I.

[138] Huldigungpredigt vor und unter dem Regierantritt der Sonne10, gehalten am Neujahr 1800 vom Frühprediger dahier


Da unsere Zarin, liebe Mituntertanen und Erdsassen, sich erst um 8 Uhr 15 Minuten 2 Sekunden zu uns erhebt: so kann ich vorher ein vernünftiges Wort mit euch reden.

Nach diesem Exordium schreit' ich zu den Teilen; denn ein längeres oder gar doppeltes ist nicht möglich, da ich genug werde zu tun haben, wenn ich von 7 3/4 bis 8 Uhr den ersten Teil und in der zweiten Viertelstunde den zweiten so durchtreiben will, daß ich bei dem ersten Strahle unserer Regentin vor der Nutzanwendung halte.

Der erste Teil soll diese loben, der zweite euch, liebe Zuhörer, heruntersetzen, indes mäßig.

I. Viertelstunde und Pars. Wenn das politische und das Schachspiel von 2 Meistern gespielet werden, so bleiben zuletzt die Bauern auf dem Brett. Ich beweise dieses so gern als ein anderer; aber warum ist das 18te Jahrhundert so sehr auf die Fürsten erboset, die stets ein wenig besser sind als ihre Hofleute, indes wieder diese nichts schlimmer als Weltleute, die wieder nichts anders sind als eben die Elementargeister und Oberlogenmeister des Jahrhunderts selber? Das einzige, was das Säkulum für seine Angriffe auf Fürsten anführen kann, sind die Engländer, die im Seegefecht zuerst das Admiralschiff berennen, um die Signale und das Kommando zu verwirren.[138]

Ebenso sind die meisten Kalendermacher gegen die mutschierende Regierung der sieben Kron-Planeten aufgestanden und haben viele Kalender hinten revolutioniert. Natürlich setzten sie auch die heutige Landesmutter11 ab; aber der Huldigung-Prediger dieses lacht über den Aktus, weil er weiß, daß diese Louise XVIII. doch fortregieren und Anziehkräfte zeigen werde, sie mag im astronomischen Staatkalender stehen oder nicht. Die morgenländischen Fürsten erkennen sie noch an und nennen sich ihre Vettern; ja, ein tartarischer zeigt der Base den Fürstenweg, den sie täglich nehmen muß.

Gelehrten ist wohl nichts an einem Regenten wichtiger, als daß er sie beschützt und pensioniert; und falls ein gekrönter Brotdieb des Landes nur ein guter Nutritor der Akademien und Akademisten ist, so weiß jeder Dekan, daß ein Fürst ein Mensch ist, und mutzt ihm nicht alles auf. Einmütig wird nun von den Gelehrten hienieden unsere neue Regentin erhoben. In ihrer Jugend privatisierte sie, als Amazone verkleidet, lange in Griechenland; und noch führt sie den Namen Apollo. Viele Länder wurden über das Geschlecht dieser Ritterin d'Eon irre, wiewohl man aus dem jungfräulichen Gefolge der neun Musen oder filles d'honneur und aus der schönen jugendlichen unbärtigen Gestalt dieses Apollo leicht hätte merken können, wieviel Uhr es sei. Sie machte übrigens in Griechenland, wie mehre ihres hohen Standes, nicht die besten Verse (weil in den Orakeln der Stoff über die Form vorsprang), aber doch die besten Versmacher. Da erfand sie den Lorbeer, um uns etwas, wenn auch nicht in die Arme, doch auf den Kopf zu geben und uns auf diese Weise fürstlich zu belohnen. Manchen armen Teufel von Gelehrten hält sie noch ein ganzes halbes Jahr licht- und holzfrei. Dieselben Verse, wofür der neidische Nero den Lukan umbrachte und Alexander den Chörilus, hatte sie beiden in die Feder gesagt; – wie ganz anders als jene Regenten führte sich diese Frau auf, oder als der Mischling aus beiden, Ludwig XIV., der seine Übersetzung des Cäsars so wie seine Feldzüge durch andere machen ließ! Und schickt unsere[139] Zarin nicht eben die Kalender, die ihr nach der Krone streben, ihren Vasallen zu, wie der sinesische den seinigen? – Bode in Berlin soll reden!

Als Apollo nahm sie längst den medizinischen Doktorgrad an. Die gallischen und englischen Könige legten sich nur auf die Kur des Stammelns und des Kropfes; aber sie heilt als Magnetiseur fast alles von weitem durch Ansehen und ist in der Pest der einzige Pestilenziarius. Ich könnte noch rühmen, daß sie die Medizin-Kiste auf dem Erdenschiffe selber füllt, welches wenig Ärzte tun.

