerung dessen, was Siebenkäs von ihrem Bräutigam erzählet hatte – um die nahe Ehe zu scheiden. Die Bekanntschaft, die er mit ihr, und die Ähnlichkeit, die er mit Siebenkäs hatte, waren gestern schuld gewesen, daß sie unsern Firmian mit dem verwechselte, dem er entgegenzog.

Die meisten Leser werfen mit dem Advokaten mir und Leibgebern ein, daß Nataliens Liebe sich nicht mit ihrem Charakter, und die Heirat nach Geld sich nicht mit ihrer Kälte gegen Geld vereine. Aber mit einem Wort: sie hatte von dem bunten Fliegenschnapper Rosa noch nichts gesehen als seine Esaus-Hand – nämlich seine Handschrift, d.h. seine Jakobs-Stimme: er hatte ihr bloß untadelige sentimentalische Assekuranz-Briefe (Nadelbriefe voll Amors-Pfeile und Heftnadeln) geschrieben und so den papiernen Adel seines Herzens gut verbrieft. – – Der Heimlicher hatte seiner Nichte noch dazu geschrieben: den Pankratiustag (den 12. Mai, also in vier Tagen) komme der Hr. Venner und stelle sich ihr vor, und wenn sie ihm den Korb gebe: so solle sie nie sagen, daß sie Blaisens Nichte gewesen, sondern in ihrem Schraplau115 in Gottesnamen verhungern.

Aber als ehrlicher Mann zu sprechen, ich habe nicht mehr als drei kaum der besten Briefe Rosas eine Minute in Händen gehabt, und eine Stunde in der Tasche; aber sie waren in der Tat nicht schlecht, sondern viel moralischer als ihr Verfasser. –

Gerade als Leibgeber gesagt hatte, er wolle das Vor-Konsistorium bei Natalien machen und sie von Rosa noch vor der Trauung scheiden: kam sie mit einigen Freundinnen gefahren und stieg aus, aber ohne sie zu dem Sammelorte der Gesellschaft zu begleiten, und begab sich allein in einen einsamen Seitenlaubgang hinauf, in den sogenannten Tempel. Sie hatte in ihrer Hastigkeit[368] ihren Freund Leibgeber nicht sitzen sehen den Pferdeställen gegenüber. Die Baireuther Gäste der Eremitage sitzen nämlich in einem kleinen, durch Schatten und Zugluft stets abgekühlten Wäldchen seit langen und markgräflichen Zeiten bloß dem langgestreckten Wirtschaftgebäude gegenüber und dessen Stallungen, haben aber nahe die schönsten Aussichten hinter ihrem Rücken, welche sie leicht gegen die kahle Futtermauer des Auges eintauschen, wenn sie aufstehen und über das Wäldchen auf beiden Seiten hinaus spazieren.

Leibgeber sagte zum Advokaten, er könne ihn sogleich zu ihr bringen, da sie, wie gewöhnlich, oben im Tempel sitzen werde, wo sie die Zauberaussichten über die Kunstwäldchen hinüber nach den Stadttürmen und Abendbergen unter der scheidenden Abendsonne genieße. Er setzte hinzu, sie kümmere sich leider – daher sie allein ins Häuschen hinaufgelaufen – wenig um den schönsten spröden Anschein und ärgere dadurch ihre Engländerin stark, die, wie ihre Landsmänninnen, ungern allein gehe und ohne eine Versicherung-Anstalt oder Bibelgesellschaft von Weibern sich nicht einmal einem männlichen Kleiderschranke zu nahen getraue. Er hab' es von guter Hand, sagte er, daß eine Britin sich nie einen Mann in ihrem Kopf vorstelle, ohne ihn zugleich mit den nötigen Vorstellungen von Frauen zu umringen, die ihn zügeln und festhalten, wenn er in ihren vier Gehirnkammern sich so frei benehmen will, als sei er da zu Hause.

