36. Summula

[229] Herzens-Interim


Nun liefen vier Menschen wie vier Akte immer näher in dem Brennpunkt eines fünften zusammen. Aber Nieß gehörte nicht unter die Strahlen. Nachdem er lange und vergeblich bei Theoda auf den Thron des Autors sich als Mensch hinzusetzen versucht; – nachdem er den vielschneidigen Schmerz empfunden, daß ein bloßes Mädchen und ein begeistertes für ihn dazu und eine Reisegefährtin obendrein den Dichtergeist nur als zufällige Flamme wie das S. Elms-Feuer an seinen Masten gefunden oder nur wie Blumen auf rohem Stamm: so war er seiner Sache gewiß und Theodas ledig und der Brunnenbelustigungen froh, nämlich des allgemeinen Lobes. Die Trompete der Fama bläset am leichtesten die Mädchen aus dem männlichen Herzen. Er war jetzt imstande, sich selber zu leben und seine Unsterblichkeit einzukassieren – ganz Maulbronn schwamm ihm zu – er konnte (er tats auch) seinen Stock aus Vergessenheit liegen lassen, damit ihn am Bade-Morgen die schöneren Hände herumtrugen und die Herzen dabei[229] glossierten. – Er konnte mit wahrem dichterischen Tiefsinn überall lustwandeln und keinen Menschen bemerken, da es ihm genug war, wenn er bemerkt wurde in seinen Schöpfungen mitten am hellen Tage. Er konnte sich hundertmal öffentlich vergessen, um ebensooft an sich zu erinnern. – Ohnehin konnte (und mußte) er den Maulbronner Schauspielern als flügelmännischer Vor-Souffleur vorsitzen und sich in der umherstehenden Lern-Truppe wie in einem Spiegelzimmer vervielfachen. –

Dies alles heilte das Herz; denn es gab Lust und Tumult, worin man eben Lieben so leicht versäumt als die Christen an Kirchweih-Tagen (Kirmes) die Frühpredigt. Am meisten aber wurd' er von seiner Passion durch den Absatz heil, den seine Haare bei den Damen fanden. Da er voraussah, daß seine Verehrerinnen nach einer Reliquie von ihm so laufen würden als das Volk nach dem Lappen eines Gehenkten, wiewohl jene für das Bezaubern, und dieses gegen dasselbe: so hatt' er absichtlich seine Haar-Schur dem Bade aufgehoben und daher seinem Bedienten verstattet, sie anzukündigen und mit seiner Pegasus-Mähne einen kleinen Schnitthandel anzulegen. In der Tat schlug die Spekulation mit dem Flor von seinen Haarzwiebeln so gut ein als der holländische mit Blumenzwiebeln; ja eine Gräfin wollte den ganzen Artikel allein an sich bringen zu einer adeligen und genialen Perücke, so versessen war alles auf die Geburten seines fruchtbaren Kopfes, es mochten Gefühle oder Locken sein. Dieser Handelflor seines Bedienten, wovon ihm selber gerade das Geistigste zuwehte, das Lob, ließ ihn, wie gedacht, Theodas Verlust männlicher verschmerzen, als er sonst gehofft; indes ob er ihr gleich seine Krönungen, d.h. seine Tonsuren, nicht am sorgfältigsten zu verhehlen strebte, so warf er als heiliger Vater der Musen doch mitten unter seinem Kardinalgefolge aus angeborner Gutmütigkeit statt der Bannstrahlen sanfte Sonnenblicke von Zeit zu Zeit auf die verlassene Geliebte, um, wie er hoffte, sie dadurch unter ihrer Last, wo möglich, aufrecht zu erhalten.