Ich kenne keine Fürsten, die mit ihr, dieser Himmelkönigin, zu vergleichen wären. Die asiatischen und mexikanischen können in Gnadensachen der Witterung, um welche das Land bei ihnen nachsucht, nicht eher resolvieren, als bis sie solche selber erst von der Landesherrin ihrer Sonnenlehne erhalten haben.

Sie macht sich alles selber; sowohl die Rosen, welche der Papst den Erden-Vizekönigen weiht und schickt, als ihre Kammermohren färbt sie eigenhändig – sie macht sich ihr Prinzessin-Waschwasser – ihren glänzenden Sonnenhof – die donnernden Ehren-Salven und bunte Ehrenpforten abends nach ihren Arbeiten – ja sogar die in den Weg gestreuten Blumen, wozu die Landleute noch ihre Koller und Roben unterbreiten.

Es ist mir so gut wie einem bekannt, daß König Ninus sagte, er habe nie die Sterne gesehen; aber dasselbe kann unsere Neugekrönte von sich rühmen, ja sie löschet sogar alle die am Himmel (wie ein reisender König die an Röcken) aus, auf welche sie stößet.12

Was ihren fürstlichen Kabinettfleiß anlangt: so weiß man allgemein von Josua-Kopernikus, daß sie ihre Sitzung nie abbricht, sondern stets die Welt laufen lässet um sich. – Karl XII. von Schweden sagte einmal, er wollte seinen Stiefel als Subdelegaten und Vize-Karl XII. senden; mich dünkt, ein Stiefel repräsentiere leichter den Untertan, der ihn öfter anziehen und darin waten muß.[140]

Man schreibt Fürsten sehr die Gabe, das Feuer zu besprechen, zu; beim Himmel! sie bespricht das Ofenfeuer auf das Sommerhalbjahr; nur leider das größte Schadenfeuer, das Kanonenfeuer, schüret sie freilich, wie jene, stärker an.

Über ihre Hofhaltung konnt' ich wenig sagen, gesetzt auch, es schlüge jetzo nicht schon 8 Uhr. Man suche auf ihr, wie an andern Höfen, weder ein Paradies noch eine Hölle13; was Glanz und Fackeln scheint, schreibe man mit Herschel (wie bei uns) dem Dunstkreis zu, der sie umzieht, und ihre breiten Flecken sind natürliche Stellen ohne diesen. – Nach Newton verhält sich bei ihr die Zentripetalkraft zur Zentrifugalkraft oder das Anziehen zum Weglassen wie bei allen kameralistischen Höfen, nämlich 47000 Zu 1. Die Winde streichen auf ihr wie in jedem Staatkörper, nämlich nicht waagrecht, sondern hinauf, hinab.

II. Wir haben nun den zweiten Teil der Huldigungpredigt zu betrachten, nämlich uns selber, die Reichs- und Sonnenkinder. Bekanntlich stehen wir sämtlich um das Sterbebette unsers 99jährigen Redakteurs, des kritisierenden Jahrhunderts. Dieses ist gleichsam die allgemeine deutsche Bibliothek der Zeit und beurteilt, sich ausgenommen, alles. Wir warfen darin alle Fesseln ab und ließen uns gern die Fuße zugleich mit den Ketten abnehmen und gingen ledig davon; gleich römischen Sklaven und Kindern wurden wir öffentlich emanzipiert durch Ohrfeigen. Gelinde abführende Mittel sind jetzt unser Essen und Manna; und die politische und kritische Revolution ist ein Erbrechen, das noch fortfährt, wenn nichts mehr da ist; – daher kann es uns am Ende (fatal für jeden) an den nötigsten Dingen gebrechen, die abzuführen sind. Das wenige, was gegen das Ende des Säkuls geschaffen wurde, ist dem nicht ganz ungleich, was am letzten Schöpfungstage, am Freitag, nachgeschaffen wurde, welches das Maul der bileamitischen Eselin war, die Buchstaben, eine Zange, Abrahams Widder, der Regenbogen und der Teufel.14

Zum Glück beherrscht uns noch einmal unsere Bienenkönigin, die Sonne. Sie ist durch ihre Scheidungen auf dem trocknen Wege[141] in mehren Weltteilen bekannt genug. Unter dem angenommenen Namen Apollo rezensierte sie den Pfeifer Marsyas vom Skalp bis zur Ferse – mit einem Federmesser. Daher wurden die Wappentiere der Rezensenten, der Wolf, der Habicht, der Rabe, zu apollinarischen. Ja sie setzte die Rezensenten in ihr Wappenschild und führte sie in ihrem Titel fort; wenigstens hört sie sich gern Apollo culiciarius oder Flöh-Apollo nennen; ja sie läßt sich als Apollo Smintheus nicht nur betiteln, sondern auch als eine Maus abbilden15 (wie Jupiter muscarius sich als eine Fliege), ein Nagetier, das den eigentlichen Bücherwurm und Bibliotheken-Lumpenhacker vorstellt, wenn es durstig ist.