Beide fanden Natalie oben im offenen Tempelchen mit einigen Papieren in der Hand. »Hier bring' ich«, sagte Leibgeber, »unsern Verfasser der Auswahl aus des Teufels Papieren – die Sie ja gerade, wie ich sehe, lesen – und stell' ihn hier vor.« – Nach einem flüchtigen Erröten über ihre Verwechslung Firmians mit Leibgeber in Fantaisie sagte sie recht freundlich zu Siebenkäs: »Es fehlt nicht viel, Hr. Advokat, so verwechsle ich Sie wieder, und zwar geistlicherweise mit Ihrem Freunde; Ihre Satiren klingen oft ganz wie seine; nur die ernsthaften Anhänge116, die ich eben lese und die mir recht gefallen, schien er mir nicht gemacht zu haben.«[369]

Ich habe jetzt nicht Zeit, Leibgebers eigenmächtige Mitteilung fremder Papiere an eine Freundin mit langen Druck-Seiten gegen Leser zu verteidigen, welche in dergleichen außerordentliche Delikatesse begehren und beobachten; es sei genug, wenn ich sage, daß Leibgeber jedem, der ihn lieben wollte, zumutete, er müßte ihm auch seine andern Freunde mit lieben helfen, und daß Siebenkäs, ja sogar Natalie in seinem kühnen Mitteilen nichts fanden als ein freundschaftliches Rundschreiben und seine Voraussetzung dreiseitiger Wahlverwandtschaft.

Natalie sah beide, besonders Leibgebern – dessen großen Hund sie streichelte – freundlich-aufmerksam und vergleichend an, als ob sie Ungleichheiten suche; denn in der Tat stand Siebenkäs nicht ganz ähnlich genug vor ihr, der länger und schlanker und gesichtjünger erschien; was aber davon kam, daß Leibgeber, mit seiner etwas stärkeren Schulter und Brust, das seltsame ernstere Gesicht mehr vorbückte, wenn er sprach, gleichsam als rede er in die Erde hinein. Jung (sagt' er selber) habe er nie recht ausgesehen, sogar als Täufling – seine Taufzeugen seien die Zeugen –, und er werde sich auch schwerlich früher wieder verjüngen als im Spätalter bei dem zweiten Kindischwerden. Richtete sich aber Leibgeber auf und neigte sich Siebenkäs ein wenig: so sahen beide einander ähnlich genug; doch sind dies mehr Winke für ihre Paßschreiber.

Man wünsche dem Kuhschnappler Advokaten Glück zu Sprechminuten mit einem weiblichen Wesen von Stande und von so vielseitiger Ausbildung, sogar für Satiren; und er selber wünschte für sich nur, daß ein solcher Phönix, von welchem er nur einige Asche im Leben oder ein paar Phönixfedern in Büchern fliegen sehen, nicht sogleich davonflattern, sondern daß er ein recht langes Gespräch mit Leibgeber vernehmen und eigenhändig mit fortspinnen könnte: als ihre Baireuther Freundinnen gelaufen kamen und ankündigten, den Augenblick sprängen die Wasser und sie hätten alle nichts zu versäumen. Sämtliche Gesellschaft machte sich auf den Weg zu den Wasserkünsten hinab, und Siebenkäs suchte nichts als der edelsten Zuschauerin so nahe als möglich zu bleiben.[370]

Unten stellten sie sich auf den Steinrand des Wasserbeckens und sahen den schönen Wasserkünsten zu, welche längst vor dem Leser werden gesprungen haben an Ort und Stelle oder auf dem Papiere der verschiedenen Reisebeschreiber, welche darüber sich hinlänglich ausgedrückt und verwundert haben. Alles mythologische halbgöttliche Halbvieh spie, und aus der bevölkerten Wassergötterwelt wuchs eine kristallene Waldung empor, die mit ihren niedersteigenden Strahlen wieder wie Lianenzweige in die Tiefe einwurzelte. Man erfrischte sich lange an der geschwätzigen, durcheinander fliegenden Wasserwelt. Endlich ließ das Umflattern und Wachsen nach, und die durchsichtigen Lilienstengel kürzten sich zusehends vor dem Blicke ab. »Woher kommt es aber?« sagte Natalie zu Siebenkäs, »– ein Wasserfall erhebt jedem das Herz, aber dieses sichtliche Einsinken des Steigens, dieses Sterben der Wasserstrahlen von oben herab beklemmt mich, sooft ich es sehe. – Im Leben kommt uns nie dieses anschauliche, furchtbare Einschwinden von Höhen vor.«