Hingegen den Hauptmann sah er kaum an – erstlich vor Ingrimm – zweitens weil er ihn nicht sah oder selten. Der gute Meßkünstler – dem sich jetzt das Leben mit einem neuen Flor[230] bezogen hatte, und welchem der Brunnen-Lärm sich zur Trauermusik einer Soldatenleiche gedämpft – war nirgend zu sehen als über den unzähligen Druckfehlern seines mathematischen Kästners, welche er endlich einmal, da er sie bisher immer nur improvisierend und im Kopfe umgebessert, von Band zu Band mit der Feder ausmusterte. So wenig er nun Ursache hatte, dazubleiben, so wenig hatt' er Kraft, fortzureisen. Bracht' er sich selber auf die Folter und auf die peinliche Frage, was ihn denn plage und nage, so fragte er nichts heraus als dies, es gehe ihm gar zu nahe, daß er ein unschuldiges Frauenzimmerchen durch seinen mißverstandnen Namen-Wettkampf mit Nieß zu einer Etourderie hingelockt und sie mit Gewalt in die Bußzellen der Einsamkeit gejagt »Die Wunden ihres Ehrgefühls«, sagt' er sich, »müssen sie ja noch heißer schmerzen als einen Mann die des seinigen; und ich wäre ja ein Hund, wenn ich nicht alles täte, was ich könnte, und nicht so weit wegbliebe von ihr als nur menschenmöglich.« Dennoch fuhr er oft mitten aus den kältesten Rechnungen – die ihn eben weniger zerstreuten, weil sie ihn weniger anstrengten als einen andern – zähne-knirschend und schmerzen-glühend auf vom Buche (er hatte unbewußt fortgerechnet und fortgefühlt) und sagte: »O mein Gott! was ist denn? Dies hole der Teufel, o Gott!«

Ein redlicher Krieg- und Meßkünstler von Jüngling, der in seinem Leben nichts Weibliches weiter innig geliebt als seine Mutter und welchem bisher das leichte Blut so ungedämmt durch das stilloffne Herz geflogen, weiß gar nicht, wie er sich einmal einen ganz andern Gang und Schlag erklären und erleichtern soll; er seufzt und weiß nicht worüber und wofür. Er möchte sterben und leben, töten und küssen, weinen und lachen; aber er kann doch nicht seine süßglühende Hölle auslöschen mit allen Tränen der ersten Sehnsucht.

Wie wohlgemut und froh hält dagegen ein Mann wie Nieß, der schon öfter den heißen Liebe-Gleicher passiert ist, den bittersten Herzen-Harm aus! Ordentlich mit Lust schmilzt er in Tränen und schnalzt wie ein lustiger Fisch. Das Gefühl, das bei einem mathematischen Theudobach eine drückende Perle in der Auster[231] ist, trägt er als eine schmückende außen an sich. Kurz er gehört zu den Leuten, wovon ich einmal Folgendes geträumt. Ich hatte aber vorher gelesen, wie man in Österreich die Kompagnien zum Beten so kommandiert: »Stellt euch zum Gebet! – Hergestellt euch zum Gebet! – Kniet nieder zum Gebet! – Auf vom Gebet!« – Da der Flügelmann alle andächtigen Handgriffe deutlich vormacht und früher als die Kompagnie sein Herz zu Gott erhebt, dankend oder flehend: so kann kein Kerl aus der ganzen so für die Andacht zugestutzten Kompagnie im Beten stolpern ohne eigne Schuld, und falls einer eine Minute länger als der Flügelmann Gott verehrte, so wird er mit Recht vom Offizier zu allen Teufeln verflucht. In meinem Traume aber war von einem nähern Anbeten die Rede und waren mehr Kommandowörter in Gang. Ich war zugleich der Offizier und der Flügelmann – die größte Schönheit Baireuths saß auf dem Kanapee – und ich sagte zu meiner Rotte: »Hergestellt euch zum Anbeten! – Kniet nieder zum Anbeten! – Sehnet euch! – Hand geküßt! – Seufzer ausgestoßen! – Tränen vergossen! – Fallt in Verzweiflung! – Ermannt euch! – Aufgelacht! – Aufgestanden!« – Und so hab' ich und die Rotte das Roman-Exerzitium siebenmal in so kurzer Zeit durchgemacht, daß wir fertig waren, eh' ich erwachte.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 229-232.
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