31. Summula

[217] Aufdeckung und Sternbedeckung


Theoda bekam ein versiegeltes Paket mit der Bitte auf dem Umschlag, es sogleich zu öffnen. Sie tats. Anfangs kam bloß ein Band der allgemeinen deutschen Bibliothek heraus – dann in diesem, zwischen dem Titelblatte und dem gestochenen Gesicht eines berühmten Gelehrten, ein Briefchen von Nieß und dann das Briefchen von Theoda an Theudobach. –

Nieß schrieb: »Ich ehre Ihr Feuer. Ich verdamme meines. Ich bin selber der Dichter, für dessen Freund bloß ich mich leider unterwegs ausgegeben, und dessen Feind ich eigentlich dadurch geworden. Ich vergebe Ihnen gern Ihren öffentlichen Widerspruch gegen den meinigen; aber als Gegengeschenk bitt' ich Sie, mir auch meine vielleicht indiskrete, doch abgedrungene Eröffnung zu verzeihen, daß Sie an mich geschrieben. Hier ist Ihr[217] Brief, hier ist die Abschrift meiner Antwort darauf. Hier ist sogar noch mein, wenn nicht getroffnes, doch zu erratendes Gesicht vor der allgemeinen deutschen Bibliothek und dazu eine Rezension Seite 213 darin, worin freilich nichts Wahres ist als die Namen-Jagd, daß ich nämlich meinem Geschlechtnamen Nieß den Vornamen Theudobach vorgesetzt. – Kurz ich bin der Dichter der unbedeutenden Trauerspiele, die mir jetzo selber eines bereiten. Ich verwünsche jede Minute, wo ich Ihnen etwas so Gleichgültiges verbarg, als mein Name ist. Das Bessere habe ich vielleicht zu wenig verfehlt. – Hier ist nun Ihr Brief – meine Handschrift – mein Geständnis – sogar mein Zerr-Bild. Am Himmel entfernt sich die Venus nicht über 47 Grade vom Bilde des Dichtergottes; wollen Sie Sich weiter entfernen?«

Schweigend gab Theoda dem Hauptmann Nießens Brief, Rezension und Kupferstich mit der Unterschrift: Theudobach von Nieß. Ihr Herz quoll, ihr Auge quoll. »Was hatt' ich ihm getan,« rief es in ihr, »daß er mein Herz so nahe aushorchte – daß er mich zu einem öffentlichen Irrtum verlockte und daß ich beschämt dem Volks-Lächeln preisgegeben bin; was hatt' ich ihm getan?« Sie dauerte der edle Mann neben ihr, als ob sie und der Poet zusammen ihm Lorbeer und Genie abgeplündert hätten – und sie wollte, als hätte sein Herz davon Risse bekommen, alle gern mit ihrem ausfüllen. Wie anders klang und schnitt jetzt die Musik in die Seele! Wie anders sahen die Riesenwache von Bäumen und die tollkühnen Nachtschmetterlinge an den Lichtern aus! So ist das Leben und Schicksal immer nur ein äußeres Herz, ein widerscheinender Geist, und wie die Freude die Wolken zu hohen, nur leichtern Bergen aufhebt, so verkehrt der Kummer die Berge bloß zu tiefern festern Wolken. Theoda sah recht starr in die kleine Morgenröte des heraufziehenden Mondes, um durch starkes Aufmerken und Offenhalten das Zusammenrinnen einer Träne zu verhindern; als aber der Mond heraufkam, mußte sie die Augen abtrocknen.[218]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 217-219.
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