Während der Armenadvokat noch auf eine sehr richtige Erwiderung dieses so wahren Gefühlwortes sann: war Natalie ins Wasser gesprungen, um ein Kind, das, von ihr wenige Schritte fern, vom Beckenrand hineingefallen, eiligst zu retten, da das Wasser über halbe Mannhöhe gestiegen. Ehe die danebenstehenden Männer, die noch leichter retten konnten, daran dachten, hatte sie es schon getan, aber mit Recht; und nur Eile ohne Rechnen war hier das Gute und Schöne. Sie hob das Kind empor und reichte es den Frauen hinauf; Siebenkäs und Leibgeber aber ergriffen ihre Hände und hoben die Feurige und Seelenrotwangige leicht auf die Beckenküste. »Was ists denn? Es schadet ja nichts«, sagte sie lachend zum erschrocknen Siebenkäs und enteilte mit den verblüfften Freundinnen davon, nachdem sie Leibgebern gebeten, morgen abends gewiß mit seinem Freunde in die Fantaisie zu kommen. »Dies versteht sich, aber ich allein komme schon frühmorgens«, hatt' er versetzt.

Beide Freunde hatten jetzt sich und Einsamkeit sehr vonnöten; Leibgeber konnte, von neuem aufgeregt, die Birkenwaldung kaum erwarten, wo er das vorige Gespräch über Firmians Haus- und[371] Ehelage gar hinauszuspinnen vorhatte. Über Natalie bemerkte er gegen den verwunderten Freund nur flüchtig, eben dies sei, was er an ihr so liebe, ihre entschiedene Aufrichtigkeit im Handel und Wandel und ihre männliche Heiterkeit, in welcher Menschen und Armut und Zufälle nur als leichte lichte Sommerwölkchen schwämmen und verflögen, ohne ihr den Tag zu trüben.

»Was nun dich und deine Lenette anbelangt«, fuhr er in der waldigen Einsamkeit so ruhig fort, als hätte er bis hieher gesprochen, »so nähm' ich, wenn ich an deiner Stelle wäre, ein zerteilendes Mittel und schaffte mir den schweren Gallenstein der Ehe heraus. Wenn ihr noch Jahre lang mit eueren Haar- und Beinsägen auf dem ehelichen Bande hin und her kratzet und streicht: so könnt ihrs vor Schmerzen nicht mehr aushalten. Das Ehegericht tut einen derben Schnitt und Riß – entzwei seid ihr.«

Siebenkäs erschrak über die Ehescheidung, nicht als ob er sie nicht wünschte, als die einzige Wetterscheide; nicht als ob er sie und die daraus sich anspinnende Verbindung mit dem Schulrate Lenetten nicht gönnte: sondern weil er bedachte, daß Lenette, ihrer ähnlichen Wünsche ungeachtet, aus Hermesschen Gründen und bürgerlicher Scham sich nie ins gewaltsame Trennen fügen würde; daß ferner er und sie auf dem Wege zur Trennung noch grausame, schneidende Stunden voll Herzgespann und Nervenfieber durchgehen müßten, und daß sie beide kaum eine Trauung, geschweige eine Scheidung bezahlen könnten. Und ein Nebenumstand war noch: es tat ihm wehe, daß er das arme unschuldige Geschöpf, das in so manchen kalten Stürmen des Lebens neben ihm gezittert hatte, auf immer aus seinen Armen und aus seiner Stube, und noch dazu mit dem Schnupftuch in der Hand, sollte gehen sehn.

Alle diese Bedenklichkeiten, manche schwächer, manche stärker, trug er seinem Liebling vor und schloß mit der letzten: »Ich bekenne dir auch, wenn sie mit allem ihren Geräte von mir fortzieht und mich allein, wie in einem Erbbegräbnis, in der weiten Stube lässet und an allen den ausgelichteten, geschleiften Plätzen, wo wir sonst doch in mancher freundlichen Stunde beisammensaßen[372] und Blumen um uns grünen sahen: so darf sie nachher nicht mehr, zumal mit meinem Namen, ohne doch die meine zu sein, vor meinem Fenster vorbeigehen; oder es schreiet etwas in mir: stürz dich hinunter und falle zerbrochen vor ihre Füße.... Wär's nicht zehnmal gescheuter«, fuhr er in einem andern Tone fort und wollte in einen aufgewecktern kommen, »man wartete es ab, bis ich oben in der Stube selber (was nützt mir sonst mein Schwindel) auf eine ähnliche Art hinfiele und auf eine schönere zum Fenster hinauskäme und zur Welt auch... Der Freund Hein nimmt sein langes Radiermesser und schabet meinen Namen außer andern Klecksen aus ihrem Trauschein und Ehering heraus.« – –

