11.

[53] Noch kurze Zeit darf ich dich meine nennen,

Eh' meinem Arm ein stärkrer dich entreißt.

Noch kannst du mir ein zärtlich Lied vergönnen,

Eh' dich mein Lied voll Ehrfurcht selig preist.

Wie? stört mein Reim nicht mit zu eitlen Trieben

Dich, die bereits nur an den Himmel denkt?

Nein, wie du liebst, kannst du mich auch noch lieben,

Wenn sich dein Aug', ach! brechend auf mich lenkt.


So starke Gluth ein menschlich Herz empfindet,

So starke Gluth hat dich für mich gerührt:

So reine Huld, als Geister nur verbindet,

So reine Huld hat deine Gluth regiert.[53]

Auf Erden nur durch dich mich zu beglücken,

Der Endzweck war für deine Gunst zu klein,

Ein größer Wohl zeigt sich erhabnern Blicken,

Da wolltest du auch ewig bey mir seyn.


Doch dich soll schon das größre Glück ergötzen,

Und mir wird nicht das irdische gegönnt!

Und wird vielleicht, Gedanke voll Entsetzen!

Dein Geist von mir auf ewig jetzt getrennt?

Nein, der uns schuf, verlangt nicht mein Verderben;

Auch mir hat Er dein Glücke zugedacht;

Ich soll darum nur länger zitternd werben,

Und geh' zu dir nach kurzer Jahre Nacht.


Da werden wir als Geister uns noch kennen,

Beglückter weit, als wir uns hier gekannt,

Und gegen Gott in sel'ger Liebe brennen,

Vereint vor Ihm, wie Er uns hier verband.

Noch, weil die Welt hier meine Sinnen rühret,

Soll stets vor mir dein strahlend Bildniß stehn.

Ach, wird dein Blick, wenn er die Welt verlieret,

Wohl noch einmal nach deinem Freunde gehn?


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 53-54.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Elegieen
Elegieen