11. Auf den Tod des Breslauischen Rectors, Herrn Christian Stief

[106] Bey Einer Kenntniß stets verzagt und träge stehn,

Nie lehrbegier'gen Blick nach andrer Wahrheit drehn,

So wie der Thiere Witz nur Eine Kunst vollbringet,

Die Spinne nichts, als webt, die Lerche nichts, als singet,[106]

Kommt schlechten Seelen zu; erhabner Geister Kraft

Erschöpft die Arbeit nicht von Einer Wissenschaft.

Ihr Fleiß, den nichts vermag in engen Raum zu schränken,

Durchreist der Wahrheit Reich, und denkt wo Menschen denken.


So war, zu Breslau's Ruhm, der theure Greis gelehrt,

Den es fast funfzig Jahr und noch zu kurz verehrt.

Zu wenig war für ihn, der Weisen Sprachen kennen,

Mit Schätzung ihres Werths die großen Alten nennen;

Noch bey der Alten Werth der Neuern Werth verstehn,

Im Schicksal manches Volks der Vorsicht Herrschaft sehn;

Auch was Natur und Kunst für Wunderwerke zeigen,

Da, wo der Schöpfer spricht, und Bücher öfters schweigen;

Wie viel der kleine Mensch voll Ohnmacht sich erkühnt;

Wie Himmel, Erd' und Meer nur seinem Witze dient;

War seiner Einsicht werth; er sah in tiefen Klüften

Des armen Bergmanns Fleiß; in Gluth und Schwefeldüften,

Wie Bley aus Steine fließt; mit nützlichem Bemühn,

Ließ er erst fremden Klee auf Breslau's Wiesen blühn.

So ward durch seinen Fleiß auch Andrer Fleiß gelenket,

Zu sehn, was Gott erschuf, zu brauchen, was er schenket.


Vollkommner sieht er jetzt, von langem Dienst befreyt,

Den Schöpfer unsrer Welt, als Herrn der Seligkeit.

O möchte, da wir ihn für uns noch früh verlieren,

Nur manchen Geist bey uns sein großes Beyspiel führen!

Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 106-107.
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