Das schien wider alle Erwartung seinen Leibgeber immer munterer und belebter zu machen. »Das tu«, sagt' er, »und stirb! Die Leichenkosten können sich unmöglich so hoch wie andere Scheidekosten belaufen, und du stehst noch dazu in der Leichenkasse.« Siebenkäs sah ihn verwundert an.

Er fuhr im gleichgültigsten Tone fort: »Nur, muß ich dir sagen, wird für uns beide wenig herauskommen, wenn du lange satteln und hocken und erst in einem oder zwei Jahren mit Tod abgehen willst. Für sachdienlicher hielt' ichs für meine Person, wenn du von Baireuth nach Kuhschnappel gingest und dich gleich nach deiner Ankunft aufs Kranken- und Totenbette legtest und da Todes verblichest. Ich will dir aber auch meine Gründe angeben. Einesteils würde dann gerade vor der Adventzeit das Trauerhalbjahr deiner Lenette aus, und sie brauchte dann nicht erst eine Dispensation von der Adventzeit, sondern nur eine von der Trauerzeit einzuholen, wenn sie noch vor Weihnachten sich mit dem Pelzstiefel trauen lässet. Auch meinerseits wär's gut; ich verschwände dann unter die Volkmenge der Welt und sähe dich nicht eher wieder als spät. Und dir selber kann es nicht gleichgültig sein, bald zu verscheiden, weil es dein Nutzen ist, wenn du früher – Inspektor wirst.« – –

»Das ist das erstemal, lieber Heinrich«, versetzte er, »daß ich kein Wort von deinem Scherze verstehe.«

Leibgeber zog mit einem unruhigen Gesicht, auf dem eine[373] ganze künftige Welthistorie war, und das die größte Erwartung sowohl verriet als verursachte, ein Schreiben aus der Tasche und gab es schweigend hin. Es war ein Bestallungschreiben vom Grafen von Vaduz, das Leibgebern zum Inspektor des Vaduzer Ober-Amts erhob. Er reichte ihm dann ein durchsichtiges Handbriefchen vom Grafen. Während es Firmian las, brachte er seinen Taschenkalender heraus und murmelte kalt vor sich: »Vom Quatember – (lauter) nicht wahr, am Quatember nach Pfingsten soll ich einziehen? – Das ist von heute, als am Stanislaustag – höre, ach Stanislaustag! – eins – zwei – drei – vier – vier fünfthalbe Woche.« –

Als ihm es Firmian freudig wieder zulangte: schob ers zurück und sagte: »Ich hab' es eher gelesen als du – steck es wieder ein. Schreib aber dem Grafen heute lieber als morgen!«

