§ 81
Bildliche Sinnlichkeit

[292] Wie Malerei Seelen durch Gestalten abbildet, so die Poesie; nur daß bei dieser Verkörpern und Beseelen beides Beleben sind, obgleich jedes mit anderem Anfange.

Auf die Frage über das Maß der Bilder lässet sich nichts im Allgemeinen bestimmen. Oft tadelt man den Überfluß derselben, wenn uns bloß ihre Alltäglichkeit quält und abmattet. Wie oft wurden schon z.B. Wunden auf dem Papiere geschlagen und wieder aufgerissen, mußten sich öffnen, sich schließen, verbluten und, was das Widrigste ist, verharschen, nach der ästhetischen Wundentherapie. Durch die Menge alter Bilder dem Werte derselben nachhelfen wollen, verrät die höchste Kälte. – In den lateinischen und französischen Versen der Neuern und in der abscheulichen Programmen-Prose der lateinischen Phraseologen waltet dieses kalte handwerkmäßige Austapezieren mit buntem verblichenem Tapetenpapier. Selber in Moses Mendelssohns Briefen über die Empfindungen werden solche Fußtapeten als Wandtapeten angeschlagen. Morhof hat in seiner Polyhistorie die Metapher »gleichsam in Scheuern einsammeln« und Monboddo in seinem kalten, wie die See einfärbigen Stil »die geretteten Trümmer des Schiffbruchs« ein paar Millionen mal. Adelung wiederholt in seinem Buche über den deutschen Stil die kahle Vergleichung des Schreibens mit dem Malen, also des Kunstwerks als solchen mit einem als solchem; so wie ungefähr eine feurige Phantasie einige Ähnlichkeiten aus der Instrumentalmusik herholen würde für die Vokalmusik. – Gebt lieber die nackten schwarzen Holz-Äste als einen welken Umhang rauschenden Laubes vom vorigen Jahr!

Zwar hat auch jeder reichere Autor seine Lieblings-Sternbilder, die er anbetet und ansieht – der eine Sterne, der andere Berge, der dritte Töne, der vierte Blumen; aber wenn auch eine indische Phantasie wie eben die Herdersche, gleich dem Kolibri, gern auf[292] die Blume und die Blüte fliegt, nämlich auf die Metapher davon: so zieht sie doch aus jeder einen andern Honig. Und dies ist die Probe, das jedesmalige Umbilden eines alten Bildes; jedes Leben – es wohne in der wirklichen oder in der dichterischen Welt gestaltet sich individuell.

Klopstock und Lessing geben den alten Bildern wenigstens den Reiz neuer Schärfe; z.B. Lessing: »meine Beispiele schmecken nach der Quelle«; aber die Jagd nach Germanismen führt ihn eben darum weniger zu schönen alten Bildern als zu deutschen alten, z.B. »der Macht auf den Zahn fühlen«; und gar: »den Übersetzungen das Wasser besehen.« – Wenigstens helfe man einem abgelebten Bilde durch einen Zusatz auf, der nicht dessen müde Fortsetzung, sondern mehr eine reizende Entgegensetzung ist. Wenn ich anstatt: »der Schmerz zerriß sein blutendes Herz« dafür sage: sein hartes, oder schweres, warmes, festes u.s.w. Herz, nach Erlaubnis der Rede: so wird wenigstens die im »blutenden« liegende Wiederholung des »zerriß« zum Vorteil der Anschaulichkeit vermieden; ebenso wenn man anstatt z.B. »das schwere Haupt sank in den Staub« dafür sagte: das bekränzte, weißlockige, nackte, wunde, erhobene, feurige etc.

Die Vollkommenheit jedes bildlichen Ausdrucks ist seine sinnliche Schönheit und Neuheit schon ohne die geistige, wenn z.B. Herder sagt: »dem jungen Schiffer sind oft schon unterm Angesichte der Morgenröte Stürme beschieden« – oder die bloße Anschaulichkeit, z.B. Herder: »dem Neide den Lorbeer aus den Klauen ziehen.« So unzählige bei Schiller und Goethe. Diese Anschauung einer doppelten Poesie oder Neuheit, einer innern und einer äußern, kann, da nur die innere Lebendigkeit sich eine äußerliche anbilden kann, keiner dürftigen Prachtgesetze bedürfen. Nur wo die Bildlichkeit bloßer Anputz ist, sei sie sparsam; aber wenn der Schmuck Angesicht wird, die Rosen Wangen, die Juwelen Augen: dann ist es einem Gesichte erlaubt, so schön zu sein, als es kann. Daß übrigens das bildliche Denken sich mit dem tiefsten so gut verträgt als eine schöne Nase und Stirne mit dem weisesten Gehirn darhinter, beweisen nicht nur Denker wie Platon, Bakon, Leibniz, Jacobi, sondern auch die unzähligen Schreiber,[293] welche das Gesetz der Sparsamkeit und das Gelübde der Armut nur in der Zahl der Wörter und Bücher verletzen, es aber desto strenger in Ideen und Bildern halten.

Die Begeisterung gibt wie die Liebe oft eine süße Überfülle ein, über welche der unfruchtbare Frost nicht richten sollte; so gerät Homer im zweiten Buche der Ilias auf einmal unter Gleichnisse, bei welchen überhaupt schwerer das erste als das zehnte geschaffen wird. So umkränzt der großsinnige Winckelmann das Portal seines Kunstwerks über die Kunstwerke mit Blumen und Blumenkränzen und dann wieder den Ausgang. So geben Swift und Butler171 die Gleichnisse nur in Herden.

171

Ich ziehe der geistreichen und schwierigen Soltauischen Übersetzung, welche ebensoviel Geist leiht als raubt, die alte Wasersche vor, die uns gerade die Gleichnisse Butlers und dessen Laune ungeschwächt über das Meer herübersetzt.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 292-294.
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