12. Der Liebhaber ohne Eifersucht

[20] Ja, neiderfüllter Buhler Seelen

Mag ihrer Schönen Auge quälen,[20]

Wenn es nach Andern seitwärts zielt;

Doch, daß ich Chloris stärker liebe,

Macht, weil sie zärtlich heiße Triebe

In Jedem wirkt, für Jeden fühlt.


Ein einzig Herze zu besiegen,

Kann schlechter Schönen Geist vergnügen;

Kein Wunsch ist, der sich weiter regt,

Wenn einer nur im Sklavenstande

Der matten Reizung schwache Bande

Mit Treue voller Einfalt trägt.


So lebt in's Erdballs kleinstem Stücke

Ein blöder Fürst in schlechtem Glücke,

Den kaum sein Hof, sonst Niemand kennt;

Sein Ländchen kann kein Feind verringern;

Doch Chloris gleicht den Weltbezwingern,

Ihr Unterthan ist, wer sie nennt.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 20-21.
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