Aber darauf kniete Heinrich in einer feierlichen, leidenschaftlichen und humoristischen Begeisterung, die der Wein höher trieb und weiter gab, mitten auf einen langen schmalen Gang, der zwischen den hohen Bäumen des dicksten Lusthains ein unterirdischer schien, und dessen weite Perspektive sich in Osten mit der vertieften Kirchturm-Fahne wie mit einem Drehkreuz schloß; er kniete nieder gegen Westen und sah durch den langen grünen Hohlweg starr bloß nach der auf die Erde wie eine glänzende Sternschnuppe fallenden Abendsonne, deren breites Licht wie vergoldetes Frühling-Waldwasser oben den langen grünen Gang vom Himmel hereinschoß – er sah starr in sie und fing geblendet und umleuchtet an: »Ist jetzo ein guter Geist um mich oder ein Genius von mir oder von diesem da – oder lebt deine Seele über deiner Asche noch, du alter, tief eingeschlossener, guter Vater – so komme näher, alter, dunkler Geist, und tue deinem närrischen Sohne, der noch im Körper-Flatterhemd herumhinkt, heute einen, den ersten und letzten, Gefallen, und zieh in Firmians Herz und halte darin, indem du es recht auf und nieder bewegst, diese Rede: ›Stirb, Firmian, für meinen Sohn, obwohl zum Schein und zum Spaße – lege deinen Namen ab und komm unter seinem, der ja sonst deiner war, nach Vaduz als Inspektor und gib dich für ihn aus. Mein armer Sohn will gern, wie das[374] runde Joujou de Normandie, worauf er sitzt, das an Strahlenfäden um die Sonne fliegt, seines Orts auch noch ein wenig auf dem Joujou herumflattern. Vor euch andern Papageien hangt doch der Ring der Ewigkeit, und ihr springt darauf und könnt euch darin wiegen. Er aber sieht keinen Ring – laß dem armen Sittich die Freude, auf der Käficht-Stange der Erde herumzuhüpfen, bis die Weife, wenn sie seinen Lebenfaden sechzigmal herumgewunden hat zu einem Gebinde, klingelt und schnappt und der Faden abgerissen wird und sein Spaß aus ist.‹ – O guter Geist meines Vaters, hebe heute das Herz meines Freundes und lenke seine Zunge, damit sie nicht nein sagt, wenn ich ihn frage: willst du?« Er griff im Abend-Glanze blind nach Firmians Hand herum und sagte: »Wo ist deine Hand, Lieber? Und sage nicht nein.« Aber Firmian kniete hingerissen – denn in der Begeisterung des langverhaltenen Ernstes erfaßte Leibgeber das Herz unwiderstehlich – und ohne Sprache und voll Tränen wie ein Abendschatten kniete er vor das Herz seines Freundes hin und fiel an seine Brust und drückte sie eng und hart an sich und sagt' es ihm, aus Unvermögen, nur leise: »Ich will für dich ja auf tausend Arten sterben, wie du willst, nenn sie nur – aber nenn es recht, was du wünschest – ich schwöre dir alles im voraus zu, bei der Seele deines toten Vaters, ich gebe dir gern mein Leben – und mehr hab' ich ohnehin nicht.« –

Heinrich sagte mit einer ungewöhnlich-gedämpften Stimme: »Wir wollen nur erst hinauf unter den Lärm und unter die Baireuther – Ich muß heute eine Brustwassersucht haben; oder einen ganzen heißen Gesundbrunnen, und meine Weste ist die Fassung um den Brunnen – in einem solchen Dampfbad sollte ein Herz einen ordentlichen Schwimmgürtel oder Skaphander umhaben.«

