20. Summula

[185] Zweiten Tages Buch


In der Nacht schrieb Theoda an ihre Freundin:

»Vor Verdruß mag ich dir vom dummen Heute gar nichts erzählen (das ohne Menschenverstand bleibt) bis morgen früh, wenn wir in Maulbronn einfahren. Denke, wir nachtlagern noch drei Stunden davon. Himmel, wie göttlich könnt' ich morgen dort aufwachen und meinen Kopf aus dem Fenster stecken in die Aurora und in alles hinein! Aber dieses Feindschaft-Stückchen hab' ich bloß dem Freundschaft-Stückchen zu danken, daß Herr von Nieß nach mir etwas fragt, ob ich ihm gleich meine Person und Seele so komisch geschildert habe, daß er selber lachen mußte. Aber sieh, so kann eine Mädchenseele dem Männer-Poltergeist auch nicht unter einem Kutschenhimmel nahekommen, ohne wund gezwickt zu werden. Gib dem Teufel ein Haar, so bist du sein, gib einem Manne eines, so zerrt er dich daran so lange, bis er das Haar samt dem Kopfe hat. Der Bienenstich wird[185] sonst mit Honig geheilt; aber diese Wespen geben dir erst die Honigblase und dann die Giftblase. Ich wollt', ich wär' ein Mann, so duellierte ich mich so lange, bis keiner mehr übrig wäre, und legte einer Frau den Degen mit der Bitte zu Füßen, mich zu erstechen. Aber wir Weiber sind alle schon ein paar Jahre vor der Geburt verwahrloset und verbraten, und eh' wir nur noch ein halbes Nadelköpfchen von Körper umhaben, sind wir schon voraus verliebt in die künftige Räuberbande und liebäugeln mit dem Taufpastor und Taufpaten.

Wieviel weißt du so? – Es ist aber überhaupt nicht viel. Nämlich den ganzen Reisetag hindurch hatt' es Theudobachs angeblicher Freund (merke, ich unterstreich' es) darauf angelegt, mein Gehirnchen und Herzchen in allen acht Kämmerchen ordentlich glühend zu heizen durch Anekdoten von ihm, durch Ausmalerei unserer dreifachen Zusammenkunft und sogar durch das Versprechen, noch abends vor dem stillen Monde, der besser dazu passe als das laute Räderwerk, mich näher mit seinem Freunde bekannt zu machen. Ich dachte dabei wahrlich, er würde mich nachts auf dem Gottesacker dem Dichter auf einmal vorstellen. Dazu kam mittags noch etwas Närrisches. Er brachte mir meinen Schal, mit unlesbarer Kreideschrift bedruckt; da er sie aber gegen den Spiegel hielt, so war zu lesen: ›Dein Namenvetter, schöne Th-da, wird dir bald für deinen Brief zum zweiten Male danken‹; worauf er mich hinab zu einer Birke führte, von deren Rinde wirklich er diese Zeile von des Dichters Hand am Tuche abgefärbt hatte. Am Ende mußt' ich gar noch oben in seinem Zimmer auf den Fensterscheiben eine herrliche Sentenz vom Dichter finden, die ich dir auf der Rückreise abschreiben will. Seltsam genug! Aber abends wars doch nichts; und mein Vater brach gar mit einem Spaße darein.

Du Klare errietest nun wohl am frühesten, was Herr von N. bisher gewollt – nicht mich, sondern (was auch leichter zu haben ist) sich. Er kokettiert. – Wahrlich die Männer sollten niemals kokettieren, da unter 99 Weibern immer 100 Gänse sind, die ihnen zuflattern; indes weibliche Koketterie weniger schadet, da die Männer als kältere und gleichsam kosmopolitische Spitzbuben[186] selten damit gefangen werden, wenn sie nicht gar zu jung und unflügge im Neste sitzen. – Wahrlich, ein Mädchen, das ein Herz hat, ist schon halb dumm und wie geköpft.

Der Zärtling steckt seinen Freund als Köder an die Angel, um damit eine verdutzte Grundel zu fangen; er, der, wenn auch kein Narr, doch ein Närrchen ist, und welcher schreit, wenn ein Wagen umfällt.

Gott gehab dich wohl! Vergib mein Austoben. Ich bin doch allen Leuten gut und habe selber mit dem Teufel Mitleid, solang' er in der Hölle sitzt, und nicht auf der Erde streift. Der weichste Engel bringe dich über deine Hügel hinüber!

Th.«

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 185-187.
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