34. Summula

[224] Brunnen-Beängstigungen


Nach dem Entwickelungabende erschien Theoda nie an der öffentlichen Tafel mehr; weder väterlicher Spott noch Zank bezwangen sie. Hinter ihrer jungfräulichen Scherzhaftigkeit und Entschlossenheit, das Rechte sogar auf Kosten der Form und Gewohnheit zu ergreifen, lag ein empfindliches, lange nachfühlendes Herz verborgen; leider hielt dieses jetzt die Dornen der Übereilung in seinen Wunden fester. Wie sollte sie Unbescholtene das kleine Gewehrfeuer der weiblichen Blicke ertragen? Und doch ließ sie sich von diesen mit Quecksilber gefüllten organisierten Nachtschlangen noch lieber anleuchten, als von den zwei Brautfackeln der Augen des Hauptmanns anglänzen, der damit in ihren offen gelaßnen Herzenkammern alles hatte sehen können, was er gewollt. Nur Nieß stieß ihr ohne besondere Verlegenheit von ihrer Seite auf; gegen ihn und dessen Passagier-Charaktermaske glaubte sie, wiewohl sie eigentlich ihm das öffentliche Unrecht angetan, ordentlich das meiste Recht zu haben. Man mag nun dies daraus herleiten, daß die weibliche Seele leichter vergibt, wenn sie Unrecht gelitten, als wenn sie es getan – oder daß sie Irrtümer lieber verdoppelt als zurücknimmt und sich lieber am Gegenstand derselben rächt als an sich selber bestraft – oder daß ihr sich ihr Inneres so abspiegelt wie im Spiegel sich ihr Äußeres, nämlich jedes Glied verkehrt und das linkische Herz auf der rechten Seite – oder man mag es daraus erklären wollen, was fast das Vorige wäre, nur[224] in andern Wendungen, daß Frauenseelen dem milden Öle gleichen, welches, entbrannt, gar nicht zu löschen ist (denn Wasser verdoppelts) außer durch die kühle Erde – und daß sie sich wie der Vesuv durch Auswürfe nur desto mehr erheben – oder daß ihre Fehler den Menschen gleichen, welche nach Young durch den Krieg (d.h. durch das Erlegen) sich erst recht bevölkern – – kurz wie man Theodas Betragen auch ableite: ich bin der Meinung, daß ich mehr Recht habe, wenn ich behaupte, daß sie Herrn von Nieß weniger liebt als den Hauptmann. Ich berufe mich hier auf nichts als auf die Summeln, die noch kommen.

Ihre Brunnenbelustigungen bestanden jetzo – außer einigen hinter Schnupftuch und Bett- und Fenstervorhang versteckten Tränen – darin, daß sie zuweilen mit ihrem Vater ausging, der etwas an sich hatte, um damit Jünglinge leicht wegzuscheuchen, oder daß sie einsam die Berge der Blumen-Ebene bestieg, wenn eben Ball, Schauspiel oder Essen war – oder daß sie in das Tagebuch an ihre Freundin flüchtete, wie an eine nah herübergeflogne Brust. Dieses erzähle sich denn selber.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 224-225.
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