Oben unter den gedeckten Tischen, unter den Bäumen, neben den Kirmesgästen der Frühling-Kirchweihe, unter Frohen war der Sieg über die Rührung nicht so schwer. Heinrich rollete oben den langen Bauriß seiner Luftschlösser und die Baubegnadigungen seines babylonischen Turmes eilig auf. Er hatte dem Grafen von Vaduz, dessen Ohren und dessen Herz sich nach ihm auftaten und hungernd öffneten, sein heiliges Ehrenwort zurückgelassen,[375] wiederzukommen als sein Inspektor. Aber seine Absicht war, sich durch seinen teuern Koadjutor und Substituten cum spe succedendi, Firmian, repräsentieren zu lassen, der in Laune und Körper eine solche Tautologie von ihm war, daß der Graf und der Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden beide vergeblich untersucht und gemessen hätten, um einen davon auszuklauben. 1200 Tlr. warf die Inspektion jährlich in schlechten Jahren Einkünfte ab, also geradesoviel, als Siebenkäsens ganze mit dem Prozesse plombierte Erbschaftmasse betrug: Siebenkäs sollte, wenn er seinen abgelegten Namen »Leibgeber« wieder ergriff, eben das gewinnen, was er verlor, da er ihn veräußerte. – »Denn ertragen«, fuhr Heinrich fort, »verwinden, verbeißen kann ichs nun, seitdem ich deine teuflische Auswahl gesehen, auf keine erdenkliche Weise mehr, daß du im vermaledeiten abgegriffnen Kuhschnappel noch länger brach fortsäßest als Einhorn und Eintier und Einsiedler und Ungekannter! Aber könntest du dir wohl so lange Bedenkzeit dazu nehmen, als der Regierungkanzelist dorten braucht, seine Pfeife auszuschütteln, sobald ich dir sage, daß ich in der Welt kein Amt versehen kann (du aber herrlich jedes) als das eines Graciosos, und kein Rat in einem Kollegium werden als bloß ein kurzweiliger, weil ich mehr Kenntnisse besitze als einer, die ich aber nicht zum Praktizieren, sondern nur zum Satirisieren brauchen kann, weil meine Sprache eine farbige lingua franca, mein Kopf ein Proteus und ich eine schöne Kompilation vom Teufel und seiner Großmutter bin? – Und könnt' ich, so möcht' ich nicht. – Wie? in meiner blühenden Jugend soll ich als ein Amtierer, als ein Staats-Gefangner im Burgverließ und Notstall der Amtstube wiehern und stampfen, ohne eine schönere Aussicht als die auf den in meinem Stand und Pferde-Stand hängenden Sattel und Zeug, indes draußen die herrlichsten Parnasse und Tempetäler vergeblich für das Musenpferd offen ständen? Jetzt in den Jahren, wo meine Lebens-Milch einige Sahne aufwerfen will, soll ich, da ohnehin die Jahre bald kommen, wo man sauer wird und in Molkenwasser und Quark zerfährt, da soll ich mir das Kälber-Lab einer Bestallung in meine Morgenmilch werfen lassen?- Du aber mußt anders pfeifen:[376] denn du bist schon ein halber Amtmann und ein ganzer Ehe-Mann dazu. – Ach, es wird alle Bremische Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, alle komische Romane und komische Opern übertreffen, wenn ich mit dir nach Kuhschnappel fahre und du da auslöschest und vorher testierest und nachher, wenn wir dir die letzte Ehre erwiesen haben, dich ein wenig hurtig aufmachst und der noch größern entgegenläufst, nicht sowohl um selig zu werden, als ein Inspektor; damit du nach deinem Tode nicht sowohl vor einem strengen Richterstuhl erscheinst, als dich selber auf einen setzest! – Spaß über Spaß! Ich übersehe die Folgen gar noch nicht oder schlecht – die Leichenkasse muß deiner betrübten Witwe zahlen (du kannsts der Kasse wieder gut tun, wenn du zu Gelde kommst) – deine Ringfinger mit dem verschwollenen Trauring und voll Fingerwürmer schneidet der Tod ab – deine Witwe kann heiraten, wen sie will, sogar dich, du auch –«

Auf einmal schlug Leibgeber vierzigmal auf seine Schenkel und rief: »Ei, ei, ei, ei, ei, etc.! – Ich kanns kaum abwarten, daß du erblassest... Höre, dein Tod kann zwei Witwen geben... Ich berede Natalien, daß sie sich bei der Königl. preußischen allgemeinen Witwenverpfleganstalt auf deinen Tod eine Pension von 200 Tlr. jährlich versichern lässet117. Du kannst es der Kgl. preuß. allgemeinen Witwenverpfleganstalt wieder heimzahlen, sobald du das Nötige erringst. Du mußt deiner künftigen Witwe, wenn sie dem Venner einen Korb gibt, heimlich ein Brot- und Fruchtkörbchen aufhängen. Könntest du nicht zahlen und stürbest wirklich dir selber nach: so wär' ich da, und keine Kasse verlöre, wenn ich wieder bei meiner wäre.« Leibgeber lebte nämlich in einem geheimnisvollen, von ihm selber nicht erklärten Wechselfieber von Arm- und Reichwerden, oder wie ers nannte,[377] von Aus- und Einatmen der Lebenluft (aura vitalis) des Geldes. Jeder andere – als dieser spiel-keck mit dem Leben umspringende Mensch, dessen Flammenfeuer für Recht und Wahrhaftigkeit und Uneigennützigkeit dem Advokaten schon seit Jahren wie von Pharus-Höhen herabgeleuchtet – hätte unsern Siebenkäs besonders als Juristen stutzig machen, ja erzürnen, anstatt überwältigen müssen; – aber Leibgeber durchtränkte, ja durchbrannte ihn mit seinem ätherischen Spielgeiste und riß ihn unaufhaltsam hin zu einem mimischen Täuschen ohne eigennützige Lug- und Trug-Zwecke.