Ich vermute, im künftigen Jahrhundert, in dessen erstem Jahre schon der milde Hesperus regiert und tröstet, werde der schaffende Brahma auf unsre dürren, von Weltteil zu Weltteil brennenden Steppen voll überständigem Gras wieder Samenkörner werfen. Wir haben also nur noch ein Sonnenjahr zum Sengen übrig. Und hier ist nichts zu versäumen. In diesem Jahre muß noch alles gar untersucht werden, sogar das Untersuchen – alles rezensiert, sogar die Rezensenten – bloß auf filtrierendes Löschpapier muß geschrieben – und jede Kornmühle in eine Fegemühle umgebauet werden. –

– – Ich glaube, dadurch kommt Enthusiasmus in die Welt; nämlich jener allgemeine Enthusiasmus gegen den Enthusiasmus, jene bessere Tollheit, die nicht aus Hitze entsteht, sondern aus Frost. –

Das jetzige, so viel Lärm machende Jahrhundert schlägt, mit schwarzem Knallsilber gefüllt, nur bei dem Berühren kalter Körper los. Man kann noch die Ähnlichkeit beifügen, daß die, die es entzünden, wie bei anderem Knallsilber, (der Gefahr wegen) Masken vortun.

Ich gestehe, es weht selber am ersten Tage der Sonnenregierung eben nicht die wärmste Luft um unsere Kirche; aber gute Kronprinzen fangen strenge an wie Titus, nicht mild wie Nero; es geht daher, zumal da sie so nahe und kalt ist16, alles schneller,[142] die Geschäfte, die Menschen und die Erde, sogar die – Predigten.

Meine schneid' ich durch die Schnelle der Kälte – wie ich an der Kanzeluhr und am Himmel sehe – gerade so richtig für dreißig Minuten zu, als ständ' ich in einer englischen Kanzel.

Blickt nach Morgen – die Direktrice unsers Welttheaters kann nicht über drei Wolken weit von uns sein. –

Die alte Frau17, die Aurora, streuet ihre gelben Sonnenblumen immer dicker – ich sehe schon neugeprägte Krönungflittern, goldne und silberne, auf der Erde ausgeworfen – höret das Rauschen des Zugs – jetzo wird eine Fackel vorausgetragen – sie brennt die Wolken an – die Fürstin soll über Feuer einziehen. – – Da steigt sie herauf, die Königin unsers Tags und unsers Jahrs.

Sei gegrüßet, Mutter der Erden und Blüten und Früchte! Wie blickst du so mild und weich das scheidende Jahrhundert an! – O, seine Schlachtfelder sind jetzt nur unter unschuldigen Schnee versteckt. – Zieh dem Jahrhundert, diesem wilden Titan18, wie sonst, das Schwert aus der Hand, und gib ihm deinen geheiligten Ölzweig ins Grab! – Wie, war nicht seine letzte Bahn, wie die einer Königleiche, mit Trauertuch belegt, und wird es nicht wie diese unter Kanonen eingesenkt? – Gib uns Liebe und Friede, Mutter des Lebens und der Wärme! Schick uns den weißen sanften Schwan, der dir heilig ist, und baue mit deiner reinen Leier die Menschheit wieder auf, welche Mißtöne zertrümmert haben! Gib uns Liebe und Friede, das bleibe unser letztes Gebet! – Ach der Dädalus der Menschheit, die Zeit, schloß uns Statuen die Augen auf, hob unsre Hände empor und band die Füße los;-aber siehe, plötzlich zerschlagen die Statuen wie emporwachsende Drachenzähne einander selber und stürzen, wie jene Rosenkreuzerische Statue, die ewige Lampe um, die sie gehütet haben.

Aber wenn du über den letzten Tag des Jahrhunderts gezogen bist und über schönere Saaten unter dem Winter, als jetzo vermodern – und wenn der letzten Nacht des Säkulums dein lieblicher verklärter Friedenengel, der Mond, ins erblassende Antlitz[143] schauet: Ach! wirst du dann noch, segnendes Gestirn, unter unsern Füßen auf eine ganz neue Welt voll geraubter, mit Narben und Schweiß bedeckter Menschen scheinen, welche dein heiliges Licht nur quälen kann? – O gib Liebe der alten Welt und Freiheit der neuen! – –[144]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 138-145.
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