erste Kapitel
was und wer ist ein Stilistiker

[338] ohne Bedenken so: Ein jeder ists, weil die wenigen Ausnahmen, die von Jahrhundert zu Jahrhunderte geboren werden, um die Jahrhunderte selber wieder zu gebären, aus Mangel an Zahl nicht in Rechnung kommen, wenn auch in Betrachtung. Der Stilistiker ist das Publikum, er allein stellet das gemeine Wesen vor, das er ebensowohl in sich hat als außer sich; was sich anderswohin rechnet, ist ein wahres privatisierendes Publikum im Publikum. Lasset uns aber nie vergessen, daß in der Juristenfakultät nur der älteste und vornehmste Professor den Ehren-Namen Ordinarius führt, und wie sehr auf allen hohen Schulen vor und hinter Malta jeder außerordentliche Professor eben dahin arbeitet, ein ordentlicher zu werden! Auf ähnliche Weise fanden in den neuern Zeiten die vier Fakultäten als vier einander gerade entgegenstehende Radien endlich die fünfte, die wirtschaftliche, als den gemeinschaftlichen Schwer- und Mittelpunkt, um welchen vier Strahlen-Radien schöne vier rechte Winkel (sowohl der Schule als der Lust und des Schmollens) bilden. Auf gleiche Weise wird, ungleich sonst, wo man den Kalender hinten dem Mönchs-Psalterium anhing, jetzo das Psalterium der Musen dem jährlichen Kalender angehangen.

Ich komme auf den Stilistiker zurück. Man nenn' ihn den Malteser Hund – und sind wir nicht auf Malta? –, welcher bekanntlich die Schönheit der Kleinheit (statt der Größe der Schönheit) hat und dem man noch die Nase durch einen Druck einstumpft:[338] so hat man etwas gesagt, aber noch so wenig Bestimmtes. Und die ganze Vorlesung würde überhaupt geordneter und stiller, wäre der Gartensaal nur um etwas größer als das Eiland, so daß ich nicht so viele Men schen im übrigen Reichels-Garten lustwandeln sehen müßte, welche die Insel stören und hören; ob ihnen gleich heute das sogenannte Gewandhaus mit seinem Sonntags-Konzert dazu noch offner stände.

Ich tue denn noch strenger die erste Frage: was ist der Stilistiker überhaupt? Und die zweite: was ist er in der Poesie? – Ich antworte: durch die zweite wird die erste beantwortet. Denn da bloß die Dichtkunst alle Kräfte aller Menschen zu spielen reizt, so bereitet sie eben jeder regierenden eines Einzelwesens den freiesten Spielraum, und sie spricht den Menschen nicht stärker aus, als sich jeder selber durch seinen Geschmack an ihr.

Jeder will von ihr nicht die Menschheit, sondern seine, aber glänzend widergespiegelt erhalten, und das Kunstwerk soll nach Kunz ein verklärter Kunz sein, nach Hans ein verklärter Hans; dasselbe gilt von Peter. Der Geschmack ist also nicht bloß der Hahn oder der Judas, der dort einen Petrus verrät, hier einen Christus, sondern er ist auch selber der Petrus dort, der Gekreuzigte hier; er reißt den Vorhang des Allerheiligsten und des Allerunheiligsten an jeder Menschenbrust entzwei. Folglich sobald man nicht Geschmack als philologisches Urteil über willkürliche Teile der Kunst, sondern als eines über die ganze Kunst betrachet: so muß er sich in acht Geschmäcke absondern, welche ich lieber mit den Gliedern, woran sie wohnen, benenne, mit Zungen, deren bekanntlich Malta gleichfalls achte ausschickt; aber welsches schöne Zusammentreffen der Erdkunde und Weltweisheit! Der Geschmack sucht entweder vorzüglich 1) Witz und Feinheit wie der französische, oder 2) Einbildkraft in Bildern wie der englische, oder 3) etwas für das empfindende weniger als empfundne Herz wie der weibliche, oder 4) dargestellte Sittlichkeit wie der altdeutsche, oder 5) Reflexion und Ideen wie der jetzige, oder 6) Sprache und Klang wie der philologische, oder 7) die rechte Form ohne Inhalt wie die Neuesten, oder wie der achte letzte und beste rechte Form mit rechtem Gehalt.[339]

Indes lassen sich diese sieben Arten, die entweder der Form oder dem Stoffe überwiegend dienen, in zwei große Geschmack-Zungen einziehen, 1) in die formelle regelrechte, französische, weltmenschenhafte, vornehme, verfeinerte (aut delectare poetae), 2) in die reale, britische, reflektierende, derbe, räsonierende, kaufmännische, wirtschaftliche (aut prodesse volunt) – die achte Art bleibt übrig, um die dritte Klasse zu bilden, die geniale mit neuer Form und neuem Stoff. Ist es Zufall oder Absicht, daß unsere Abteilungen immer in äußere Erscheinungen einhaken, so daß z.B. diese dreifache teils die drei Komparationgrade der Kapitel, welche zu lesen, zu machen und zu halten sind, teils die der drei Malteser Grade, 1) der Kapellane, 2) der Serventi d'Arme, 3) der rechten Ritter, sehr gut in sich begreift und drittens teils wieder die dreifache Zahl der Komparationen dazu, des Positivus, Komparativus und Superlativus? – Himmel! wie ist doch das Universum voll Einfälle, man sage darin, was man nur will, und Blitze laden noch Blitze! –

Will man nun diese drei Ordenzungen topographisch verteilen: so dürfte die französische Zunge, hoff' ich, in Sachsen ihre Kommenden und Balleien haben – die Bibliothek der schönen Wissenschaften ist ihr Ordenbuch –; die britische oder wirtschaftliche Zunge hat ihre größern Besitzungen in der Mittelmark; die allgemeine deutsche Bibliothek ist ihr Flurbuch. Die poetische besaß anfangs zwar nur das kleine Weimar, setzte aber ihre südlichen und nördlichen Eroberungen so auffallend fort, daß ich hier die beiden Nebenzungen aufmerksam zu machen wünsche.

Ich mache das

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 338-340.
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