Doch so viel Gewalt behielt Firmian über sich in seinem Geisterrausche, daß er, wenigstens auf die Gefahr, seinen Freund selber bloßzustellen, Rücksicht nahm. »Wenn man aber – sagte er – meinen wahren Heinrich Leibgeber, dessen Namen ich mir anraube, irgend einmal antrifft neben mir Falschnamenmünzer: was wird?«

»Man trifft mich eben nicht an«, sagte Heinrich; »denn sieh, sobald du deinen alten kanonischen, echten Namen Leibgeber wieder nimmst und meinen über einem bestürmten Taufbecken geschaffnen, Firmian Stanislaus, wieder fahren lässest, welches Gott gebe: so schnell' ich mich mit ganz unerhörten Namen (es kann sein, daß ich, um 365 Namentage zu begehen, von jedem Tage die Kalendernamen borge), schnelle mich, sag' ich, ins Welt-Meer aus dem festen Lande, treibe mich mit meinen Rücken-, Bauch- und andern Floßfedern durch die Fluten und Sümpfe des Lebens und bis ans dicke Toten-Meer – und dann seh' ich dich wohl spät wieder«... Er schauete starr in die hinter Baireuth herrlich sinkende Sonne – seine festgehefteten Augen glänzten feuchter, und er fuhr langsamer fort: »Firmian, heute steht Stanislaus im Kalender – es ist dein, es ist mein Namentag und zugleich der Sterbetag dieses wandernden Namens, weil du ihn nach deinem Scheintode ablassen mußt – Ich armer Teufel will doch einmal nach langen Jahren ernsthaft sein heute. Gehe du allein durch das Dorf Johannis nach Hause; ich will auf der Allee heimgehen; im Gasthofe treffen wir uns wieder – Beim Himmel! hier ist alles so schön und so rot, als wenn die Eremitage[378] ein Stück von der Sonne wäre. – Bleibe freilich nicht lange!« – Aber ein scharfer Schmerz ging über Heinrichs Angesicht mit schwellenden Falten, und er kehrte das erhobne Bildwerk des Grams und die blinden Augen voll Glanz und Wasser ab und eilte schief mit einem wegschauenden Gesichte, das den Schein einer andern Aufmerksamkeit annahm, vor den Zuschauern vorbei und verschwand in den Laubengängen.

Firmian stand allein mit nassen Augen vor der sanften Sonne, die sich über der grünen Welt in Farben auflöste. Die tiefe Goldgrube einer Abendwolke tropfte unter dem nahen Sonnenfeuer aus dem Äther auf die nächsten Hügel, und das umherrinnende Abendgold hing durchsichtig an den gelbgrünen Knospen und an den weißroten Gipfeln, und ein unermeßlicher Rauch wie von einem Altare trug spielend einen unbekannten Zauber-Widerschein und flüssige, durchsichtige, entfernte Farben um die Berge, und die Berge und die glückliche Erde schien die herunterfallende Sonne widerscheinend aufzufassen.... Aber als die Sonne hinter die Erde sank – – so flog in die leuchtende Welt, die hinter den zwei wasservollen Augen Firmians wie eine ausgedehnte, flackernde, feurige Lufterscheinung zitterte, plötzlich der Engel eines höhern Lichts, und er trat blitzend wie ein Tag mitten in den nächtlichen Fackeltanz der hüpfenden Lebendigen, und sie erblichen und standen alle. – – Als er seine Augen abtrocknete, war die Sonne hinunter und die Erde stiller und bleicher, und die Nacht zog tauend und winterlich aus den Wäldern.

