§ 12
Das deutsche Gesetz der Sparsamkeit mit Witz

[472] Der Witz hat doch den Wert eines Funken, wenn auch keines Lichts; er verschönert doch eine Minute, wenn er auch kein Leben erleuchtet oder erwärmt, und er braucht eben nicht wie Bilder und Systeme erst von der Wahrheit oder auch von Zusammenhang und Nachbarschaft den Gehalt zu holen. Oder sollen keine Feuerwerke, nur Werkfeuer und Wärmfeuer zum Dienste der Hand und der Haut zu haben sein? Ja, sagt der Deutsche; denn an den Feuerwerken des Witzes kann ich nichts schmieden, nichts braten, nichts härten, noch schmelzen. Aber er bedenke drei Minuten lang, daß der Witz zu allen Dingen nütze ist als Abbreviator und Epitomator des Verstandes, besonders da, wo dieser eben allein zu reden hat. Daher sucht und zeigt den Witz der Franzose, der Brite in Rezensionen, in öffentlichen Reden, Zeitungen. Da vor schaudern Deutsche; ja nicht einmal ihren an sich zu langweiligen[472] Selberrettungen und Antikritiken, wo man sich und den andern ärgern will, nehmen sie durch Witz das Kalte und durch Essigräucherung den Leichengeruch solcher Geburten. Sie häufen lieber Phantasie am unrechten Orte als Witz am rechten, lieber Bilder als Salz, obgleich Bilder durch ihren leichtern und häufigern Fund weniger reizen als Salz. – Doch einigen zeigen sie im heutigen Trauerspiel, wo er an seinem rechten Platze – daher sie ihn im Lustspiele nicht anbringen – steht, wenn die Tragödie jene in den Schlegelschen Zeiten gefoderte Höhe eines Kunstwerks erreichen will, den Menschen keine Tränen auszupressen, sondern sie aufs Trockne zu bringen, diese Kunstvollkommenheit des Branntweins, welcher angezündet verbrennen muß, ohne einen Tropfen Wasser zu geben.

In den öffentlichen Reden und Verhandlungen der Briten und Franzosen wohnt allerdings mehr Witz als in den deutschen, wo gar keiner vorkommt, von Frankfurt an bis nach Wien; aber wie leicht ist dies zu erklären schon durch die Kürze beider Sprachen, der englischen, die als Miterbin der kurzen lateinischen sogar noch durch Aussprache abkürzt, und der französischen, welche ihrer Stiefmutter, der lateinischen, mit Feder und Zunge zugleich ins Kurze schneidet. Hingegen die deutsche macht alles lang und des Ebenmaßes wegen breit, lang in Wörtern und breit in Worten. Daher ist es denn ebenso erklärlich, als erfreulich, daß die deutschen Staatmänner von Frankfurt bis Wien statt des Witzes eine Länge und Breite der Mitteilung auf ihren Lippen haben, daß sie mit diesen wohl sich den nordwestlichen Amerikanern272 vergleichen können, die in der Unterlippe einen großen Holzlöffel oder auch Holzteller hangen haben. Mit diesem Löffel und auf diesem Teller tischen sie uns Deutschen auf.

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Langsdorfs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt. B. 2.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 472-473.
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