18. Summula

[178] Männikes Seegefecht


Um den Leser nicht durch zu viel Ernst und Staat-Geschichte zu überspannen, möge ein unbedeutendes Seegefecht, im Städtchen Höflein, wo die Pferde Vesperbrot und Vesperwasser bekamen, hier eine kurze Unterbrechung gewähren dürfen, ohne dadurch den Ton des Ganzen zu stören.[178]

Der Wasserspringer Männike hatte nämlich den ganzen Höfleiner Adel und Pöbel auf die Brücke des Orts zusammengeladen, damit beide sähen, ob er auf dem Wasser so viel vermöchte und gewänne als die Briten-Insel, diese Untiefe und Klippe des strandenden Europas. Der Springer, der sowohl bemitleidet als bewundert zu werden wünschte, und der unten im Nassen recht in seinem Elemente sein wollte, hatte dem Städtchen versprochen, im Wasser Tabak zu rauchen, mit einem Schiebekarren zu fahren, anderthalb Klafter hoch Freudenwasser wie Freudenfeuer zu speien, gleich einem Flußgotte von Stein, und dann im Strome noch größere Kunststücke für morgen der erstaunten Brücke zu versprechen.

Die Reisegesellschaft, die Pferde ausgenommen, begab sich gleichfalls auf die Brücke und machte gern einer herfliegenden gebratenen Taube den Mund auf.

Der Wasserspringer tat in der Tat, so weit Nachrichten reichen, das Seinige und den Rittersprung vom Geländer ins Wasser zuerst und stahl sich in viele Herzen. Inzwischen stand auf der Brücken-Brüstung ein längst in Höflein angesessener Hallore aus Halle, der mehrmals murmelte: die Pestilenz über den Hallpursch! Er wollte sich wahrscheinlich in seiner Sprache ausdrücken und sich so Luft verschaffen, da er durch den Nebenbuhler unten im Wasser so lange auf dem Geländer gelitten. Katzenberger neben ihm zeigte mit dem Finger wechselnd auf Männike und den Halloren, als woll' er sagen: Pavian, so spring nach! Endlich hielt der Hallore es auch nicht mehr aus – sondern warf seinen halben Habit hinter sich, die Leder-Kappe, – fuhr wie ein Stechfinke auf das Finken-Männchen in seinem Wassergehege – und machte den Sprung auf Männikes Schienbeine her unter, als dieser eben zurückliegend sein Freudenwasser aufwärts spie und, den offnen Himmel im Auge, anfangs gar nicht wußte, was er von der Sache halten sollte, vom Kerl auf seinen Beinen. Aber sein Nebenmann und Badegast zündete eilig Licht in seinem Kopf an, indem er den letzten bei den Haaren nahm und so die Faust sollte den Raufdegen oder Raufer spielen – geschickt genug das Lufttreffen einleitete. Denn da diese neue Seemacht[179] die Knie als Anker auf Männikes Bauchfell auswarf und zuvörderst die Zitadelle der Festung, nämlich den Kommandanten, d.h. dessen Kopf, besetzt und genommen hatte: so mußte sich für jedes Herz auf der Brücke ein anmutiges Vesperturnier anfangen oder eine flüchtige republikanische Hochzeit, folglich deren Scheidung auf dem nassen Wege. In der Tat prügelte jeder von beiden den andern genug – keiner konnte im lauten Wasser sein eignes Wort hören, geschweige Vernunft; nicht nur nach Lebensluft des Lebens, sogar nach Ehren-Wind der Fama mußten beide schnappen – die schönsten Taten und Stöße entwischten der Geschichte. Glücklicherweise stieß der Hallore und Fluß-Mineur unten auf den Schiebkarren, womit Männike als auf einem Triumphkarren vor wenigen Minuten wie ein glänzender Wassermann oder wässriger Meteor gefahren war und sich von der Brücke hatte mit Lob beregnen lassen. – Der Hallore faßte den Vorspringer und stülpte ihn so abgemessen auf den Karren, daß dessen Gesicht aufs Rad hinaussah und die beiden Beine mit den Zehen auf die Karren-Gabel fest geheftet lagen. So schob er den verdienten Artisten ans Ufer hinaus, wo er erwartete, was die Welt zu seiner Fischgerechtigkeit, Fischer zu fangen, sagen würde.

Die Freude war allgemein, Herr Männike wünschte während derselben auf dem terminierenden Teller Brückenzoll im schönern Sinne einzufordern; aber die Höfleiner wollten wenig geben. Der Doktor nahm sich der Menge an und sagte: Mit Recht! Jeder habe wie er bloß dem guten eingepfarrten ansässigen Halloren, ders umsonst getan, zugesehen, weiter keinem; am wenigsten Herrn Männike, dem spätern Nebenregenbogen des Hallensers. »Ich selber«, beschloß er, »gebe am wenigsten, ich bin Fremder.« Da nun das Wenigste Nichts ist, so gab er nichts und ging davon; – und der Ketzer-Glaube, gratis zugesehen zu haben, fraß auf der Brücke auffallend um sich.[180]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 178-181.
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