Aber das zerflossene Menschenherz schmachtete nun nach seinen Verwandten und nach allen Menschen, die es liebte und kannte, und es schlug unersättlich in diesem einsamen Kerker des Lebens und wollte alle Menschen lieben. O an einem solchen Abend ist die Seele zu unglücklich, die viel entbehret oder viel verloren hat! –

Firmian ging mit süßer Betäubung durch die hängenden Gärten des Blütengeruchs, durch die amerikanischen Blumen, die sich vor unserem Nachthimmel auftun, durch den Schlafsaal zugeschlossener Fluren und unter tropfenden Blüten, und der halbe Mond stand auf der Zinne des himmlischen Tempels im[379] Mittagglanz, den die Sonne aus der Tiefe zu ihm hinaufwarf über die Erde und ihre Abendröte hinüber. – Als Firmian durch das überlaubte Dorf Johannis kam, dessen Häuser in einen Baumgarten verstreuet waren: so wiegten die Abendglocken aus den fernen Dörfern mit Wiegenliedern den schlummernden Frühling ein, und angewehte Äolsharfen schienen aus dem Abendrot zu spielen, und ihre Melodien flossen leise in den weiten Schlaf und wurden darin Träume. Sein überschüttetes Herz drängte sich nach Liebe, und er mußte vor Sehnsucht einem schönen Kinde in Johannis, das mit einem Wasserreiser tändelte, seine Blumen eilend in die zwei weißen Hände drücken, um nur Menschenhände zu berühren.

Guter Firmian! geh zu deinem gerührten Freunde mit deiner gerührten Seele, sein innerer Mensch streckt auch die Arme nach einem Ebenbilde aus, und ihr seid heute nirgends glücklich als aneinander! – Und als Firmian ins gemeinschaftliche, nur von der roten Dämmerung helle Zimmer trat: so wandte sich sein Heinrich um, und sie fielen einander stumm in die Arme und vergossen mit gebückten Häuptern alle Tränen, die in ihnen brannten; aber die der Freude auch, und sie endigten die Umarmung, aber das Verstummen nicht. Heinrich warf sich in Kleidern in sein Bette und hüllte sich ein. Firmian sank in das zweite daneben und weinte beglückt aus verschlossenen Augen. Nach einigen trunknen, von Phantasien, Träumen und Schmerzen erhitzten Stunden fuhr ein leichter Schein über seine heißen Augenlider – er schlug sie auf – der Mond hing weißglühend neben dem Fenster – und er richtete sich auf.... Aber da er seinen Freund still und blaß, wie einen Schatten des Monds an der Wand, am Fenster lehnen sah, und da jetzo aus einem nahen Garten Rusts Melodie des Liedes: »Nicht für diese Unterwelt schlingt sich der Freundschaft Band etc.« wie eine schlagende Nachtigall aufflog: so sank er unter dem Drucke einer schweren Erinnerung und einer zu großen Rührung zurück, und die trüben Augen verschloß ein Krampf, und er sagte nur dumpf: »Heinrich, glaub an die Unsterblichkeit! Wie wollen wir uns denn lieben, wenn wir verwesen?« –[380]

»Still, still!« sagte Heinrich; »heute feier' ich meinen Namentag, und der ist genug; einen Geburttag hat ja der Mensch nicht und mithin einen Sterbetag desfalls nicht.«

112

Jede Reise verwandelt das Spießbürgerliche und Kleinstädtische in unserer Brust in etwas Weltbürgerliches und Göttlichstädtisches (Stadt Gottes).

113

Das erste Gewächs öffnet sich morgens nach 8 Uhr, der Pippau um 11.

114

Er meint nicht die spätere genauere Analyse von Polen, sondern die erste

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Ein Städtchen in der Grafschaft Mansfeld, gehörig dem Kurfürsten von Brandenburg.

116

Poetisch-philosophische Kapitel in der nun seit vielen Jahren in Gera gedruckten und als Makulatur reißend abgegangenen Auswahl.

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»Der Vater darf für seine ledige Tochter, der Bruder für die Schwester etc., jede ledige oder verheiratete Mannsperson für die ledige Weibsperson eine Pension versichern lassen, ja sie kann sich selber eine Mannsperson wählen, auf deren Tod die Versicherung gestellet wird. – Beide werden als Eheleute angesehen, und sie behält wie eine wahre Witwe bei der Heirat die Hälfte.« Reglement für die Kgl. preuß. allgemeine Witwenverpflegungsanstalt vom 28. Dez. 1775. § 29.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 350-381.
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